Seehofer gibt den Dreh-Hofer

Wenn der in Bayern und in der CSU längst geläufige Kalauer „Seehofer ist ein Dreh-Hofer“ jemals seine Berechtigung hatte, dann jetzt. Was bleibt ihm übrig, als auf die angeblich hohen Sympathiewerte der Kanzlerin zu setzen? Meint er.

© Sean Gallup/Getty Images

Da war doch was? Ja! Doch! Eine Menge! Im Oktober 2015 hatte CSU-Chef Seehofer wegen Merkels Entscheidung zur unkontrollierten Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge mit einer Verfassungsklage gedroht; er wollte eine Schutzpflicht des Bundes einfordern. Der CSU-Parteitag vom November 2015 war zum Tribunal für Angela Merkel geworden. Auf offener Bühne hatte Seehofer die Kanzlerin abgekanzelt, weil sie fast eine Million Flüchtlinge über die deutschen Grenzen gelassen habe. Im Februar 2016 hatte Seehofer in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse – ebenfalls mit Blick auf Merkel – zur „Flüchtlingskrise“ zum besten gegeben: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ Im Dezember 2016 hatte der CSU-Chef ein Gutachten von Udo di Fabio vorgelegt. Darin war der renommierte, ehemalige Verfassungsrichter zum Ergebnis gekommen, dass die unkontrollierte Grenzöffnung vom Spätsommer 2015 als Verfassungsbruch zu werten sei.

Das war es denn auch schon. Alles Schnee von gestern? Nach wie vor trug Seehofer die 200.000er Obergrenze wie eine Monstranz vor sich her. Ebenso regelmäßig lehnte Merkel sie ab. Aber Streit – nein, den hatten wir nicht. Dass Seehofers CSU keinem Merkel-IV-Kabinett beitreten werde, wenn es keine 200.000er Grenze gebe? Dass viele CSU-Wahlkämpfer nicht bereit sein wollten, mit dem Konterfei Merkels Wahlkampf für den September 2017 zu machen? Alles wahrscheinlich böswillige Fake News! Es gab Versöhnungsgipfel – mal einen gequälten in der CSU-Parteizentrale, mal etwas lockerer in einem Bierzelt. In der Kanzlerin Beisein wurde sodann ein CSU-Merkel-Unterstützerkreis gegründet – mit Theo Waigel, Alois Glück und Erwin Huber an der Spitze.

Und Seehofer? Jetzt überraschte er mit einer ultimativen Pirouette: Bei der Vorstellung des „Bayernplans“ sang er soeben eine Hymne auf Merkel. Das hörte sich so an: „Es gibt in ganz Europa und in Deutschland ohnehin nur eine einzige Persönlichkeit, die weltweit anerkannt ist, die die freie Welt zusammenhält, die in Europa Gewicht hat … Das ist unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deshalb unterstützen wir sie.“ Die CDU-Chefin sei ein „Stabilitätsanker“, fügte er an. Und er vergaß nicht zu sagen, dass Merkel „ungeheuer führungsstark“ sei. Meistens lasse er sich „nur etwas von mir selbst sagen. Aber bei Angela Merkel mache ich eine Ausnahme.“

