Wie verrückt ist die EU?

Mit Geld allein lässt sich Europa nicht bauen; es ist nicht käuflich, lässt sich nicht finanziell regeln wie ein Friendly Takeover. Wem Europa teuer ist, muss über Gemeinsamkeiten reden.

© AFP/Getty Images
V4 presidency leader, Hungarian Prime Minister Viktor Orban (C) informs the press about their meeting with Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu (2ndL) in the main hall of Pesti Vigado cultural center during a joint press conference with V4 - Visegrads countries prime ministers, Bohuslav Sobotka (L) of Czech Republic, Beata Szydlo (R) of Poland and Robert Fico (2ndR) of Slovakia in Budapest, Hungary, on July 19, 2017

Nach dem Brexit steigen die Spannungen zwischen den osteuropäischen Staaten und der West-EU. Deutschen fällt nicht viel mehr ein, als auch noch Strafen zu verlangen. Geld soll Europa regieren.

„Die EU ist verrückt“, erklärte Israels Premier Netanyahu bei einem zweitägigen Besuch in Budapest, wo er eine Konferenz der sogenannten Visegrad-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) besuchte.

Ähnlich wie zuvor US-Präsident Trump, der in Warschau gefragt hatte, ob Europa überhaupt überleben wolle, sagte der israelische Regierungschef hinter verschlossenen Türen in einem Gespräch, das nur zufällig öffentlich wurde: „Ich glaube Europa muss sich entscheiden, ob es leben und gedeihen will, oder verschrumpeln und sterben.“ Es war wohl der eigentliche Grund für Netanjahus zweitägigen Besuch in Budapest: Wie vor ihm US-Präsident Donald Trump in Warschau am 6. Juli war der israelische Premier nach Kräften bemüht, die Kooperation mit den mitteleuropäischen EU-Ländern zu stärken, als Hebel gegen eine von Brüssel und Berlin beherrschte West-EU, die weder Trump noch Netanyahu und immer weniger den betroffenen Ländern gefällt.

Kurz zuvor hatte sich Die „Drei-Meere-Initiative“ getroffen. Das seltsame Konstrukt besteht aus 12 mittel- und ostmitteleuropäischen Staaten der EU vom Baltikum bis Kroatien und Bulgarien. Offizielles Ziel ist eine eigene Nord-Süd-Verkehrsverbindungen und die Energieversorgung gegen das Tandem Deutschland-Russland zu sichern. Die 12 fühlen sich in die Zange genommen: Exportieren dürfen sie nicht nach Russland, aber mit neuen Gasleitungen importiert Deutschland an ihnen vorbei wertvolle Energie. Die „Drei-Meere-Initiative“ ist an die Stelle der Mittelmeerunion getreten, einer früheren Vision Frankreichs. Nicht mehr zwischen Norden und Süden teilt sich danach Europa, sondern zwischen Ost und West.

Die Visegrad-4 und das Dutzend im Meeresbündnis sich zusammenfindenden Staaten tasten sich an konkrete Bündnisse innerhalb des EU-Verbundes erst heran. In Deutschland und Westeuropa nimmt man diese Entwicklung kaum zur Kenntnis. Hier geht es nur um Geld, dem einzigen Bindemittel der EU. Darum dreht sich alles, damit soll jedes Problem gelöst werden und wer nicht spurt, wird zu Geldzahlungen verurteilt. Das ist wohl das Erbe einer politischen Union, die aus einer Wirtschaftsgemeinschaft (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG) hervorging.

„I want my money back“ – so lautete der legendäre Kampfruf von Margaret Thatcher in den Auseinandersetzungen um die britischen EU-Beiträge. Und jetzt fordert Martin Schulz, dass Deutschland einen Teil der ausfallenden britischen Beiträge übernimmt. Die neue, alte EU-Politik ist einbahnstraßig kreativ, was neue Umverteilungsmechanismen betrifft: So ist zwischen Paris und Berlin die Rede von neuen Rettungsfonds für in Not geratene Mitglieder (womit im wesentlichen die Alt-Mitglieder Frankreich und Italien gemeint sind), einem Schuldenschnitt für Griechenland und einem europäischen Finanzminister zur EU-weiten Mittelverteilung. Geld soll die EU regieren. Und wer nicht pariert, soll natürlich mit Geld-Strafen dazu „bewogen“ werden. Die Drohung von Geldstrafen etwa durch Martin Schulz richten sich insbesondere an osteuropäische Länder, die sich in der Flüchtlingsfrage der „Solidarität“ entziehen und keine Flüchtlinge aus Deutschland übernehmen wollen.

