Maulkorb für den Industrie- und Handelskammertag (DIHK)

Dem DIHK werden nicht nur Äußerungen zur Energiepolitik untersagt, sondern auch Stellungnahmen zur Sozialpolitik, zum Mindestlohn, zur Rente, zum Verbraucherschutz, zu konjunkturellen Entwicklungen, zum Brexit, zu Strafsanktionen gegen Russland oder den Iran, zu Coronafolgen im Zuge eines Beherbergungsverbots usw.

imago images / Metodi Popow
Eric Schweitzer, DIHK-Präsident

Einer der wichtigsten Wirtschaftsverbände, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), die Dachorganisation der 79 regionalen Industrie- und Handelskammern mit ihren rund 3,5 Millionen Einzelunternehmen, wird sich „bis auf weiteres“ nicht mehr öffentlich zu Wort melden. Der DIHK beugt sich damit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2020, mit dem das Gericht die IHK Nord Westfalen zum Austritt aus dem DIHK zwingt. Bereits 2016 hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Äußerungen des DIHK zu allgemeinpolitischen Themen ohne wirtschaftsspezifischen Zusammenhang nicht von der Kompetenz der Industrie- und Handelskammern gedeckt seien. Aktueller Ausgangspunkt des Streits sind Äußerungen des DIHK gegen eine Erhöhung des Marktanteils von erneuerbaren Energien.

Der DIHK hatte unter anderem davor gewarnt, die internationale Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft durch eine verfehlte Klimapolitik zu gefährden. Der Verband hatte befürchtet, dass die Energiekosten der Wirtschaft durch eine Verschärfung der EU-Klimaziele oder die Einführung eines CO2-Preises für Benzin und Gas nach oben getrieben werden könnten. Dann würden Unternehmen Produktionen in Länder mit niedrigeren CO2-Kosten verlagern.

Dem Münsteraner Windkraft-Unternehmer Thomas Siepelmeyer behagen solche Äußerungen gar nicht. Seit 2006 führt er Klage gegen den DIHK – nach eigener Aussage als „Guerillakämpfer.“ Nun meinte er wörtlich: „Die Herren beim DIHK, finanziert durch meine Mitgliedsbeiträge, haben kein Recht, sich in gesellschaftspolitische Fragen einzumischen.“

Jetzt kann Siepelmeyer von seiner IHK Nord Westfalen sogar verlangen, dass sie aus dem DIHK austritt, weil letzterer mit allgemein-politischen Äußerungen angeblich seine Kompetenzen überschritten habe. Denn laut Gesetz ist die Tätigkeit der Kammern und des Dachverbands auf wirtschaftliche Angelegenheiten beschränkt. Problematisch ist das Urteil insofern, als offenbleibt, wo die Wirtschaft aufhört und die Politik beginnt. Jedenfalls werden dem DIHK nicht nur Äußerungen zur Energiepolitik untersagt, sondern auch Stellungnahmen etwa zur Sozialpolitik, zum Mindestlohn, zur Rente, zum Verbraucherschutz, zu konjunkturellen Entwicklungen, zum Brexit, zu Strafsanktionen gegen Russland oder den Iran, zu Coronafolgen im Zuge eines Beherbergungsverbots usw. Der öffentlichen Debatte fehlt damit eine manchmal unbequeme, aber kompetente Stimme. Es ist also ein Urteil mit Kollateralschaden.

Für den seit 2006 als „Kammerrebell“ bekannten Unternehmer Siepelmeyer besteht das Problem zudem darin, dass er gesetzlich zur IHK-Mitgliedschaft verpflichtet ist, er sich aber nicht für politische Äußerungen vereinnahmen lassen wolle. Diese Pflichtmitgliedschaft allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 bestätigt und auf den eindeutig „gesetzlichen Auftrag zur Vertretung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft“ verwiesen. Die Pflichtmitgliedschaft in einer IHK ist also mit dem Grundgesetz vereinbar. Einzelgesetzliche Grundlage ist das 1956 verabschiedete und seitdem mehrmals novellierte „Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern“ (IHKG).

Thomas Siepelmeyer, Diplom-Geologe, steht unter anderem für die „Davertwind GmbH“ (mit Aktivitäten in Südafrika und auf den Seychellen), für „Fair Trade in Gems and Jewelry“ und für das „Büro für Umweltgeologie“. Laut “Davertwind”-Website gehören zu ihren Tätigkeitsbereichen: „Planung, die Errichtung, der Betrieb und der An- und Verkauf von netzgekoppelten einzelnen Windenergieanlagen oder Windparks und anderen Anlagen regenerativer Energieerzeugung zur umweltschonenden Erzeugung und Lieferung von Energie und Veräußerung an Energieversorgungsunternehmen oder sonstige Abnehmer …“

Siepelmeyer firmiert zudem als “Afrika”-Experte und als Redner auf „Friday-for-Future“-Demonstrationen. Am 18. Oktober 2020 trat er dort vor rund 30 Versprengten für das „Solidaritätskomitee Münster“ sechs Minuten lang auf und wetterte unter anderem „gegen blöde Arschlöcher.“ Anfang 2020 wollte er sich als deren Schatzmeister und Schriftführer mit einer „Aktiven Liste“ in die NRW-Kommunalwahl einmischen. Dieser Plan ist dann – so die eigenen Angaben der „Liste“ – Corona zum Opfer gefallen.

