Wenn nicht dieser Sturm, dann ein andrer

Politiker und ihre Journalisten leugnen die Realität – und tun dann immer ganz erschüttert. Wenn ein Sturm heranzieht, und du die Fenster offen stehen lässt, rede dich nicht auf den Sturm heraus, wenn du bald daheim knöcheltief im Wasser stehst.

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Wenn ein Sturm naht, und du die Fenster offen stehen lässt, ist es wirklich die Schuld des Sturms, wenn dein Wohnzimmer bald unter Wasser steht?

Ich weiß, ich weiß – und etwa in »Wie Gaffer beim Logikunfall« habe ich es selbst dokumentiert – dass es sich mit nicht wenigen Artikeln in linken Publikationen wie mit schauerlichen Autounfällen verhält: Man weiß, dass es besser wäre, nicht hinzuschauen – und doch »kann man nicht anders«.

»Hört auf den Koran«, heißt es bei jener Zeitung, die uns zuvor Klassiker vorlegte wie »Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal.«, und die »Mülldeponie« für Polizisten vorschlug, da sie »Abfall« seien (taz.de, URLs: 15.10.2020, 4.8.2011, 15.6.2020).

Es sind Texte wie Auffahrunfälle, und doch schaut man hin, und wenn man hinschaut, stellt man fest, dass etwa zwar das Händewaschen und das Alkoholverbot im Koran tatsächlich die entsprechenden Ge- und Verbote vorweggenommen werden – ob man deshalb auch das Auspeitschen als Strafe für Unzucht (Sure 24, Vers 2) präventiv einführen sollte (immerhin wurde in Deutschland örtlich die Prostitution verboten, das Fremdgehen wird vielleicht bald folgen), darüber schweigt sich der witzige Linkskolumnist (noch) aus.

Deutlicher wurde jener Algerier, der 2017 seine Kritik am Westen auf dem Vorplatz der Notre Dame kundtat und dies rhetorisch mit Hilfe eines Messers unterstrich, und nun vor Gericht weiter ausführte:

Sachez chiens de Français et d’Américains que nous sommes déjà chez vous, au pied de votre porte pour vous égorger et faire couler votre sang d’infidèles. (lefigaro.fr, 12.10.2020).

Nach den Richtlinien des modernen Journalismus übersetzt: »Ich wünsche mir ein friedliches und tolerantes Zusammenleben mit Franzosen und Amerikanern.«

Ein tolerantes Zusammenleben erfordert selbstredend das Entgegenkommen beider Seiten, und es ist natürlich »wenig hilfreich«, wenn eine Seite der anderen Seite mit allzu blanker Rückseite begegnet! – Im toleranten Duisburg verbot man deshalb dieser Tage, dass Damen in der Therme sich in allzu knapper Badekleidung an den Wohltaten des öffentlichen Bades erfreuten, denn es sei »ein Standort, wo viele Kulturen aufeinander treffen« und »Freizügigkeit« werde »nicht immer von allen Besuchergruppen toleriert« (focus.de, 13.10.2020). Toleranz bedeutet, sich anzupassen, wenn gewisse »Besuchergruppen« und »Kulturen« es anders nicht so gut tolerieren. Nach lebhaften P(r)otesten, wurden die verbieterischen Schilder wieder abgenommen. Die Betroffenen werden sich bestimmt über beide Backen freuen.

(Noch) nicht bekannt

Wir hoffen, ein gegenüberliegendes Ufer zu erreichen, wieder sicheren Boden unter den Füßen zu spüren, doch noch sind wir mitten in der Strömung. Ich bin ja schon länger damit beschäftigt, Steine in den Fluss zu legen, über die sich hoffentlich eine Brücke bauen ließe – erlauben Sie mir bitte also, einige bislang in die Flut gesetzten Steine schnell abzugehen.

Im Essay »Die Gentleman-Strategie« beschrieb ich ein gänzlich fiktives Filmdrehbuch, wonach eine ausländische Macht den Westen nicht unbedingt »schubsen« muss, wie der Rüpel es bei der Dame versucht, sondern ihm vielmehr »beim Fallen hilft«, wie ein Gentleman es tun würde.

Die »Gentleman-Strategie« muss natürlich mit jenem Satz zusammen gelesen werden, den ich selbstbewusst als »Wegners Rasiermesser« formuliert habe (siehe etwa Essay vom 24.3.2020): Aus der Tatsache, dass »die da oben« einen Missstand nutzen, folgt nicht, dass dieselben Akteure ihn auch herbeigeführt haben. (Es kann aber sein, dass die ihn durchaus in Folge verschärfen. Beispiel: Regierung und Wohlfahrtskonzerne haben die Migrationskrise nicht gestartet, aber sie verschärfen das Problem – und einige von ihnen profitieren davon.)

