Bundesregierung soll Verlegern in Not helfen

Gratisblättern droht das Aus, warnt das Fachportal Übermedien. Eine Brandmauer der Demokratie sei in Gefahr, warnt deren Verbandschef. Deswegen soll die Politik Steuergeld an notleidende Verleger verteilen.

IMAGO / Gottfried Czepluch

Auf dem Briefkasten klebt ein Schild: „Bitte keine Werbung einwerfen“. Im Briefkasten klemmt eine Zeitung. 16 redaktionelle Seiten, 20 Werbebeilagen. Die sind in diesem werbefreien Briefkasten willkommen, weil sie ja Beilagen sind – vermutet zumindest der Zusteller. Auf dem Titel ist Platz für den Namen der Zeitung und eine Geschichte, den Rest nimmt eine überdimensional große Anzeige für einen Baumarkt ein. Im Blatt findet sich ein redaktioneller Beitrag darüber, wie toll Angebot und Lebenslauf des heimatlichen Juweliers seien – weiter hinten steht seine Anzeige.

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Doch solche Anzeigenblätter sind nicht nur ein Grund für Spott. In der deutschen Medienlandschaft sind sie ein durchaus ernst zu nehmender Faktor. Der Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BDVA) zählte im vergangenen März 856 unterschiedliche Titel mit einer gemeinsamen Auflage von 58,9 Millionen Stück pro Woche. Alleine samstags verstopfen demnach 29,1 Millionen dieser Blätter die Briefkästen mit Juwelier-Beiträgen, Juwelier-Anzeigen und Tonnen an Werbebeilagen.

Dieses Geschäftsmodell gerät nun in die Krise, berichtet das Fachportal Übermedien. Die Redaktion macht das an der Westfälischen Medien Holding fest, die demnach Ende April in Westfalen ihre Gratistitel einstellt. Knapp 930.000 Exemplare fallen dann aus der Rechnung des BVDA. Das geht mit Stellenverlust einher. Die Zahlen von Übermedien dazu bieten eine hohe Aussagekraft über die journalistische Qualität der Anzeigenblätter. Für 930.000 Exemplare von Anzeigenblätter waren demnach 2.500 Austräger notwendig – und zehn Journalisten.

Die Anzeigenblätter gehören meist den Verlagen, die vor Ort auch die Tageszeitung herausgeben. Sie sind Teil einer Doppelstrategie: Angesichts steigender Druck- und Papierkosten sowie einer sich verändernden Leserlandschaft verzichten viele Tageszeitungen auf die lokale Berichterstattung. Zudem organisieren sich die Tageszeitungen in immer größeren Einheiten und sind deshalb in vielen Dörfern und kleineren Städten gar nicht mehr präsent. Die Beiträge über ihre Konzerte, Familienabende oder Sportfeste müssen die Vereine dann selbst schreiben und das Wochenblatt druckt sie – aber nicht mehr die Tageszeitung. Es geht den Verlagen dabei um Präsenz – oder viel mehr die Imagination von Präsenz. Qualität spielt keine Rolle mehr. Die zehn Journalisten kopieren die Texte ins Layout und im besten Fall holen sie die Rechtschreibfehler aus den Entwürfen. Der örtliche Juwelier schaltet seine Anzeige aber nur in einem Umfeld lokaler Berichterstattung – dafür der ganze Aufwand.

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In der Nutzung der Medien findet eine Wachablösung statt
Dieses Kulturgut soll nun erhalten werden, meint Dr. Jörg Eggers. Notfalls mit viel Steuergeld. Wer dem Hauptgeschäftsführer des BVDA zuhört, braucht sprachliches Wechselgeld. Denn klein hat er es nicht: Klassische Medien und vor allem lokale Medien seien immer „eine Brandmauer gegen demokratie-gefährdende Einflüsse“, die durch „digitale Blasen in den Sozialen Medien befördert“ würden. Wo der „Konsum klassischer Medien“ zurückgehe, öffne sich auch ein Tor, „in das Fake News und Hate Speech einfallen können“. Redaktionelle Beiträge über Juweliere, die Anzeigen geschaltet haben und ein Wust an Werbebeilagen als Verteidiger von Demokratie und Wahrheit – die Gesellschaft ist in Deutschland offenbar genauso schlecht gerüstet wie die Armee.

Für diese Brandmauer solle die Bundesregierung nun Geld springen lassen, fordert Eggers. Seine Hoffnungen sind nicht weltfremd. Schon das vierte Kabinett von Angela Merkel (CDU) hatte sich zum Ziel gesetzt, über 200 Millionen Steuer-Euro an Not leidende Verleger zu spenden. Auch das erste Kabinett Olaf Scholz (SPD) hat diese Absicht im Koalitionsvertrag stehen. Es gibt dabei nur ein Problem: Nach welchem Schlüssel teilt der Staat das Geld an Verleger in Not auf? Wer bekommt am meisten: Der mit dem besten redaktionellen Beitrag über Anzeigen schaltende Juweliere? Der mit der schönsten Baumarkt-Anzeige auf dem Titel? Oder doch lieber gleich der Verlag, an dem die SPD die größten Anteile hält? Schließlich hat sich die SPD als Brandmauer genauso verdient um die Demokratie gemacht wie Werbebeilagen.

