Die deutsche Regierung beschlagnahmt Devisen – September 1923

Wie konnte es zur größten deutschen Geldkatastrophe kommen? Frank Stocker zeigt, wie das Land zunächst allmählich und dann immer schneller in den Strudel des Geldverfalls geriet, was ihn verursachte, beschleunigte und wie die Verantwortlichen um einen Ausweg rangen, den sie erst sehr spät fanden.

Schön war es nicht. Doch wer auf Berlins Kurfürstendamm flanierte und dann durch die Drehtür des Romanischen Cafés ging – dort gelegen, wo heute das Europacenter steht –, der achtete nicht auf die Gestaltung des Ortes. Er wollte sehen, und vor allem gesehen werden. Die kulturelle Elite jener Zeit verkehrte dort, von Else Lasker-Schüler über Bertolt Brecht und Max Slevogt bis zu George Grosz oder Hans Albers.

Dabei gab es eine feine Hackordnung. Die Erfolgreichen und Bekannten wandten sich nach dem Gang durch die Drehtür nach links und betraten einen kleinen Nebenraum mit etwa 20 Tischen, »Bassin der Schwimmer« genannt. Alle anderen mussten nach rechts treten, in den Hauptraum, der etwa dreimal so groß war und das »Bassin der Nichtschwimmer« genannt wurde. Hier verkehrten all jene, die mehr schlecht als recht über die Runden kamen, aber bei einer Tasse Café und einem Stück Torte den Zutritt in die Welt der Arrivierten suchten.

Auch während der Hochphase der Inflation saßen sie dort, die kleinen und großen Lichter der Berliner Kulturszene, eingehüllt in den Rauch der Zigarren und Zigaretten, eifrig diskutierend und debattierend – als eines Tages um die Mittagszeit plötzlich die Türen aufsprangen und die Polizei hereinstürmte: Devisenrazzia!

Alle Ausgänge waren besetzt, keiner kam mehr rein oder raus. Alle Gäste mussten ihre Taschen leeren. Insgesamt 80 Personen wurden gefilzt, elf mussten mit aufs Polizeirevier. Genau 214 Dollar, 30 Schweizer Franken, eine englische Pfundnote und 10 serbische Dinar wurden ihnen abgenommen.

Ähnliche Razzien fanden ab September 1923 in der ganzen Republik statt, anfänglich auf öffentlichen Straßen und Plätzen, wo Devisenschieber heimlich Geld tauschten, dann immer häufiger in Gaststätten und Cafés. Überall durchsuchten die Polizisten Kleidung und Handtaschen, konfiszierten sämtliche ausländischen Zahlungsmittel, die die Menschen bei sich hatten.

Grundlage dafür war die neue Devisenverordnung, die die Regierung Stresemann erlassen hatte. Zwar hatte die Vorgängerregierung erst Anfang August ihre rigide Gängelung der Devisenbesitzer aufgeben müssen. Doch die Devisennot des Reiches blieb akut. Denn den Deutschen drohte ein Hungerwinter. Immer mehr Landwirte wollten ihre Erzeugnisse nicht mehr gegen Papiermark verkaufen. Sie hielten die Lebensmittel lieber zurück oder ließen sie gar verfaulen. Die Regierung brauchte daher dringend Devisen, um die Lebensmittelversorgung zu sichern.

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250 Millionen Goldmark seien für das zweite Halbjahr 1923 allein für den Getreideankauf notwendig, erklärte der Finanzminister den Parteiführern in einer Besprechung am 22. August. Hinzu kämen 45 Millionen Goldmark für den Ankauf von Fetten sowie 232 Millionen Goldmark für Kohlen. Das ergab zusammen deutlich mehr als 500 Millionen Goldmark. Pro Monat flossen dem Reich aber nur Devisen im Wert von ungefähr 60 Millionen Goldmark zu.

Gleichzeitig schätzte die Regierung, dass in Deutschland Devisen im Gegenwert von rund 1,5 Milliarden Goldmark zirkulierten oder unter Kopfkissen gehortet wurden. An dieses Geld heranzukommen, war daher das Ziel.

Zunächst versuchte es die Regierung auf freiwilliger Basis, versuchte die Industrie und Privatpersonen zur Zeichnung einer sogenannten »Goldanleihe« zu bewegen, die noch vom Kabinett Cuno beschlossen und am 15. August aufgelegt worden war. Goldanleihe hieß sie, weil sie wertbeständig war. Die Anteilsscheine lauteten auf US-Dollar, der kleinste Betrag war 1 Dollar. Die Einzahlungen konnten auch in Mark erfolgen. Doch wer sie in Devisen vornahm, bekam einen Rabatt, musste nur 95 Cent für einen Anteilswert von einem Dollar einzahlen.