Abgesehen davon, dass Solidarität immer ein Akt der Freiwilligkeit und nicht des Zwangs ist: Rettet mehr Geld die EU, oder: wie teuer ist die EU? Kann man sie kaufen?

Die osteuropäischen Staaten bäumen sich gegen Strafzahlungen und empfundene Bevormundungen aus Brüssel auf. Es ist kein Zufall, dass die neuen Clubs im Club  genau jene Länder (mit Ausnahme Österreichs) erfassen, für die der Zweite Weltkrieg nicht am 8. Mai 1945 beendet war – sondern erst mit dem Abzug der sowjetischen Truppen ab 1989.

Selbstbestimmung hat für sie einen noch unverbrauchten Wert. Wer so lange unter der Knute gelebt hat, will sie nicht einfach eintauschen gegen ein paar Brüsseler Subventionen, die dafür „Solidarität“ für ihre Verrücktheiten kauft. Nein, Brüssel ist nicht das neue Moskau. Aber viele Polen sagen mir: Notfalls sammeln wir auf der Straße jene drei Milliarden, die wir als Strafe dafür bezahlen müssen, dass wir nicht die deutsche Flüchtlingspolitik nachvollziehen: Nationaler Trotz steht gegen verordnete Zwangssolidarität. Noch ist Polen nicht verloren, diesmal noch lange nicht. Flüchtlinge und andere Migranten jedenfalls wollen sie sich nicht aufzwingen lassen, von den Deutschen, die sie erst geholt haben und derer sie jetzt schon überdrüssig sind. Osteuropa will nicht länger der Abladeplatz für Westeuropäische Verrücktheiten sein.

Da hilft es auch nicht, dass die Bewegung #PulseofEurope jetzt gegen Reformpläne der polnischen Regierung demonstriert, die angeblich die Meinungsfreiheit beschneiden will: Beim Netzzensurgesetz des Deutschen Bundestags war von #PulseofEurope nichts zu hören. Nur die Osteuropäer machen es nicht richtig im Sinne der schlauen, überlegenen Westeuropäer – denen im Osten kann man jederzeit drohen.

Auch der neue Frühling zwischen Paris und Berlin muss erst beweisen, dass ihm ein Sommer folgen kann: Mit jedem Tag mehr werden die möglichen Kosten gemeinsamer Initiativen konkreter, das Klima kühler, die Wähler kritischer. Mit Geld allein lässt sich Europa nicht bauen; es ist nicht käuflich, lässt sich nicht finanziell regeln wie ein Friendly Takeover. Wem Europa teuer ist, darf nicht nur über Geld und Geldstrafen reden, sondernder Gemeinsamkeiten. Aber die scheinen längst verrückt zu sein.

Wenigstens läßt Bahlsen seine Keks auch für Osteuropa in Butter braten. Nicht wie bisher in billigem Palmöl. Osteuropa hat jetzt dankbar zu sein….

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Kommentare ( 11 )

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11 Comments
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Katharina
6 Jahre her

Weil die deutschen Regierungen seit 1989 überwiegend mit dem Wiederaufbau und der Wiedervereinigung Deutschlands beschäftigt war, hat man kaum politische Erfahrung jenseits wirtschaftlicher Fragen gesammelt. Die Beteiligungen an kriegerischen Konflikten erfolgte stets unter fremder Regie, sei es der UNO oder NATO und nur in sehr überschaubaren Dosen. Sie sprechen das aus, was mir seid Anbeginn dieser ganzen Chose immer im Kopf herum schwirrt. Je mehr ich mich mit der Thematik beschäftige, desto mehr überkommt mich der fiese Gedanke die Wiedervereinigung D.´s wurde aus genau diesem Grunde erschaffen. Mal abgesehen von ihrem absolut präzisen Kommentar, ich empfinde genauso…. wird sich kein… Mehr

Henryke
6 Jahre her

Richtig; aber der wankelmütige Wilhelm hatte als Unterlegener keine Gelegenheit, an der Geschichtsschreibung mitzuwirken;-)

Remix
6 Jahre her

Die Geschichte von den „Sieben Stäben“ stammt von Johann Christoph Friedrich von Schmid, geb.1768., bekannt als Dichter des Weihnachtsliedes „Ihr Kinderlein kommet“. Ich verstehe nicht, wo sie da den Zusammenhang mit dem Faschismus erkennen wollen.

