Frankfurter Rundschau – Das gesammelte Schweigen des Geburtstagskinds

Die Frankfurter Rundschau wird 70

In diesen Zeiten freut man sich über jede Zeitung, die es noch gibt – auch über die linksliberale „Frankfurter Rundschau“, die jetzt 70 wird. Das Geburtstagskind hatte vor ein paar Jahren schon auf dem Totenbett gelegen, umso verständlicher ist die Freude der Redaktion, dass das Blatt noch lebt. So feiert sie sich – unter anderem mit einer nostalgischen Beilage.

Zwei Dinge sind der FR besonders wichtig, wie die Chefredakteure den „lieben Leserinnen, lieben Lesern“ mitteilen: Der Kampf gegen den Totalitarismus und „der Kampf gegen die Lüge und damit für die Wahrheit.“ Fragt sich nur, was Lüge, was Wahrheit ist. Konrad Adenauer jedenfalls ging von drei Wahrheiten aus: der einfachen, der reinen und der lauteren. Nun, in Bezug auf ihre eigene Geschichte begnügt sich die FR jetzt mit der einfachen Wahrheit – der Rest ist Schweigen.

In der Chronik fehlt, was für das Überleben der Zeitung in den neunziger Jahren essentiell war: die Auslastung ihrer Druckerei durch Großaufträge aus dem Hause Springer, eine BILD-Teilauflage inklusive. Von wegen „Enteignet Springer“, wie in Ehren ergraute FR-Veteranen einst skandierten.

2013 drohte der FR nach vielen Krisen das endgültige Aus. Die Springer-Aufträge waren weg, den Anteilseignern DuMont Schauberg und der SPD-eigenen Medienholding DDVG wurden die Verluste zu hoch. Doch die Rettung kam: „Die Frankfurter Societät und der FAZ-Verlag übernehmen die FR“, heißt es in der Chronik lapidar.

Das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Die Societät gehört ebenso wie die „Frankfurter Allgemeine“ zur Fazit-Stiftung, in der wiederum die FAZ das Sagen hat. Im Klartext: Die FR gehört faktisch zu 90 Prozent der FAZ. So genau soll es der Rundschau-Leser – rot-grün gesinnt, gewerkschaftsfreundlich und immer noch vom antikapitalistischen Geist von 1968 ff. beseelt – jedoch gar nicht wissen.

Und dann gibt es in der Chronik noch das schöne Bild vom neuen Redaktionsgebäude. Man liest: „Mainzer Landstrasse 199. Das neue Heim der Redaktion. Geteilt mit vielen anderen, aber zentral gelegen. Mittendrin, da wo eine Redaktion hingehört.“

Mittendrin, das heißt in diesem Fall einen Steinwurf entfernt vom Sitz der FAZ. Gegenüber einem Häuserblock, in dem FAZ und Societät ihren Sitz haben. Hier handelt es sich sozusagen um historisches Gelände – und um ideologisch vermintes obendrein. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre war dieser Block häufig ein Schlachtfeld. Denn in der damals noch dort beheimateten Societäts-Druckerei wurde neben der FAZ auch eine Teilauflage von BILD gedruckt. Deshalb zogen außerparlamentarische Oppositionelle, darunter viele FR-Leser und manch späterer FR-Redakteur, häufig zum FAZ-Gelände, blockierten die Ausfahrt und riefen: „Enteignet Springer!“

Sie haben es halt nicht leicht, die Rundschau-Redakteure. Früher lebten sie indirekt vom „Klassenfeind“ Springer. Heute haben sie ihren Platz unter dem Dach der FAZ gefunden, jener FAZ, die von allen aufrechten Linken als „Zentralorgan des Großkapitals“ geschmäht wird. Die Rache der Geschichte an jungen Revolutionären besteht eben nicht nur darin, später im Frack und mit Orden zum Opernball gehen zu müssen, wie der österreichische Real-Sozialist Bruno Kreisky zu spotten pflegte. Manchmal fällt die Rache der Geschichte noch grausamer aus. So grausam, dass die FR sie lieber verschweigt. Happy Birthday!

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