Zu Guttenberg: Merkel verlangte die Abschaffung der Wehrpflicht

Deutschland braucht mehr Wehrhaftigkeit, verkündet Boris Pistorius immer wieder. Hilft da eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht? Wohl kaum, denn die Bundeswehr kann diese Leute gar nicht ausbilden. Von Fabian Kramer

Screenprint ARD

Er hat sich von der politischen Bühne abgewandt und ist doch immer in aller Munde geblieben. Karl-Theodor zu Guttenberg ist an diesem Abend zu Gast bei Maischberger. Der ehemalige politische Darling der medialen Öffentlichkeit ist tief gefallen und gibt sich geläutert. “Ich hatte eine Überdosis Eitelkeit“, gesteht er freimütig. Reflexion ist nicht die schlechteste Eigenschaft für ein interessantes Gespräch. Und die Themen für eine spannende Konversation liegen in Kriegszeiten mannigfaltig vor.

Die Gesellschaft soll kriegstüchtig werden

Mit Verteidigungsminister Pistorius scheint nach langer Zeit wieder ein Minister im Amt zu sein, der den Ernst der Lage erkennt. Lange Zeit hat die Bundesrepublik eine saftige Friedensdividende eingestrichen. Man konnte sich in der öffentlichen Debatte den Unannehmlichkeiten und Notwendigkeiten von Wehrtüchtigkeit verweigern. Diese Zeiten sind seit Putins Krieg in der Ukraine vorbei. Karl-Theodor zu Guttenberg lobt Pistorius für seine Aussage zur Kriegstüchtigkeit der Gesellschaft. Er findet auch, dass die deutsche Gesellschaft kriegstüchtiger werden sollte. Die Frage ist nur, ob wir im woken Jahr 2023 als Gesellschaft überhaupt in der Lage dazu sind?

Es ist nur schwer vorzustellen, dass beispielsweise gesellschaftliche Gruppen wie „Klimakleber“ oder „Genderaktivisten“ etwas mit Bundeswehr und Militär anfangen können. Selbst jenseits dieses linken Milieus ist es mit der Bereitschaft zur Kriegstüchtigkeit nicht allzu weit her. Auch viele Liberale und Bürgerliche haben jahrelang die Bundeswehr und alles Militärische stiefmütterlich behandelt. Guttenberg weiß ein Lied davon zu singen. Musste er aus Spargründen doch die Wehrfähigkeit einschränken und die Wehrpflicht im Allgemeinen abschaffen – ein Projekt, dass zu dieser Zeit großen Konsens in der Politik hatte, aber nun von denselben Politikern als Fehler Guttenbergs gewertet wird. Mit Pistorius weht nun ein neuer Wind. “Ich halte Pistorius für einen Lichtblick”, lobt der gefallene Politiker den aktiven Sozialdemokraten. Nach dem Alptraum Christine Lambrecht, welche die größte Mühe hatte, einen Panzer von einem Hubschrauber zu unterscheiden, ist diese Einschätzung auch nicht sonderlich verwegen. Den allgemeinen Zustand der Truppe und deren derzeitige Abwehrfähigkeit bezüglich eines Angriffes sieht der CSU-Mann skeptisch. Die Bundeswehr könne alleine nur sehr schwierig einen etwaigen russischen Angriff abwehren. Die Frage steht im Raum, ob das Ende der Wehrpflicht dazu beigetragen hat?

Auch mit 100 Milliarden keine Wehrpflicht?

Die Diskussion im politischen Berlin ist längst entbrannt. War das Ende der Wehrpflicht ein Fehler? Karl-Theodor zu Guttenberg bewertet seine damalige Entscheidung gemischt. Man könne 2023 nicht mit 2009 vergleichen, findet er. Außerdem gebe es durch das 100-Milliarden-„Sondervermögen“ einen Fakt, welcher zu seiner Zeit nicht vorhanden war. “Bei 100 Milliarden hätte ich vielleicht darüber nachgedacht“, meint er in der Rückschau. Aber die Zeiten waren andere.

