In den Niederlanden steigt das Interesse an der Kernkraft

In den Niederlanden ändert offenbar die Klimadiskussion die Einstellung zur Kernkraft. Bauunternehmer, Betreiber und Lieferanten sind bereit, in den Bau neuer Kernkraftwerke zu investieren. Auch die Regierung scheint nicht abgeneigt.

imago images / VWPics
Kernkraftwerk in Borssele, Niederlande

Ab 2030 könnte Kernenergie in den Niederlanden eine wichtige Rolle spielen. Verschiedene Wirtschaftsgruppen wie Bauunternehmer, Betreiber und Lieferanten seien durchaus bereit, in den Bau neuer Kernkraftwerke zu investieren. Das ergibt nach Angaben der niederländischen Wirtschaftsstaatssekretärin Dilan Yesilgöz-Zegerius ein Bericht der Unternehmensberatung KPMG, die das Abgeordnetenhaus in Auftrag gegeben hatte.

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Sie berichtete jetzt weiter, dass »die Marktparteien die Bedingung stellen, dass die Regierung den Bau finanziell rentabel macht. Auch eine öffentliche Unterstützung ist wichtig.« Bisher ging die niederländische Regierung davon aus, dass sich die Begeisterung für ein neues Kernkraftwerk in Grenzen hielte. Doch offenbar ändert jene Klimadiskussion über CO2 die Einstellung zur Kernkraft. »Wir haben nicht den Luxus, eine nachhaltige Energiequelle auszuschließen«, so die Staatssekretärin. Kernkraftwerke emittierten kein CO2, was ihrer Meinung nach einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten könne. In einer sogenannten Szenariostudie soll gezeigt werden, wie die Kernenergie ab 2030 eine Rolle spielen kann.

Laut KPMG-Bericht würden die meisten Unternehmen ein Kernkraftwerk mit einem Reaktor der dritten Generation favorisieren. Dieser könne innerhalb von 11 bis 15 Jahren gebaut werden. Als weitere Option werden auch mehrere kleine Kernkraftwerke, sogenannte Small Modular Reactors, angesehen. Sie sind jedoch noch nicht kommerziell verfügbar.

Von ursprünglich zwei Kernkraftwerke in den Niederlanden läuft nur noch die Anlage in Borssele, ein relativ kleines 515-MW Kraftwerk, das 1973 erbaut wurde und mit drei Prozent zur Stromversorgung beiträgt. RWE ist mit beteiligt. Bis 2033 wurde die Betriebsgenehmigung verlängert. Das niederländische Kabinett denkt jedoch daran, das Kraftwerk noch länger Strom produzieren zu lassen.

Heftige Abwehrreaktionen bekam der niederländischen Premierminister Mark Rutte (VVD) zu spüren, als er in einer TV-Wahldebatte Anfang März erklärte, Eemshaven an der Ems-Mündung gegenüber von Emden sei ein guter Standort für ein Kernkraftwerk. Doch unmittelbar darauf rückte er wieder von seiner Idee ab, als sich die Bewohner der Provinz Groningen heftig gegen den Standort wehrten. Sie hätten aufgrund einer Reihe von Erdbeben aufgrund der Erdgasförderung in ihrer Gegend genug mit Schäden an tausenden Gebäuden zu kämpfen. Die Erdgasförderung soll dort bis 2030 aufgrund der Erdbeben eingestellt werden. 

Im benachbarten Niedersachsen versuchte dessen Umweltminister Olaf Lies (SPD) Rutte zu belehren: »Die Klimaziele von Paris erreicht man nachhaltig nicht mit neuen Atomkraftwerken

Die Provinz Noord-Brabant will ebenfalls verstärkt auf Kernenergie setzen und eine Koalition aus Regierungen, Unternehmern und Forschungseinrichtungen schmieden. Dazu wurde ebenfalls eine Studie von Forschungsinstituten angefertigt. Auch das Flächenargument wird dort neben der CO2-Rechtfertigung angeführt. Denn ein Kernkraftwerk benötigt erheblich weniger Platz als die riesigen Anlagen der Windindustrie und großflächigen Solarzellenansammlungen. Das Zauberwort heißt hier »Energiedichte«. Wind und Sonne liefern eben relativ wenig Energie, sodass gewaltige Flächen zugepflastert werden müssen, um überhaupt Elektrizität in halbwegs nennenswertem Umfang zu produzieren.

Geprüft wurde in der Studie auch, ob Thoriumreaktoren in Frage kämen. Die seien sicherer und preiswerter, existierten bisher allerdings nur auf dem Papier. 

