Warum „Eliten“ wie Greta Thunberg den Kapitalismus hassen

Freie Märkte haben Millionen von Menschen aus der Armut geholt, Frauen befreit und die Umwelt geschützt. Warum sind dann so viele Progressive gegen sie? Von Michael Shellenberger

IMAGO / TT

In den letzten drei Jahren hat Greta Thunberg gesagt, dass es ihr Lebensziel sei, die Welt vor dem Klimawandel zu retten. Aber vor kurzem sagte sie vor einem Publikum in London, dass Klimaaktivisten „das gesamte kapitalistische System“ stürzen müssen, das ihrer Meinung nach für „Imperialismus, Unterdrückung, Völkermord … rassistischen, unterdrückerischen Extraktionismus“ verantwortlich ist. In ihrer Rede wiederholte sie die Forderungen des Weltwirtschaftsforums nach einem „Great Reset“, weg von fossilen Brennstoffen und hin zu erneuerbaren Energien. Es gibt kein „Zurück zur Normalität“, sagte sie.

Doch ihre Behauptungen sind absurd. Das „gesamte kapitalistische System“ hat in den letzten 200 Jahren dafür gesorgt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen von 30 auf 70 Jahre gestiegen ist. Das „gesamte kapitalistische System“ produziert größere Nahrungsmittelüberschüsse als jedes andere System in der Geschichte der Menschheit. Und das „gesamte kapitalistische System“ hat dazu geführt, dass die Treibhausgasemissionen in den Industrieländern in den letzten 50 Jahren zurückgegangen sind.

Der Kapitalismus ist alles andere als perfekt. Er verschärft die Ungleichheit, indem er einige Menschen so reich macht, dass sie mit Flüssigwasserstoff ins All fliegen können, während andere zu arm sind, um sich Erdgas leisten zu können. Er ist durch Zyklen von Aufschwung und Zusammenbruch gekennzeichnet, die zu rasantem Wohlstand führen, gefolgt von hoher Arbeitslosigkeit. Und er verwandelt ständig nicht-marktliche Beziehungen, einschließlich intimer Beziehungen wie die zwischen Eltern und Betreuern, in Tauschgeschäfte zwischen Käufern und Verkäufern.

Aber der Kapitalismus ist eindeutig besser als jedes andere System wirtschaftlicher Organisation, das bisher entwickelt wurde. Das hohe Maß an Ungleichheit ist das Ergebnis von mehr reichen und nicht von mehr armen Menschen, denen es im Kapitalismus viel besser geht als im Feudalismus oder Kommunismus. Der Konjunkturzyklus mit Boom und Pleite führt zu Manien und Depressionen, aber er ist viel effizienter und weniger repressiv als Regierungen, die entscheiden, was, von wem und zu welchem Preis produziert werden soll. Und obwohl es stimmt, dass der Kapitalismus nicht-marktliche Beziehungen untergräbt, ist das oft eine gute Sache, sogar im Fall der Kinderbetreuung, da es Frauen und anderen ermöglicht, für ihre Arbeit entlohnt zu werden.

Einige der Menschen, die am meisten vom industriellen Kapitalismus profitiert haben, sind Menschen wie Thunberg und ihre Familie. Der bemerkenswerte Reichtum ihres Heimatlandes Schweden ist der industriellen Revolution zu verdanken, die es einer winzigen Anzahl von Menschen ermöglicht, Lebensmittel, Energie und andere lebensnotwendige Güter zu produzieren, so dass die Mehrheit der Schweden anderen, weniger anstrengenden und angenehmeren Dingen nachgehen kann. Das Gleiche gilt für den gesamten Westen. In den USA arbeiten nur 2 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft und nur 8 Prozent in Fabriken.

Und der industrielle Kapitalismus ermöglichte es Schweden, einen großzügigen Sozialstaat zu schaffen, der aus kostenloser Gesundheitsversorgung, kostenloser Bildung und 480 Tagen bezahltem Urlaub für Eltern bei der Geburt oder Adoption eines Kindes besteht. Die Thunbergs sind, gemessen an jedem globalen oder historischen Standard, reich: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt nach Angaben der Weltbank weltweit bei 11.000 Dollar, was weniger ist als die Kosten für die beiden Stühle in Thunbergs Wohnzimmer.

