Joachim Gauck: Toleranz auch für „Dunkeldeutschland“?

Joachim Gauck hat ein seltsames Buch geschrieben: Er will versöhnen - aber traut sich dann doch nicht so ganz, klare Position zu beziehen. Sein Aufruf für Toleranz zeigt vielmehr, wie wenig tolerant es zugeht mittlerweile.

imago images / VIADATA

Joachim Gauck hat viele Erwartungen, die Konservative und kritische Demokraten mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten verbunden haben, nicht erfüllt. Sein Wort vom „Dunkeldeutschland“ im August 2015 war der Auftakt zu einer Politik der Spaltung Deutschlands, die versuchte, jede Kritik am Kurs der Zuwanderungspolitik dadurch zu unterbinden, dass man diese Kritiker ausgrenzt oder mit der Nazi-Keule zum Schweigen bringt. Geht es nach Gauck in seiner damaligen Erklärung, dann hat Deutschland eine helle und eine dunkle Seite: das Engagement für Flüchtlinge auf der einen, rechtsextreme Anschläge, Gewalt und Hetze auf der anderen. „Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland“. Ob gewollt oder ungewollt, ob auf einen konkreten Vorgang bezogen oder nicht – sie hat die Welle der Ausgrenzung und Verleumdung in Bewegung gesetzt, die seither Deutschland spaltet.

Toleranz auch für die Dunkeldeutschen

Offensichtlich ist ihm nach der Amtszeit als Bundespräsident bewusst geworden, wie verheerend seine Worte wirkten, die beispielsweise der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf „Pack“ verkürzte. Jetzt hat Gauck ein Buch vorgelegt mit dem zweischneidigen Titel: „Toleranz – einfach schwer“. Man kann es als Selbstkritik lesen. Immerhin erkennt Gauck an, dass es „in unserer politischen Landschaft und in unserem politischen Disput zu einer Unwucht gekommen“ ist. Das ist ihm hoch anzurechnen. Und er führt auf vielen Seiten auf, was das für Menschen sind, die da in Dunkeldeutschland leben.

„Als inakzeptabel rechts werden gemeinhin schon diejenigen apostrophiert, die nichts anderes wollen, als  an dem festhalten, was ihnen vertraut und bekannt ist: Konservative, die Gesetze über Abtreibung und die ‚Ehe für Alle‘ am liebsten rückgängig machen würden und das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ablehnen. Menschen, die darauf verweisen, dass schwere Straftaten bei Teilen von Migranten überproportional zu ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind. Als inakzeptabel rechts gilt häufig schon, wer zu seiner Heimat eine besondere Verbundenheit empfindet und am Nationalstaat hängt. Ja, es stimmt: Diese Menschen stehen rechts von der Mitte, aber sie sind damit nicht rechtsradikal, rassistisch, Nazis.“

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Für ihn bleiben sie ein „zu respektierender Teil des Meinungsspektrums“. In diesen Sätzen werden Anspruch und Schwäche deutlich: Ja, Gauck nimmt „jene“ in Schutz, spottet über die „Tyrannei des vorherrschenden Meinens und Empfindens“, die „neurotische Feindschaft gegen das Eigene“. Er widmet ein Kapitel der „falschen Nachsicht gegen linke Gewalt“. Er benennt sogar Formen von Zusammenarbeit oder Duldung zwischen staatlichen Strukturen, Parteien und Organisationen einerseits und linksradikalen Aktivisten bzw. Angehörigen der autonomen Szene andererseits, die er am Beispiel Frankfurts aufführt. Sympathisch wird er, wenn er sich über die „Intoleranz der Guten“ mit sanftem Spott auslässt und politische Korrektheit, die zum Problem wird – auch und gerade in der Sprache, die zunehmend verkorkst und politisiert wird. Man spürt sein Bemühen, Brücken zu bauen, wieder zu versöhnen, was (auch er) gespalten hat.

Bestrafung auch für Linke? Hört, hört!

Aber wenn ein früherer Bundespräsident so scheinbar harmlos daher schreibt: „Für mich ist daher klar: Militante auch auf Seiten der Linken sind zu bestrafen“, dann hat er ja Recht. Aber man reibt sich die Augen: Ist das eigentlich nicht eine Selbstverständlichkeit? Muss man das betonen? Nun darf man das nicht Gauck vorwerfen. Vielmehr zeigt sich daran wie an vielen Stellen: Es wird längst wie selbstverständlich mit zweierlei Maß gemessen. Das gilt auch, wenn er den wachsenden Einfluss des radikalen Islam und insbesondere den des türkischen Staatspräsidenten Erdogan auf „nicht wenige Deutschtürken“ beklagt und feststellt, dass dessen Vorgehen „zu einem substantiellen Loyalitätsdefizit gegenüber den Werten einer liberalen, demokratischen Gesellschaft führen“ kann wie auch „zu einem Loyalitätsdefizit dem Staat gegenüber, in dem sie leben“. Recht hat er, wenn er beklagt, dass Kritiker dieser Form einer extremen Islamisierung wie Ahmad Mansour, Necla Kelek oder Hamed Abdel-Samad sich nur noch mit zahlreichen Personenschützern auf die Straße trauen können. Das alles sind Positionen, die erstaunen – erstaunen deshalb, weil sie gesagt werden müssen und nicht gesagt werden, und selbst wenn sie in Sonntagsreden verwendet werden, nicht zu entsprechenden Maßnahmen führen.

