Anspannung, Ausstieg, Ausweg

Die Ausbreitung der Delta-Variante setzt der US-Wirtschaft zu — und zwar deutlicher, als es mancher Investor vielleicht erwartet hat. So fielen die Einkaufsmanager­indizes für das produzierende Gewerbe und Dienstleistungen, die das Prognose- und Markforschungsunternehmen IHS Markit berechnet, im August deutlich.

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Speziell der Dienstleistungssektor litt darunter, dass die US-Bürger vielerorts wieder vorsichtiger werden. Hier fiel der Index von 59,9 im Juli auf 55,2, den niedrigsten Wert seit acht Monaten. Bei den Produzenten ging der ­Indikator von 63,4 auf 61,2 zurück, der tiefste Stand seit vier Monaten. Zwar signalisieren beide Barometer noch Wachstum, doch die Anspannung wächst. Und auch der Unterschied zur Entwicklung in Europa ist groß: In der Eurozone sank der Gesamt-Einkaufsmanagerindex von Juli bis August lediglich um 0,7 Zähler auf 59,5. Das „Wall Street Journal“ verweist auf die hohe Impfquote bei Erwachsenen in Europa und die vielerorts geltenden 3-G-Regeln, die es Regierungen erlaubten, zunächst keine strikteren Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Infektionen zu verhängen. Mit Corona kann sich offensichtlich jeder eine Erklärung basteln.

Zyniker sehen es so: Insgesamt dämpft der Anstieg der Corona-Infektionen und Hospitalisierungen in vielen Regionen der USA die Furcht vor einem schnellen Anziehen der Geldpolitik. „Die schwachen Konjunkturdaten aus dieser Woche könnten die Steilvorlage für die US-Notenbank Fed liefern, die Zügel, die sie gerade in die Hand genommen hatte, wieder zu lockern“, sagte Jochen Stanzl, Analyst beim Handelshaus CMC Markets. Als eine Voraussetzung für das „Tapering“ gilt ein starker Arbeitsmarkt. Und die Anträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA sind gerade auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Pandemie gefallen.

Entsprechend fiel die Rede von FED-Chef Jerome Powell beim Jackson-Hole-Treffen der Notenbanker aus und lockte die Anleger an der Wall Street zum Wochenausklang wieder in die Aktien. Der Dow Jones Industrial stieg am Ende um 0,7 Prozent auf 35.456 Punkte. Damit fuhr der New Yorker Leitindex ein Wochenplus von fast einem Prozent ein.

Auch die übrigen New Yorker Indizes legten zu, sie erreichten wieder einmal Rekordhöhen: Der marktbreite S&P 500 gewann letztlich 0,9 Prozent auf 4.509Punkte und für den technologielastigen NASDAQ 100 ging es sogar um ein Prozent auf 15.433 Zähler hoch. Beim Dow fehlten allerdings noch 175 Punkte zu einer Bestmarke, die mittlerweile schon fast zwei Wochen alt ist.

Powells Rede galt seit Tagen schon als zentrales Thema an den Finanzmärkten. Er stellte zwar eine Reduzierung der Fed-Anleihekäufe noch in diesem Jahr in Aussicht, wies aber auf die derzeit wieder von dem Coronavirus ausgehenden Gefahren hin. Er betonte außerdem, dass eine Reduzierung der Anleihekäufe noch kein unmittelbares Zeichen für eine baldige Zinserhöhung sei.

Gefragt waren in der Folge der Powell-Rede die Ölwerte. Die Aktien von Chevron gehörten im Dow mit 1,5 Prozent zu den größeren Gewinnern. ConocoPhillips und ExxonMobil fielen im breiteren Markt mit Anstiegen von bis zu 2,9 Prozent positiv auf.

Aber auch viele Wachstumswerte aus der Technologiebranche, für die niedrige Zinsen als wichtiges Standbein ihrer Geschäftsdynamik gelten, fielen positiv auf. Dazu zählten viele Chipwerte und die rekordhohen Titel des Google-Mutterkonzerns Alphabet.

