Mehr Verantwortung für Pflegekräfte, aber: „Teuer wird es auf jeden Fall“

Der Bundestag hat ein Gesetz verabschiedet, mit dem Pflegekräfte entlastet werden sollen. Doch aus der Opposition kommt scharfe Kritik. Die versprochenen Einsparungen blieben aus, sagen die Grünen: „Teuer wird es auf jeden Fall“.

picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Die Bundesregierung sieht als Herausforderung in der Akut- und Langzeitpflege den demographischen Wandel, also die Alterung der Gesellschaft. Ende 2023 lag demnach die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland bei 5,6 Millionen, doch bis 2055 könnte die Zahl auf bis zu 8,2 Millionen steigen. Auch würden bis 2040 etwa 150.000 Pflegekräfte fehlen. Das Gesetz sieht daher vor, die Pflegeberufe attraktiver zu machen, mehr Verantwortung an Pflegekräfte zu übertragen und den Alltag in Pflegeeinrichtungen zu entbürokratisieren.

Konkret sollen Pfleger künftig ärztliche Aufgaben eigenverantwortlich übernehmen können, wie etwa beim Management chronischer Krankheiten wie Diabetes, Demenz oder der Versorgung von chronischen Wunden. Damit will die schwarz-rote Regierung die medizinische Versorgung verbessern und die Abhängigkeit von ärztlicher Verfügbarkeit verringern.

Der Abgeordnete Martin Sichert (AfD) stellt direkt zu Beginn der Beratung im Bundestag belustigt fest, dass Ministerin Nina Warken (CDU), die für das Gesetz zuständig ist, fehlt. Er begründet ihre Abwesenheit damit, dass sie sich für ihr eigenes Gesetz schämen würde. Laut Sichert schafft das Gesetz nur neue Bürokratie, daher hätten die Parteien jetzt noch die Chance, dieses zurückzuziehen: „Es muss Schluss sein mit mehr Bürokratie im Gesundheitswesen und neuen Dokumentationspflichten. Krankenhäuser sind keine Wirtschaftsunternehmen. Nehmen Sie endlich Ihren Auftrag ernst.“

Im Bereich der Digitalisierung sieht das Gesetz umfangreiche Maßnahmen vor, wie etwa die Optimierung des E-Rezepts. Pflegekräfte sollen digitale Hilfsmittel stärker nutzen können, um Zeit zu sparen und Abläufe zu vereinfachen. In diesem Kontext kritisiert Nicole Hess (AfD) den elektronischen Heilberufsausweis (E-HBA). Dieser wird laut Hess zum nächsten „Lock-In-Ritual inklusive Kartenleser Störungen und Supportschleifen bei gleichzeitig fehlender Vollfinanzierung“.

Das Gesetz räumt dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die zentrale Rolle ein bei der Bestimmung, welche ärztlichen Tätigkeiten künftig von Pflegekräften übernommen werden dürfen und wie diese Leistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung geregelt werden. Auch kritisiert Hess, dass die neue Regelung in der Praxis den Pflegern keine freie Minute mehr schenken würde.

Insgesamt geht es im Gesetz darum, die Dokumentations- und Abrechnungsprozesse in der Pflege zu vereinfachen. Es soll weniger Papier, dafür mehr digitale Vernetzung geben. Dafür gibt es die sogenannte Krankenversicherungsnummer, damit Pflegekräfte, Ärzte und Krankenkassen eindeutig und digital auf dieselben Patientendaten zugreifen können. Auch hier kritisiert Nicole Hess, dass diese zwar wichtig sei, diese Nummer aber nicht gepflegt werden müsse.

Im Rahmen der Entbürokratisierung sieht das Gesetz vor, dass Pflegeeinrichtungen, die bei vorherigen Prüfungen einen hohen Qualitätsstandard nachweisen können, nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle zwei Jahre überprüft werden sollen.

Während die AfD das Gesetz als weiteres Bürokratiemonster betrachtet, begrüßt SPD-Abgeordnete Claudia Moll diesen Punkt. So sagt sie: „Einrichtungen, die gute Arbeit leisten, sollen künftig nur noch alle zwei Jahre geprüft werden. Das ist ein echter Schritt in Richtung Entbürokratisierung.“

Auch strukturell soll sich die Pflege verändern: Das Gesetz fördert integrierte Notfall- und Versorgungseinrichtungen, die verschiedene Versorgungsstufen miteinander verknüpfen. Regionale Netzwerke aus Ärzten, Pflegekräften und Kliniken sollen die Patientenversorgung koordinieren. Emmi Zeulner (CDU/CSU) begrüßt das und spricht sich auch positiv gegenüber der Pflegediagnose aus. Gleichzeitig preist sie neue Gesetze an, die in Zukunft kommen werden, und blickt zusammenfassend optimistisch in die Zukunft: „Wir bringen kein Glück, aber wir liefern.“

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Prävention und Gesundheitsförderung. Pflegekräfte sollen künftig stärker in die Früherkennung eingebunden und in ihren heilkundlichen Kompetenzen geschult werden. Das Pflegeberufegesetz wird entsprechend angepasst: Pflegefachpersonen dürfen künftig auch heilkundliche Leistungen eigenständig erbringen.

