Die Deutschen haben Angst vor den Folgen der Politik

Inflation, Rezession, Steuererhöhungen: Die Sorgen der Deutschen kreisen in diesem Jahr um die Finanzen – und damit letztlich um die Folgen politischer Entscheidungen. Das zeigt eine aktuelle Studie der R+V Versicherung. Auch der "Angstindex", also der Durchschnitt aller abgefragten Sorgen steigt deutlich.

IMAGO / CHROMORANGE
Symbolbild

In früheren Jahren waren es oft abstrakte Ängste vor fernliebenden Gefahren, die die R+V Versicherung in ihrer repräsentativen Langzeitstudie Studie „Die Ängste der Deutschen“ feststellte: etwa 2018 und 2020 „eine gefährlichere Welt durch Trump-Politik“. In diesem Jahr liegt mit Abstand auf Platz eins die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten (67 Prozent). „Bemerkenswert ist in diesem Jahr die starke Zunahme der Inflationsangst um 17 Prozentpunkte“, sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. Im Vorjahr lag die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten mit 50 Prozent auf Platz zwei. „Einen solchen Anstieg haben wir bei diesem Thema erst einmal zuvor erlebt. 1993 schnellte die Sorge von 29 Prozent auf 57 Prozent. Grund hierfür war die damalige Talfahrt der deutschen Wirtschaft.“

Die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten treibt die Deutschen übrigens regelmäßig um. Im Verlauf der Langzeitstudie hat sie schon zwölfmal Platz eins belegt – und damit häufiger als jede andere Sorge. Überraschend: Diese Angst ist im Westen mit 69 Prozent erstmals deutlich ausgeprägter als in Ostdeutschland (59 Prozent).

R+V-Infocenter

Auffällig ist, dass die ersten fünf Ängste letztlich wohlstandsrelevante Folgen politischer Entscheidungen, nicht zuletzt von deutschen Politikern, betreffen. Erst auf Platz sechs kommt die weitgehend unpolitische Angst vor Naturkatastrophen und Wetterextremen oder vor Herrschern außerhalb Deutschlands. Das Vertrauen der Deutschen in ihre Politikerinnen und Politiker ist traditionell schlecht. So fürchten 44 Prozent, dass diese von ihren Aufgaben überfordert sind (2021: 41 Prozent, Platz neun).

„Insgesamt sind die Menschen deutlich sorgenvoller als noch vor einem Jahr“, sagt Brower-Rabinowitsch anlässlich der Pressekonferenz zur Studie am 13. Oktober in Berlin. „Der Angstindex – der Durchschnitt aller abgefragten Sorgen – steigt um sechs Prozentpunkte und erreicht mit 42 Prozent das höchste Niveau seit vier Jahren.“ Bereits zum 31. Mal hat das Infocenter der R+V Versicherung in der Studie „Die Ängste der Deutschen“ mehr als 2.400 Menschen nach ihren größten Sorgen rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Familie und Gesundheit befragt.

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„Die Preisspirale macht den Menschen in allen Bevölkerungsschichten Angst. Das gilt für reiche Befragte genauso wie für arme, für Jung und Alt, für Männer wie Frauen und für Anhänger aller Parteien in allen Bundesländern“, erläutert Prof. Dr. Manfred G. Schmidt, Politikwissenschaftler an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Er berät das R+V-Infocenter seit rund zwei Jahrzehnten bei der Auswertung der Ängste-Studie.

Auf Platz zwei rangiert mit 58 Prozent die Angst, dass Wohnen unbezahlbar wird. Die Frage ist 2022 neu dabei. „Auch diese Sorge hat reale Grundlagen: ein knappes Angebot, hohe und oftmals weiter steigende Preise sowie eine starke Konkurrenz unter den Wohnungssuchenden“, erklärt Professor Schmidt.

Zuerst die Corona-Lockdowns, dann die Folgen des Ukrainekrieges – Deutschlands Wirtschaft ist im Krisenmodus. 57 Prozent der Bürgerinnen und Bürger fürchten eine Rezession, Platz drei der diesjährigen Studie. Der Vorjahresvergleich zeigt einen ebenso sprunghaften Anstieg um 17 Prozentpunkte wie bei der Angst vor steigenden Preisen. 2021 lag die Furcht vor wirtschaftlicher Verschlechterung noch mit 40 Prozent auf Platz zehn. „Der Dreiklang von Corona-Pandemie, Russlands Krieg gegen die Ukraine und Inflation beeinträchtigt die deutsche Wirtschaft – sie droht in eine Rezession abzurutschen“, erläutert Professor Schmidt.

