Phönix aus der Kohle oder warum Kohlekraftwerke wieder gebraucht werden

Totgeglaubte leben länger. So könnte man formulieren angesichts der Tatsache, dass das Großkraftwerk Jänschwalde in der Lausitz wieder mit voller Leistung am Netz ist. Noch ist genug Braunkohle verfügbar und es rechnet sich auch.

IMAGO / Andreas Franke

Anno 2015 begab es sich, dass dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die CO2-Emissionen des Landes zu hoch erschienen und er gedachte, dies zu ändern. Er wollte Braunkohle-Kraftwerksblöcke mit einer zusätzlichen „Klimaabgabe“ belasten, was sofort die Unwirtschaftlichkeit bedeutet hätte. Das führte jedoch zu Widerstand aus den Regionen und von Gewerkschaften. So gab es einen Kompromiss, der sich „Sicherheitsbereitschaft“ nannte, bezahlt wurde und die terminierte Abschaltung von insgesamt acht Blöcken zur Folge hatte. Minister Gabriel bezeichnete die Lösung als „Gürtel zum Hosenträger“ (zusätzlich zur Reservekraftwerksverordnung) und wie eigentlich alle anderen Beteiligten ging er davon aus, dass diese Anlagen nie wieder in Betrieb gehen würden. „Milliardenschwere Sterbehilfe für die Braunkohle“ titelte damals die ZEIT.
Der Bereitschaftszeitraum wurde per Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes auf vier Jahre festgelegt, dann galten die Blöcke als stillgelegt.

Nachdem die Kanzlerin über viele Jahre alle Eier in Fragen der Versorgungssicherheit in einen einzigen Korb gelegt hatte, der die Aufschrift „Brückentechnologie russisches Erdgas“ trug, fiel dieser mit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 krachend zu Boden.

Anstelle das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) wenigstens auszusetzen und abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt, erfand man die Sonderkonstruktion des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes (EKBG) für die Steinkohlekraftwerke und holte über eine zusätzliche „Verordnung zur Änderung der Stromangebotsausweitungsverordnung“ (StaaÄV) auch fünf der ehemals acht in der Sicherheitsbereitschaft stehenden Braunkohleblöcke zurück.

Diese Konstruktion des gleichzeitigen Aus- und Einstiegs führt offensichtlich dazu, dass der im KVBG §54 festgeschriebene Überprüfungsbericht, terminiert zum 15. August 2022, noch immer auf sich warten lässt. Das ist verständlich. Beauftragt ist das Ökoinstitut Freiburg, bei dem eine nüchterne Einschätzung wohl kaum zu vermuten ist. Die erwartet das zuständige Ministerium auch nicht, sondern eine bestätigende Bilanz des eingeschlagenen Weges.

Volle Kraft voraus

Am Freitag, dem 17. November 2023 gegen 19 Uhr erreichte das Kraftwerk Jänschwalde erstmals seit 2018, genauer gesagt nach fünf Jahren und 47 Tagen, wieder die volle Nennleistung von 3.000 Megawatt (3 Gigawatt, GW). Die zwei bisher tot geglaubten 500-MW-Blöcke E und F liefen wieder. Zu diesem Zeitpunkt lag der Stromimport bei 5 GW, er legte im Laufe der Nacht auf 10 GW zu. Alle Windkraftanlagen speisten 8,5 GW ein (12 Prozent der installierten Leistung). 79 GW installierter Leistung der Photovoltaik lagen in Form der Paneele wirkungslos auf Dächern und in der Landschaft.

Der Börsenstrompreis betrug etwa 140 Euro pro Megawattstunde (€/MWh). Die Gestehungskosten des Braunkohlestroms liegen durch die drastische Erhöhung der Zertifikatepreise inzwischen bei etwa 110 €/MWh. Es bleibt also eine Marge für das Unternehmen LEAG, die in Teilen am Ende der tschechischen EPH-Holding mit Milliardär Kretinsky an der Spitze zu Gute kommt. Die Theorie der Grünen, über steigende CO2-Preise würde sich die Braunkohleverstromung ohnehin erledigen, geht fehl. Diese Kosten werden an die Verbraucher durchgereicht, weil die „Erneuerbaren“ nicht in der Lage sind, bedarfsgerecht zu liefern.

