Wir glauben euch nicht

Warum, fragen sich ARD-Obere, regen sich die Leute über die falsche WDR-Penny-Kundin so auf? Machen wir doch seit Jahren so. Ein Einzelfall kann allerdings ein ganzes Imperium kippen. Das erkennen offenbar auch Claudia Roth und die EU: Sie suchen nach einem neuen politisch-medialen Geschäftsmodell.

IMAGO - Collage: TE
Manchmal verursacht auch ein kleiner Routineskandal eine Wirkung, die weit über den eigentlichen Fall hinausgeht. Vor allem dann, wenn es sich um den soundsovielten Fall nach dem gleichen Muster handelt. Das einzelne Ereignis steht dann stellvertretend für Dutzende andere. Und der Skandalverursacher fragt sich, was denn dieses Mal anders sei. Er versteht die Welt nicht mehr. So ging es dem WDR, nachdem einigen Leuten die kleine szenische Einlage in einem Beitrag über die „Wahre Kosten“-Aktion des Discounters Penny auffiel.

Die Handelskette erhöhte bekanntlich die Kosten für bestimmte Produkte drastisch, um deren – mit ziemlich schwammigen Berechnungsmethoden ermittelte – vorgebliche Umweltkosten deutlich zu machen. Eine sympathische junge Frau, die in dem WDR-Film vom 31. Juli in einem Penny-Supermarkt vor die Kamera schlendert, um in wohlgesetzten Worten zu loben, die Penny-Preiserhöhung sei „eine Aktion, die zum Nachdenken anregt“, stellte sich als Mitarbeiterin des WDR namens Hannah Mertens heraus. Der „Wahre Kosten“-Beitrag lief nicht nur in dem Landessender, sondern auch bei Tagesschau und Tagesthemen.

Als der Blogger Argo Nerd darauf aufmerksam machte – und nach ihm auch andere –, schnippelte die ARD den Cameo-Auftritt ihrer Mitarbeiterin heraus, veröffentlichte dazu eine kurze Erklärung und berief sich ansonsten auf einen dummen Zufall. Durch die Reaktionen des WDR-Chefredakteurs Stefan Brandenburg und des ARD-aktuell-Chefredakteurs Marcus Bornheim schimmerte eine gewisse Verblüffung, warum sich das Publikum ausgerechnet über diese Manipulation dermaßen aufregt. Ihr Subtext lautete ungefähr: Machen wir doch schon seit Jahren so beziehungsweise so ähnlich. Warum gerade jetzt dieser Lärm?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen handelt es sich, siehe oben, um ein Einzelereignis in einer langen Kette von lauter Einzelereignissen. Zum anderen reagiert die Öffentlichkeit möglicherweise auch so, weil ARD und ZDF deutlich mehr Geld ab 2025 verlangen, mindestens 20 Euro monatlich, und zwar auch von denen, die sich für Filme mit plötzlich vor der Kamera auftauchenden Sendermitarbeitern oder Grünenpolitikern gar nicht interessieren.

Die Art und Weise, wie führende ARD-Manager die Affäre weg- und diejenigen, die darauf aufmerksam machten, zum eigentlichen Problem erklären, trägt vermutlich auch einen Teil bei. Dazu gleich mehr. Aber alles in allem schlägt hier offenbar gerade die Quantität in Qualität um, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen. An der einen WDR-ARD-Geschichte zeigt sich exemplarisch, dass es möglich ist, Vertrauenskapital bis zum letzten Rest aufzubrauchen. Irgendwann gibt es auch keinen neuen Kredit. Kurzum, selbst wenn es sich bei dem Kurzauftritt von Hannah Mertens wirklich, wie der WDR-Chefredakteur meint, um eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ gehandelt haben sollte, glaubt ihm das selbst der Gutwilligste nicht mehr.