Ich weise (etwa im Text »Verschwörungstheorien und Kompromat«, 18.5.2019) wiederholt darauf hin, dass eine sogenannte »Verschwörungstheorie« auch sehr gut ohne »Verschwörer« auskommt – weil 1. der oder die Drahtzieher eines belegbaren Ereignisses (noch) nicht bekannt sind, oder 2. es schlicht keine gibt, aber sehr wohl Akteure, die davon profitieren.

Im Text zur »Islamisierung« belege ich in detaillierten Schritten, warum diese in jeder Deutung des Begriffs längst stattfindet (jener Text ist von 2018 – mittlerweile haben auch Haltungsjournalisten eingesehen, dass sie es selbst mit dem moralischsten Augenaufschlag nicht mehr leugnen können – und, da es unabwendbar scheint, auch nicht mehr leugnen müssen).

Nach all diesen Trittsteinen, die ich mir selbst ins Wasser legte, will ich über eben diese schreiten, um an ihrem Ende einen weiteren ins Wasser zu senken, in der Hoffnung, irgendwann ein gegenüberliegendes Ufer zu erreichen.

Und zwar, dies: Ich halte weder die Islamisierung, noch eine zukünftige Existenz als (eine neuartige ) chinesische Kolonie, ja nicht einmal das absehbare Abgehängtwerden beim Zukunftssthema »Künstliche Intelligenz« für unser eigentliches oder auch nur drängendstes Problem. Ich halte auch weder China noch Russland und nicht »den Islam« für unseren Gegner. – Unser erstes Problem, unser folgenreichster Fehler und unser wahrer Gegner ist unsere eigene totale Konfusion.

Wenn nicht…

Wir sind wie ein Taumelnder, der sich nicht entscheiden kann, in welche der vielen Dornenbüsche um ihn herum er fällt.

Wenn nicht »der Islam« wäre, wäre es der »Öko-Aktivismus« (er versucht es ja) oder eine andere Religion, die uns drängt, sich Offenbarung und Propheten zu unterwerfen.

Wenn nicht China, Russland oder die USA wären, würde das Geld anderer Mächte unsere Städte aufkaufen, würden andere Länder unsere Produktion übernehmen, uns Geld leihen während sie uns beim Stand der Forschung abhängen. (Randnotiz – zum aktuellen Blick Chinas auf den Wesen formulierte Bill Blain in seinem Blog jüngst treffend: »The Chinese must be laughing their heads off…« – frei übersetzt: »Die Chinesen lachen sich wahrscheinlich gerade halbtot…«; morningporridge.com, 15.10.2020)

Wenn nicht dieses »neuartige« Covid-Virus wäre, würde das nächste Virus uns in lähmende Panik versetzen, diese typisch neu-deutsche Kombination aus Ignoranz – siehe die buchstäbliche »Party-Szene« in Berlin – und Hysterie mit zweifelhaftem Nutzen, sie ist zuerst ein Zeichen unserer Konfusion.

Wenn all die Stürme nicht wären, die uns heute in die offenen Fenster blasen, dann wären es eben zehn andere Stürme.

In bekannten und bewährten Worten

Während ich diese Gedanken notiere, höre ich jene dauernden »Böen« pfeifen, an die wir uns fast schon gewöhnt haben; aktuell etwa: Daimler meldet 1.500 Leiharbeiter ab (nrz.de, 15.10.2020), Autozulieferer Valeo »will jeden Vierten entlassen« (faz.net, 16.10.2020), Noblex in Eisfeld lässt »85 Mitarbeiter ohne Perspektive« (insuedthueringen.de, 13.10.2020), »Rund 40 Karstadt-Filialen machen für immer dicht« (bild.de, 15.10.2020 – zur Erinnerung für die Jüngeren: »Karstadt« ist eine Art »Amazon zum Reingehen, aber mit Retro-Feeling«). Was sollen die vielen Angestellten, die ihre Arbeit verlieren, mit ihrem Leben tun? Was soll der Staat ihnen bieten? Nicht jeder Mensch kann (oder sollte) »programmieren lernen«. Nicht alle Sturmböen lassen sich aussperren, nicht alle menschlichen Härten immer vermeiden – doch durch totale Konfusion in anderen Angelegenheiten, wird es so viel schwerer für das Land, schnell und auf kluge Weise die Feuer zu löschen, die wirklich unvermeidbar waren.

Wenn ein Sturm naht, und du die Fenster offen stehen lässt, ist es wirklich die Schuld des Sturms, wenn dein Wohnzimmer bald unter Wasser steht? Wir lassen nicht nur ein einzelnes Fenster an unserem Haus offen, wir lassen sie alle so sperrangelweit offen wie die Grenzen in 2015 – und dann tun wir, als sei der Sturm unvermeidbar gewesen.