Eher schlecht ist die Situation betreffs der CO2-Emissionen. Aktuell betrug an besagtem Freitag unsere spezifische Emission der Stromerzeugung 502 Gramm pro Kilowattstunde (g/kWh). Frankreich mit seiner „gestrigen“ Kernkraft emittierte 32 g/kWh. Deutschland steht in einer Reihe mit Ländern und Regionen, die zu diesem Zeitpunkt sogar noch mehr spezifisch emittierten: Polen, Tschechien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien und Sardinien. Zumindest im Vergleich mit diesen waren wir „Vorreiter“.

Ende März 2024 werden die reaktivierten Braunkohle-Blöcke endgültig stillgelegt. 2028, also in nur 5 Jahren, soll überhaupt kein Kohlestrom mehr aus dem Kraftwerk Jänschwalde kommen. Dass ein geplantes Gaskraftwerk mit 800 Megawatt Leistung an diesem Standort zu diesem Zeitpunkt dann in Betrieb geht, ist fragwürdig, denn es gibt noch keine Gaspipeline zu diesem Standort.

In den nächsten Wintern stehen dann immer weniger Kohlekraftwerke zur Verfügung, denn das KVBG gilt weiter. Die Ausschreibungen für neue Gaskraftwerke mit entsprechender, finanziell aber ungeklärter Subventionierung sollen 2024 veröffentlicht werden. Dann folgen fünf bis sieben Jahre Entscheidung, Planung, Genehmigung und Bau. Auf diese Zeitschiene hatte schon die Kohlekommission in ihrem Abschlussbericht vom Januar 2019 hingewiesen. Kohleaus- und Gaseinstieg sind terminlich nicht koordiniert. Mithin haben zwei Bundesregierungen fünf Jahre im Tiefschlaf verbracht. Dafür vermerkte man im Ampel-Koalitionsvertrag, dass der Kohleausstieg neben dem Atomausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorgezogen werden solle. Welche Getränke zu den Verhandlungen gereicht wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.

Zweifelhafte Ministernde

Minister Gabriel sollten wir dennoch mit Respekt nachschauen. Er bezeichnete die Energieversorgung als Herz-Kreislaufsystem des Landes, wodurch er das Verständnis bewies, dass eine Schwächung dieses Systems eine Schwächung des ganzen Körpers bedeutet. Nachfolgenden Ministern scheint dieses Verständnis abhanden gekommen zu sein. Auch forderte er 2013 einen neuen Ansatz der Energiewende, sie würde sonst zum Deindustrialisierungsprogramm. Man folgte ihm damals nicht und seine Prophezeiung sehen wir heute erfüllt.
Nachfolger Altmaier (CDU) hob ab und begab sich in die Wasserstoffsphäre, die beispielsweise allein mit dem SINTEG-Programm („Schaufenster der Energiewende“) rund 200 Millionen Euro kostete – „Ich will das Thema fliegen sehen“. Bisher gibt es keinen messbaren Fortschritt im Sinne eines wirtschaftlichen Erfolges. Über den aktuellen Klimaminister möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern.

Kürzlich begab es sich, dass die Finanzierungidee eines überwiegend auf Naturenergie basierenden Energiesystems durch Schattenfinanzierung vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde. Schon früher war die Zukunft oft unklar, heute liegen die Aussichten völlig im Nebel. Ab dem nächsten Winter kann nur noch sehr begrenzt reaktiviert werden. Es wird dann keinen Phönix mehr geben.


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Kommentare ( 39 )

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39 Comments
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howe
5 Monate her

Und wenn man dann noch die Mitteilung von Hans Josef vom 17.9.2019 betrachtet:
Umstellung von Kohle und Erdöl auf Erdgas erhöht Treibhauseffekt des Energieverbrauchs um rund 40%
https://hans-josef-fell.de/2019/09/16/erdgas-leistet-keinen-beitrag-zum-klimaschutz/
Erkennt man den Irsinn Grüner Ideologie

nethoesi
5 Monate her

Bekanntlich plant man im Wolkenkuckuksheim bis 2030 den Zubau von 3 x mehr Windmühlen als heute. Wie ich dazu schon Anfang 2023 unserem kinderbuchschreibenden Wirtschaftdilettanten persönlich per Einschreiben mit Rückschein in einfacher Sprache geschrieben habe (und Forist Michael M. gleichfalls bemerkte): Dreimal mehr zuwenig (Strom bei Flaute) ist immer noch nicht einmal genug…. Geantwortet hat mir der Schlaumeier selbstverständlich nicht. Was hätte er auch antworten sollen.

