Steinmeier wischt Sorge um Meinungsfreiheit als „ausgeleiertes Klischee“ weg

Jedem „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, müsse dann auch ein „da wird man ja wohl auch widersprechen dürfen“ folgen können. Das nenne er nicht „Mainstream-Tugendterror, sondern Demokratie“. Hier etwas Nachhilfe an Wirklichkeit in die Wahrnehmungswüste Bellevue.

imago images / Christian Spicker
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat anlässlich der Herbsttagung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in Hamburg an die mehr als 260 Rektoren und Präsidenten von deutschen Hochschulen und Universitäten appelliert, dem Streit und der argumentativen Auseinandersetzung „mit Schärfe und Polemik, mit Witz und Wettstreit“ wieder den nötigen Raum zu geben. Steinmeier weiter: Wer als Professor oder Student glaube, verhindern zu müssen, dass „unorthodoxe wissenschaftliche Thesen zu Wort kommen, wer glaubt, Bücher mit kontroversen Inhalten sollten aus den Bibliotheken verschwinden“, der hantiere aus dem Innern der Wissenschaft mit tödlichem Gift. Forschung und Lehre müssten frei sein.

So weit, so gut, so weit, so trivial! Doch dann läuft Steinmeier zur politisch korrekten Hochform auf: Entschieden widersprach er dem Eindruck, man dürfe in Deutschland seine Meinung nicht mehr frei aussprechen. Das sei ein „längst ausgeleiertes Klischee aus der reaktionären Mottenkiste“, so Steinmeier. Jedem „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, müsse dann auch ein „da wird man ja wohl auch widersprechen dürfen“ folgen können. Das nenne er nicht „Mainstream-Tugendterror, sondern Demokratie“.

Mit Verlaub, Herr Bundespräsident, Sie leben im Schloss Bellevue in einer Blase, in einem Raumschiff. Dürfen wir etwas nachhelfen?

Wissen Sie, wie besorgt sich der renommierte Deutsche Hochschulverband im Frühjahr 2019 über die Einschränkungen der Freiheit von Lehre und Forschung geäußert hat?

Wissen Sie, dass VLW-Professor Bernd Lucke an der Universität Hamburg Polizeischutz braucht?

Wissen Sie, wie man mit der Islamexpertin Prof. Susanne Schröter wegen einer Debattenrunde zum Kopftuch an der Universität Frankfurt umging?

Wissen Sie, wie Studenten und Hochschulleitung der Humboldt-Universität Berlin mit dem Totalitarismusforscher Prof. Jörg Baberowski umgehen?

Wissen Sie, wie man mit dem Politologen Prof. Herfried Münkler an der HU Berlin umging?

Wissen Sie, wie „katholische Sozialethiker“ versuchten, die ihnen unliebsame Zeitschrift „Neue Ordnung“ aus den Hochschulbibliotheken zu entfernen?

Wissen Sie, dass es an vielen Orten Deutschlands nicht mehr möglich ist, wegen angedrohter „Flashmobs“ Veranstaltungsräume für Tagungen zu bekommen, bei denen die Klimadebatte oder die Gender-Debatte kritisch beleuchtet werden soll?

Reichen diese Beispiele, die sich beliebig fortsetzen ließen?

Wollen Sie, Herr Bundespräsident, dass sich bei uns etwas wiederholt, was wir in den Jahren um 1968 an gewalttätigem Krawall an Hochschulen hatten? Und was sich derzeit in Frankreich abspielt? Selbst Ex-Präsident François Hollande brauchte soeben in Lille Polizeischutz: Unverrichteter Dinge musste er abziehen, seinen Vortrag über „Die Krise der Demokratie“ konnte er nicht halten, 450 seiner Bücher wurden zerstört. In Bordeaux konnte die Philosophin Sylviane Agacinski keinen Vortrag über Leihmutterschaft halten, weil das angeblich homophob sei.

Nein, verehrtes „Staatsoberhaupt”, überhaupt keine Klischees sind die Sorgen um solche Skandale, sondern entspringen bitterer Realität. Da reicht es nicht, an Professoren zu appellieren, sie sollten all dem mit „Witz und Wettstreit“ begegnen.

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Kommentare ( 110 )

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IJ
4 Jahre her

Ich muß bei Herrn Steinmeier und seinesgleichen immer an das Zitat von Idi Amin denken: „I can guarantee freedom of speech. But I can not guarantee freedom after speech.“

Christa Wallau
4 Jahre her

Steinmeier erweist sich als Totalausfall!
Dieser Mann scheint mir stockdumm oder/und unsensibel zu sein.
Bis der was merkt, muss viel mehr passiert sein.
Bis dahin ergötzt er sich weiter an „Feine Sahne
Fischfilet“
Einfach ein KLASSE-Präsident! ?

Harzbub
4 Jahre her

Über Heinrich Lübke konnte man noch lachen, obwohl der Mann war wirklich krank.
Bei Steinmeier bleibt das Lachen im Halse stecken, dem Typ fehlen nur noch die Ärmelschoner, dann ist die Karikatur eines deutschen Beamten hinter dem Büroschalter fertig.
Sowas fehlt in der Muppetshow. Der Mann will ernst genommen werden. Nur, ihn nimmt niemand ernst, er ist nur ärgerlich und schadet seinem Amt. Brauchen wir das überhaupt, oder können wir auf einen Ersatzkaiser verzichten. Ersatzkaffee will auch niemand.