Kriegsangst steigt extrem

„Nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wollten wir wissen: Haben die Deutschen Angst davor, dass autoritäre Herrscher weltweit immer mächtiger werden?“, berichtet Brower-Rabinowitsch. Die Antwort lautet „Ja“ – die Sorge landet mit 47 Prozent direkt auf Platz sieben. „Weltweit beobachten wir schon seit geraumer Zeit eine Autokratisierungswelle, zum Teil auch in demokratischen Staaten“, analysiert Professor Schmidt.

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Einen Krieg mit deutscher Beteiligung fürchten 42 Prozent der Bürgerinnen und Bürger (Platz zwölf). Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein enormer Zuwachs um 26 Prozentpunkte (2021: 16 Prozent, Platz 21). Einen derart extremen Anstieg gab es in den drei Jahrzehnten der Langzeitstudie überhaupt erst zweimal. Einen ähnlich großen Anstieg dieser Angst gab es zuletzt 1999 infolge des Kosovo-Krieges. Damals schnellte sie von 24 Prozent auf 60 Prozent.

Umweltängste nehmen zu

Nach dem Dürresommer 2022 fürchtet fast jeder zweite Befragte Wetterextreme und Naturkatastrophen (49 Prozent, Platz sechs). Das ist ein klarer Anstieg im Jahresvergleich (2021: 41 Prozent, Platz acht). Spürbar wächst auch die Angst vor dem Klimawandel. Sie landet mit 46 Prozent auf Platz acht (Vorjahr: 40 Prozent, Platz elf). „Vor einigen Jahren war ein heißer, regenarmer Sommer in Deutschland noch ein Grund zur Freude. Jetzt erleben wir alle die negativen Folgen unmittelbar – Waldbrände werden häufiger, Flüssen fehlt Wasser und die Natur insgesamt leidet“, sagt Brower-Rabinowitsch. „Auch die Flutkatastrophe an der Ahr und in der Eifel vor einem Jahr ist den Menschen noch präsent.“

Die Furcht vor einer Überforderung des Staates durch die Zahl der Geflüchteten ist gleich geblieben (45 Prozent), aber im Ranking von Platz vier auf Platz neun gerutscht. Die Sorge, dass es durch weitere Migration zu Spannungen kommt, liegt mit 37 Prozent nur noch auf Platz 16 (2021: 42 Prozent, Platz sieben). Allerdings sind die Unterschiede zwischen Ost und West bei beiden Ängsten groß. In Westdeutschland fürchten 43 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, dass die Zahl der Geflüchteten den Staat überfordert. Im Osten ist es mehr als die Hälfe der Befragten (54 Prozent). Aber auch in Ostdeutschland nimmt diese Angst ab, wirtschaftliche Sorgen haben sie von Platz eins auf Platz fünf verdrängt. Konflikte durch den weiteren Zuzug von Ausländerinnen und Ausländern fürchten im Westen 35 Prozent der Befragten (Platz 16), im Osten sind es hingegen 44 Prozent (Platz zwölf).

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Kommentare ( 22 )

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22 Comments
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Hueckfried69
1 Jahr her

Interessant! Ich hätte gedacht, dass die Deutschen vor allem die Angst umtreibt, es könne zu viel kulturelle Aneignung, zuwenig „Missoirs“ oder kaum noch anarcha-queerfeministische Schutzraumprojekte geben.

Last edited 1 Jahr her by Hueckfried69
Reinhard Schroeter
1 Jahr her

Es hat sich in diesem seltsamen Buntland eine neue und sehr erfolgreiche Industrie etabliert, die Angstindustrie. Deren Geschäfte laufen inzwischen auf Hochtouren. Es reicht ein Blick auf eine Sektion dieser neuen Branche, die Klimainquisition. Die hat es erfolgreich geschafft, dass der gemeine Mensch sich inzwischen für sein eigenes Dasein rechtfertigen muss. Er hat sich zum Klimasünder machen lassen und macht bei diesem mittelalterlichen Popanz des Sündenbocksuchens fröhlich, gläubig und freiwillig mit. Er ist bereits so konditioniert, dass er den Ablasshandel mit CO2-Steuern und was es da sonst noch für sein Seelenheil gibt, gar nicht mehr als solchen erkennen kann. Man… Mehr

hdbaustbb
1 Jahr her

„Bürgerinnen und Bürger“ und „Ausländerinnen in Ausländer?“ Könnt Ihr bitte wieder zum generischen Maskulinum zurückkehren und uns mit diesem Gendersch***dreck verschonen? Danke!

Annegret Kuempel
1 Jahr her

Ohje, den Deutschen oder Deutschinnen ist nicht mehr zu helfen. Doch, der deutsche Staat hilft!

Fatmah
1 Jahr her

Das ist wieder typisch Deutsch, Angst vor der Zukunft zu haben in allen Nuancen anstatt die guten Zeiten zu genießen.