Ohne Amt kommt der Verstand
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Da ist das Buch verdienstvoll. Aber was ihm völlig fehlt, ist das Gespür für die tiefen Verletzungen und Wunden, die durch die Radikalisierung der Politik bei einem großen Teil der beschimpften, ausgegrenzten und diffamierten Bevölkerung geschlagen wurden. Das ist mit ein paar Pfarrer-Worten nicht heilbar, zumal er die Ausgegrenzten im Gesamt-Duktus wie eine betreuungsbedürftige Gruppe anspricht, die mehr Geduld für ihre Rückständigkeit beanspruchen darf, aber keinen Anspruch auf Geltung ihrer Werte und Positionen hat. „Es braucht Zeit, um sich an Neues zu gewöhnen, sich teilweise vielleicht sogar ihm anzufreunden, es braucht auch Zeit, um zu lernen, Menschen und Dinge auszuhalten, die den eigenen Gewohnheiten und Denkweisen widersprechen.“ Das ist ja richtig, weil er es aus einer Perspektive des Einwanderers formuliert – desjenigen, der aus der DDR in den liberalen Westen eingewandert ist. Aber sind die Einheimischen gehalten, sich an die von ihm selbst kritisierten Lebens- und Politikformen des Islamismus nicht nur zu gewöhnen, sondern sich auch noch mit ihnen „anzufreunden“?

Gewöhnung an den Steinzeit-Islam?

Genau das fordert er in den ersten Kapiteln, tadelt Kritiker und kritisiert dann später wieder den Multikulturalismus und Kulturrelativismus, wenn ein Täter, der seiner Frau den Hals durchgeschnitten hat, nur ein mildes Urteil erhält, weil er ja nach den Wertvorstellungen eines Steinzeit-Islam so handeln musste. Das findet er dann doch etwas krass, so viel Toleranz. Aber ist da die von ihm geforderte „kämpferische Toleranz“ noch das Mittel der Wahl, und wo liegen die Grenzen? Nun bleibt ja die Frage offen, wie man damit umgeht, wenn Messermörder sich auf die Scharia berufen und damit noch durchkommen. Doch Gauck wird seltsam sanft und liebevoll tolerant mit diesem Spektrum und eher streng mit den Forderungen an jene Konservative, die er überhaupt noch als Gesprächspartner akzeptiert und das auch nur dann, wenn sie sich besser früher als später einlassen auf die Rutschpartie der Werte und die Variabilität von Gesetzen, sobald sie Zuwanderer erfassen.

So hangelt er sich ambivalent durch die Seiten. Er fordert Toleranz, um „Lagerbildung“ zu vermeiden, dabei werden ernsthafte Menschen genau in diese Meinungslager getrieben. Dennoch ist das Buch eine gute Investition, wenn Sie Zitate vom Staats-Pfarrer Gauck brauchen oder ein Mitbringsel für ein Abendessen bei Gutmenschen, von denen Sie überraschenderweise noch eingeladen werden.


Joachim Gauck, Toleranz – einfach schwer. Herder, 244 Seiten, 22,00 €.


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Kommentare ( 66 )

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66 Comments
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Norbert Gerth
4 Jahre her

Werter Herr Gauck, eines Tages wird der Wind sich drehen und dann wird Ihnen Respekt zu teil werden. Ihnen und den anderen aus dem Berliner Elfenbeinturm. Und auf diesen Tag freue ich mich.

teanopos
4 Jahre her

Aus diesem Buch spricht der heimtückisch opportune Politiker. Ich will diesen (ich gebe zu, unschönen)Vorwurf begründen: Im politisch „demokratischen“ „Gespräch“ der Neuzeit (Gaucks Monolog(Buch) an den Leser) verständnisvoll zeigen, auf den „Gegner“(Gaucks Kritiker, bzw. die Migrationskritiker) eingehen, sie vorgeblich ernst nehmen, um sie nach Abschluß des „Gesprächs“ nicht weiter ernstzunehmen, bzw. hinterrücks weiter zu bekämpfen oder zumindest zu ignorieren. Das eigene(die eigene politische Agenda) fortführen. Das ist die Politiker-„seele“ im Jahre 2019 und umzu – die eigenen Agenda, das eigene Bild, es geht nicht um dienen, zumindest nicht dem deutschen Bürger. Irgendetwas anderem,a ber geiss nicht dem so dunklen deutschen… Mehr

w.feuster
4 Jahre her
Antworten an  teanopos

Respekt, ein sehr guter Kommentar der die Wirklichkeit benennt.

Senni
4 Jahre her

Gauck, hatte noch nie eine klare Meinung ! In der DDR war er bestens aufgehoben, bei den Genossen ! Mir ist schleierhaft wie er BP werden konnte. Naja wir haben ja noch so einen Fall !