Allerdings war der Erfolg dieser Anleihe begrenzt. Selbst aus der Wirtschaft kamen daher Forderungen nach Zwangsmaßnahmen. Die Regierung machte sich diese zu eigen, Vizekanzler Robert Schmidt (SPD) sprach sogar ganz offen von »diktatorischen Mitteln«, die nötigenfalls eingesetzt werden müssten.

Das Kabinett erarbeitete daraufhin eine Verordnung über die Ablieferung ausländischer Vermögensgegenstände, die der Reichspräsident am 25. August unterzeichnete. Diese sah vor, dass Vermögenssteuerpflichtige einen Teil des fälligen Betrages in Devisen abzuliefern hatten. Wer über keine Devisen verfügte, musste dies an Eides statt versichern und konnte mit drakonischen Freiheitsstrafen oder der Beschlagnahme des Vermögens belegt werden, wenn er einen Meineid abgab. Drei Wochen wurde den Steuerpflichtigen Zeit gegeben.

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Doch noch bevor diese Frist abgelaufen war, war klar, dass sich viele dieser Abgabepflicht auf diversen Wegen entzogen, indem sie ihre Devisen versteckten, ins Ausland oder ins besetzte Gebiet verschoben. Die angedrohten Zwangsmaßnahmen schreckten dabei wenige ab. Daher erließ die Regierung am 7. September per Notverordnung ein komplettes Verbot des Besitzes sogenannter »unproduktiver Devisen«. Gemeint waren damit alle fremden Währungen, die nicht unmittelbar beispielsweise für die Bezahlung von Warenimporten benötigt wurden, sondern als Wertaufbewahrungsmittel dienten. Auch der Besitz ausländischer Wertpapiere sowie von Edelmetallen wurde verboten.

Wer über derartige Wertgegenstände verfügte, musste diese unverzüglich abliefern und erhielt dafür Anteile an der Goldanleihe in entsprechender Höhe. Wer Devisen, Wertpapiere oder Gold nicht abgab und enttarnt wurde, dessen Besitz konnte entschädigungslos eingezogen werden – so wie es im Romanischen Café in Berlin geschah. Zudem drohten Ordnungsstrafen bis zu 10.000 Goldmark, Zuchthaus bis zu zehn Jahren und eine öffentliche Bekanntgabe einer Verurteilung auf Kosten des Schuldigen.

Solch drastische Eingriffe in das Eigentumsrecht waren natürlich nicht mit der Verfassung des Reiches zu vereinbaren. Daher wurden drei Artikel der Verfassung außer Kraft gesetzt, namentlich das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis und die Gewährleistung des Eigentums.

Des Weiteren setzte die Regierung einen Devisenkommissar ein. Den Posten übernahm Geheimrat Hermann Fellinger, ein Beamter im preußischen Handelsministerium. Er hatte das Recht, sämtliche Dienststellen des Reiches für die Auffindung und Beschlagnahme von Devisen, ausländischen Wertpapieren und Edelmetallen einzuspannen. Die Beamten durften dazu Wohnungen durchsuchen, Post öffnen und alle entsprechenden Wertgegenstände auf der Stelle beschlagnahmen.

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Razzien fanden fortan regelmäßig überall in der Republik statt. Besonders erfolgreich war dabei der Steueraußendienst des Landesfinanzamts Leipzig. Ende September bilanzierte es die Beschlagnahme von Devisen im Wert von über 1,5 Billionen Mark  – darunter 1.331  Dollar, 139  britische Pfund, 1.867  holländische Gulden, 968 französische Francs, 653 Schweizer Franken sowie diverse andere Währungen. Gefunden wurde das Geld in einem Baugeschäft, bei Angestellten eines Hotels und bei einem »wilden Devisenhändler«.

In Berlin hoben Polizisten gleich eine ganze »wilde« Devisenzentrale aus. Ein Schneider betrieb sie in seiner Wohnung, und er beschäftigte eine Armee von Agenten und Schleppern, die tauschwillige Ausländer vor den offiziellen Wechselstuben ansprachen und ihnen bessere Kurse boten. Zum Schein betrieb der Sohn die Schneiderei weiter, doch als die Polizei die Wohnung durchsuchte, fand sie Devisen in Betten und Matratzen, unter den Teppichen, in einem Schrank mit doppeltem Boden. In einem Salzbehälter kamen unter einer dünnen Salzschicht allein 300 englische Pfund zum Vorschein. Insgesamt nahmen die Polizisten Devisen im Wert von über 10.000 Dollar mit  – und mehrere Dutzend Agenten, die während der Razzia an der Wohnung geklingelt hatten, um ihre Geschäfte abzuwickeln.