J. Werner
4 Jahre her
Antworten an  Harzbub

Heinrich Lübcke war zuerst eine Geistesgröße und nach seiner Erkrankung noch sehr liebenswert und nett. Zu lügen wäre ihm nie eingefallen. Er war übrigens Opfer gezielter Stasi – Zersetzung, via Spiegel in die Medien transportiert. Und Steinmeier dagegen?! Er ist fast in allen Punkten das GLATTE GEGENTEIL von Heinrich Lübcke, einem Bundespräsidenten, dem die Herzen zuflogen, wo er hinfuhr.

Helmut in Aporie
4 Jahre her
Antworten an  J. Werner

Ja er hatte später starke intellektuelle Defizite. Ich habe da noch eine Schallplatte, zum totlachen!
Damals fiel das, im Umfeld der damaligen Politiker, noch auf. Heute wäre ich mir da nicht mehr so sicher, bei all den Kobolden, Netzspeichern und Gigabytes.

Heinrich Wolter
4 Jahre her

Der olle Steini hat Recht! Wenn Antidemokrat*innen was sagen, dann ist das nur Hetze, Rassismus und Islamophobie. Sogar die dicke Roth hat gewußt: „Rassismus ist keine Meinung!“ Wo soll da ne Meinungsfreiheit in Gefahr sein? So isses!

Th. Radl
4 Jahre her

Netter Versuch, dieser Appell an den Bundesgrüßonkel. Lieber Herr Kraus, glauben Sie ernsthaft, dass käme irgendwo an? Ich fürchte, eher nicht! Und zwar NICHT, weil er das nicht eimal lesen würde (Ich weiß nicht, ob er die GröKaZ zitieren würde, dass das nicht „hilfreich“ sei), sondern eben SELBST DANN, wenn er es denn läse!

Josef Kraus
4 Jahre her
Antworten an  Th. Radl

Ich bin Realist, habe ja auch von der Blase Bellevue (und dem Raumschiff Kanzleramt) geschrieben. Es geht um etwas anderes: Aufzuklären, mobilisieren, damit die GroKo-Funktionärskaste unter dem Druck des Wahlvolkes aufhört, die eigenen Metzger in höchsten Ämtern zu positionieren.

The Saint
4 Jahre her

In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Hetzer, Spalter und Demokratiefeind.

Gerro Medicus
4 Jahre her

Auf die heutigen Amtsträger und „Granden“ der SPD trifft immer wieder und mit zunehmender Treffsicherheit der Ausspruch meiner Großmutter zu: „Wann Schiet watt ward…“

holdtheline
4 Jahre her

Menschen wie Steinmeier sind so selbstherrlich und selbstgefällig, was ausschließlich daher rührt, dass auch hier das Amt den Menschen trägt, und nicht wie es sein sollte, der Mensch das Amt aufwertet. Auch Steinmeier ist so sehr von seinen Vorzügen und Leistungen überzeugt, dass er gar nicht mehr in der Lage ist seine stereotypen Äußerungen der stetig notwendigen Überprüfung immer wieder neu zu unterziehen. Dabei wird auch er, ist eben typisch für solche Menschen, mittlerweile völlig verdrängt haben, wenn es ihm überhaupt je bewusst war, dass er nur mit politischer Hilfe, man könnte auch sagen, eine Hand wäscht die andere, in… Mehr

Fred Katz
4 Jahre her

Steinmeier hat sich angewöhnt, wie Merkel und AKK harmlos anzufangen, dann aber etwas ganz anderes zu sagen. InWirklichkeit hat er nämlich gefordert, dass die Unis jede Diskussion mit jedem Vollpfosten zu jeder Zeit zulassen müsse. Laut PIK, dass die Kanzlerin berät, hat Greta T. umfassende Kenntnisse aller wichtigen Fakten zu allen Umweltthemen. Ohne Abitur, ohne Studium, ohne Forschung. Also ersetzen wir Forschung und Wissensvermittlung durch endlose Diskussionen, damit die Profs von den Antifa und FFF-Kindern lernen können. Wie im „Dorf der Verdammten“ schreien Kinder mit glühenden Augen:“Wir wissen alles über Euch“! Er hält das für sinnvoll, weil seine Partei so… Mehr

Dr_Dolittle
4 Jahre her

Idi Amin: I can guarantee freedom of speech – but I cannot guarantee freedom AFTER speech. Im Buch von Herrn Schwan (der mit den Kohl-Tagebüchern) ist beschrieben wie genau die Stasi über die Anfänge der BRD unterrichtet war. Das Wort „reaktionär“ kam im Stasi-Sprech andauernt vor. Soll uns das etwas sagen?

Babylon
4 Jahre her
Antworten an  Dr_Dolittle

„Ich kann Meinungsfreiheit garantieren, ich kann keine Freiheit garantieren nach der Inanspruchnahme von Meinungsfreiheit“. In diesem Land sind bereits schwerste berufliche Nachteile möglich, wenn man ein privates Treffen mit einem Oppositionspolitiker hat, sowie es dem Chef der hessischen Filmförderung passiert ist.