Deutschland und die EU steckten mitten in einer Finanzkrise. Das Land war knapp bei Kasse und es musste gespart werden. Ein Krieg in Europa schien unvorstellbar. Maischberger spricht Guttenberg auf Kritik früherer Minister und aktueller CDU-Politiker wie Roderich Kiesewetter an. “Sie stellen sich auf die Hinterbeine und eine bockige Kanzlerin und ein noch bockigerer Finanzminister schauen sie böse an.”, beschreibt er die auswegslosigkeit des Versuchs, damals die Sparzwänge in der Verteidigung abzuwehren. Für ihn wäre ein Einstehen für die Wehrpflicht einem Rücktritt vom Amt gleich gekommen. Deshalb verweigerte sich der Bayer diesem aussichtslosen Kampf. Wahrscheinlich wäre es historisch richtiger, Merkel alleine diese Entscheidung als die ihrige zuzuschreiben. Merkel hatte es sich in den Kopf gesetzt. Zu Guttenberg musste liefern. Auch aktuell fehle das Geld für eine kostspielige Wehrpflicht, meint zu Guttenberg. “Selbst 100 Milliarden werden für die Wehrpflicht nicht reichen”, gibt er zu bedenken. Und der Zweck ist ambivalent: In den letzten Jahren zog die Bundeswehr gut 16 Prozent der wehrpflichtigen Männer ein.

Eine interessante Wendung nimmt das mitunter kurzweilige Gespräch gegen Ende. Die Moderatorin kommt auf Markus Söder als möglichen Kanzlerkandidaten zu sprechen. Der Ex-Verteidigungsminister ist kein Fan. “Wie lange muss ich schweigen?”, quittiert er humorvoll die Frage. Es lässt sich nach dieser Sendung feststellen, dass zu Guttenberg immer noch über Esprit und Charme verfügt. Vielleicht sogar mehr als am Ende seiner Amtszeit, die ihn körperlich und geistig zerstört haben soll – wie er selbst berichtete. Man kann erahnen, dass einer wie er im grauen und trockenen Politikbetrieb für Würze gesorgt hat. Doch ein Comeback schließt er aus. Ob das Aus für die Wehrpflicht der Bundeswehr wirklich so sehr geschadet hat, oder die Truppe ohnehin durch das Sparen ruiniert wurde, lässt sich abschließend nicht feststellen. Fest steht, dass es viel Geld und politischen Willen benötigen wird, um die Truppe wieder zu sanieren. Dieser Job liegt nun bei Pistorius.

Russland steht hinter Putin

Die Lage in der Ukraine ist verzwickt und militärisch steht der Ukraine das Wasser bis zum Hals. Es stellt sich die Frage, wie dieser Konflikt gelöst werden soll? Westliche Waffen haben nicht die gewünschte Wende gebracht. Und in der russischen Bevölkerung steigt die Sympathie für den Überfall auf den Nachbar. Zumindest beurteilt das die Moskau-Korrespondentin der ARD, Ina Ruck so: “Die russische Bevölkerung hat sich auf Krieg eingestellt”, berichtet sie. Nach dieser Einschätzung haben die Sanktionen gegen Russland innerhalb der Bevölkerung nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Im Gegenteil, gerade die westlichen Sanktionen könnten die Wagenburgmentalität der Russen verstärkt haben.

In den vergangenen zwei Jahren wurde die Wirtschaft in Russland zur Kriegswirtschaft umgebaut. Deutschland steckt in einer Rezession und hat mit teuren Energiepreisen zu kämpfen. Auch die großen westlichen Waffenlieferungen haben der Ukraine nicht viel weiter geholfen. Die Militärexpertin Claudia Major meint, dass es kleine Erfolge gebe. Die spärlichen Angriffe der Ukraine auf die Krim sind für sie ein Zeichen dafür. “Die Ukraine hat den Druck auf Moskau erhöht”, sagt sie dazu.