In dem Interview mit der Welt, in dem er über die Unglücksverkettung spricht, demonstriert der WDR-Chefredakteur vorbildlich die Politikerfähigkeit, schräg an der Sache vorbeizureden. Auf die Frage der Zeitung: „Aber hätten die junge Kollegin und die Autoren des Beitrages nicht erkennen müssen, dass das nicht geht?“ antwortet Brandenburg: „Sie haben absolut recht, wenn der Reporter gemerkt hätte, dass es eine WDR-Mitarbeiterin ist. Dann gäbe es nur eine Reaktion. Nämlich die, dass man ein Interview ablehnt.“

Aber die WDR-Mitarbeiterin ihrerseits wusste doch, dass ein Reporter des WDR sie gerade um einen O-Ton bittet. Sie hätte also entweder von sich aus erklären müssen, dass sich ein WDR-WDR-Gespräch nach journalistischen Prinzipien nicht gehört, wenn darin einer von ihnen als Frager und einer als Kundin auftreten soll. Jedenfalls dann, wenn diese Prinzipien im Sender tatsächlich gelten. Die kleine Dokumentation, die noch folgt, legt nahe: Sie gelten wohl eher nicht, weder beim WDR noch bei der ARD allgemein noch beim ZDF. Aber erst einmal muss noch ARD-Chefredakteur Marcus Bornheim zu Wort kommen, den die ARD-Anstalt Deutschlandfunk zu der Sache mit dem dummen Zufall befragt.

— Argo Nerd (@argonerd) August 3, 2023

Das grundsätzliche Problem macht der ARD-Hierarch gleich zu Interviewbeginn deutlich. Es gebe, so Bornheim (ab Minute 3), „eine Handvoll, vielleicht auch zwei Handvoll von Accounts, die […] ganz konsequent unsere Angebote […] scannen und immer danach suchen, um daraus nach Möglichkeit einen Skandal zu konstruieren“. Darüber würden dann „bestimmte Verlage“ berichten, die damit „Clickbaiting“ betrieben: „Das ist ein gut funktionierendes Geschäftsmodell.“ Aus Sicht der Wohlmeinenden ist ein Geschäftsmodell so etwas Ähnliches wie Mundgeruch: etwas, was nur die anderen haben.

Die Wurzel des Übels liegt für ihn also darin, dass es Leute gibt, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisch beobachten. Mit seiner Annahme, ohne Argo Nerd, die Twitter-Plattform ÖRR Blog, und ohne die Berichterstattung beispielsweise durch Tichys Einblick, die Welt und Publico blieben die meisten ARD-ZDF-Einzelfälle unter der Wahrnehmungsschwelle, liegt Bornheim ja durchaus richtig. Als der Deutschlandfunk-Mitarbeiter vorsichtig anmerkt, es handle sich bei den aufgespürten Zufällen ja immerhin um echte Fehlleistungen, meinte der ARD-Funktionär, ja gewiss, der Senderverbund korrigiere sich dann ja auch jedes einzelne Mal, wenn ihn andere erwischen würden: „Das stärkt unsere Glaubwürdigkeit.“ Überhaupt, „Glaubwürdigkeit ist das Beste, was wir anbieten können“. Was grundsätzlich für jedes Medium zutrifft, jedenfalls mit dem Zusatz: solange der Vorrat reicht.

Die Skandalscanner, deren Geschäftsmodell nicht darin besteht, von zwangsweise eingetriebenen Gebühren zu leben, trugen in den vergangenen Jahren einiges zusammen, beispielsweise das komplette Material zur ARD-ZDF-Dauerserie „Zufall vor der Kamera“. Dieser Text bietet nur einen schnellen Blick über alle Staffeln nach dem Muster ‚was bisher geschah‘.

Kurz vor der Wahl in Berlin 2023 berichtet die ZDF-Sendung Drehscheibe am 7. Februar unter der Überschrift „Expedition: Berlin wählt“; es geht um die auf Geheiß der grünen Verkehrssenatorin mit Holzkästen zwangsverkehrsberuhigte Friedrichstraße, für die sich außerhalb der Grünenwählerschaft niemand begeistert. Der ZDF-Reporterin elektrorollert eine junge Dame vor Mikro und Kamera, die – als Anwohnerin vorgestellt – das Straßentransformationsprojekt sehr, sehr gut findet: „Wahnsinnig ruhig, total schön ohne Autolärm, wahnsinnig entspannt“. Wie sich später durch die Nachrechercheure mit Geschäftsmodell herausstellt, handelt es sich bei der O-Ton-Geberin um eine Mitarbeiterin der Heinrich-Böll-Stiftung und Grünenpolitikerin.

Fast das gleiche passierte einem RBB-Team ebenfalls kurz vor der anderen Berlinwahl 2021; ein spontan vorbeiradelnder Bürger lobte damals im Filmbeitrag die grüne Fahrradpolitik („super“). Der ÖRR-Blog reichte die Daten zur Person nach: Georg Kössler, damals grüner Direktkandidat in Neukölln.