Ein Volk, ein Staat wie auch ein Mensch, die ihre relevanten Strukturen nicht anzugeben wissen, können diese auch nicht ordnen. Ein Volk aber, das nicht weiß, was ihm wirklich wichtig ist, was als Werte und relevante Strukturen gesetzt ist und bewahrt werden muss, das wird von einem Sturm in den anderen geraten, bis es »durch den Wind« ist.

Wenn ein Sturm naht, und du die Fenster offen stehen lässt, dann gib nicht dem Sturm die Schuld dafür, dass du bald bis zu den Knöcheln im Wasser stehst. Schließe ein paar Fenster – wenn schon nicht im Staat, dann zumindest im eigenen Leben!

Oder, in bekannten und bewährten Worten: Ordne deine Kreise!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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Kommentare ( 11 )

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Hoffnungslos
3 Jahre her

Wer ordnet die Kreise unseres Staates? Ist es richtig, wenn ich selber hinter geschlossenen Türen und Fenstern stehe, aber der Staat alle Türen für die Stürme dieser Welt, weit offen stehen lässt?

HRR
3 Jahre her

„Nach all diesen Trittsteinen, die ich mir selbst ins Wasser legte, will ich über eben diese schreiten, um an ihrem Ende einen weiteren ins Wasser zu senken, in der Hoffnung, irgendwann ein gegenüberliegendes Ufer zu erreichen.
~~
Lieber Herr Wegner, wenn Sie Ihren letzten Trittstein ins Wasser gelegt haben werden, wird Ihnen beim Erreichen des gegenüberliegenden Ufers vermutlich ein „Allahu akbar“ entgegenschallen. (Bedeutungsonline.de: „Allahu akbar wird auch gesagt, wenn etwas Überraschendes passiert ist, jemand erstaunt oder bestürzt ist. In dem Sinne kann „Allahu akbar“ auch sinngemäß mit „Oh mein Gott“ übersetzt werden.“)

Oblongfitzoblong
3 Jahre her

“ Unser wahrer Gegner ist unsere eigene totale Konfusion.“ Treffender lässt sich der Zustand unseres Staatsgebildes nicht beschreiben!

B. Krawinkel
3 Jahre her

Was soll das sein? Der Rückzug ins Innere? Die Kapitulation vor dem, was man erst jahrelang beklagt hat, ohne praktisch was dagegen zu tun? Herr Wegner; Sie sind ein heller Kopf und ich lese Ihre fundierten Beiträge immer gern. Aber sie helfen mir nicht mehr weiter. Alle hier wissen nicht nur, daß etwas ganz übel falsch läuft, sondern auch überwiegend, aus welcher Richtung dieser Wind weht. Leider, leider haben sich alle politisch-medial wirkenden intellektuellen Köpfe in ihren Elfenbeintürmen schalldicht verbarrikadiert. Und statt die Meinungsführerschaft oder wenigstens teilweise Verantwortung zu übernehmen, kommt von da immer nur das allzu bekannte Klagelied. Es… Mehr

Last edited 3 Jahre her by B. Krawinkel
November Man
3 Jahre her

Ich halte nach den Grünen den Islam für die größte Bedrohung für unser Land  

EndemitdemWahnsinn
3 Jahre her
Antworten an  November Man

Da halte ich den Islam an sich trotzdem schon noch für deultich bedrohlicher als die Grünen, auch wenn doch beides inzwischen zusammenhängt, da es ja am stärksten die Grünen sind, die diese Leute ins Land holen wollen.

Stephan M. Schulz
3 Jahre her

Lieber Herr Wegner,
wieder ein sehr lesenswerter Artikel von Ihnen, mit dem Sie den Nagel voll auf den Kopf treffen. Danke dafür.

Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Herr Wegner ist 46 Jahre alt und hört sich an wie jemand, der schon vor 50 Jahren resigniert hat…

Oblongfitzoblong
3 Jahre her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Ich glaube, Sie schätzen Herrn Wegner völlig falsch ein!

Minotaurus007
3 Jahre her

Interessante Interpretationen. Irgendwie kann ich allem nur zustimmen. Das scheint aber daran zu liegen, das jene Interpretationen (Fenster, Stürme) etc. so allgemein und vage gehalten sind, dass sie prinzipiell nicht widerlegt werden können.
An der Stelle rührt sich bei mir immer das klassische Poppersche Verständnis von Wissenschaftlichkeit: was nicht falsifizierbar ist, ist nicht wissenschaftlich.
Damit ergeben sich keine wirklichen Handlungskonsequenzen. Wegners Ideen hier sind prinzipiell nicht widerlegbar.

reiner
3 Jahre her

brilliant, wie immer beschrieben .