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Während in den Niederlanden die Diskussion um neue Kernkraftwerke vorangetrieben wird, soll im Nachbarland Belgien das Kernkraftwerk Tihange 2 unweit von Lüttich 2023 vom Netz genommen werden. Das hat jedenfalls die grüne belgische Energieministerin Tinne Van der Straeten gesagt. Insgesamt produzieren sieben Druckwasserreaktoren fast 50 Prozent des belgischen Stroms. Sie sollen eigentlich nach einem Beschluss von 1999 der damaligen Drei-Parteien-Koalition von Liberalen, Sozialisten und Grünen  bis 2025 abgeschaltet werden. Nach Neuwahlen 2003 wurde dieser Beschluss nach einem Blick auf die Realität aufgeweicht. Denn das Land hat erheblich mit Versorgungsproblemen zu kämpfen; so lief im Herbst 2018 aufgrund von Wartungsarbeiten nur einer der Reaktoren und machte die Knappheit deutlich, als Belgien mehrfach vor einem Blackout stand. Die Situation wurde auch mit Stromlieferungen aus Deutschland gerettet; das geht in Zukunft nicht mehr, wenn das Land demnächst Strommangelgebiet wird. Im November sollen weitere Analysen unter der zuständigen grünen Energieministerin stattfinden.

Frankreich hat sich gerade für eine Verlängerung der Laufzeit seiner 32 ältesten Kernkraftwerke entschieden. Das Land mit seinen insgesamt 56 Reaktoren kann damit prunken, CO2-ärmer und damit klimafreundlicher zu sein als Möchtegern-Vorreiter Deutschland.

Vor den letzten deutschen Kernkraftwerken finden währenddessen wieder Demonstrationen statt. Diesmal allerdings nicht gegen die Atomkraft, sondern für eine Fortsetzung des Betriebes. Im vergangenen Jahr demonstrierten Kernkraftbefürworter vor Brokdorf, Lingen und Grohnde ebenso wie vor Isar 1.

Am 21. August ist mit Neckarwestheim das letzte Kernkraftwerk Baden-Württembergs Ziel einer Demonstration für einen Weiterbetrieb. Das trägt mit immerhin zehn Prozent zur Stromversorgung des Industrielandes bei und soll Ende 2022 abgeschaltet werden. Philippsburg wurde als vorletzter Reaktor Ende 2020 stillgelegt, die Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmar sprengten die Kühltürme rasch in die Luft. Seitdem weiss in der von Grünen und CDU besetzten Landesregierung niemand mehr, woher demnächst der Strom kommen soll.

Doch Betreiber wie Eon, EnBW und RWE selbst sind eher genervt. Sie standen jahrzehntelang im Dauerfeuer heftiger Angriffe von grüner Seite und sind froh, dass sie in einem Deal dem Staat die Entsorgung übertragen haben, die letzten Atomkraftwerke abschalten, fleißig Windrädles aufstellen und damit als die »Guten« gelten können. Sie schalten die politisch unerwünschten Kohlekraftwerke ab, der Staat gleicht das fürstlich mit Steuergeldern aus und sie verdienen so auch an dem exorbitanten Wahnsinn »Energiewende« mit. Dass damit kein Land günstig und dauerhaft mit Energie versorgt werden kann, ist ihnen auch klar, nur muss ihnen das aus ihrer betriebswirtschaftlichen Sicht gleichgültig sein.

Währenddessen plant Polen den Bau von sechs Kernkraftwerken, Ungarn will ebenfalls weitere Reaktoren und in der Slowakei sollen die restlichen Reaktoren des Kernkraftwerkes Mochovce endlich fertig gestellt werden. 

Mit dem Bau der ersten beiden Blöcke wurde zwar bereits 1984 begonnen und 1998 und 1999 in Betrieb genommen, die Blöcke Mochovce 3 und 4 blieben dann allerdings im Rohbau stehen, weil die Finanzen fehlten. Mit dem Ankauf von zwei Drittel des ehemals staatlichen Versorgers Slovenské elektrárne (SE) übernahm der größte italienische Versorger ENEL auch die Verpflichtung zum Fertigbau. 

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Kommentare ( 19 )

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Korner
2 Jahre her

In den Niederlanden kostet dem Verbraucher die kw 14 Cent. Es ist ein Preis von unter 10 Cent angestrebt. Bei uns scheint ein Preis von 40 Cent angestrebt zu sein, davon 42 Cent Steuern und sonst. Abgaben zur Belustigung der Gäste und anderem Wahnsinn dieser Schnapsregierung.

Last edited 2 Jahre her by Korner
Carlos
2 Jahre her

Für Investoren sind neue Kernkraftwerke in unseren Nachbarländern sicher lohnend. Wenn bei uns das Licht ausgeht werden die doofen Deutschen gerne den Strom abnehmen, und sei er noch so teuer.

Korner
2 Jahre her
Antworten an  Carlos

Die Regierung und deren verbündete Stromunternehmen, kaufen den Strom für 6 Cent im Ausland ein und verkaufen dem Verbraucher nur durch Buchungen für rund 30 Cent. Gutes Geschäft, oder?