Schon 2017 konnte sich in einem MDR-Filmbeitrag knapp vor der Bundestagswahl eine als Normalbürgerin vorgestellte Leipzigerin über die hohen Mieten in der Stadt beklagen („in der DDR waren solche Preise nicht vorstellbar“). Von Hinz und Kunz unterschied sie sich dadurch, dass sie für die Linkspartei im Wahlkreis Leipzig I für den Bundestag kandidierte. Ihr zentrales Wahlkampfthema lautete: Wohnungsnot.

Auch wenn gerade keine Wahl ansteht, schnurrt die Zufallsserie zuverlässig ab. Die bekannteste Folge spielt in Leipzig 2019 in einem Geschäft der Leipziger Ökoladenkette Biomare. Für das ZDF erklärt Geschäftsführer Malte Reupert, er werde die Hirse eines bestimmten Biobauern jetzt nicht mehr verkaufen – denn der Hersteller gehöre zur AfD. Die Zuschauer erhalten keinen Hinweis, dass der Biomare-Chef seinerseits das Amt des Vorstandssprechers der Grünen in Nordsachsen ausübt.

„Die meisten Kunden stehen hinter der Entscheidung des Geschäftsführers“, lobt eine ZDF-Stimme aus dem Off. Zum Beweis kreuzt gerade im richtigen Moment eine Kundin namens Monika Lazar auf, die erklärt, es sei gut, dass die verdächtige Ware hier nicht angeboten werde, denn: „Ansonsten laufe ich in Gefahr, dass ich das kaufe. Und AfD-Hirse will ich nicht essen.“ Wie es der serientitelgebende Zufall wollte, saß Monika Lazar damals für die Grünen im Bundestag und zwar als Fraktionssprecherin für „Strategien gegen Rechtsextremismus“.

Hier kann jeder das ursprüngliche Stück und seine nachträgliche Bearbeitung durch das ZDF ansehen, nachdem Leute mit Geschäftsmodell auf die Doppelfunktion der beiden aufmerksam gemacht hatten:

Zu den jüngsten Folgen gehört die Episode im Bayerischen Rundfunk vom 1. Februar 2023 in der Sendung „Jetzt red i“, in der laut Sender Normalbürger zu Wort kommen dürfen. Ein Teilnehmer namens Nikolai Lipkowitsch verteidigt dort eloquent das Münchner Dieselfahrverbot. Lipkowitschs Funktion – grüner Kommunalpolitiker in München – blendete der BR nicht ein.

Neben der Zufallsserie läuft auch das Dauerformat „Der Experte“ seit Jahren, in dem ein smarter Zitatgeber oder eine Zitatgeberin auftritt, der oder die exakt die Botschaft bestätigt, die der Sender sowieso an die Zuschauer bringen möchte. Dass die Expertenperson sehr häufig zum grünen Funktionärs- und Profiteurskosmos gehört, erfährt die Öffentlichkeit durchweg ebenfalls nur durch die lästigen Fehlersucher mit Geschäftsmodell. Beispielsweise im Fall der Allzweckwaffe Johannes Hillje, von WDR-Monitor bis Deutschlandfunk als „Kommunikationsexperte“ unterwegs, gleichzeitig PR-Manager für die Grünen, in der Vergangenheit auch deren Europa-Wahlkampfmanager, außerdem Auftragnehmer der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zu den beiden Serien kommt noch ein kunterbunter Strauß an anderweitigen Manipulationen; der MDR etwa kopierte zusätzliche Schmerzensschreie in eine Aufnahme, die einen von der Polizei abgeführten Klimakleber zeigt. Das ZDF färbt einen Wasserdampf über einem Kernkraftwerk-Kühlturm dunkel, um ihn bedrohlich und irgendwie fossil aussehen zu lassen. Die ARD-Tagesthemen schnitten nach den Silvesterausschreitungen in Berlin das Interview mit einem Feuerwehrmann genau an der Stelle ab, an der er davon spricht, dass es sich bei den Gewalttätern, denen er gegenüberstand, fast durchweg um Jugendliche mit Migrationshintergrund handelte. Dazu kommen Klimageschichten über den halb ausgetrockneten Gardasee und erfundene Gletscherschmelzen im Mangfallgebirge, angereichert mit Agitationsstücken aus einem Themenpool, den offenbar rastlose Propagandaleiter der „Letzten Generation“, „Fridays for Future“ und ähnlichen Organisationen befüllen.

