Europa: Wo steht der Souverän?

© Kamyc

Europäisch-griechischer Umsetzungskrieg

Soll Europa diesen Weg wirklich weitergehen? Soll es sich in diesem Land am Ende gar in einen „Umsetzungskrieg“ verwickeln und Verwaltungsbeamte als Bodentruppen nach Athen oder auf den Peloponnes schicken? Das kann niemand wollen. Ebenso wenig ist es eine Alternative, dieses Land mit noch mehr Geld und guten Worten zu füttern. Es gibt in Richtung Einmischung einfach keine vertretbare Option mehr. Das ist eine Erfahrung, die der Westen in den letzten Jahren an mehreren Stellen machen musste: Das nation building von außen scheitert. Ohne Souveränität geht es nicht. Neu ist, dass Europa das jetzt auch in seinem Inneren bei einem Mitglied der Euro-Gruppe feststellen muss. Noch sträubt sich die europäische Politik gegen diese Einsicht. Der Irrweg ist noch nicht verlassen.

Und es ist hier noch etwas im Spiel, das mit Griechenland gar nichts zu tun hat: eine europapolitische Verschiebung. In der Legitimation der Brüsseler Vereinbarung stehen nicht die Aussichten für Griechenland im Vordergrund, sondern der europäische Zusammenhalt. Ein Grexit, so heißt es, würde das große Ganze von Europa gefährden. Dabei verändert sich unterschwellig dieses große Ganze. Es wird versucht, die Gewichte zwischen den Gemeinschaftsinstitutionen und den Mitgliedsstaaten zu verschieben. Ein anderes, stärker zentralisiertes Europa, das die geschlossenen Verträge nicht mehr kennt, zeichnet sich ab.

Mit der kategorische Ablehnung jedes Grexit wird praktisch ein neues oberstes Gebot errichtet: Jedes Mitglied wird unbedingt in der Gemeinschaft gehalten – auch wenn man dafür die europäischen Verträge brechen und das Recht beugen muss. Damit wird eine neue Machtpolitik in Europa eingeläutet. „Wenn Deutschland es auf einen Grexit anlegt, provoziert es einen tiefgreifenden Konflikt mit Frankreich. Das wäre eine Katastrophe für Europa“ erklärte der Luxemburger Außenminister. Zugleich zirkulieren Vorschläge, die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu zentralisieren und ein quasi-staatliches EU-Budget einzuführen. Dabei ist nicht nur die Führung der EU-Verwaltung am Werk, sondern auch Frankreich scheint eine besondere Rolle zu spielen. Nicht nur Francois Hollande sondern auch Nicolas Sarkozy haben sich demonstrativ gegen jeden Grexit ausgesprochen. Hinter den Kulissen lief manch merkwürdiges Zusammenspiel zwischen Paris, Brüssel und Athen. Entsteht hier eine neue französische Strategie und Staatsräson, die Frankreichs Zukunft in einem möglichst wenig vertragsgebundenen, „voluntaristischen“ Europa sieht? Das wird man aufmerksam beobachten müssen.

Ein Ja ohne Zukunft

Der Bundestag hat den Brüsseler Vereinbarungen zugestimmt. Das war zu erwarten. Es war ein Ja ohne wirkliche Überzeugung, ein Ja ohne Zukunft. Die wachsende Zahl von Nein-Stimmen in der Union zeigt, dass das Nachdenken über Alternativen längst begonnen hat.

Allerdings kamen diese Alternativen in der Debatte nicht zu Wort. Dadurch hat der Bundestag die Gelegenheit versäumt, sich deutlicher gegen den äußeren Druck zu behaupten, unter dem er stand. Deutschland hat sich in den Brüsseler Verhandlungen exponiert, die Kanzlerin und noch mehr der Finanzminister sind erheblichen Anfeindungen ausgesetzt. Es sind Anfeindungen, die dem Recht Deutschlands gelten, „Nein“ zu sagen – auch wenn es aus guten Gründen und mit nüchterner Urteilskraft geschieht. Oder gilt jedes deutsche Nein von vornherein als ideologisch, als hegemonial und (wenn wir schon dabei sind) als „rassistisch“?

Es wäre in der Debatte also wichtig gewesen, die Kritik an der Verhandlungsführung der Bundesregierung ausdrücklich zurückzuweisen. Wäre im Deutschen Bundestag ausdrücklicher das Recht des Finanzministers verteidigt worden, den (moderaten) Grexit-Vorschlag zu machen, hätte es auch seine eigene Sache gestärkt. Dass in der Griechenland-Affäre die Budget-Hoheit des Parlaments (als Treuhänder des Steuerzahlers) und seine Kontrollaufgabe bei außenpolitischen Verpflichtungen auf dem Spiel stehen, gerät gegenwärtig leicht in Vergessenheit. Da hätte ein selbstbewussterer Bundestags einmal die Stühle geraderücken – und damit auch andere Länder in Europa ermutigen können.

(aktualisierte Version des am 17.7. in der „Achse des Guten“ erschienenen Beitrags)

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