Von wegen Zeitenwende: Der Bundestag langweilt sich mit der Bundeswehr

Angeblich sind die Bundeswehr und ihre Misere seit der "Zeitenwende" der Politik wichtig. Doch der Bericht der Wehrbeauftragten Eva Högl, der diese Missere illustriert, scheint im Bundestag weiterhin wenig zu interessieren.

IMAGO / Political-Moments
Eva Hoegl Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages gemeinsam mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei der Vorstellung des Jahresberichts im Bundestag, 20.04.2023

Am 14. März 2023 hatte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) vor der Bundespresse den alljährlich anstehenden Bericht ihres Amtes vorgestellt. TE berichtete noch am gleichen Tag darüber.

Nun präsentierte Eva Högl den seit Bestehen der Bundeswehr insgesamt 64. Bericht dieser Art dem – allerdings wieder einmal sehr schwach besetzten – Plenum des Bundestages. Zehn Minuten waren ihr dafür eingeräumt, für einen Bericht, der insgesamt 172 Seiten lang ist. Högl nutzte diese Zeit, um vor allem auf Finanzierungs- und Rüstungsfragen einzugehen. So sagte sie unter anderem: Das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr sei nicht ausreichend, um die volle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte herzustellen. Sie bezifferte – „nach Einschätzung militärischer Experten“ – den Bedarf auf 300 Milliarden Euro. Auch verwies sie darauf, dass von den derzeit erreichten 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato noch einiges fehle. Högl mahnte vor allem eine deutlich schnellere Beschaffung von militärischer Ausrüstung an. Zwar sei mit den Beschlüssen zur Beschaffung des F-35-Jets als Nachfolger für den Tornado, eines neuen Schweren Transporthubschraubers, bewaffneter Drohnen, neuer Sturmgewehre oder neuer digitaler Funkgeräte der richtige Weg beschritten worden. Bei den Soldaten sei im Jahr 2022 aber „noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen“. Um die anvisierte Sollstärke von 203.000 Soldaten bis 2031 zu erreichen, müsse die Bundeswehr nach Einschätzung Högls ihre bisherigen Anstrengungen bei der Personalgewinnung „massiv verstärken“. So habe sich etwa das Bewerberaufkommen gar um rund elf Prozent verringert. 

Rüstungsdesaster statt "Zeitenwende":
Was bei der Beschaffung für die Bundeswehr anders werden muss
Interessant freilich ist, welche Schwerpunkte allein hinsichtlich des Umfangs auf den 172 Seiten selbst zu finden sind. Das umfangreichste Kapitel gilt mit 25 Seiten dem Personal. Interessant ist auch, welches Thema reichlich schmal abgehandelt wird, nämlich „die Refokussierung der Bundeswehr auf Landes- und Bündnisverteidigung“ (2 Seiten). Indes fehlt auch ein „wokes“ Thema nicht, nämlich das Thema „Transidentität“ (1/2 Seite). Hier hofft Högl auf Initiativen des Bundesinnenministeriums zur sprachlichen Gleichstellung des dritten Geschlechts und nicht-binärer Geschlechtsidentitäten.

Dahinplätschernde Aussprache

Der Högl-Rede schloss sich eine 80-Minuten-Aussprache an, in der neben Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD; 10 Minuten) insgesamt 13 Fraktionssprecher für zwei bis acht Minuten zum Zug kamen: 3 von der CDU/CSU, 3 (!) von der kleinsten „Ampel“-Fraktion FDP, 2 von der SPD (Pistorius nicht mitgerechnet), 2 von den Grünen, 1 von der Linken, 1 von der AfD und 1 Fraktionsloser. Von zwei Interpellationen des stets übermotivierten SPD-MdB Johannes Arlt abgesehen. Alle freilich machten pflichtschuldig ihre Verneigung vor Eva Högl und dankten mehr oder weniger wortreich.

Wir räumen ein, dass wir uns nicht alle 14 Reden der Aussprache angetan haben. Vier haben wir uns vorgenommen.