Alles in allem – und zur Illustration dieses Befundes dient die kleine Auflistung in diesem Text – alles in allem ergibt sich das Bild eines Senderimperiums, in dem sich die Zuständigen noch nicht einmal die Mühe machen, ihren Zuschauerbetrug wenigstens notdürftig zu verschleiern. Sie ähneln ein bisschen müden alten Mimen, denen die soundsovielte Aufführung ihrer billigen Klamotte selbst zum Hals heraushängt. Da rutscht schon mal die Perücke, die Pointen sitzen nicht mehr richtig, eine Sperrholzkulisse kracht zusammen, mürrische Bühnenarbeiter ruckeln sie wieder zurecht, während der Impresario kurz ins Scheinwerferlicht tritt und sich über die Handvoll Leute im Zuschauerraum beklagt, die nur nach Skandalen suchen.

Aber was heißt schon Betrug? Nach der Jurisprudenz setzt der eine Täuschungsabsicht voraus, die allerdings ins Leere läuft, wenn der Betreffende sowieso kaum noch Kredit genießt. Der öffentlich-rechtliche Apparat der Bundesrepublik befindet sich an dem gleichen interessanten Kipppunkt, über den schon die Staatsmedien der DDR hinweg mussten: Irgendwann in den Achtzigern glaubten selbst die meisten treuen Parteianhänger Funk, Fernsehen und Blättern nichts mehr. Sie konsumierten deren Produkte noch, um nach außen ihre Loyalität zu zeigen. Aber die Leute lösten sich von der Idee, sie für Nachrichten- und Erkenntnisquellen zu halten. Die Schlaueren unter ihnen kamen sogar auf den Gedanken, die ständige Agitprop konnte womöglich kontraproduktiv wirken. Wegen des begrenzten Repertoires einerseits und andererseits wegen der allgemeinen Ermattung, siehe oben, fand in den Medien aber kein Stilwechsel mehr statt.

Wenn ein Apparatschik eines mit 10 zwangsabgeführten Milliarden Euro pro Jahr gemästeten Imperiums ernsthaft verkündet, dessen Glaubwürdigkeit beruhe auf seinen widerwilligen und oft sehr nachträglichen Korrekturen in kleiner Schrift unter einem Beitrag im dummen Fall des Ertapptwerdens, um gleichzeitig durchblicken zu lassen, dass er winzige selbstfinanzierte Blogs und Einzelkämpfer, die seine Kreise stören, am liebsten plattmachen würde, dann, spätestens dann sollte der Medienkonsument ihm noch nicht einmal den Wetterbericht abkaufen. Was ARD und ZDF auszeichnet, ist nicht die einzelne Täuschung, sondern ihre Grundverlogenheit. Sie wissen, dass sie sich selbst zu Propagandaschleudern erniedrigt haben. Und sie wissen, dass die meisten ihrer Zuschauer das mittlerweile ebenfalls wissen. Inzwischen lässt sich auch in Gesamtdeutschland der gleiche kontraproduktive Effekt beobachten wie weiland in der DDR. Gerade jene, die Vorbehalte gegen das ganze grünwoke Projekt hegen, ruft den Bornheims, Böhmermanns, Reschkes et al. deshalb herzlich zu: unbedingt weitermachen.

Wer kümmert sich in diesem Land eigentlich um die Qualität der Medien? Wenn es darum geht, diese Aufgabe mit der Verteilung von Steuergeld zu verbinden, lautet die Antwort: Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Die Grundsätze ihrer Politik decken sich weitgehend mit denen der ARD- und ZDF-Anführer; beide ergänzen einander rotationssymmetrisch wie Yin und Yang. Roth verfügt über einen Geldtopf mit der Aufschrift „strukturelle Stärkung des Journalismus“. Bis zum 30. September dürfen sich Projektmacher um eine Mindestfördersumme von jeweils 200.000 Euro bewerben.

