Inflation in Deutschland: Wie Meinungsmacher den Kaufkraftverlust schönreden

Erst argumentierten EZB und Bundesregierung, die Geldentwertung sei nur vorübergehend. Jetzt müssen sie sich korrigieren. DIW-Chef Marcel Fratzscher gibt eine neue Parole aus: Selbst die Inflation über vier Prozent sei „für die allermeisten kein Problem“.

IMAGO / Jürgen Heinrich
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Die Inflation in Deutschland nimmt Fahrt auf: Bis Ende des Jahres dürfte sie die Marke von drei Prozent auf das Gesamtjahr erreichen oder überschreiten. Im September 2021 übersprang die Geldentwertungsrate für die Bundesrepublik zum ersten Mal vier Prozent. Mittlerweile räumt die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel ein, dass sich die Geldentwertung auch 2022 weiter fortsetzen wird. „Es wäre voreilig zu behaupten, dass die derzeitige Preisdynamik nächstes Jahr völlig abklingen wird“, meinte Schnabel kürzlich. Noch vor wenigen Monaten hatte sie die Ansicht vertreten, der Inflationsschub werde nur kurz andauern und spätestens 2022 wieder abflauen.

Ganz ähnlich schätzte die Bundesregierung noch in der Jahreshälfte 2021 die Inflation in Deutschland für 2022 nur noch auf 1,4 Prozent, und spielte damit den Geldwertverfall herunter. Damit begründet die EZB bis jetzt, dass sie nicht zur strafferen Geldpolitik zurückkehrt. Anders als die Fed in den USA plant sie keine Verringerung des Anleihenkaufprogramms. Eine Erhöhung des Leitzinses von derzeit Null und des Einlagezinses von minus 0,5 Prozent diskutiert sie überhaupt nicht.

Vor allem die Energiepreise treiben die Geldentwertung. In Deutschland verschärft der Staat diesen Effekt noch zusätzlich mit der CO2-Steuer, die in mehreren Stufen steigen soll.

Umso erstaunlicher wirkt es, dass einer der führenden Ökonomen Deutschlands jetzt sogar eine länger anhaltende Inflation von vier Prozent oder mehr für weitgehend problemlos erklärt. „Für die allermeisten Menschen“, erklärt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), per Twitter, sei eine Inflation von vier Prozent „kein Problem“.

Fratzscher gilt als regierungsnaher Ökonom, der vor allem die SPD mit seinen Analysen versorgt. Nur für Hartz-IV-Bezieher, so Fratzscher, stelle der Kaufkraftverlust ein Problem dar. Seine Argumentation ist bemerkenswert. Denn bei einer Inflation von vier Prozent muss ein Arbeitnehmer oder Selbstständiger sein jährliches Einkommen bei den in Deutschland üblichen Steuersätzen brutto schon um sechs bis sieben Prozent steigern, um wenigstens keinen Realeinkommensverlust zu erleiden.

Noch härter trifft es die Sparer: Das Portal „Tagesgeldvergleich“ schätzt die Höhe der Strafzinsen, die die EZB in diesem Jahr den deutschen Banken und Sparkassen für die Geldeinlagen berechnet, auf insgesamt 4,3 Milliarden Euro. Mehr und mehr Banken geben diese Negativzinsen an ihre Kunden weiter. Dazu kommt der Kaufkraftverlust durch die Inflation selbst, den das Portal für die Kontoinhaber allein 2021 insgesamt auf gut 50 Milliarden Euro schätzt. Schon bei einer Inflation von durchschnittlich zwei Prozent über 11 Jahre löst sich ein Fünftel des Ersparten in Luft auf. Dazu kommt das Problem, dass die Ersparnisse der Deutschen im internationalen Vergleich ohnehin sehr bescheiden ausfallen.

Fratzschers These, Inflation sei trotzdem für die meisten gar kein Problem, dürfte als Argumentationsstütze für die künftige Bundesregierung dienen, die Geldentwertung nicht zu bremsen, sondern im Gegenteil noch weiter anzufeuern – zum einen durch die schon erwähnte CO2-Steuer, zum anderen durch die Anhebung des Mindestlohns.

Der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie Michael Vassiliadis machte gerade darauf aufmerksam, wie stark der Preisauftrieb nur im Stromsektor mittlerweile auf die Kaufkraft durchschlägt.

Das kann durchaus als Ankündigung harter Tarifverhandlungen für 2022 verstanden werden – die auch nötig wären, um Beschäftigte vor einem Reallohnverlust zu schützen. Allerdings: Genau dadurch droht Deutschland im kommenden Jahr sehr wahrscheinlich eine Lohn-Preis-Spirale. Denn die Unternehmen werden die höheren Lohnkosten an die Konsumenten weitergeben.

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Kommentare ( 39 )

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Fatmah
2 Jahre her

Wie bitteschön rechnet man denn die Inflation auf nur 4% schön?
Allein die Spritpreise sind binnen Jahresfrist um 25% gestiegen, kaum ein Lebensmittel ist nicht um mindestens 10% teurer geworden. Selbst Bußgelder sind drastisch verteuert worden. Wird wahrscheinlich wie bei den Arbeitslosenzahlen sein, die unter 5% liegt, bei 3 Millionen Arbeitslosen + 3,8 Millionen Hartz 4 Empfängern.