HPM
2 Jahre her

Danke für die detaillierte Hintergrundinformation. Man sollte halt nicht immer alles vorschnell „attributieren“, auch wenn es gut passen würde.

F. Hoffmann
2 Jahre her

Wir erfinden die Kernkraft neu“. Und deshalb ist das Konsortium, das den Dual Fluid Reaktor bauen will, auch nach Kanada gegangen.

89-erlebt
2 Jahre her

Der amtierende Politk Irrsinn in ???️‍? interessiert die Konzerne und Nachbarn nur noch soweit, wie sie damit noch fürstlich verdienen können. Vattenfall hat sich die Plattmachung von Moorburg noch mit hunderten Mio Steuergeld ausgleichen lassen, derweil der Stadt Betrieb Wärme Hamburg nicht mehr weiß, wie die alten Bruchbuden in Wedel und Tiefstack noch am Laufen (Kohle verbrennen) gehalten werden sollen.

alter weisser Mann
2 Jahre her
Antworten an  89-erlebt

Die „Konzerne“ sind nicht die, von denen die Gestaltungsparametes fr die Zukunft des Landes geliefert werden müssen. Die versuchen innerhalb der gesetzten Parameter optimal bis maximal zu verdienen, dazu sind sie da. Blauäugige Vorwürfe dazu kann man sich sparen.

89-erlebt
2 Jahre her
Antworten an  alter weisser Mann

Hee, ? Staatskonzern Vattenfall hat max. möglich aus Dummerland mitgenommen, weil es eine dümmliche Politik möglich gemacht hat. Der schwedische Staat als Miteigentümer verdient prächtig am deutschen Unwesen, Brennelemente Steuer – Mrd vom dt Steuerzahler, Schiedsverfahren wegen Enteignung bei Merkels Atom Rolle Rückwärts – Mrd vom dt Steuerzahler. Vorzeitige Stilllegung von Moorburg – geschätzt 260 Mio Prämie vom dt Steuerzahler. Zum Trost: Die Wähler aus Hamburg werden für ihr ach so grünes Gewissen bald ordentlich blechen, denn die uralt Kisten in Wedel – Bj.1961 und Tiefstack Bj. 1991 kosten real existierende Millionen im Betrieb UND können nicht stillgelegt werden.

Barnaby
2 Jahre her

Die Situation, in der sich Deutschland inzwischen hier befindet, erinnert mich fatal an den Autofahrer, der im Radio eine Warnung vor einem Geisterfahrer hört, just auf der Strecke, die er selbst gerade befährt. Und der dann zu sich selbst sagt: ‚Ein Geisterfahrer? Das sind Hunderte!‘

Last edited 2 Jahre her by Barnaby
Ruhrler
2 Jahre her

Das wir von AKW regelrecht „umzingelt“ sind ist ein schlagender Beweis für die Dummheit der Deutschen. Als ob Strahlung an der deutschen Grenze halt machen würde. Und das wir in Flautezeiten Strom aus Frankreich und Polen beziehen ein schlagender Beweis für die Verlogenheit der ganzen Energiewende. Aber irgendwie sorgt die Dauerpropaganda dafür das ein Großteil der Bevölkerung den Stuss tatsächlich glaubt. Armes Deutschland!

alter weisser Mann
2 Jahre her
Antworten an  Ruhrler

„Als ob Strahlung an der deutschen Grenze halt machen würde.“
Typisches Angst“argument“ der Kernkraftgegner.

HPM
2 Jahre her

Nicht nur der Privatverbraucher wird zunehmend belastet auch für die Wirtschaft und energieintensive Industrieunternehmen wird der höchste Strompreis in ganz Europa bei uns zum Grund sich aus dem Standort Deutschland zurückzuziehen. Trotzdem glaubt die Politik (in großen Teilen) weiter günstige und sogar CO2 freie grundlastfähige Stromerzeuger (z.B. Kernkraft) weiter beschleunigt abschalten zu müssen. Damit steigt immer mehr der Bedarf an teuren Stromimporten. Die sog. Energiewende wird sicher nicht – wie die Grünen meinen – ein Vorbild oder Exportschlager für Deutschland, eher im Gegenteil.

giesemann
2 Jahre her

Die Sprengung der Kühltürme erinnert mich heftig an die Sprengung der Buddha-Statuen durch die Taliban, https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/taliban-sprengen-buddha-statuen100.html

Andreas aus E.
2 Jahre her

Insider lassen verlauten, daß AKK die Kriegshaufen nun mit schweren Bierkutscherpferden ausrüsten ließe, die wegen Ausfalls des Oktoberfests derzeit arbeitssuchend sind.
Die sollen dann Steinschleudern und Viertelpfünder gegen die AKW der umgebenden Feindstaaten ziehen und selbige mit klimaneutralen Geschossen vernichten.
Derzeit liefen die EU-weiten Ausschreibungen zwecks Beschaffung brauchbarer Lafetten, teilten gutunterrichtete Kreise mit.