Die Bundesregierung begründet das Gesetz mit dem Ziel, die Pflege langfristig effizienter und finanziell stabiler zu gestalten. Doch genau das kritisiert Dr. Janosch Dahmen von den Grünen: „Die versprochene Beitragsstabilität ist nicht wahr. Die Zusatzbeiträge werden bis spätestens 2027 auf über drei Prozent steigen. Teuer wird es auf jeden Fall, und das ist die Schuld der Koalition.“

Am Ende stimmten CDU/CSU und SPD für das Gesetz zur Entbürokratisierung in der Pflege. Die AfD votierte dagegen, Grüne und Linke enthielten sich. Zudem brachten Grüne und Linke eigene Anträge ein. Etwa für eine schnellere Heilkundeübertragung oder eine gerechtere Pflegefinanzierung. Die AfD und die Koalition lehnten beide Anträge ab.

Das beschlossene Gesetz der schwarz-roten Koalition soll Pflegekräften mehr Kompetenzen und Eigenverantwortung geben, doch in der Praxis klingt es nach einer weiteren Hürde durch Bürokratie. Die Veränderung, die die Pflege so dringend bräuchte, steht weiterhin in den Sternen.

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Kommentare ( 12 )

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Montesquieu
24 Tage her

Dazu muss man anmerken, dass der Rückzug aus der medizinischen Verantwortung in die fetischafte Dokumentation ganz allein dem Berufsverband der Pflegekräfte zu verdanken ist. In meinen ersten Berufsjahren als Arzt wurde mir schon durchdekliniert, was alles NICHT Aufgabe des Pflegepersonals ist. Heute kann jede Arzthelferin praktisch mehr als eine nicht intensiv/ anaesthesiologisch spezialisierte Pflegekraft.
Ansonsten ist obige Idee sehr gut, kommt nur mindestens 20 Jahre zu spät, da die hierfür ausgebildeten Pflegekräfte bald in Rente gehen.

verblichene Rose
23 Tage her
Antworten an  Montesquieu

Das „Problem“ ist, daß es Dinge gibt, die ein Arzt einfach nicht kann. Genauso, wie manche Dinge nicht vom Pflegepersonal erfüllt werden können (sollten!). Und was (die meisten) Arzthelferinnen angeht, so kann ich ihnen leider nicht zustimmen. Denn nicht selten machen sie jedem so gescholtenen „Besserwisser“ tüchtig Konkurrenz. Und der geneigte Wissende spürt sofort, daß ihnen viel zu viel zugemutet wird, sprich auf sie abgewälzt wurde, denn eine Arztpraxis ist heute nichts weiter als ein Unternehmen, das Profit erwirtschaften muß. Da sollten sich vielleicht zuallererst mal alle Protagonisten an die eigene Nase fassen, bevor hier „Punkte“ für irgendwelche Fehlverhalten vergeben… Mehr

Montesquieu
23 Tage her
Antworten an  verblichene Rose

Das unterscheidet eine Praxis nicht von einer Klinik. Allerdings ist jede Praxis bei gleichen Leistungen effizienter als eine Klinikambulanz.Comittment und personelle Kontinuität sind höher, die beteiligten Ärzte im Schnitt erfahrener. Aber wir zentralisieren lieber und verdauen unsere medizinischen Aufgaben kleinteilig ohne das Gesamtprodukt erfassen und wieder rekonsistieren zu können. Dabei wünsche allen Beteiligten ganz viel Demut und Kraft. Der Mensch als ausgespucktes dauerhaft kontrollbedürftig markiertesMangelobjekt. Das diszipliniert und neurotisiert bis zum Grad der Hilflosigkeit. Mit der Angst vor der Endlichkeit kann man jeden Menschen zurichten. Selbst dazu bis zum letzten Atemzug einen Cholesterinsenker runter würgen.