Eine Million gibt es 2023 insgesamt. Im vergangenen Jahr schüttete die rührige Medienpflegerin sogar 2,3 Millionen Euro aus, die ihrem Amt zufolge „dem stärkeren Sichtbarmachen von Qualitätsjournalismus“, der „Diversität des Journalismus“ und dem „Austausch und der Vernetzung von Journalistinnen und Journalisten“ dienen. Wer 2023 zu den Begünstigten gehört, ist naturgemäß noch offen. Beim Blick auf die Geldflüsse 2022 deutet sich aber die Richtung schon an. In der siebenköpfigen Jury, die im Mai 2022 über die Geldverteilung entschied, saßen Renate Schroeder, Direktorin der Europäischen Journalisten Föderation, die Leiterin der Deutschen Journalistenschule Henriette Löwisch, die Gründerin der „Neuen Deutschen Medienmacher“ und die spätere Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman, dazu die Deutschlandfunk-Journalistin Brigitte Baetz, Mirko Drotschmann, Moderator für das ZDF („Terra X“) und Geschäftsführer der Firma „Objective Media“, die Filme für Bundesbehörden und NGOs produziert; dazu der Dortmunder Journalistik-Professor Frank Lobigs und Professor Wolfgang Schulz von der Universität Hamburg, Direktor des Leibniz Instituts für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut.

Drei der 10 mit Geld bedachten Institutionen standen in unmittelbarer Verbindung mit Jurymitgliedern: Atamans „Neue Deutsche Medienmacher“ bekamen 200.000 Euro für das Programm „Stark für Vielfalt. Nachhaltige Strukturen für Diversität im Journalismus schaffen“, Löwischs Journalistenschule freute sich über 169.170 Euro. An die Universität Hamburg, vertreten durch Schulz, gingen 207.338,85 Euro. Roth versicherte, natürlich hätten die jeweils Betroffenen nicht mitgestimmt, als über Projekte aus ihrem eigenen Haus entschieden wurde. Das müssen sie auch nicht. Ein Abstimmungsergebnis von sechs zu null tut es schließlich auch. Dass niemand überhaupt in einer Jury sitzen kann, die über Geldvergabe an die eigene Institution entscheidet, versteht sich eigentlich so sehr von selbst wie die Regel, dass eine Journalistin nicht als Kundin getarnt ihrem eigenen Sender einen O-Ton liefert.

Wie bei ARD und ZDF spielen auch die Beteiligten in Roths fröhlicher Vergaberunde ganz offen mit ihren gezinkten Karten. Sie unternehmen gar keinen Versuch mehr, so zu tun als ob. Zu den Geldempfängern gehörte außerdem noch der Verein Correctiv (198.500 Euro), der niemals den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit böser Absicht scannen würde. Außerdem der „Verein für Medien- und Journalismuskritik“ (275.526,90 Euro), dessen Mitgründer Stephan Weichert zu den wichtigsten Vertretern des „konstruktiven Journalismus“ zählt, eine Art der Berichterstattung, die „lösungsorientiert“ arbeiten soll. Weichert veranstaltet mit dem NDR jährlich den „Constructive Journalism Day“. Das „Netzwerk Recherche“ brachte 200.000 Euro auf seine Seite; der Verein wiederum lobt Stipendien für junge Klimajournalisten aus, die völlig unvoreingenommen an ihre Arbeit gehen sollen.


Das Geld ging 2022 also fast komplett an Kräfte, die wertvolle Gegengewichte zu den kleinen böswilligen Accounts außerhalb der Prescripted reality bilden, zu denjenigen also, die dem ARD-Chefredakteur und anderen Mandarinen auf die Nerven gehen. In Roths Vergaberunde saß 2022 kein einziger Vertreter eines Mediums, das sich am Markt behaupten muss.

Für die Staatsministerin gibt es zum einen die über alle Zweifel erhabenen gebühren- oder staatsgeldgespeisten Medien, Vereine und Plattformen und die anderen, wobei dieser Teil wieder in die noch halbwegs Verkraftbaren und in die ganz Problematischen zerfällt. Wer auch nur wenige Jahre zurückblendet, dem fällt auf, dass die kleinen Accounts und jungen Medienunternehmen in Verbindung mit einigen wenigen Verlagen nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach Manipulationen absuchen. Es waren mediale Mavericks wie Hadmut Danisch und Don Alphonso, die das Sagengespinst einer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock aufdröselten. Vor allem Tichys Einblick machte das volle Ausmaß des Berliner Wahlsumpfs öffentlich. Argo Nerd und ÖRR Blog kamen schon mit einer Würdigung vor. Und ohne Publico und TE, in aller Bescheidenheit, würde die Öffentlichkeit das „Greentech Festival“ von Nico Rosberg, der Deutschen Bahn und anderen Beteiligten immer noch für ein honoriges grünes Unternehmen halten, das einen verdienten afrikanischen Ökostrompionier auszeichnet.