Verteidigungsminister Pistorius betonte die Ernsthaftigkeit, mit der das Thema Bundeswehr jetzt diskutiert werde, und dass er mit Eva Högl in der Einschätzung der Lage und der Herausforderungen einig sei. Alles müsse besser, schnell, kraftvoller angepackt werden. Pistorius kritisiert explizit nicht die Soldaten, sondern die Strukturen. Letztere wolle er anpacken – im Interesse der Landesverteidigung und auch der Hilfe für die Ukraine.

Kerstin Vieregge (CDU/CSU) spart ebenfalls nicht mit Lob für Eva Högl und nannte deren Bericht einen Warnschuss. Hart ins Gericht ging sie mit der Bundesregierung insgesamt, die das erste Jahr nach der so genannten Zeitenwende verschlafen habe. Vieregge kritisierte, dass der reguläre Etat der Bundeswehr für fünf Jahre gar von 50,4 auf 50,1 Milliarden abgesenkt und eingefroren worden sei, und sie schloss sich der Einschätzung an, dass die Bundeswehr nicht 100, sondern 300 Milliarden zusätzlich brauche.

Taube auf dem Dach oder Spatz in der Hand
Transporthubschrauber CH-47F Chinook für die Luftwaffe
Die nächste Rede, die der „grünen“ Abgeordneten Merle Spellerberg, haben wir nicht bis zum Ende geschafft, sondern nach zwei Minuten weggeklickt. In diesen zwei Minuten, in denen sie ansetzte, Högls Bericht zu paraphrasieren, schaffte sie es zehnmal, den „gendergerechten“ Glottisschlag (Schluckauf oder Zungenschnalzer) auszusprechen – oder sie bemühte sich darum: Bürger*innen, Ukrainer*innen, Kolleg*innen, Soldat*innen. Da war nach zwei Minuten nicht viel anderes in weiteren vier Minuten zu erwarten.

Etwas Lebhaftigkeit kam mit und nach der 4-Minuten-Rede des AfD-Abgeordneten Hannes Gnauck auf. Er reklamierte für seine Fraktion, dass all das, was die „Ampel“ jetzt plane, von der AfD schon vor mehreren Jahren verlangt worden sei. Er meinte auch, dass die deutschen Waffenlieferungen der Ukraine weniger helfen, als sie der Bundeswehr schaden. Den „Grünen“ als vormaliger Friedenspartei attestierte er am Beispiel Ukraine einen peinlichen Ersatzpatriotismus – einen Patriotismus, den sie für Deutschland nicht übrighätten. Dass die AfD, die ja hochkarätige Ex-Offiziere in ihren Reihen hat, mit Gnauck jemanden ans Rednerpult schickte, der in seiner Bundeswehrzeit als Oberfeldwebel wegen Extremismusverdachts freigestellt wurde, gab anderen Fraktionen Anlass, Gnaucks Aussagen wegzuwischen.

Alles in allem: Der Högl-Bericht hat es in sich. Er ist wohl ehrlicher als manch bislang aus dem Bendlerblock gekommenes Lagebild. Dass die Ränge im Plenum und die Regierungsbänke bei der Aussprache zu diesem Bericht äußerst schwach besetzt waren, zeigt indes, dass die Bundeswehr eben doch – wie eh und je – ein lästiges Thema zu sein scheint. 


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Kommentare ( 20 )

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Konradin
1 Jahr her

Die Rede von Hannes Gnauck traf vieles exakt auf den Punkt. Das – sogar zunehmende – Wegbleiben einer ausreichenden Anzahl körperlich wie mental geeigneter Bewerber für die Bundeswehr wird zum großen Teil in seiner rhetorisch hervorragend vorgetragenen Rede begründet. Voll Zustimmung meinerseits. Die (parteipolitisch über Jahrzehnte faktisch ignorierte) demographische Entwicklung der Deutschen (durchgehendes und immer weiter steigendes Geburtendefizit seit 1972) ist dabei nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite hat sehr viel mit der seit Jahren staatlich organisierten woken (Um-)Erziehung und mit dem Kulturkampf des regierenden grünlinken Parteienstaats und dessen Mainstream-/Staatsmedien zu tun, welche sich übergreifend gegen Deutschland als… Mehr