AnSi
1 Jahr her

Irgendwie merke ich nichts von der „Angst“. In meinem beruflichen (!) Umfeld scheint alles völlig in Ordnung zu sein. Die Kollegen finden alles prima. Man muss aber dazu sagen, dass die Firma in NRW liegt. NRW ist m.M.n. das gläubigste/d*mmste BuLa ever (Herz der Finsternis!)! Während man im Osten der Republik wach und aufgeklärt demonstriert, ist man im Westen _und hier speziell in NRW_ noch in der Tiefschlafphase. Wenn die nicht bald mal ihre Augen öffnen, werden sie knüppeldick erfahren, was Untergang bedeutet. In allen Bereichen! Diese „Wessis“ sind abgrundtief naiv und gutgläubig! Seit 2 Jahren lassen sich die „Wessis“… Mehr

Janosik
1 Jahr her
Antworten an  AnSi

Ich wohne in NRW und das stimmt hier komplett. Die einzige Deutsche die einigermaßen wissen, was hier los ist, das ist der Türke nebenan und der Mann der Ehefrau aus Polen. Das sind Leute die nicht alles glauben. Der Rest glaubt weiter an die Windräder, den Covid, den gerechten Krieg gegen Russland und anderen Märchen.Ein Versuch zu widersprechen, ist nur dann toleriert, wenn man zB wie ich aus Ausland kommt.

s.Braun
1 Jahr her

Irgendwie passen die og. Zahlen nicht zum letzten Wahlergebnis !? Ok, der Norden ist etwas schwerfällig, aber die Energiepreise treffen auch die Nordlichter ! Energiekrise, neue Migrationskrise, der Corona – Masken – Impfterror, das Rausschmeißen von unendlichen Geldsummen, usw. …all das betrifft den Norden nicht ??? So scheint es aber anscheinend zu sein, wenn immer noch eine rotgrüne Mehrheit entstehen kann………..oder stimmt die etwa Wahl nicht ? Wer weiß, vielleicht wollten ein paar Wahlhelfer von der Grünen Jugend wieder mal was besonnders gut machen !

Biskaborn
1 Jahr her

Die Angst vor dem Klimawandel ist Ergebnis täglicher Indoktrination! Rational ist das nicht, aber von den Klimahysterikern sicher gern gesehen und von denen die damit das ganz große Geld machen! Also wer Angst vorm Klimawandel hat, ich weiß nicht, möchte mich dazu besser nicht äußern!

Monika
1 Jahr her

Man hätte in der Überschrift auch schreiben können „Die Bürger haben Angst vor den Folgen ihrer Wahlentscheidung.“. Da kann man nur sagen, selber schuld, die Leute sollten vielleicht man den Verstand einschalten, bevor sie ihr Kreuz machen. Besonders witzig fand ich z.B. Punkt 5. Die AfD wurde damals gegründet, weil die Politik in eine Schuldenunion mit den Südländern driftete. Man sollte doch meinen, daß sich Wähler dann mit Freuden einer Partei zuwenden, die diesen Grund für ihre Angst verhindern könnte. Aber nein, man geht hin und wählt wieder und wieder die Merkel-CDU. Oder Punkt 2. Was glauben diese ängstlichen Dummbratzen… Mehr

Innere Unruhe
1 Jahr her
Antworten an  Monika

Die Hälfte der Deutschen sind Frauen.
Das Silvesterfest hat zu keinem Umdenken geführt. Frauen halten Parteien, die Ihnen die Männer von der Kölner Platten ins Land geholt haben, weiterhin für vertrauenswürdig.
Mein Mitleid mit den Frauen hält sich in Grenzen. Frauen alleine hätten jede Partei an die Macht hieven können. Sie haben sich für die grüne Prioritäten entschieden…

GeWe
1 Jahr her

Die Deutschen dürfen sich bei den von ihnen immer gewählten Parteien bedanken. Es ist vor allem die von ihnen betriebene Politik zur Rettung des Weltklimas. Dessen Erhöhung zur Quasigottheit, die um Vergebung und Milde angefleht werden muss durch den Verzicht auf Verbrennung fossiler Energieträger, macht das gläubige Volk durch Androhung des Weltuntergangs bei Zuwiderhandlung dumm und fügsam und das quer durch alle Schichten. Nun, hinter dem Klima steht bekanntlich die Sonne mit ihren eigenen Gesetzen. Deren frühere Verehrung mit Opfergaben wird von der Politik gerne aufgegriffen indem sie Askese und Vernichtung der wohlstandserzeugenden Technik von den Gläubigen erzwingt. Durch Erzeugung einer Inflation… Mehr