Zurück zum Grundsätzlichen: Weil einem Nutznießer „grüner“ Energie nun womöglich die Felle davonzuschwimmen drohen, soll nun eine ökonomisch gewichtige Stimme verstummen. Vermutlich sind dem Münsteraner Windkraftunternehmer die allein im Jahr 2020 für Ökostromförderung ausgegebenen ungefähr 2,8 Milliarden Euro noch zu wenig.

Gar nicht gut ist es jedenfalls, dass ein „grüner“ Robin Hood Wirtschaftsfachleute dazu zwingen kann, jede auch nur in Ansätzen politische Äußerung auf die Goldwaage zu legen. Schon nach dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 2016 hatte der renommierte Kammerrechtsprofessor Winfried Kluth von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit Blick auf Wirtschaftsverbände nicht zu Unrecht betont, es sei fraglich, ob künftig „noch eine wirksame Interessenvertretung vor allem in den flüchtigen Medien möglich ist“. Das jüngste Urteil also ein Pyrrhussieg?

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Kommentare ( 47 )

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Spandexpanda
3 Jahre her

Besonders ärgerlich wird das ganze, wenn sich zeigt, dass der DIHK bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands recht hatte. Wir sind in den Jahren 2015-2019 von Platz 4 auf Platz 7 abgerutscht!

http://www3.weforum.org/docs/gcr/2015-2016/Global_Competitiveness_Report_2015-2016.pdf

http://www3.weforum.org/docs/WEF_TheGlobalCompetitivenessReport2019.pdf

Karl Schmidt
3 Jahre her

Das Urteil wäre verfehlt, soweit sich die DIHK nicht zu Kosten (z. B. Energie, Löhne) Wettbewerbsnachteilen, Energiesicherheit oder Sozialausgaben (die Beiträge und Steuern werden von Unternehmen – auch – gezahlt) äußern dürfte. Es gibt keine Abgrenzung zwischen Politik und Wirtschaft, denn Politik lebt von wirtschaftlichen Erträgen und setzt den rechtlichen Rahmen. Es gibt kaum politische Entscheidungen – gerade auch die sehr umstrittenen – die nicht gerade wirtschaftliche Bedeutung (für Bürger und Unternehmen) haben. Das gilt z. B. auch für die Zinspolitik der EZB oder die Abriegelung des öffentlichen Lebens durch die Politik. Weit großzügiger sind die Richter übrigens bei Politikern:… Mehr

christin
3 Jahre her

 Dann würden Unternehmen Produktionen in Länder mit niedrigeren CO2-Kosten verlagern.“

Tut das, die beste Möglichkeit dieses Land vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Ben Goldstein
3 Jahre her

Die Vereinigungsfreiheit, freedom of association, ist Artikel 20 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.
https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Documents/UDHR_Translations/eng.pdf

RMPetersen
3 Jahre her

Die Pflicht-Mitgliedschaften sind mE überholt.
Besser wäre, dass sich Akteure freiwillig zusammentun- oder auch nicht.

armin wacker
3 Jahre her

Über die Zwangsmitgliedschaft kann man sich streiten. ich persönlich muss allerdings sagen, dass ich in meiner Berufstätigkeit, die demnächst endet, sehr viel Unterstützung und Beratung seitens der IHK Nordschwarzwald erfahren habe.

MeHere
3 Jahre her

Für was brauchen wir Staatsfunk und IHK im derzeit aufgeblähten Umfang überhaupt – back to the roots – weniger ist mehr !

Hairbert
3 Jahre her

Um wieviel mehr müsste dann dieses „Äußerungsverbot“ – und mehr noch Beeinflussungsverbot! – für die zumeist durch nichts, zumindest aber eben nicht durch einen demokratischen Prozess legitimierten und mithin keinerlei Repräsentativität verkörpernden NGOs gelten!

honky tonk
3 Jahre her

Die Zwangsmitgliedschaft gehört abgeschafft!

johndoe19
3 Jahre her

Die Zwangsmitgliedschaft macht Position der Funktionäre dieser Einrichtung stark, denn ihre Mitglieder müssen fast jeden Mist hinnehmen, den diese Leute verzapfen.
Insofern finde ich es absolut richtig, dass sich diese Einrichtung nicht mehr politisch betätigen oder äußern darf. Sie hat durch den Zwang schlicht kein Mandat zur politischen Aktivität.

Darüber hinaus kann ich die IHK nicht leiden, da sie in der Vergangenheit (schon einige Jahre her) mehrfach versucht hat, bei mir (Freiberufler) rechtswidrig Beiträge einzuziehen.

Beobachterin
3 Jahre her
Antworten an  johndoe19

Auch ich (teils Freiberuflerin) habe mit dem Verein nichts zu tun und bin gezwungen zu zahen und ihre Wurfsendungen zu entsorgen. Dreist!