Allerdings kam es auch zu Einsätzen, die weit über das Ziel hinausschossen. So nahm die Polizei in Bremen bei einem Einsatz frisch angekommenen ausländischen Schiffsmatrosen auf offener Straße ihre Devisen ab. Zudem warnte sogar der Devisenkommissar selbst in einem Interview mit dem Berliner Tageblatt, dass gerade im Ausland Bedenken über seine Arbeit laut würden, denn man befürchte, dass auch Geschäftspartner in Deutschland von der Konfiszierung der Devisen betroffen sein könnten.

So spektakulär die Razzien daher waren und so pathetisch die Erfolgsmeldungen daherkamen, letztlich konnte auch diese Zwangsmaßnahme das Schicksal der Mark nicht wenden. Der Wertverfall ging weiter und erreichte immer neue Dimensionen.

Um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Frank Stocker, Die Inflation von 1923. Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam. FBV, Hardcover mit Schutzumschlag, 368 Seiten, 27,00 €.


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Kommentare ( 8 )

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usalloch
1 Jahr her

Bei soviel „Sondervermögen“ welche unsere Regierung unter ihren Bettkissen hat, ist doch sowas heute nicht mal denkbar. Spaß bei Seite. Ein Mitglied derComedian Harmonist erzählte später in einem Interview von von den „Goldenen Zwanziger-Jahren. „Wir hatten die Mädels, den Champagner, das Geld, aber um uns herum war die Armut.“ „Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“ Ludwig Erhard.

Phil
1 Jahr her

Was soll der Mensch den tun, wenn Staat und Zentralbank die eigene Währung und damit die gesamte Wirtschaft in die Tonne tritt? Wie und wo soll er sich die Dinge des täglichen Lebens besorgen? Wo und wie soll er seine bescheidenen Ersparnisse inflationssicher aufbewahren? Eine Währungsreform war und ist die einzige Möglichkeit in einer solchen Situation Wirtschaft und Gesellschaft zu stabilisieren. Ist der Damm einmal gebrochen, lässt sich der Niedergang auch nicht mehr mit Zwangsmassnahmen und Eingriffen in die Bürgerrechte stabilisieren. Der freie Markt und eine freiheitliche Geldordnung sind die einzigen Möglichkeiten eine solche Katastrophe, die wir in ein bis… Mehr

Hartwig Sendner
1 Jahr her

Die Verfassung(heute: GG) wurde damals gemäss „Notverordnung“ in Teilen ausser Kraft gesetzt.
Wie war es denn heute in Bezug auf „Zwangsimpfung“.
Die Begründungen für eine Aushebelung des GG sind damals wie heute wohl relativ beliebig wählbar. Und das BVG schweigt, bzw unterstützt das sogar.
Was unterscheidet denn heute das „beste Deutschland das es je gab“ von einer „Bananenrepubik“

Boris G
1 Jahr her

Not kennt kein Gebot. In den USA wurde das Goldbesitzverbot mit ähnlich drakonischen Maßnahmen durchgesetzt. Wie viel besser ist es da unseren Anverwandten in der Schweiz ergangen, denen rabiate Währungsschnitte bisher erspart geblieben sind.

beccon
1 Jahr her

Der Staat als mieser kleiner Räuber, das Übergehen der eigenen Verfassung, wenn es opportun erscheint … alles schon einmal da gewesen. Wer die Vergangenheit kennt lernt die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft vorauszusehen. Sehr interessanter Artikel. Vielen Dank.

Kampfkater1969
1 Jahr her

Interessantes Buch, eigentlich Pflichtlektüre für jeden, der Besitz, Vermögen hat oder selbstständig ist.

Klaus Uhltzscht
1 Jahr her

Vielen Dank für den Beitrag.
Er mahnt mich, nach meiner Ausreise aus Deutschland Anfang 2022 nun auch den Verkauf meiner dort zurückgelassenen Immobilie zügig voranzutreiben, und dann mein deutsches Konto zu schließen.
Die Wiederholung der Geschichte wird mit leerer werdender Staatskasse immer offensichtlicher.

beko
1 Jahr her

Sehr interessanter Beitrag! Ich fühle mich bereits seit einiger Zeit, des Öfteren, genötigt an gewisse, vergangene Zeiten zurückzudenken, in denen die Menschen auf dem Kuhdamm flanierten oder sich anderweitig vergnügten, während die Welt mitten in einer Rezession steckte oder eben sich im Weltkrieg befand. Weihnachten unterm Lichterbaum während an der Ostfront Glieder abfroren… Erst vor Kurzem, am 11.11. kam mir dieser Gedanke wieder hoch, als die Narren mal wieder zu Narren wurden. Aber auch dann wenn es um irgendwelche Nichtigkeiten in den Medien geht, während im wahrsten Sinne des Wortes, die Welt gerade dabei ist sich grundsätzlich zu verändern. Und… Mehr