Russische Kriegswirtschaft läuft auf Hochtouren

Wahrscheinlich kann der Mann im Kreml eher entspannt auf solche militärischen Eintagsfliegen blicken. Die Realität für die Ukraine ist in Wahrheit düster. “Ohne militärische Hilfe aus dem Westen ist der Kampf aussichtslos”, sagt Major. Traurig aber wahr dürfte viel eher sein, dass auch mit westlichen Waffen kaum Gebiete zurückerobert werden können. Die russische Produktion läuft längst auf Hochtouren. So viele Waffen kann der Westen niemals liefern, wenn er nicht selber seine Wirtschaft umstellt. Die westliche Produktion erreiche erst gegen 2025 russisches Niveau, analysiert Major.

Die bedingungslose Unterstützung der Ukraine ist inzwischen auch eine Kostenfrage. Deutschland und die USA finanzieren die Waffen, den Staatshaushalt der Ukraine und den Wiederaufbau. Wie lange soll es so weiter gehen? Es ist dem deutschen Steuerzahler auf die Dauer nicht zuzumuten, dass er noch für Jahre die Kriegskosten für ein fremdes Land trägt. Noch dazu für einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist. “In Russland herrscht Durchhaltementalität“, sagt Ruck. Für den Westen verheißt dies nichts Gutes. Deutschland und der Westen haben die Verantwortung, die Lage seriös zu beurteilen. Daraus muss nicht folgen, dass die Unterstützung gänzlich eingestellt wird. Aber Verhandlungen mit den Russen und China über das Ende des Krieges müssen zeitnah ins Auge gefasst werden.


Fabian Kramer schreibt für  Tichys Einblick  als freier Autor.

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Kommentare ( 169 )

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Felix Dingo
5 Monate her

Man kann eine Armee auch im Land selbst einsetzen, wenn es zum Beispiel um die Unterdrückungen antisemitischer Aufstände kommt.
Da sollte man schon bestens vorbereitet sein.

usalloch
5 Monate her

Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg, der sich jetzt erklärt, hatte genug Vorbilder, an die er sich hätte orientieren können.An Georg Leber und Helmut Schmidt zum Beispiel. Nun weint der Eloquente sich bei Maischberger aus,verteilt Komplimente, und alle haben den tief „Gefallenen“ wieder lieb. Dabei ist er nur hoch gestolpert, was seine jetzigen geschäftlichen Aktivitäten angeht. Da staunt der Laie, der Fachmann allerdings wundert sich nicht.

Rene Meyer
5 Monate her

Man muss nicht woke sein, um dieses Gerede von Kriegstüchtigkeit abstoßend zu finden. Ich empfinde es als widerlich, wie Deutschland auf einen Krieg eingestimmt und vorbereitet wird. Im Mainstream ohnehin. Wer für Frieden demonstriert oder eine Friedenskonferenz besucht, wird auf übelste Weise beschimpft, sogar als Faschist und Antisemit. Wo sind wir wieder hingekommen? Zurück in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg? Blind gegenüber den wahren Problemen und Ursachen und blind gegenüber all dem, was es heißt Mensch zu sein.
Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Mt 5,9

MichaelR
5 Monate her
Antworten an  Rene Meyer

Als ich 1982 zur Bundeswehr ging, hat die Friedensbewegung in Deutschland noch mehr als 500.000 Menschen auf die Straße bekommen – 1983 waren es 700.000 Demonstranten! Ich fand es auch als Soldat vollkommen in Ordnung, dass Menschen auf die Straße gingen, doch leider nicht so ganz realisiert haben, dass die Bundeswehr zu dem Zeitpunkt eine reine Verteidigungsarmee war. Einige der Teilnehmer dieser Friedensmärsche sind weit über das Ziel hinausgeschossen und haben Bundeswehrsoldaten als »Mörder« bezeichnet; das hat nur verdeutlicht, wie wenig diese Leute wirklich wussten. Wie so oft in den 70/80er Jahren haben sich »Demonstranten« untergemischt, denen es nicht um… Mehr