Trivium
4 Jahre her
Antworten an  Senni

Durch seine Arbeit in der Gauck Behörde wusste er vielleicht so einiges über so manche Politiker…

USE
4 Jahre her

Mann oder Maus?

F.Peter
4 Jahre her

„Toleranz – einfach schwer“ – wieso das denn auf einmal??? Wir sind doch so tolerant, dass wir uns sinnbildlich auf Maul schlagen lassen und dann auch noch Danke sagen, dass wir akzeptieren, dass es linke Gewalttäter in diesem Land gibt, die als Aktivisten bezeichnet werden auch wenn diese gerade mal einen Stadtteil in Schutt und Asche legen, dass man uns auf der Nase herumtanzt und wir in unserer Groherzigkeit das auch noch finanzieren, dass wir zulassen, dass für eigene Notwendigkeiten in diesem Land nie Geld da ist, für alle und alles andere auf dieser Welt jedoch die Millionen unserer sauer… Mehr

Enrico Stiller
4 Jahre her

Ist es denn so besonders, wenn Hamid abd-el Samat und andere Personenschutz brauchen? Sollten wir nicht vielmehr fordern: „Personenschutz für JEDEN Bürger!“? – Personenschutz für die jungen Mädchen, die sich mit Nafris anfreunden, und sich dann unklugerweise von denen trennen wollen, ohne zu bedenken, dass sie selbst in den Augen der zu tolerierenden Nafri-Kultur persönlicher Besitz ihres Freundes geworden sind? Besitz, den er zur Not mit dem Messer verteidigt? – Personenschutz für Freibad-Besucher, die unverschämterweise in knapper Badebekleidung öffentlich schwimmen wollen! Und die sich nicht nur in Düsseldorf zunehmend in einer Position befinden, in der es schwer fällt, eine Armlänge… Mehr

WandererX
4 Jahre her

Messen mit zweierlei Maß ganz selbstverständlich durch fast alle Massenmedien hindurch
setzt den Rechtsstaat auf Dauer enorm unter Druck, denn Richter sind ja auch nur Menschen in dieser Kultur und Sphäre. Die Journalistenverbände sollten das mal endlich zu ihrem Thema erklären, statt ständig zu erklären, dass sie (ganz platonisch denkend) WISSEN, dass sie auf „der richtigen Seite“ stehen würden. Damit erscheinen sie uns als wie durch die DDR ausgebildet.

F.Peter
4 Jahre her
Antworten an  WandererX

Richter haben schlicht und ergreifend ausnahmslos Recht und Gesetz anzuwenden. Was darüber die Medien oder die Politik denkt oder fühlt, sollte denen eigentlich herzlich egal sein. Wenn der Politik die Rechtsprechung nicht gefällt, hat sie die Möglichkeit, die Gesetze entsprechend zu ändern. Das nennt man Gewaltenteilung. Und wenn dem Demos die neuen Gesetze nicht gefallen, kann er anders wählen……

StefanB
4 Jahre her

„Das alles sind Positionen, die erstaunen – erstaunen deshalb, weil sie gesagt werden müssen und nicht gesagt werden, “ Erschreckend, aber üblich ist, das derlei Positionen von Leuten wie Gauck erst dann gesagt werden, wenn sie nur noch von denen gehört werden, die sich bewusst auf die Suche nach ihnen machen. Es ist die typische Wandlung der staatstragenden Personen, die im Amt „A“ sagen und als „Ex“ dann auch „B“ verlauten lassen. Bei den obrigkeitsgläubigen Bürgern kommt das „B“ dann aber nicht mehr an, zumal die Mainstream-Medien keinerlei Aufhebens mehr um diese Leute und ihren Sinneswandel machen. In der Sache:… Mehr

schukow
4 Jahre her

Die Aufgabe eines Bundespräsidenten, wie sie das Grundgesetz vorsieht, besteht darin das Staatsvolk und damit den Souverän und seinen Staat zu repräsentieren und mahnend, versöhnend und klug oberhalb der eigentlichen Parteipolitik das Staatswesen im Sinne seiner Grundwerte ‚bei der Stange zu halten‘. Wenn ihm das alles erst nach Ende seiner Amtszeit einfällt, ist er zwar kein schlechter Mensch, aber ein ungeeigneter BP. Das wird von ihm bleiben, sonst wenig.

Piet L.
4 Jahre her
Antworten an  schukow

Im Vergleich zu unserem heutigen BP war Gauk ein super Präsident.

zaungast
4 Jahre her

Bereits sein ziviltheologisches Bekenntnisbüchlein „Freiheit: Ein Plädoyer“ gehörte zu jenen Druckerzeugnissen von denen Karl Kraus bemerkte: „Durch den Druck wurde das Papier wertlos“. Herr Tichy referiert das neue Werk durchaus fair – ich frage mich aber, warum deutsche Politiker nicht in der Lage sind frank und frei zuzugeben, dass sie sich geirrt haben.Das Bibelwort „Eure Rede sei Ja Ja oder Nein Nein“ scheint bei Pastoren im oder außerhalb des Dienstes nicht mehr geläufig zu sein.