Last edited 23 Tage her by Montesquieu
Dank Barkeit
24 Tage her

Es wird nicht nur teuer, sondern auch schlechter. Pflegekräfte sind Pflegekräfte und haben von „Heilkunde“ keine Ahnung. Ein paar „Heilpraktiker“ unten den Kräften wird es immer geben, die dann Rambo spielen, aber am Ende fehlt ihnen die Expertise. Und das macht es nur noch schlimmer… Dieses Land rutscht dem Abgrund entgegen, aber die Abrißkante kennt keiner.

Iso
24 Tage her

Wenn man schaut, dass man für einen halbwegs mobilen Insassen einer Pflegeanstalt 4.000 Euro hinblättern muss und sich die „Pflegekräfte“ 8 Stunden die Beine in den Bauch stehen, dann rechnet sich für zu Hause ein eigener Pflegeroboter. Mehr, als 3 x täglich Essen und die Medikamente reichen, machen die sowieso nicht und wer von den Insassen Pech hat, wird erst nach Stunden auf dem Boden liegend gefunden, was einem Pflegeroboter auch nicht passieren würde. Was da angeboten wird, ist mehr offener Vollzug, als Pflege.

verblichene Rose
24 Tage her

Ich kann mir den Kommentar noch dreimal durchlesen und entdecke lediglich die „Großzügigkeit“, Pflegeeinrichtungen nur noch alle zwei Jahre kontrollieren zu wollen. So etwas hat früher mal die Heimaufsicht gemacht, die sporadisch und vor allem unangemeldet prüfte. Tut mir leid, aber eine grundsätzliche Entlastung kann erst anfangen, wenn die Bürokratie zu mindestens 75% eingestampft wird! Alles andere ist nicht mehr als eine Verschlimmbesserung. Aber das ist man in diesem Staat ja bereits gewohnt, in dem mittlerweile d r e i Leute damit „beschäftigt“ sind, die bürokratischen Hürden zu bearbeiten, die nur e i n e m Mitarbeiter neben seiner originären… Mehr

HarryDax
24 Tage her
Antworten an  verblichene Rose

Die Beamtenpensionen nicht zu vergessen! Dann wären ja schon fast alle Probleme gelöst! Siehe, horche Talkshows.
Von Bürokratieabbau ist ja nichts zu erwarten, siehe neue Bürokratien. „lol“

Raul Gutmann
24 Tage her

Den Satz „TeuRer wird es auf jeden Fall“ läßt sich nahezu JEDER Meldung aus „Lalaland“ vorwegstellen.
Doch die Steuerzahler seien beruhigt: Das Geld ist nicht weg, es haben nur andere.
Welche das sind? Nun, als erster Stelle stehen die staatliche Verwaltung, euphemistisch ‘öffentlicher Dienst‘ genannt, die „Sozialindustrie“ wie auch private „Kriegsgewinnler“.
Doch entgegen den realen, menschengemachten Mechanismen ruft der Satz „TeuRer wird es auf jeden Fall“ naturgesetzliche Gründe hervor.

HarryDax
24 Tage her

Das ist wirklich schlimm, aber es gibt auch sehr viele deutsche 20 – 30 jährige die von Moslems mit Drogen vollgepumpt wurden. Diese deutsche Gesellschaft benötigt nun von allen Seiten Betreuung usw.
Das kostet richtig viel Geld. Von Amtsgericht bestellte Betreuer und von anderen.
Nobel geht Dummland zu grunde!

Logiker
24 Tage her

eine dieser „grundlegenden Reformen“ dieser Regierung. 😱🤮 Deutschland ist das einzige Land der Welt, dass seinen Bürgern eine Pflegepflichtversicherung zumutet. Weil die anderen natürlich alle doof sind. Diese 1995 eingeführte Pflichtversicherung ist einer der größten Lobbyisten-coups in der Geschichte der Bundesrepublik – initiiert, wie sollte es auch anders sein, von den Sozis, AWO und Genossen. Ein geniales Immobilienfinanzierungsmodell, bezahlt von den Pflegebedürftigen und allen Beitragszahlern. Bis 1995 trugen 80% der als pflegbedürftig bezeichneten Personen oder deren Familien die Kosten dafür selbst. Die restlichen 20%, die sich das nicht leisten konnten, erhielten staatliche Unterstützung. Man fasst es einfach nicht, dass niemand… Mehr

Last edited 24 Tage her by Logiker
Mausi
24 Tage her

Entbürokratisierung? Weil statt Papier jetzt auf digitales Papier umgestellt wird? Weil die Prüfer nicht mehr jedes Jahr, sondern alle zwei Jahre kommen?

Punti
24 Tage her

Pflegekräfte sollen künftig auch ärztliche Aufgaben übernehmen, zusätzlich elektronische Hilsmittel nutzen und stärker in die Früherkennung eingebunden werden. Klingt devinitiv nach Entlastung.