Sony
5 Monate her

Ich frage mich nur, was läuft in Deutschland alles schief. Warum wird ständig über Krieg gegen Russland schwadroniert. Was hat uns Russland angetan, außer immer pünktlich und bezahlbar Energie zu liefern. Der Ukraine-Krieg wurde von den USA seit 2014 (Maidan) vorbereitet. Wollte Russland die EU angreifen stünden sie nach fast 2 Jahren bestimmt schon längst in Paris. Deutschland braucht keine Kriegsarmee, Deutschland braucht vernünftige Politiker die unabhängig von den USA sind und selbstständig denkend für Frieden und Freiheit diplomatisch vorgehen. Selbst die Freiwillige Feuerwehr von einem der Randgebiete Moskaus hätte Berlin in 2 Tagen überrollt. Trotz einer deutschen (wieder) wehrpflichtigen… Mehr

Teiresias
5 Monate her

Zu Guttenberg? Atlantikbrücke!

Ein Land, das keine eigenen Interessen formuliert, braucht auch kein Militär.

Hilfstruppen für amerikanische Interessen aufzubauen halte ich für die schlechteste aller Ideen – aber genau das soll hier gerade durchgedrückt werden.

WandererX
5 Monate her

Es stellt sich die Frage, wie weitgehend sich USA- Konzerne bei den Bodenschätzen und Ackerflächen sich Rechte in der Ukraine gesichert haben, also die USA für ihren Einsatz entschädigt werden – und D.?

Ralf Poehling
5 Monate her

Der Haken ist: Die Bundeswehr bzw. NATO denkt immer noch in alten Schemata. Wir haben keine Situation mehr, wo sich zwei Großmächte durch Gräben getrennt gegenüberstehen und aufeinander in die jeweils andere Richtung schießen. Da kommt man mit stehenden Heeren gar nicht weiter. Die Ost-West Balance übernimmt wie eh und je die Atomare Anschreckung. Da braucht es theoretisch nicht einen einzigen Fußsoldaten. Wir haben ein ganz anderes Problem gerade, nämlich das selbe wie Israel: Wir sind unterwandert und haben den Feind in den eigenen Reihen. Ich weiß genau wovon ich hier rede. Und der Feind weiß es leider auch, weil… Mehr

Felix Dingo
5 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

Passdeutschen muss man in dem von Ihnen dargestellten Szenario aber den Dienst an der Waffe verweigern, sonst wird nichts draus.

Kassandra
5 Monate her

Wir unterhalten hier Deserteure aus Eritrea wie der Ukraine – und inzwischen Millionen, die mit ganz eigenen Interessen ins Land kamen – wie irre muss man sein, da nicht erst einmal Ordnung zu schaffen – um dann neu zu organisieren? Hier in Bild und Ton aus 2022: „This Hamas Commander says this is not about land, not just Palestine. „The entire planet will be under our law, there will be no more Jews or Christian traitors.“ Only then, if everyone adopts his law, will there be peace.“ https://twitter.com/CSWLatAm/status/1711144083467477112 Ähnlich verkündet von einem Taliban, als die Amerikaner Afghanistan fluchtartig verließen: „Taliban… Mehr

Wilhelm Roepke
5 Monate her

Verstehe ich nicht. Wir verweigern den billigen Grenzschutz gegen kulturfremde Invasoren, aber wollen militärischen Grossmächten wie den Russen die Stirn bieten? Solange jeder Syrer gepampert wird, brauchen wir keine Bundeswehr.

Michael Palusch
5 Monate her

Ich halte ~50Mrd. € pro Jahr für eine Armee, die reine Verteidigungsaufgaben zu übernehmen hat, für völlig ausreichend. Aber bei einer Truppe, die sich einerseits für weltweite Interventionsaufgaben im Interesse Dritter rüstet und andererseit auch noch zum Kotau vor den woken Zeitgeist angehalten ist, reichen ~1.400€ pro sozialversicherungspflichtig Beschäftigten natürlich bei weitem nicht aus.

Last edited 5 Monate her by Michael Palusch