Iso
2 Jahre her

Erst gab es nur keine Zinsen, jetzt kommt auch noch Inflation dazu. Aber Fratscher hat recht, die meisten Menschen in Deutschland, und das sind weit über die Hälfte, haben nichts auf der hohen Kante, die leben den Rest des Monats vom Dispo. Sie besitzen nichts, und sind sehr glücklich, würde Klaus Schwab und der ihm sehr verbundene Davos Club sagen. Den Angestellten des Großkapitals, bis auf Martin Schulz und Annalena Baerbock alles Millionäre, macht die 4% Inflation auch nichts aus. Deren Kohle steckt eh in Immobilien, die in den letzten 10 Jahren jeweils 10% p.a. zugelegt haben. Wenn jetzt mal… Mehr

F.Peter
2 Jahre her

Ein Blick auf die Preisanzeige an den Tankstellen und jeder wird bemerken, was da los ist. Spritpreis seit Jahresanfang um satte 50% gestiegen! Und wer seine alltäglichen Einkäufe erledigt, erlebt an der Kasse immer öfter, dass er weniger im Wägelchen und anschließend noch weniger im Geldbeutel hat!
Es wird nicht mehr lange dauern und die Politiker und ihre Schleimer reden wieder von der „gefühlten“ Inflation!

Riffelblech
2 Jahre her

Den staatsnahen Dummschwätzern der aus den Reihen der Ökonomen kann man so viel vertrauen wie dem Fuchs auf dem Hühnerhof. Fakt ist doch : alle Steuern und Abgaben zusammengenommen ,welche ein Arbeitnehmer aufzubringen hat liegen etwa zwischen 70—80% . Da freuten sich die Bauern aus dem Mittelalter über ihren „ Zehnten „ als Abgabe . Wenn dann noch vom verbleibenden erbärmlichen Rest zusätzlich abkassiert wird ist eine unerträgliche Schmerzgrenze erreicht ,die vielfach nahe am Hunger ,an der Kalten Wohnung und am Existenzminimum kratzt. Aber alles ja gar nicht so schlimm, wir ( die Regierung) haben eben mal 17,8 Mrd Euro… Mehr

usalloch
2 Jahre her
Antworten an  Riffelblech

Die 17,8 Milliarden waren eine “Investition” die über 2 Jahrzehnte angelegt war.
Da war ein Minister Spahn , der für unnütze Masken in einem Zeitraum von 12 Monaten 7,3 Milliarden verplemperte, ein anderes Kaliber. “Die erste Generation baut auf, die zweite erhält das Unternehmen, und die dritte heiratet in Künstlerkreisen.“

Der-Michel
2 Jahre her

Heinz Becker, Saarländer, bemerkte dazu immer: „Dummschwätzer“

Aegnor
2 Jahre her

Fratzscher ist der Hofökonom (oder besser Hofastrologe) der SPD. Den nimmt keiner seriöser Wirtschaftswissenschaftler oder -journalist mehr ernst. Von wegen „führender Ökonom“. Interessant bzgl. Inflation ist wie panisch alle beteiligten versuch(t)en die Inflation zu leugnen oder mittlerweile halt herunterzuspielen. Die Absicht ist klar – man will um jeden Preis verhindern, dass die Gewerkschaften in den neuen Tarifrunden einen auch nur annähernden Inflationsausgleich verlangen. Denn dann kommt die Lohn-Preis-Spirale so richtig ins rotieren und die Inflation lernt endgültig zu galoppieren. Dennoch wird an entsprechenden Lohnerhöhungen kein Weg vorbei führen. Denn der ÖD (inkl. Beamte) wurde ja schon versorgt – mit den… Mehr

Stephan K.
2 Jahre her

Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder ökonomische noch physikalische Gesetze auf.

Nibelung
2 Jahre her

Wenn es nur 4% wären, dann könnten viele noch damit leben, aber es ist derzeit nur der Durchschnitt aller Dienstleistungen und Produktionen und es wird auch teilweise noch schöngerechnet, damit die Leute keine Panik bekommen, weil sonst etwas einsetzt, was sie überhaupt nicht gebrauchen können und den Untergang beschleunigen werden. Die Durchschnittspreiserhöhungen bei Konsumgütern liegen schon weit höher und deshalb ist der errechnete Schnitt eine glatte Lüge, ähnlich wie die Corona-Opfer auf der Intensiv-Station, wo jedermann weiß, daß dies im genannten Umfang nie stattfand. Auch er auf dem Bild scheint ein Symphatisant der grünen Idiologie zu sein, indem er gestern… Mehr

CIVIS
2 Jahre her

Und die EZB läuft -wie bisher schon- einer von ihr nicht mehr zu beeinflussenden Entwicklung hinterher und wird sich wohl bald wieder der Realität ergeben und eine neue Parole ausgeben. Nicht nur wie bisher 2%. Nein, …demnächst werden bis zu 10% Inflation wünschenswert und verkraftbar sein, …das Ganze wird natürlich nur vorübergender Natur sein und natürlich absolut keinerlei Gefahr für irgendwen oder irgendwas darstellen ! Die „reale Inflation“ bestimmt also ab sofort, was die EZB als „wünschenswert“ und noch verkraftbar nach außen publiziert! Die EZB ist saft-, kraft- und machtlos und kann dieser Entwicklung nur noch hinterherlaufen! Sie hat ihr… Mehr

Teiresias
2 Jahre her

Nach aufmerksamen Studium solcher Verlautbarungen fehlt mir irgendwie die entscheidende Information:

Wie vertragen sich 4% Inflation mit der in den Euro-Verträgen festgeschriebenen Preisstabilität?

Ist das kein offener Vertragsbruch mehr, wenn der Herr Fratscher meint, wir seien so reich, daß wir mit dem Vertragsbruch leben könnten?

Wird Diebstahl legal, wenn Diebstahlexperten meinen, dem Bestohlenen würde genug übrig bleiben?

Wenn wir noch einen funktionierenden Rechtsstaat hätten, würden die sich das nicht trauen!