Der Kapitalismus ist viel besser für die natürliche Umwelt als der Feudalismus oder der Kommunismus. Im Feudalismus sind Subsistenzbauern auf Holz und Dung als Brennmaterial angewiesen und müssen große Flächen bewirtschaften, um eine kleine Menge an Nahrungsmitteln zu produzieren. Die industrielle Revolution befreite die meisten Menschen nicht nur von der mühsamen Landwirtschaft, sondern verringerte dank Düngemitteln, Bewässerung und Traktoren auch den Flächenbedarf. Derselbe Prozess ermöglichte es den Menschen, von der Nutzung von Holz und Kohle auf Erdgas und Uran als primäre Brennstoffe umzusteigen.

Das Ergebnis war die Rückkehr und „Wiederbewaldung“ von Grasland und Wäldern auf der ganzen Welt, auch in Schweden. Der Grund dafür ist, dass der Marktkapitalismus wirtschaftliche Effizienz und damit einen geringeren Verbrauch an natürlichen Ressourcen belohnt. Nehmen wir die Wale. Was sie in den kapitalistischen Ländern rettete, waren billigere Ersatzöle, zunächst Erdöl und dann Pflanzenöle. Die Sowjetunion hingegen hielt am Walfang fest, lange nachdem es wirtschaftlich effizient war, weil die Walfänger vor dem Wettbewerb des Marktes geschützt waren.

All dies und doch sind es weltweit wohlhabende und gebildete Progressive wie Thunberg, die antikapitalistisch sind. Unsere Sprache spiegelt dies wider. Überall im Westen werden wohlhabende Antikapitalisten als „Latte Liberals“, „Neiman Marxists“, „Champagne Socialists“, „Radical Chic“ und „Cashmere Communists“ bezeichnet. Ähnliche Ausdrücke gibt es auch in nicht-englischsprachigen Ländern: izquierda caviar (Kaviar-Linke in Spanien); gauche caviar (Kaviar-Linke in Frankreich); Salonsozialist (Salon-Sozialist in Deutschland); und – in Thunbergs Heimatland Schweden – Rödvinsvänster, was „Rotwein-Linke“ bedeutet.

Das war nicht immer so. Linke Parteien, von kommunistischen über sozialistische bis hin zu sozialdemokratischen Parteien, waren früher die Parteien der Arbeiterklasse. Heute sind sie in der gesamten westlichen Welt die Parteien der gebildeten Eliten. Die jüngsten Umfragen zeigen, dass die Demokraten bei den College-Wählern einen Vorsprung von 14 Punkten und bei den Wählern aus der Arbeiterklasse einen Rückstand von 15 Punkten haben – ein Anstieg von 11 Punkten seit 2012. „Damit niemand denkt, dass die abnehmende Unterstützung der Arbeiterklasse nur darauf zurückzuführen ist, dass sich weiße Wähler aus der Arbeiterklasse von den Demokraten abgewandt haben“, schreibt der selbsternannte Sozialdemokrat Ruy Teixeira, „sollte man beachten, dass sich nicht-weiße Wähler aus der Arbeiterklasse in diesem Zeitraum um 19 Prozentpunkte von den Demokraten abgewandt haben.“

Dies gilt für die gesamte westliche Welt. Von den britischen Brexiteers über die niederländischen Landwirte bis hin zu den französischen Gelbwesten wenden sich die Menschen aus der Arbeiterklasse von der Linken ab und wenden sich politischen Bewegungen zu, die den freien Markt befürworten, sowie pro-kapitalistischen politischen Parteien. Warum ist das so? Wie wurden gebildete Eliten wie Thunberg zu Antikapitalisten und die Arbeiterklasse zu Pro-Kapitalisten?