horrex
5 Monate her

Vergangene Woche hab ich den Benzinvorrat für meinen Generator erneuert. (Nachdem mein Rasentraktor über den Sommer den Sprit verbraucht hatte.) Nun kann ich bei Vollast ca. 30 Std. lang auf ca. 6KW zurückgreifen. Und auf 500 Km Diesel fürs Auto. Und etliche Kartuschen Gas für den Camping-Brenner. Und auf meinen Kamin (7KW) und reichlich 3 Ster Holz. Reichlich Trinkwasser, 1000 Teelichte, Batterien fürs KW-Radio, 2 Taschenlampen zum Aufladen, einige Konserven, Getrocknetes … usw. usf. … Der Gartenteich hat Wasser und „Büsche“ gibts im Garten sowieso. – – Der Winter kann kommen. – 2-3 Wochen überbrück ich ganz locker. Selbst ohne… Mehr

Last edited 5 Monate her by horrex
Juergen P. Schneider
5 Monate her

Jeder vernünftige Mensch wird die so genannte Energiewende als gigantischen Misserfolg bezeichnen. Nach 23 Jahren Energiewende haben wir einen doppelt so hohen CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr wie Frankreich. Eine unterbrechungsfreie Stromversorgung auf Basis des Flatterstroms ist auch in nächster Zukunft technisch und wirtschaftlich nicht darstellbar. Die Wasserstoffwirtschaft ist und bleibt ein Wunschtraum. Der Nebel im links-grünen Märchenwald wird immer dichter.

horrex
5 Monate her
Antworten an  Juergen P. Schneider

Ja, jeder v e r n ü n f t i g e Mensch wird das so sehen.
Wo ist eigentlich der Satz geblieben:
„Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen.“
Helfe mir doch mal Einer beim Suchen …

murphy
5 Monate her

Zwei Sachen: Nr.1: der CO2-Betrug, CO2 hat keinen Einfluß auf Wetter, Klima, Erdtemperatur. Die CO2-Konzentration im Luftgemisch ist ganz wesentlich eine Folge der Ozeantemperatur ( mit ca. 700 Jahren Nachlauf), nicht deren Ursache. Es gibt um die 3 Milliarden t CO2 in der Luft, seit 200 Jahren gemessen(!) nahezu gleich. Was da eine Einsparung von 60 t CO2 bedeutet, darf man mal Klimakleber fragen (Alle Berechnungen und Nachweise hier: https://polpro.de/notes.php#062 ). Nr.2: Es wäre gut, wenn man Strom nach Herstellungsart kaufen/beziehen könnte und nicht nur als Mix fremder Hände. Dann brauchen AKW-Gegner von dort keine kWh abkaufen. Dito Wind- Solar-Herstellung.… Mehr

Last edited 5 Monate her by murphy
Michael M.
5 Monate her
Antworten an  murphy

Absolut und ganz wichtig immer nur den allerheiligsten Stromanbieter auswählen, denn der Strom ist unabhängig vom Anbieter eh immer derselbe.
Das ist wie bei den freien Tankstellen, die werden auch aus dem gleichen Benzinlager versorgt wie die sog. Markentankstellen.

Michael M.
5 Monate her
Antworten an  Michael M.

Oh je, ich meinte selbstverständlich den „allerbilligsten“ (die Autovervollständigen-Funktion läßt grüßen 😉) Stromanbieter.
Heilige sind das ganz sicher nicht 😂.