Lizzard04
1 Jahr her
Antworten an  Konradin

Ich stimme Ihnen zu. Es ist immer wieder erschütternd, mit welchen Hassreden die selbsternannten „Demokraten im Plenum“ auftreten. Schauen Sie sich mal die Trettin Replik auf den AfD Antrag auf einen Waffenstillstand/Friedensverhandlungen im Ukraine Konflikt an. Da empfiehlt dieser dem Hr. GAULAND weniger in „Mein Kampf“ zu lesen. Es ist nur noch widerlich, was für Leute im BT sitzen. Und bei dem Beitrag der FDP in diesem Fall sollte man sich mal an die Strack-Zimmermann Auftritte erinnern. Wenn es nach dieser FDP Frau geht, gibt es keinerlei militärischer Grenzen mehr, wenn es gegen Russland geht. Da fragt man sich, wer… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Lizzard04
Horologe
1 Jahr her

Eine “ Landesverteidigung “ ist doch auch gar nicht mehr notwendig. Wozu denn ? Welcher potentielle Aggressor nagelt sich denn freiwillig diese Klapsmühle ohne Dach an die Backe ? Hier gibt es doch nichts mehr zu holen, keine Rohstoffe, keine moderne Industrie , keine billige Energie, keine Innovationen/ Entwicklungen/ Erfindungen. An den Unis werden doch nur noch die sogenannten Laberfächer verstärkt nachgefragt. Ok, wer will kann sich hier einen ganzen Sack voller Irrer aller Couleur inklusive derzeit um die 200 Lehrstühle für Gender einverleiben. Habe ich dabei schon unsere Gäste in Millionenhöhe erwähnt, die dann auch noch zu alimentieren wären… Mehr

Adorfer
1 Jahr her
Antworten an  Horologe

Genau so ist es !!!! Nicht zu vergessen, WER dieses woke Land denn überhaupt verteidigen soll? DEUTSCHE Soldaten, die ihre Altersgenossen aus aller Herren Länder mit ihrem Leben verteidigen? Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man einen Lachkrampf kriegen.

RauerMan
1 Jahr her

Das Desinteresse von Bundestagsabegeordneten*innen bei Themen, hier BW, ist nicht neu.
Masse übertrifft Klasse.
Die Verkleinerung des Bundestages ist daher, nicht nur aus Kostengründen, überfällig.

nomsm
1 Jahr her

Der wieivielte Artikel ist das jetzt?
Es fehlt der Truppe insbesondere an Kampfkraft. Das 200.000 Mann Ziel ist Utopie. Zu Spitzenzeiten hatte die Truppe 200.000 Berufs und Zeitsoldaten, der Rest Wehrpflichtige. Diese Wehrpflichtigen waren Mannschaftsdienstgrade, ein paar Zeitsoldaten gab es auch als Mannschaftsdienstgrade, da wenn W15 das lukrativ war. Ansonsten verpflichtete man sich als Unteroffizier oder Offizier.
Zudem scheint man das Heer aufgegeben zu haben, sonst würde man dort ja investieren und nicht sündhaft teures Ami Material in der Fliegerei. Warum nicht Flugabwehr und Drohnen. Und bei Drohnen denke ich nicht unbedingt an die teuersten aus Amiland.

giesemann
1 Jahr her

Das ist auch richtig so, die slawischen Gebrüder sollen sich untereinander kloppen, was geht uns das an. Mit den Franzosen haben wir endlich Ruhe, ufff. Die Polacken sind mit dem Russen ausreichend beschäftigt, bin froh, dass die nicht auch noch auf uns losgehen.

LSKA
1 Jahr her

Das ist das Ergebnis, wenn Ungebildete und Traumtänzer versuchen Politiker zu sein.
Es muss sofort ein extremer Wechsel her oder dieses Land ist rettungslose verloren!