josefine
6 Jahre her

Die Regierungschefs und die Bevölkerung in den anderen Staaten der EU sehen doch, was sich hier bei uns in Deutschland abspielt. Es ist nicht zu verheimlichen, dass die Aufnahme anderer Kulturen große, kaum lösbare Probleme mit sich bringt. Diese Schwierigkeiten sind nicht gelöst worden, seitdem die Tür weit offen ist für alle, die sich hier ein besseres Leben erhoffen. Im Gegenteil, sie sind schlimmer geworden. Das Leben der Bürger hat sich zum Negativen verändert, das öffentliche Leben ist für Frauen, Kinder und Alte oft gefährlich. Die Verantwortlichen in den EU-Staaten, die immer wieder aufgefordert werden, „Solidarität“ zu zeigen, werden den… Mehr

Berggrün
6 Jahre her

Frankreich hat 1939 Polen im Stich gelassen, das ist dort nicht vergessen. England verhielt sich nicht anders, vor allem in Potsdam 1945 nicht, und seit es droht, die osteuropäischen Gastarbeiter wieder nach Hause zu schicken, ist das Verhältnis schlecht.

Bleiben nur die USA oder eine Reintegration ins russische Reich. Letzteres schließe ich, freiwillig und ohne Krieg, für die Polen und Balten aus, auch die Tschechen sind traditionell nicht prorussisch.

Ulrich Bohl
6 Jahre her

„Die EU ist verrückt“ Man muss Netanyahus Poltik nicht unbedingt gut
heißen. Aber wenn er etwas Richtiges muß man trotzdem zustimmen.
„Das ist schön bei den Deutschen: Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht.“
Heinrich Heine

Pe Wi
6 Jahre her

Ich frage mich immer, wie man eine EU weiterführen will, wenn man Mitglieder in der Union gängelt, erpresst und ihnen den nationalen Selbsterhalt verweigern will. Erpressung war noch nie ein Mittel, um dauerhaft etwas erreichen zu können. Erpresste laufen sofort von der Fahne, wenn sie beginnen, in anderen Konstellationen Morgenluft zu wittern. Sie sind gerade dabei, Morgenluft zu wittern. Die EU ist längst zerfallen und wird m.E. nur noch durch das Geld der deutschen Steuerzahler und natürlich durch Zwang aufrecht erhalten. Das wird aber nicht von Dauer sein. Europa wird zweigeteilt sein, in ein untergehendes Westeuropa und in ein Osteuropa,… Mehr

hans arno wahl
6 Jahre her
Antworten an  Pe Wi

schauen SIE doch den schmatzend tätschelten HERRN JUNCKER an, so wie ER ist die E.U. Note 5 = mangelhaft !

Benjamin Goldstein
6 Jahre her

Pulse of Europe und so sind ..tja. Eigentlich ist das schon alles gesagt.

Habt Ihr das ZEIT ONLINE interview mit dem ungarischen Presseminister gesehen?

(ich hoffe, das zählt nicht unter inakzeptable Links – ansonsten findet man es auch wenn ZEIT und Zoltan Kovacs googlet)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/zoltan-kovacs-ungarn-minister-eu-ngos

Jedenfalls erschreckt die AGGRESSIVITÄT die deutsche Medien und Politiker so drauf haben.

Leitwolf
6 Jahre her

Die Osteuropäer haben eine jahrhundertelange Erfahrung, wenn es darum geht, unter der Herrschaft Fremder zu stehen. Wieso sollten sie ohne Not, quasi aus einer idiotischen Laune heraus, ihre Souveränität wieder aufgeben? Aus Solidarität? Nun, Frau Merkel hat die Refutschis eingeladen nach Deutschland zu kommen – und sagt dann trotzig: „Mir egal, ob ich schuld bin, jetzt sind sie halt da.“ Man will anfügen: „… und am allerliebsten wäre es mir aber, wenn jetzt andere das Problem hätten.“ Ganz ehrlich: Wenn sich im normalen Leben jemand so verhält, erntet er im besten Fall Kopfschütteln, im schlechtesten Fall landet die Fußspitze im… Mehr

Marc Syha
6 Jahre her

Es freut mich zu sehen, dass die Osteuropäer evtl. tatsächlich eine echte Alternative zum Merkelschen und Brüssler EU-Irrsinn schaffen. Dass sie zudem den Schulterschluss mit den USA und Israel eingehen (mit denen es sich wir Deutsche in unserer einmaligen Selbstgerechtigkeit so mutwillig verscherzen), lässt mich weiter hoffen, dass unser schöner Kontinent noch nicht ganz verloren ist.

Der verächtliche und chauvinistische deutsche Umgang mit den Osteuropäern verdeutlicht auch recht schön, wie weit es mit unserer oft beschworenen Vergangenheitsbewältigung jenseits einer so masochistischen wie wohlfeien Schuldlust wirklich her ist.