Im Dow gewannen Walt Disney in der Spitzengruppe zwei Prozent, nachdem es in einem Bericht des „Wall Street Journal“ geheißen hatte, man spreche mit Wettanbietern über eine Markenlizenz des Sportsenders ESPN. Dies verhalf auch den namentlich erwähnten Glücksspiel-Konzernen Caesars Entertainment sowie DraftKings deutlich nach oben.

Im Computer-Hardware-Bereich mussten die Aktionäre von Dell ein Minus von 4,5 Prozent einstecken, obwohl es zu den Resultaten durchaus positive Stimmen gab. Hier wurde am Markt auf Gewinnmitnahmen nach zuletzt gutem Lauf verwiesen.

Gute Nachrichten gab es kurz vor Börsenschluss noch für die Aktionäre von Manchester United. Die in New York gehandelten Aktien des Fußballclubs zogen um fast sechs Prozent an, nachdem überraschend die Verpflichtung des Superstars Cristiano Ronaldo von Juventus Turin vermeldet wurde.

Eine klare Botschaft bringen die jüngsten Konjunkturindikatoren aus Deutschland. Der Konsumklima-Index der GfK für September zeigt deutlich nach unten, Verbraucher haben demnach Angst vor einer vierten Corona-Welle und sind durch die steigenden Preise stark verunsichert. Deutschlands wichtigster Konjunktur­indikator, der Ifo-Geschäftsklima-Index, fällt ebenfalls. In allen Sektoren außerhalb des Baugewerbes haben sich die Aussichten demnach eingetrübt. Experten sehen die Daten als Bestätigung, dass hierzulande der Zenit des aktuellen Konjunkturzyklus erreicht ist. Das liegt auch daran, dass Teilemangel in vielen Branchen Tribut fordert, die Chipknappheit der Autobranche ist nur das prominenteste Beispiel. Viele Aufträge werden wegen der Engpässe nicht zeitnah erledigt. Das bedeutet aber auch, dass viele Geschäfte zeitlich verschoben und die Erholung damit verlängert wird. Für Börsianer ist das beruhigend, schließlich bleiben die konjunkturellen Perspektiven so zumindest freundlich. Auch DAX-Anleger sollten indes den größten Treiber der globalen Kursrally im Blick behalten: die ultralockere Geldpolitik.

Gleichwohl zeigte sich auch der deutsche Aktienmarkt zum Wochenende stärker. Der deutsche Leitindex DAX schloss 0,4 Prozent im Plus bei 15.852 Punkten.
Auf Unternehmensseite stand Vonovia im Vordergrund. Der Immobilienkonzern gab im Zusammenhang mit der Deutsche-Wohnen-Übernahme bekannt, Unternehmensanleihen in Höhe von fünf Milliarden Euro zu platzieren. Die Aktie legte um rund ein Prozent zu.

Infineon und Vonovia gingen als DAX-Gewinner aus dem Handel. Die Schlusslichter waren am Freitag RWE und Fresenius Medical Care.

„Gong tong fu yu“, ins Deutsche übersetzt „gemeinsamer Wohlstand“, ist ein Ausdruck, den chinesische Regierungsmitglieder in jüngster Zeit häufig verwenden. Tatsächlich scheint sich dahinter ein Schlüssel zu verbergen, wie Chinas Unternehmen den zunehmenden regulatorischen Repressalien ausweichen können. Wie das geht, zeigt der Onlinehändler Pinduoduo: Umgerechnet 1,3 Milliarden Euro will der E-Commerce-Gigant für die Entwicklung der Landwirtschaft und Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung in China spenden. Dafür sei der gesamte Gewinn des zweiten Quartals sowie zukünftiger Quartale vorgesehen, bis das Spendenziel erreicht sei. Zuvor hatte bereits Tencent angekündigt, man wolle umgerechnet 13 Milliarden Euro für soziale Zwecke abgeben. Hintergrund: In der chinesischen Bevölkerung wächst der Unmut über die immer größer werdende Einkommensschere im Land.


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Thorsten
2 Jahre her

Ein Unternehmen kann auch über Investitionen oder Preissenkungen seinen Profit verkleinern. Das macht bei solchen dirigistischen Eingriffen durchaus Sinn, da langfristig das Unternehmen stärken bzw. seine Marktposition verbessern.