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Kommentare ( 42 )

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Querdenker73
1 Jahr her

Mit diesem Blättern wird nur versucht, den Schnäppchenjägern im Land mit politischem Müll beizukommen! Da wird zum Beispiel auf die Möglichkeit hingewiesen, dass bei unendlich vielen „Initiativen zur Demokratie- und Toleranzförderung“ weitere Steuergelder abgefasst werden können. Dann toben sich die staatlich alimentierten „Gleichstellungsbeauftragten“ und Genderschwurbler aus. Es ist nur gut, dass Papier gut brennt! Mehr ist nicht…

Juergen P. Schneider
1 Jahr her

Die Demokratie ist in Gefahr? Das war sie schon immer. Ihre größten Feinde waren meistens diejenigen, die vorgaben, sie schützen zu wollen. Unsere Demokratieschützer, Faktenchecker und Verschwörungstheorie-Bekämpfer stehen nicht unbedingt im Verdacht, die hellsten Kerzen auf der Torte zu sein. Entsprechend dämlich sieht ihre Argumentation aus. Die Gegner der Demokratie sind für diese Heuchler und Pharisäer doch nur diejenigen, die anderer Meinung sind als sie selbst.

Andreas aus E.
1 Jahr her

Ich hatte noch nie einen Aufkleber „keine Werbung“ am Briefkasten. Wozu auch? Ganz in der Nähe steht ein Altpapiercontainer, und einen Stapel dieser Blätter habe ich gern im Keller vorrätig, ob zum Ausstopfen nasser Schuhe oder als Teppichschutz bei Malerarbeiten taugen die allemal. Und dazu kommt, daß mich auch die als redaktionelle Artikel kaschierte Werbung durchaus interessiert. Schon nett zu erfahren, was in hiesigem Einzelhandel so passiert, und lesbar sind diese Texte meist auch, wenn von gestandenen Geschäftsleuten selbst geschrieben (und beinhart recherchiert, versteht sich…). Im Artikel, als ein Beispiel, zum Firmenjubiläum eines Fleischereigeschäftes blieb ich nämlich von Gendersternchen und… Mehr

Hegauhenne
1 Jahr her

He, ich brauch das Blättchen dringend zum Biomülleimer pampern.
Ich lese die Lokalzeitung nur noch online, aber tatsächlich hat noch einer in unserem Achterhaus ein FAZ-Abo, das fisch ich auch aus der blauen Tonne, (aber garantiert nicht zum lesen). ? So funktioniert gute Nachbarschaft.?

Marc Je
1 Jahr her

Die SPD hat ein vorrangiges Eigeninteresse an den Anzeigenblättern der parteinahen Zeitungen. Ob die FDP erkennt, dass das nicht in ihrem Interesse sein kann ?

Teiresias
1 Jahr her

Ist es legal, Steuergelder für Regierungspropaganda zu verbraten? Als ob 8mrd Sondersteuer für den ÖRR nicht genug wären. Wenn man dann noch die Werbeetats der Ministerien und Behörden für „Informationen“ und „Aufklärung“ (Corona!) dazunimmt, lässt sich vermuten, daß die Regierung der mit Abstand wichtigste Kunde der Werbeagenturen ist – was wohl auch der Grund ist, warum alle Werbespots aussehen, als wären sie für Arika gemacht. Über Schleichwerbung für Regierungsvorhaben z.B.via Filmförderung haben wir da noch gar nicht gesprochen. Das alles summiert sich zu schwindelerregenden Summen, die zur Manipulation der öffentlichen Meinung zur Verügung stehen. Dazu addiert sich die im vorauseilenden… Mehr

Or
1 Jahr her

„ Eine Brandmauer der Demokratie sei in Gefahr, warnt deren Verbandschef.“

So hätten auch die Pferdekutscher argumentieren sollen, als sie von den Autos verdrängt wurden. ?

heidebollo
1 Jahr her

Unser Dorf-Anzeiger-Blättchen berichtet aus den Vereinen, Gemeinde-Öffnungszeiten, Gemeinderats-Nachrichten , Ortsratsnachrichten und regionaler Werbung aus dem Ort und Umgebung .. Wird von vielen Bürgern gern gelesen und den möchte ich auch weiterhin umsonst bekommen.

Or
1 Jahr her
Antworten an  heidebollo

Geht mir absolut genauso.

Als jemand, der viel mit dem Holzofen heizt, möchte ich auf unser kostenloses Dorf-Anzeiger-Blättchen auch nicht verzichten.

Andreas aus E.
1 Jahr her
Antworten an  heidebollo

Geht mir auch so. Das sind ja nützliche Informationen und so viel bequemer in einem Rutsch zu erfassen, als sich das endlos im Internet zusammenzuklicken.

Positivsteuerung
1 Jahr her

Ich will nicht behaupten, dass diese Blättchen unnütz sind – ich werde heute Nacht die frisch gepflanzten Stiefmütterchen damit abdecken, damit sie keinen Frost bekommen, ich wickel beim Transport das Geschirr darin ein oder nehme sie als Anzündhilfe. Aber linksgrüne Propaganda LESEN? Nicht einmal, wenn ich es bezahlt bekäme.

Or
1 Jahr her
Antworten an  Positivsteuerung

Richtig.

Nix geht als Anzündhilfe über das gute schlechte Papier dieser Regionalblättchen.

Schwabenwilli
1 Jahr her

Eigentlich alles völlig überflüssig, wobei ich die Werbebeilagen für nützlich finde. Im von der Politik seit Jahren angekündigten Digitalisierungs Zeitalter sollte es ei eine App mit regionaler Zusammenfassung geben.
Die ganzen Papier und Druckfarben sowie der Transport könnte wegfallen.