Axel Fachtan
1 Jahr her

Wenn sich das Land mit Geschwafel verteidigen ließe,
wäre es unschlagbar.
Wenn aber das Geschwafel die Soldaten, das Material und die Munition ersetzen soll, sieht es finster aus.
Bummbummbaerbock.
Bummbummpistorius.
Bummbummscharping,
Bummbummvonderleyen.
Bummbummguttenberg.
Bummbummschreinemakers.
Ach nee, die hieß irgendwie anders.
Bummbummkrampkarrenbauer.
Bummbummfliegsöhnchenflieg.
Der letzte Verteidigungsminister der was hergemacht hat war Manfred Wörner.
Heute regiert in den Kasernen der Windeleimer.

Fieselsteinchen
1 Jahr her

Die Bundeswehr hatte niemanden in den vergangenen Jahren interessiert. Von der Leyen hat aus ihr eine Kaspertruppe mit Panzern für Schwangere(!) oder Inklusion gemacht, dafür wurden Milliarden verbraten, nicht für Ausrüstung, nicht einmal für Respekt gegenüber vielen Veteranen. Die Bundeswehr wurde zu einem Selbstbedienungsladen für McKinsey samt Genossen. Die grüne Friedenspartei hat am lautesten gegen alles gekräht, wenn es um Verbesserung der Ausrüstung, Nachrüstung, schlicht Landesverteidigung ging. Dann die Duldungspflicht, die rigoros und inhuman gegenüber den deutschen Soldaten durchgesetzt wird – bis heute!!! (Auch in den USA gab es eine Impf”pflicht”, die allerdings sehr schnell modifiziert wurde, nachdem es zu… Mehr

MichaelR
1 Jahr her

Das Problem der Bundeswehr – neben dem fehlenden Material und Ausrüstung – ganz eindeutig der Soldat als solcher. Ein nicht unerheblicher Teil hat nicht annähernd die notwendige körperliche Leistungsfähigkeit, die für einen Einsatz dringend notwendig wäre. So hat das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr schon vor Jahren eine Studie erstellt, die einen Internationalen Vergleich zum Ziel hatte. Festgestellt wurde: Frauen haben im Schnitt 55 % der Muskelkraft wie Männer. Frauen haben nur 67 % der Ausdauerfähigkeit von Männern. 20 % der Frauen haben selbe körperliche Leistungsfähigkeit wie die schlechtesten 20 % der Männer. Bei den US-Marines sind 45 % der weiblichen… Mehr

nomsm
1 Jahr her
Antworten an  MichaelR

So ist es, es will nur niemand verstehen. Nicht nur in der Kampftruppe muss ich in der Lage sein meinen Kameraden zu schleppen. Frauen müssen teilweise ja noch nicht einmal ihr Gepäck schleppen, genau hier ist doch das Problem. Nur ohne Frauen wäre die Bundeswehr noch kleiner vom Umfang, obwohl da schon Mann und Maus eingerechnet ist. Warum sollte sich denn jemand als Mannschaftsdienstgrad verpflichten? Macht doch keinen Sinn. Und genau da fehlt es der Truppe. Für einen Infanteristen gibt es extra Geld, weil es dort Mangel gibt. Mehr muss ich doch garnicht wissen. da hilft es auch nicht davon… Mehr

Peter Silie
1 Jahr her

Es sind ja ohnehin nur noch 15% der Deutschen (echte Deutsche? Passdeutsche? Bevölkerung?) bereit, dieses Land zu verteidigen. Man muß natürlich das, was es zu verteidigen gilt, dem gegenüber stellen, was ein potentieller Eroberer bringt. Und zwar in allen Belangen. Offenbar sind hierzulande mittlerweile Faktoren, die früher einmal enorm wichtig waren, wie zB Identität, Heimat, eigene Kultur und Geschichte usw, völlig in den Hintergrund getreten, ja nahezu wertlos geworden. Die eigentliche Bedrohung scheint nicht mehr von außen her zu kommen, sondern von innen, in Form einer tödlichen Autoimmunerkrankung. Und dafür braucht man kaum eine Bundeswehr als eher eine (lokale) Miliz.… Mehr