Russland verliert Boden bei Charkiv – und fünf Provinzgouverneure melden sich ab

Eine Pipeline für russisches Gas nach Westeuropa ist von der ukrainischen Betreibergesellschaft unterbrochen worden. Die ukrainische Armee meldet Erfolge im Raum Charkiv und an der Schwarzmeerküste. Die Gründe für den Rücktritt von fünf russischen Gouverneuren bleiben unklar.

IMAGO / ITAR-TASS
Soldat der russischen Separatisten in Popasnaya, 10.05.2022

Die Ukraine hat den Transfer von Erdgas aus Russland nach Westeuropa über eigenes Territorium in der umkämpften ostukrainischen Region Luhansk teilweise gestoppt, wie der ukrainische Gasnetzbetreiber GTSOU am Mittwochmorgen mitteilte. Der Gasfluss werde ab Mittwoch über die dortige Sochraniwka-Route eingestellt und stattdessen über den Sudscha-Knotenpunkt geleitet. Der Schritt war schon am Dienstag unter Berufung auf „höhere Gewalt“ angekündigt worden. Damit fielen bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter Gas täglich weg, das sei fast ein Drittel der täglich über die Ukraine nach Europa transportierbaren Höchstmenge. Aufgrund der russischen Besatzung sei es unmöglich geworden, die Verteilstationen der Sochraniwka-Route zu kontrollieren. Der russische Erdgaskonzern Gazprom widersprach und behauptete, die Ukrainer hätten „ungestört“ gearbeitet. Gazprom wolle alle seine Verpflichtungen gegenüber europäischen Kunden erfüllen. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums versicherte: „Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist aktuell weiter gewährleistet.“

In den USA hat am Dienstag das Repräsentantenhaus die Aufstockung des Hilfspakets für die Ukraine von 33 auf 39,8 Milliarden Dollar gebilligt. Auch eine Mehrheit der oppositionellen Republikaner stimmte dafür. Das Paket muss nun noch vom Senat verabschiedet werden. Die Zustimmung gilt als so gut wie sicher. Rund die Hälfte der Gesamtsumme soll unmittelbar für Verteidigungsbedarf verwendet werden.

— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) May 11, 2022

Über die Gründe für den fast gleichzeitigen Rücktritt von fünf russischen Provinzgouverneuren wird noch gerätselt. Wie die Deutsche Presse-Agentur (DPA) laut Medien am Dienstag berichtete, sollen die Gouverneure Sergej Schwatschkin aus dem sibirischen Tomsk und Igor Wassiljew aus Kirow als erste ihre Rücktritte bekannt gegeben haben. Dann folgten die Gouverneure von Saratow und Mari El. Der Gouverneur der Region Rjasan erklärte, dass er nicht mehr für eine zweite Amtszeit kandidieren werde. Offiziell begründeten sie laut DPA ihren Schritt mit hohem Alter und langen Amtszeiten. Aber es ist wenig verwunderlich, dass in sozialen Medien wie Telegramm auch über eine mögliche Unzufriedenheit der Gouverneure mit Putins Krieg und den schweren ökonomischen Folgen der westlichen Sanktionen spekuliert wird. Die Rücktrittswelle könne ein Anzeichen dafür sein, dass das Schiff ins Kentern gerate und die „Ratten wohl lieber von Bord gingen“, meinte der Politologe Abbas Galljamow laut DPA, wie Medien berichten. Umgekehrt könnte aber auch Putins Unzufriedenheit mit den Gouverneuren der Grund sein.

Die Lage in den Kriegsgebieten

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Zur Lage in der Ukraine: Patt-Situation mit nachlassender Tendenz für Russland
Rund um die seit Kriegsbeginn von den russischen Truppen zwar viel bombardierte aber nie eingenommene Großstadt Charkiv meldete der ukrainische Generalstab am Mittwoch Geländegewinne, aber auch, dass die russischen Truppen versuchten, den Vormarsch ukrainischer Truppen dort zu stoppen.

Die militärischen Aktionen der Russen am Boden scheinen sich auf die Einnahme von Rubischne im Norden des Donbass zu konzentrieren. Seitdem das russische Militär Ende März den Angriff auf die Hauptstadt Kiew aufgegeben hat, versucht es den Frontvorsprung der ukrainischen Truppen in der östlichen Donbass-Region einzukesseln, wobei die Stadt Isjum im Nordosten von besonderer Bedeutung ist. Bislang ist das den Russen nicht gelungen. Wenn der ukrainische Gegenangriff im Raum von Charkiv weiter erfolgreich ist, könnte dies die russischen Nachschublinien im Norden des Donbass gefährden, wie das Institute for the Study of War analysiert.

Die russischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben in der Nacht zum Mittwoch zahlreiche Angriffe mit Fernwaffen durchgeführt: „Raketenstreitkräfte und Artillerieeinheiten haben 407 Gebiete mit Ansammlungen von Truppen und Militärtechnik beschossen, dabei 13 Gefechtsstände, 4 Stellungen von Raketenwerfern des Typs Ossa-AKM und 14 Munitionsdepots zerstört“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Mittwoch in Moskau. Außerdem seien zwei Kommandostellen und drei Munitionsdepots durch fliegende Einheiten zerstört worden.

Das britische Verteidigungsministerium berichtet unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse von militärischen Erfolgen der Ukrainer an der Schwarzmeerküste. Sie hätten mit Bayraktar-Drohnen Luftabwehrstellungen der Russen auf der Schlangeninsel und Versorgungsboote angegriffen.

Die ukrainischen Streitkräfte haben am 77. Tag des Krieges eine neue Schätzung der russischen Verluste veröffentlicht. Demnach sind etwa 26.350 russische Soldaten gefallen. Über eigene Verluste gab es keine Angaben.

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