Ja, so ist er, der Horst. Die Wendigkeit gehört zu seiner politischen DNA. Wenn der in Bayern und in der CSU längst geläufige Kalauer „Seehofer ist ein Dreh-Hofer“ jemals seine Berechtigung hatte, dann jetzt. Aber was bleibt ihm anderes übrig, als auf die angeblich ungebrochen hohen Sympathiewerte der Kanzlerin zu setzen? Meint er. Er vergisst dabei, dass viele seiner treuen CSU-Wähler selbst zwei Monate vor der Bundestagswahl noch nicht wissen, ob sie überhaupt zur Wahl gehen. Einerseits würden sie gerne CSU wählen, um die CSU in Berlin wieder stark zu machen. Andererseits wissen sie, dass jedes Kreuzchen für die CSU eines für Merkel ist. Gehen sie aber nicht zur Wahl, so schwächen sie Bayerns Gewicht in Berlin. Ein Dilemma, aus dem Seehofer keinen Ausweg mehr findet. Diesen Ausweg hätte er gehabt, wenn er auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die „Flüchtlingskrise“ die drei CSU-Minister aus der Bundesregierung zurückgezogen hätte. Das wäre ehrlich gewesen, es hätte durchaus klärend gewirkt und Konstruktives in Gang gesetzt. Aber da ist Seehofer denn doch nichts anderes als sein großer Vorgänger Franz Josef Strauß: ein „cunctator“, ein Zauderer. Das war er bereits bei Merkels Kabinettsbildung im Dezember 2013: Mit drei marginalen Ministerien hatte sich die CSU abspeisen lassen. Und dass Seehofer die CSU auf Bundesebene hätte ausdehnen können, stand ebenfalls nie zur Debatte. Dann wäre die CDU nach Bayern gekommen, und mit den Aussichten der CSU auf eine absolute Mehrheit bei Landtagswahlen wäre es vorbei gewesen. Ja, und spätestens jetzt wären die Sympathien der potentiellen außerbayerischen CSU-Wähler dahin gewesen.

So wird denn „der Horst“ weiter solistische Pirouetten drehen. Zur nächsten hat er bereits angesetzt, indem er nun grün grünt und eine schwarz-grüne Koalition nicht mehr ausschließen will. Wer CSU wählt, der wählt dann offenbar nicht nur Merkel, sondern auch die Bundesempörungsbeauftragten Claudia Roth und Katrin Göring-Eckardt gleich mit. Hoffentlich versucht sich Seehofer im multiplen Paarlauf aber nicht an einer Paarlauffigur, bei der die Partnerin fast horizontal auf einem Bein über dem Eis gleitet und nur vom ausgestreckten Arm des Partners an der Hand gehalten wird. Das hätte der Horst wohl gern. Aber diese Figur heißt im Eiskunstlauf Todesspirale, sie könnte für alle fatal ausgehen.

Derweil will Seehofer im eigenen Kabinett aufräumen. Super-Kultusminister Ludwig Spaenle – zuständig für Schule und Wissenschaft – soll auf der Abschussliste stehen. Seehofer nimmt ihm übel, dass er die Entscheidung über die Rückkehr zum achtjährigen Gymnasium lange hinausgezögert habe. Dabei war es Seehofer, der seine CSU-Landtagsfraktion hier monatelang nicht zur Raison brachte. Und nun erlaubt sich Spaenle, zugleich Münchner CSU-Vorsitzender, obendrein, seinem Kabinettschef zu widersprechen. Seehofer will eine Straßenbahnstrecke durch den Englischen Garten in München legen, Spaenle lehnt das ab. Söder wird sich derweil zurückhalten mit „Schmutzeleien“. Seine Zeit kommt noch, auch wenn Seehofer das mit allen Mitteln zu verhindern sucht. Nur, wen hat er dann noch als Erbfolger, nachdem er seinen Innenminister Joachim Herrmann nach Berlin weggelobt hat? Da bleibt nur eines: Horst bleibt sein eigener Doppelnachfolger – in der Partei und in der Regierung. Auch das passt zur Ego-Polit-DNA Seehofers.

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Kommentare ( 11 )

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Horst Stamm
6 Jahre her

Ihre Formulierung ist schmerzhaft formvollendet.

Davy Crocket
6 Jahre her

Na ja, woher nehmen Sie diese Hoffnung?

Davy Crocket
6 Jahre her

Aber er hat doch recht der Herr Seehofer, Frau Merkel hält die Welt zusammen:

‚Staatssekretärin Serap Güler: Die CDU ist kein Christenclub‘, s. WAZ von heute.

Und da möchte der Herr Seehofer mit seiner CSU doch nicht abseits stehen.

Davy Crocket
6 Jahre her

Die Aufgabe von Herrn Seehofer ist es, das Aufbegehren der ‚Sansculottes‘ zu verhindern – zumindest bei den Wahlen.
Die Geschichte zeigt aber, das ‚Aufbegehren‘ wird dann andere Wege finden.
Und ja, der Herr Guttenberg hat dann wohl seine Erziehungsjahre bei den US-amerikanischen ‚Stiftungen‘ zu einem Abschluss gebracht.

