Die Parteien ignorieren Islamismus in den eigenen Reihen

Abgesehen von wenigen Engagierten hört man kaum prominente Parteipolitiker, die laut über Sorgen vor dem islamistischen Einfluss in deutschen Parteien reden. Und die Presse erweist den Gefallen, weitestgehend zu schweigen. Woran das liegen mag?

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Unser Gespräch mit Thilo Sarrazin hatte vor allem wegen eines Satzes einiges Aufsehen in den Medien und auch in der SPD hervorgerufen: „Die gegenwärtige SPD-Führung ist offenbar teilweise in den Händen fundamental orientierter Muslime, die eine kritische Diskussion des Islam in Deutschland grundsätzlich verhindern wollen.“

Kevin Kühnert machte sich daraufhin über diesen Vorwurf lustig, indem er twitterte: „Haben die heutige Sitzung wie nun üblich mit dem Fadschr-Gebet begonnen.“ Kühnert nahm Bezug darauf, dass mit Serpil Midyatli neuerdings eine Muslima im SPD-Vorstand sitzt. Sie sei nun „Aufsteigerin des Jahres“.

— Kevin Kühnert (@KuehniKev) January 27, 2020

Parteikollegin, Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli witzelte: „Kevin, Du hast vergessen zu erwähnen: Alkohol und Schweinefleisch wurden für SPD-Sitzungen abgeschafft. Es gibt einen Arbeitskreis „Scharia“. Und im Ramadan werden in diesem Jahr alle dazu verpflichtet zu fasten.“

Allerdings kann man den Vorwurf Sarrazins vermutlich nicht so einfach als krude oder rassistisch abtun, wie es Kühnert und Chebli meinen. Was der französische Soziologe Bernard Rougier in seiner aktuellen Studie „Les territoires conquis de l’islamisme“ feststellt, die in Frankreich Furore macht, könnte auch auf Deutschland zutreffen: „Es gibt ganz klar einen Pakt zwischen einem Teil der linken Parteien und islamistischen Gruppen.“ Die Studie erregt auch deswegen im Nachbarland so sehr die Gemüter, weil es ein Thema ist, über das man nicht gerne spricht. Weder in den Medien noch in den Parteien. Und das zumindest ist in Deutschland auch der Fall.  

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Es gibt genug Anlass, sich über den wachsenden islamistischen aber auch türkisch-nationalistischen Einfluss nicht nur in der SPD, sondern auch in der Union und anderen Parteien Sorgen zu machen. Die lautesten der meist kaum in die breite Öffentlichkeit durchdringenden Warnungen kommen übrigens oft von Migranten selbst. Und es gibt keinen Grund, sich über diese Sorgen, egal von wem sie geäußert werden, in der Manier Kühnerts oder Cheblis lustig zu machen. 

Nach der Veröffentlichung unseres Sarrazin-Interviews erhielten wir eine E-Mail von einem Mann, dessen Name auf eine türkische Herkunft schließen lässt: „Warum ich Ihnen schreibe ist, weil Sarrazins Aussage in Teilen berechtigt ist. Viele konservativ eingestellte Türkeistämmige versuchen nun in deutsche Parteien einzutreten, um dort die deutsche Politik in Richtung Pro-Erdogan zu beeinflussen. Ihr Ziel ist es, in den Bundestag oder mind. ins Abgeordnetenhaus gewählt zu werden. Aus Sicherheitsgründen möchte ich auf jeden Fall anonym bleiben.“

Der Leser weist auf Ufuk Bagdat hin. Der ist seit 2016 einer der Sprecher des „Arbeitskreises muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“. Auf der Homepage des AKMS ist er nur als „Ufuk B.“ ausgewiesen. Auf der Facebook-Seite des AKMS taucht er allerdings mehrfach mit vollem Namen auf. Die Hinweise unseres Lesers führen zu Belegen im Netz inklusive Fotos, die zeigen, dass Bagdat im Jahr 2014 mehrfach für Vorfeldorganisationen der AKP aktiv war. So nahm er ofensichtlich  an einer Veranstaltung von UETDYouth teil. Er wird in dem Bericht der Organisation mit Foto als „Ufuk Bagdat UETD Berlin“ vorgestellt und hat ein Referat mit dem Titel „Avrupa’lı Türklerin siyasi katılımı“ gehalten. Laut google-Übersetzer heißt das „Die politische Beteiligung der Türken in Europa“.  

Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) hat sich mittlerweile in Union Internationaler Demokraten (UID) umbenannt. Laut Verfassungsschutzbericht 2017 ist sie „eine regierungsnahe Vorfeldorganisation der AKP, die im Sinne ihrer Mutterorganisation auf politischer und gesellschaftlicher Ebene Lobbyismus für Interessen der AKP betreibt“. Die AKP ist die islam-nationalistische Partei des türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan. Im selben Verfassungsschutzbericht heißt es zur UETD auch: „Mittelbar ist es so außerdem möglich, auf politische Entscheidungsfindungsprozesse in Deutschland Einfluss zu nehmen.“

Nun ist selbstverständlich jedem Bürger unbenommen, seine politischen Ansichten zu ändern und sich von früheren Aktivitäten zu distanzieren. Da beim AKMS keine direkte Kontaktmöglichkeit besteht, ging eine Anfrage an die Pressestelle des SPD-Parteivorstands, ob man über Bagdats früheres Engagement für AKP-Vorfeldorganisationen unterrichtet sei und ob Bagdat für eine Stellungnahme zu erreichen sei. Ein SPD-Sprecher wollte auf Anfrage weder erklären, warum Ufuk Bagdat nur als „Ufuk B.“ auf der offiziellen AKMS-Website steht, noch äußerte er sich zu den Hinweisen auf Bagdats Aktivitäten für die UETD. Er schrieb: „Ufuk B. steht nicht für eine persönliche Stellungnahme zu anonym verfassten Vorwürfen und Fragen, die mit anonym verfassten Vorwürfen in Zusammenhang stehen, zur Verfügung.“

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Auch SPD-Politiker der ersten Reihe zeigen bisweilen eine erstaunliche Nähe zu Vorfeldorganisationen der AKP. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sprach zum Beispiel offiziell zum Jahresempfang des türkischen Unternehmerverbands MÜSIAD. Hochrangige Funktionäre des MÜSIAD sind nicht nur als treue Unterstützer Erdogans, sondern vielfach durch islamistische und auch antisemitische Aussagen aufgefallen. Der Vorsitzende der Jugendorganisation in der Türkei sagte im November 2014: „Hinter allem, was Böse ist, steckt stets Israel.“ Der Verband wird vom Bundesverfassungsschutz beobachtet.

Zu den wenigen prominenten Warnern in der SPD gehört Lale Akgün. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete hat 2018 ihr Buch „Platz da, hier kommen die aufgeklärten Muslime“ veröffentlicht und spricht in einem Interview von „Angst, sich offen über den Islam zu äußern“. In ihrer Partei, der SPD, so sagt sie, „bekam ich oft zu hören: Du kannst Dir Deine kritische Haltung leisten, weil Du selbst Migrantin bist.“ 

Ali Ertan Toprak, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, sagte schon 2011, damals noch Grünen-Mitglied, in einem Interview: „Man hat den Eindruck, als dürfe man bei SPD und Grünen nicht über die Wertekollision des Islam mit unserer freiheitlichen Gesellschaft diskutieren.“ Und deswegen, so erinnerte Toprak kürzlich per Facebook, sei er damals bei den Grünen ausgestiegen. Mittlerweile ist Toprak CDU-Mitglied und kandidiert bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen. Er warnt vor der Unterwanderung der Parteien durch radikale Muslime: „Wenn wir darüber diskutieren, dass die AfD und Pegida vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollen, dann müssen wir auch darüber diskutieren, ob wir den Zentralrat der Muslime oder DITIB beobachten lassen. Diese Verbände sind der lange Arm Erdogans, durch die er seine Anhänger hierzulande in Bewegung setzt und indoktriniert. Sie unterwandern Parteien und Teile der Gesellschaft und errichten Gegengesellschaften die aggressiv unsere Werte bekämpfen.“

In einem Interview mit Alice Schwarzer im November 2018 sagt Toprak: „Aber die Parteifunktionäre wollen nicht begreifen. Die kuschen vor dem politisierten Islam.“ Und auf die Frage Alice Schwarzers, ob er „diese Kräfte zum Teil auch in den Verbänden, die von der Politik hofiert werden“ sehe, sagt Toprak: „Ja klar! Man denkt, wenn von Islamismus die Rede ist, immer an die Salafisten, Männer mit langen Bärten. Aber die eigentliche Gefahr ist der legalistische Islamismus, der als Krawattenträger daherkommt und so tut, als wäre er integriert. Diese Leute aber unterwandern unsere Gesellschaft mit ihrer Scharia-Politik noch viel gründlicher. Die sind viel gefährlicher!“

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Das Problem ist aber längst wohl auch in Topraks Partei virulent. Im Sommer 2016 verschickte der Gronauer CDU-Politiker Salim Cakmak eine 132-seitige Präsentation über den „Einfluss türkisch-islamischer Lobby-Organisationen auf die Politik der deutschen Parteien“ an alle damaligen Bundes- und Landtagsabgeordneten der nordrhein-westfälischen CDU. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, der CDU-Landesvorsitzende und heutige Ministerpräsident Armin Laschet sowie der damalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber bekamen Cakmaks Präsentation. Sie ist mittlerweile im Netz veröffentlicht.