Für kleinere und kleinste Plattformen ohne Gebühren- und Roth-Millionen (um die in diesem Kreis auch keiner bitten würde) sieht die journalistische Bilanz nicht schlecht aus. Vor allem verglichen mit der Armada von öffentlich-rechtlichen Sendern samt Beibooten wie Netzwerk Recherche, Correctiv und anderen. Ein sicherlich verdienstvoller Oliver Schröm vom NDR mit seinen Cum-Ex-Recherchen macht angesichts des 10-Milliarden-ÖRR-Apparats nicht allzu viel her.

Hier, also bei der Problemanalyse treffen sich die Ansichten eines Marcus Bornheim und einer Claudia Roth, die jeweils stellvertretend für konstruktive Medien und für den wohlgesinnten Politbetrieb stehen: Ohne die lästigen Kräfte mit dem schlimmen Geschäftsmodell wäre die Gesellschaft besser dran. Die Versorgung der Guten mit Geld allein führt noch nicht zum gewünschten Ziel. Weitgehend unterhalb des öffentlichen Radars bereitet die EU gerade den „European Media Freedom Act“ (EMFA) vor, das „Europäische Medienfreiheitsgesetz“. Das enthält im Entwurf allerlei gutklingende Passagen, etwa für die Unabhängigkeit von Journalisten und gegen die Praxis, staatliche Gelder an genehme Medien zu verteilen. Der entscheidende Punkt besteht allerdings darin, dass das EMFA ein “European Board for Media Services” vorsieht, das auch private Medien beaufsichtigen soll. Eine solche Kontrollinstitution gab es bisher noch nie. Wozu auch? Alles für die Medienfreiheit Wichtige steht, was Deutschland betrifft, im Grundgesetz, nämlich Meinungsfreiheit und Zensurverbot.

Glosse - Das Netz spottet
#ARDfragt: Der zufällig vorbeikommende Passant
Optimisten glauben möglicherweise an die bekundeten guten Absichten im Gesetz. Andere reagieren darauf mit dem, wovon dieser Text handelt: Misstrauen gegen Institutionen mit ruinierter Glaubwürdigkeit. Den Euro führte eine politische Elite bekanntlich auch unter Regeln ein, die mit den heutigen nichts mehr zu tun haben. Aus einer einmal etablierten europäischen Medienaufsicht, dem Vorwurf staatszersetzender Delegitimierung, immerwährender Desinformationsbekämpfung und böswillig erweiterten Geldwäscheregeln ließe sich schon ein effizientes Zügelungsinstrument für lästige Medien basteln (der Geldwäschevorwand vor allem deshalb, weil viele neu gegründete Medien von freiwilligen Unterstützungsbeiträgen ihrer Leser leben). Es gibt keinen Grund, Figuren auch nur einen Millimeter über den Weg zu trauen, die Manipulation für ihr Gewohnheitsrecht und institutionelle Korruption für gutes Regierungshandeln halten. Aus ihrer Perspektive verhalten sie sich übrigens völlig rational. Wer nach seiner Vertrauensinsolvenz keinen neuen Kredit mehr bekommt, aber trotzdem irgendwie weiterwirtschaften will, muss zu anderen, nämlich gröberen Mitteln greifen.

Dass Claudia Roth das EMFA aus vollem Herzen unterstützt, versteht sich von selbst. In einem FAZ-Namensbeitrag dazu stellte sie vor allem heraus, welche Zustände damit bekämpft würden. „Wir können nicht zusehen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Mitgliedstaaten für Regierungsreklame oder Schlimmeres missbraucht wird. Wir müssen etwas tun, wenn staatliche Werbe- und Fördermittel nur an Günstlinge im Gegenzug für genehme Berichterstattung ausgeschüttet werden.“ Verhindern, so Roths Fazit, kann das nur ein EU-Medienaufsichtsgremium.

Als Humoristin der Mittelklasse kann sich die Staatsministerin immerhin noch sehen lassen. Aber Vorsicht: Auch von einer Figur, die wie die harmlose komische Alte auf der Bühne wirkt, geht eine Gefahr aus. Einen Schwank führen diese Leute nicht auf. Auch wenn es vielleicht so aussieht.

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