Tesla
6 Jahre her

„…die AfD wird erst einmal einen Untersuchungsausschuß „Merkel“ herbeiführen.“

Schön wärs. Dazu bräuchte die AfD jedoch 25% der BT-Mandate. Sehr unwahrscheinlich, denn ich glaube nicht, dass die AfD andere Nichtregierungsparteien (die Bezeichnung ‚Oppositionsparteien‘ verdienen sie nicht) dafür gewinnen wird.

Arndt
6 Jahre her
Antworten an  Tesla

Die FDP hat durch Herrn Lindner angekündigt, dass sie ebenfalls für einen Untersuchungsausschuss ist. Herr Lindner hat auch gesagt, dass er mit der CDU unter Frau Merkel keine Koalition eingehen wird.Ich wette, dass nach der Wahl davon nicht mehr die Rede sein. wird. Herr Seehofer will ja von seiner Ankündigung, ohne die festgeschriebene Obergrenze in keine Koalition einzutreten, nichts mehr wissen. Man sieht daran, mit was für Opportunisten wir es zu tun haben.

Mertens
6 Jahre her

„Er vergisst dabei, dass viele seiner treuen CSU-Wähler selbst zwei Monate vor der Bundestagswahl noch nicht wissen, ob sie überhaupt zur Wahl gehen. “ Exakt damit bin z.B. auch ich gemeint. Jahrzehntelang CSU – vor allem Strauss – gewählt, aber bei diesem Kasper vergeht mir endgültig die Lust. Nur noch peinlich, was der macht. Auch hat er gesagt, er könne sich eine „Koalition mit den Grünen“ gut vorstellen. Schlimm. Mein Gott, wie weit hat sich dieser Pseudo-Schlaumeier von seinen Stammwählern entfernt. Den Stoiber haben sie damals viel zu früh gestürzt, am Seehofer halten die Hinterbänkler fest, weil sie glauben, er… Mehr

shade
6 Jahre her

Warum der Sinneswandel?
Warum diese Untätigkeit?
Hat jemand ein Angebot gemacht, dass man nicht ablehnen kann?

Hatte Goethe hellseherische Fähigkeiten, als er dem Faust Gedanken zum »Geist der Zeiten« in den Mund legte?

»Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!«

Tesla
6 Jahre her

Immer, wenn ich in der medialen Berichterstattung etwas von Seehofer höre oder lese, vermisse ich F.-J. Srauß. Nie hätte die CSU einen wie ihn dringender gebraucht als jetzt.

ZurückzurVernunft
6 Jahre her

Meine Gründe, warum ich die CSU nach über 40 Jahren nicht mehr wählen kann: 1. Meine Stimme für die CSU wäre automatisch eine Stimme für die unselige Frau Merkel 2. Meine Stimme für die CSU wäre ggf. eine Stimme für die unseligen GRÜNEN und die unselige Frau Göring-Eckardt 3. Seehofer`s Obergrenze ist absoluter Unsinn, so lange nicht zwischen Flüchtlingen und illegalen Migranten unteschieden wird. Die Obergrenze für illegale Migranten muss exakt bei „Null“ liegen. 4. Seehofer`s Obergrenze verstärkt das ohnehin schon unsinnige „Asyl für die Fittesten“, da ein zusätzlicher Wettlauf um die begehrten 200.000 Plätze einsetzen wird. 5. Seehofer`s Obergrenze… Mehr

C. W. Schulz
6 Jahre her
Antworten an  ZurückzurVernunft

Mein Reden; Niemand von denen ist mehr wählbar, weil es nur noch eine Suppe ist. Seehofer ist schon lange nicht mehr glaubwürdig – hat nur ein bisschen gebellt, aber nicht annähernd gebissen, lächerlich.
Ich hoffe, dass sich die AfD befreien und möglichst schnell nicht mehr totgeschwiegen werden kann. Man meint nicht, dass wir in einer Demokratie leben, wo eine Partei dermaßen ausgegrenzt wird und faktisch nicht stattfindet, weil andere es so wünschen und die Medien treudoof mitmachen.