Cakmaks Präsentation erregte nur kurz und nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit. In der CDU selbst, um die es darin hauptsächlich geht, war das Thema auch schnell erledigt. Auf dem Bundesparteitag der CDU im Dezember 2016 in Essen wurde zwar ein Antrag gestellt für einen Unvereinbarkeitsbeschluss, wonach die Mitgliedschaft in der CDU nicht mehr mit der in Erdogans Partei AKP, in der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, in der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), in der Gülen-Bewegung, bei den Grauen Wölfen und in der kurdischen Terror-Organisation PKK und anderen Organisationen zu vereinbaren sei. Die Antragskommission setzte aber stattdessen ihre Empfehlung durch, in der es unkonkret heißt, dass „eine Mitgliedschaft in der CDU mit einer Mitgliedschaft in einer Organisation unvereinbar ist, deren Ziele nach dem sachlich gerechtfertigten Verständnis der CDU die gleichzeitige Verfolgung der Ziele und Grundsätze der CDU ausschließen und dadurch die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der CDU beeinträchtigt“. Faktisch können damit weiterhin Mitglieder und Anhänger islamistischer und türkisch-nationalistischer Gruppierungen in der CDU Mitglied sein.

Seither ist es sowohl in der CDU als auch in der SPD und anderen Parteien sehr ruhig geworden um das Thema. Abgesehen von wenigen Engagierten wie Toprak oder der Düsseldorfer Bundestagsabgeordneten Sylvia Pantel hört man kaum prominente Parteipolitiker, die laut über Sorgen vor dem islamistischen Einfluss in deutschen Parteien reden. Und die Presse erweist den Gefallen, weitestgehend zu schweigen. Woran das liegen mag?

Toprak kann im Interview mit Emma nur spekulieren: „Vielleicht weil sie auf Wählerstimmen spekulieren. Und wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Und die Kirchen fürchten um ihre eigenen Privilegien und wollen die eher auch „dem Islam“ gewähren – den es in der Form nicht gibt -, als selber infrage gestellt zu werden. Vor allem die EKD hat da ja über Jahre eine fatale Rolle gespielt. Wenn es um Rechtsextremismus geht, sind die ganz weit vorne. Aber wenn es um den radikalen Islam geht, sind sie ganz zurückhaltend.“

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Vielleicht spielt aber auch noch ein anderer, fundamentalerer Grund eine Rolle. Nämlich Angst. Sigrid Hermann-Marschall, SPD-Mitglied, betreibt das Blog-Portal Vorwärts und nicht vergessen. Dort veröffentlicht sie „Strukturanalysen islamistischer Netzwerke“. In ihrer Selbstvorstellung schreibt sie aber auch: „Meine Arbeit ist in einiger Hinsicht nicht ungefährlich.“ Eine dieser Gefahren: Öffentliche Diffamierung, auch durch Parteifreunde. Frankfurter Jusos warfen ihr vor, „die Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung des Abendlandes“ zu schüren und „keinerlei differenzierte Haltung zum Islam als Religion“ an den Tag zu legen. Die Vorwürfe gegen Herrmann-Marschall hat der Blogger Nasir Ahmad („Ich bin Muslim.Vertrau mir“)  zusammengetragen, unter der Überschrift „SPD-Politikerin begutachtet Muslime für die AfD“. In der linksalternativen Zeitschrift „Jungle World“ machte  Herrmann-Marschall klar, dass sie nicht Gutachterin der AfD im Düsseldorfer Landtag gewesen sei. „Ich stand allen Abgeordneten zur Verfügung, nicht exklusiv der AfD. Die Aufwandsentschädigung hat mir der Landtag gezahlt, nicht die AfD. Dennoch wird mir im Nachhinein ein Strick aus der Sache gedreht.“ Nun steht sie als AfD-freundlich da, was für sie und ihre Arbeit ein Kommunikations-GAU ist.

Eine vermeintliche und zugeschobene AfD-Nähe hat offenbar mehr Erregungspotential als Islamismus. Möglicherweise sorgt gerade auch die Tatsache, dass die AfD sich des Themas inklusive der Cakmak-Präsentation angenommen hat – etwa mit einer parlamentarischen Anfrage an die nordrhein-westfälische Landesregierung über angebliche, mehrere Jahre zurückliegende Kontakte von Staatssekretärin Serap Güler zu den Grauen Wölfen, Milli Görüs und Islamic Relief – dafür, dass man in den anderen Parteien darum einen Bogen macht. Die Erfahrungen von Sigrid Herrmann-Marschall als vermeintlich „für die AfD“ dürften nicht nur SPD-, sondern auch CDU-Mitgliedern eine Mahnung sein. 

Unser oben erwähnter Leser übrigens schreibt in einer weiteren Mail mit interessanten Hinweisen am Schluss: „BITTE, BITTE: Bewahren Sie das alles für sich! Diese Leute sind unberechenbar!“

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