Last edited 5 Monate her by Michael M.
howe
5 Monate her
Antworten an  murphy

Und wenn schon, dann ist es Treibhausgas. Wegen der hohen Wirkung von Methan ist die deutsche Treibhausgas-Bilanz falsch berechnet!
Und das ist nicht erst seit der Mitteilung vom 17.9.2019 von Hans Josef Fell bekannt, aber sprätestens dann, hätte auch Grünen ein Licht aufgehen müssen.
Umstellung von Kohle und Erdöl auf Erdgas erhöht Treibhauseffekt des Energieverbrauchs um rund 40% (https://hans-josef-fell.de/2019/09/16/erdgas-leistet-keinen-beitrag-zum-klimaschutz/)

Eberhard
5 Monate her

Undurchsichtige Schattenfinanzierung und unreale Zukunftsversprechen sind die ideologischen Hauptpfeiler dieses überwiegend auf Naturenergie basierenden Energiesystem. Nur weil der Rückbau und der Neubau gut bezahlt wurde und wird, haben die Energiebosse und ihre Aktionäre den ganzen ideologisch politischen Unsinn geschluckt. Warum gibt noch keine annähernd reale Planung von Ablauf, Investitionen und Kosten für das Neue und einen Rückbau auf Schrottwert? Selbst eindeutige Untersuchungen zur Energiesicherheit scheinen längst nicht realistisch. Nicht einmal die für die Neuinvestitionen, samt ihrer ganzen Herstellungskette zusätzlich anfallenden Klimabeeinflussungen tauchen in den schon sehr mageren Nutzungsnachweisen auf. Alles, was da heute angeblich für das Klima geschieht, belastet das… Mehr

kggtge8a
5 Monate her

Sehr geehrter Herr Hennig, ich verstehe nicht warum Sie so willkürlich diesen einen Moment gestern herausgegriffen haben, wo wohl das erste mal seit 5 Jahren es nötig war die Kohlekraftwerke zu starten. Schon morgen ist wieder viele Stunden der Strompreis auf nahe 0ct/kWh was zeigt das Wind- und Solarenergie dann wieder genügend Strom erzeugen. Ist es nicht egal ob die Kohlekraftwerke mal kurz anspringen und eine Lücke füllen? Ist es nicht deutlich wichtiger, das dieses eine Kohlekraftwerk jetzt 5 Jahre aus war und eben keine CO₂ & Ruß Emissionen in die Umwelt gebracht haben? Ich habe kein Problem damit übergangsweise… Mehr

Juergen P. Schneider
5 Monate her
Antworten an  kggtge8a

Ja, ja, furchtbar dieser Herr Hennig mit seinem brutalen Realismus und seinem Sachverstand. Warum muss er auch immer auf die fundamentalen Schwachpunkte der tollen Energiewende hinweisen, wo alles doch so wunderbar und so gut läuft. 🙂

Michael M.
5 Monate her
Antworten an  kggtge8a

Tja leider wieder einer der das Problem (noch) nicht erkannt hat. Wie müssen die Kapazitäten (installierten Kraftwerksleistungen) doppelt vorhalten (und deshalb haben wir weltweit den höchsten Strompreis) und wollen auch noch möglichst schnell aus der vorgehaltenen Backup-Kapazität aussteigen. Die Gaskraftwerke die in den nächsten Jahren gebaut werden sollen sind noch nicht einmal in der Ausschreibungsphase, von der Gasversorgung ganz zu schweigen. Der Wind wird deswegen auch nicht häufiger/stärker wehen (die Sonneinstrahlung ist nun mal jahreszeitabhängig, denn sonst gäbe es eh keinen Winter) und die Abhängigkeit vom Ausland wird dann noch stärker werden. Schauen Sie sich die Grafiken der Stromerzeugung an,… Mehr

Last edited 5 Monate her by Michael M.
alter weisser Mann
5 Monate her

„warum Kohlekraftwerke wieder gebraucht werden“
Weil wir nichts anderes, ausreichend für eine stabile Versorgung, betriebsbereit haben.

Buntspecht
5 Monate her

Der Überlebenskampf hat begonnen, entweder auf Teufel komm raus unabhängige Energie oder der Laden fliegt der Idiotenadministration sofort um die Ohren.

ssasse
5 Monate her

Würden Sie gerne abstellen. Geht aber nicht wegen Volksaufstand. Geht schon, wenn die Industrie wech ist. Dann geht es mit 25 GW Spitzenlast. Nur gemach, der Plan ist der Plan und der hat immer recht.
Habeck braucht noch ein wenig Zeit. Die gibt Ihm Olaf.