Baerbock erfindet Schock-Daten zu Meeresspiegelanstieg

Sieben Meter Meeresspiegelanstieg bis 2100: Die Grünen-Kandidatin droht mit einem Szenario, das selbst die pessimistischsten Prognosen des IPCC noch um mehr als das sechsfache übertrifft. Auch in der Klimapolitik zeigt sich die Politikerin als dilettierende Apokalyptikerin.

IMAGO / Future Image

In dem „Triell“ am Sonntag griff die grüne Kandidatin Annalena Baerbock in der Klima-Frage an einem Punkt ihre Konkurrenten Armin Laschet von der Union und Olaf Scholz von der SPD gleichermaßen an: Beide würden zu wenig gegen die Klimaerwärmung tun und für „weiter so“ stehen. Ihren Vorwurf illustrierte sie mit dem schon sprachlich etwas konfusen Satz: „Das heißt, Sie sagen einem Kind, das heute geboren ist, das im Jahr 2100 achtzig Jahre ist, sieben Meter Meeresanstieg.“

Sieben Meter Meeresspiegelanstieg gibt es also bis 2100, falls nicht alle grünen Pläne und Wünsche verwirklicht werden – so lautet der Kern von Baerbocks Aussage. Tatsächlich ist die Zahl der Grünen-Politikerin völlig abstrus: Nicht einmal das pessimistischste Szenario des IPCC geht auch nur annähernd von einem Meeresspiegelanstieg von 700 Zentimetern in nur 79 Jahren aus.

Laut Daten der Nasa stieg der Meeresspiegel von 1900 bis 2020 global um etwa 20 Zentimeter. Zwischen 1993 und 2020 lag die jährliche Steigerung relativ stabil bei 3,3 Millimetern. Schon diese Daten zeigen: Selbst, wenn sich der Trend verstärken sollte, wären bis 2 100 nur sehr viel bescheidenere Meeresspiegelhöhen möglich. Das IPCC geht in einer 2019 veröffentlichten Stellungnahme von zwei Szenarien aus – einem wahrscheinlichen und einem dramatischen. In dem wahrscheinlichen beträgt der Anstieg bis 2100 zwischen 30 und 60 Zentimetern. Die dramatische Projektion („wenn Treibhausgas-Emissionen stark steigen“) prophezeiht 60 bis 110 Zentimeter mehr bis 2100. Im Original des Berichts heißt es:

“Sea level will continue to rise for centuries. It could reach around 30-60 cm by 2100 even if greenhouse gas emissions are sharply reduced and global warming is limited to well below 2°C, but around 60-110 cm if greenhouse gas emissions continue to increase strongly.”

Allerdings beruhen die IPCC-Prognosen für die starke Steigerung auf einer unrealistischen Annahme des CO2-Ausstoßes, für den gut doppelt so viel fossile Stoffe verbrannt werden müssten, wie sie nach heutiger Erkenntnis überhaupt im förderbaren Zustand auf der Erde vorkommen. Aber selbst der Maximalwert dieses schwärzesten, dramatischsten und unwahrscheinlichsten IPCC-Szenarios für das CO2 in der Atmosphäre und die Meeresspiegelentwicklung beträgt immer noch gerade gut ein Sechstel dessen, was Baerbock der Öffentlichkeit bis 2100 androht.

Woher kommt die ominöse Zahl der sieben Meter eigentlich? Sie stammt aus einer seit vielen Jahren durch die Klimadebatten zirkulierenden Modellrechnung für einen maximalen Meeresspiegelanstieg, der dann erreicht wäre, wenn sämtliches Festlandseis weltweit – der Eispanzer Grönlands und alle Gletscher – vollständig abschmelzen würden. Dieser Prozess würde allerdings mehr als 1000 Jahre in Anspruch nehmen, und eine ebenso lange Wärmephase voraussetzen. Offenbar war in Baerbocks Gedächtnis die Überschrift dieser Sieben-Meter-Modellrechnung hängengeblieben, allerdings nicht ihr Zusammenhang, und sie mixte diesen Informationsfetzen mit der allgemein üblichen Zielmarke der Klimapolitik, dem Jahr 2100. Ihre „sieben Meter Meeresanstieg“ für das eben geborene Kind reiht sich ein in ihre erstaunlichen Patzer und Wissenslücken in diesem Klimawahlkampf.

In einer Talkshow verkündete sie, jeder Deutsche stoße pro Jahr „neun Gigatonnen CO2“ aus. Tatsächlich sind es gut 9 Tonnen pro Kopf und Jahr – also eine Milliarde Mal weniger. In einem Tweet sprach sie später vom „CO2-Verbrauch“, der bei Wohlhabenden höher sei als bei Ärmeren.

Baerbocks Satz aus dem Triell ist nicht nur wegen der Eismenge und des Zeitverlaufs purer Unsinn, sondern auch wegen des globalen Maßstabs. Denn die Politikerin suggeriert, dass die Maßnahmen, die sie mit ihrer Partei in Deutschland durchsetzen will – schließlich geht es um die Bundestagswahl, nicht die Kür einer Weltregierung – die die Entwicklung des Meeresspiegels wesentlich steuern könnten. Tatsächlich fällt der Einfluss Deutschlands mit etwa zwei Prozent des weltweiten menschengemachten CO2-Ausstoßes denkbar gering aus.

In der Rolle einer Globallenkerin sieht sich die Grünen-Kandidatin tatsächlich, obwohl ihre Partei in den Umfragen gerade bei 15 Prozent steht. In einem Welt-Interview sagte Baerbock vor kurzem: „Ich will die Krisen dieser Welt lösen.“

Screenprint: welt.de

Gleichzeitig wiederholt sie in einem Wahlwerbe-Video und auch auf Kundgebungen den Endzeitsatz, die nächste Bundesregierung sei „die letzte, die dem Klimawandel noch aktiv begegnen kann“.

Fazit: Obwohl die Grünen die Klimapolitik zum zentralen Politikbereich erklären, dem sich alles andere unterordnen soll, und für dieses Feld auch die alleinige Kompetenz beanspruchen, operiert ihre Kanzlerkandidatin auch hier nur mit Textbausteinen, flüchtig angelesenen Stichpunkten und apokalyptischem Gedröhne, das vor allem viel Angst erzeugen soll – aber keine Kompetenz in der Sache vermuten lässt.

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