Das Migrationsbild ist alles andere als schwarz-weiss

Ein Sonntag Abend zwischen Fernsehen und Lesen.

Wenn die Spitzen der EU noch zusammensitzen und noch keinen Plan verkünden, wenn sie als nichts zu sagen haben, also sozusagen nichtser als normal nichts, holen ARD und ZDF einen, der von Amts wegen nichts zu sagen hat und deshalb immer bereit ist, etwas zu sagen, wenn es nichts zu sagen gibt. Am gestrigen Sonntag aber hat Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, allen ein Schnippchen geschlagen. Er hat – gemeiner Weise – die Wahrheit gesagt: „Wir hangeln uns von einem Treffen zum anderen, weil wir keine Lösung haben.“

Auf Rainald Beckers Frage, ob Schulz zuversichtlich ist, dass die Regierungschefs den von EU-Präsident Jean-Claude Juncker vorgelegten 16-Punkte-Plan in die Tat umsetzen, antwortete Schulz schon wieder wahrheitsgemäß: „Das große Problem hier ist, dass vieles angekündigt, aber später nicht umgesetzt wird.“ Es habe ihn gewundert, und das sei ja schließlich nicht irgendjemand, was der Hohe UN-Flüchtlingskommissar (UNHCR) den Versammelten widmete: „Ihr müsst diejenigen, die kein Bleiberecht haben, auch zurückführen.“

Da hätte ich mir eigentlich einen guten Spielfilm suchen oder gleich in Andreas Rödders Buch, „Eine kurze Geschichte der Gegenwart“ weiterlesen können, dessen achtes Kapitel auf das Jahr 1990 schaut und zur Neuordnung festellt, dass „sie aus der Situation geboren wurde und kein großes Design besaß, wie die Ordnungen von 1648 und 1815 es besessen hatten.“ Ein Satz, den der Historiker später auch über das Jahr 2015 wird sagen müssen: kein großes Design, nur Schrittchen um Schrittchen.

Dass die EU für zweimal 50.000 Migranten Unterbringung auf der Balkanroute schaffen will, ließ mich in der Berichterstattung wieder vermissen, was die BBC vor Tagen meldete, dass sich nämlich neue 500.000 Zuwanderer in Griechenland versammelt hätten. Die BBC spricht übrigens in ihren Berichten grundsätzlich von Migranten und begründet das so:

„The BBC uses the term migrant to refer to all people on the move who have yet to complete the legal process of claiming asylum. This group includes people fleeing war-torn countries such as Syria, who are likely to be granted refugee status, as well as people who are seeking jobs and better lives, who governments are likely to rule are economic migrants.“

Anne Gellinek vom ZDF komplettierte Martin Schulz mit „europäische Endzeitstimmung“. Als ich beide in Wort und Bild verkraftet hatte, ihre Gesichter sagten mimisch, ich glaube gar nichts mehr, erfuhr ich von der Katholischen Bischofssynode das gleiche: Eher vage sei ihr Ergebnis, die unterschiedlichen Auffassungen der Bischöfe in den verschiedenen Weltteilen seien eben sehr erheblich. Und dabei sind sie doch alle römisch-katholisch.

Uli Gack überrascht mich dann in der ZDF-Reportage damit, dass Flüchtlinge in die schwer zerstörte Stadt Homs zurückkehren. Dass es sich bei ihnen um Flüchtlinge handelt, braucht keine Asylprüfung. Beeindruckend die Ärztin, für die es nie in Frage kam wegzugehen und die Herren auf dem primitiven Straßenmarkt inmitten der Trümmer, die ihren Landsleuten zurufen, sie sollen zurückkommen. Das Migrationsbild ist alles, nur nicht schwarz-weiss.

FAZ-Monatsbericht: Der Politik wird keine Lösung zugetraut
Migrationskrise: Politikversagen spaltet
Bei Günter Jauch fordert der Schweizer Journalist Frank A. Meyer, der in Berlin lebt, eine Festung Europa, nicht mit Mauern oder Stacheldraht, sondern in Verteidigung der Werte Europas. Er ist es, der die Ergebnisse des FAZ-Monatsreports zitiert, wonach viele in Deutschland ihre Meinung nicht mehr sagen und wie sehr immer mehr überzeugt sind, die Politik hat die Kontrolle verloren. Ulrich Jörges schildert, direkt zurück von der Grenze zu Kroatien, warum Slowenien mit 13. – 14.000 Migranten täglich völlig überfordert sein muss. Alle beklagen, dass die EU nichts rechtzeitig tat und noch immer nichts tut außer reden. Jörges meint, jetzt beweise sich, die EU sei nie eine Wertgemeinschaft geworden.

Zu später Stunde bestätigt sich, dass Jaroslaw Kaczyński mit seiner nationalkonservativen Partei PiS die polnischen Wahlen gewonnen hat. Die Achse Budapest-Warschau steht damit, andere Hauptstädte werden folgen.

Wieder bei Rödders Buch lese ich: „Europa verweigere einen konstruktiven Umgang mit dem Thema Migration, kritisierte der britische Ökonom und Migrationsforscher Paul Collier. Statt über legale Zugangsmechanismen (wie das kanadische Punktesystem oder das amerikanische Green-Card-Verfahren) führten die Süd-Nord-Wege nach Europa über Familiennachzug oder das Asylrecht. Die Folgen sind Menschenschmuggel und organisierte Krimininalität sowie eine Überlastung des Asylrechts. Die Lösung sowohl des Asyl- als auch des Zuwanderungsproblems sieht Collier in einem großzügigen, aber auf klar definierte Gruppen und Länder begrenzten Asylrecht sowie eindeutigen Regeln für qualifizierte Einwanderung mit klaren Chancen und deutlichen Grenzen.“

Nächsten Sonntag greife ich früher zum Buch.

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