Der Harvard-Ökonom Josef Schumpeter (links) und der Soziologe Thorstein Veblen von der Universität Chicago (rechts)

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Kommentare ( 75 )

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Helfen.heilen.80
2 Jahre her

Eine hervorragend geduldige Ausführung, die im Sozialkundeunterricht vermittelt werden sollte. Die meisten (Krypto-) Sozialismusanhänger haben das Phänomen nicht vollständig durchdacht. Es ist zugegebenermassen ein langatmiges Stück Arbeit, sich durch die geschichtlichen Erscheinungsformen und die Systemphilosopie hindurchzuarbeiten. Diese Möglichkeit steht u.U. auch nicht jedem frei. Allerdings ist die Bevölkerungsgruppe gross genug, die sich beim Thema Sozialismus lediglich mit plumpen Allerwelts- und Gefühlsäußerungen begnügen. Den real existierenden S. hätten sie vermutlich nicht besonders genossen, und wären mit ihren Extravaganzen als erste untergegangen. So dürften diese Sympatiebekundungen psychologisch gesehen eher Projektionen, Querulantentum, Wichtigtuerei, Dilettantismus, Profilneurose und eine Ausrede für Leistungsversagen, -verweigerung, Neid und… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Helfen.heilen.80
WandererX
2 Jahre her

Greta hasst nur das, was sie nicht beherrschen kann: sie gehört zu den Verrückten, die glauben, dass man das Leben in der Welt (mit dem Kopf!) lenken könnte, das hat ihr ihr zur Omnipotenz neigender Geschäftsmann- Vater eingeredet.Diesen Typ gibt es links und rechts und ist unabhängig von dieser mechanischen Denk- Positionen im Leben. In diesem Sinne ist der Ansatz des Artikels grundfalsch.
Es geht darum, diese Typen und ihren Geschichtsphilophien Grenzen zu setzen, was im US- englischen Fundumental- Liberalismus sehr sehr schlecht gelingt!

horrex
2 Jahre her

So 10-12 muss ich gewesen sein als mein Vater mich fragte was wohl passiere, wenn man 100 Leuten jeweils eine Millon gäbe … es dauerte nicht lange und ich kam – schon damals – drauf. Nämlich das Lotto-Phänomen: Nach nach kurzer Zeit haben 99 alles ausgegeben für … und Einer von den hundert hat zwei Millionen. – Eine andere Geschichte die mein Vater mir erzählte (nie recherchiert) mir aber absolut plausibel ist: Ein „linker“ Journalist soll einen Rothschild interviewt haben und schlug ihm vor: „Baron sie sind so immens reich und es gibt so viele Arme im Land wie wärs,… Mehr

Rainer mit ai
2 Jahre her

Interessant ist, dass sie nicht das „gesamte sozialistische System“ mit einbezog. Was hat dieses System geleistet? Mir fällt was ein: Unterdrückung, Verlendung, Massenmord, und übrigens auch Umweltverschmutzung. Liebe Greta, wo war die Luft vor der deutschen Wiedervereinigung besser, im Ruhrgebiet oder in Bitterfeld? Was hatte die besseren Abgaswerte, Käfer oder Trabi?  Mir fällt auf, dass man dem Kapitalismus jede kleine Unzulänglichkeit übel nimmt, um dessen Abschaffung zu fordern. Der Sozialismus wird jedoch trotz ständigen praktischen Versagens mit Samthandschuhen angefasst und immer wieder ausprobiert. Sozialisten sind wie jemand, der hundertmal mit dem Kopf gegen die Wand schlägt, und sich wundert, dass… Mehr

F. Hoffmann
2 Jahre her

Kennt Michael Shellenberger die Artikelserie der kanadischen Journalistin Cory Morningstar „The Manufacturing of Greta Thunberg“? Da geht es nur anfangs um Greta, ansonsten um das Geflecht von Superreichen, von ihnen finanzierte NGOs, ins Klimageschäft involvierte Politiker,etc.. Sehr detailreich recherchiert! Wußten Sie, z.B., daß der Green Deal 2009 vom damaligen Leiter der UN Umweltbehörde Achim Steiner (ich meine er hieß so, ggf. googeln) vorgeschlagen wurde. Und zwar im Hinblick auf die Wirtschaftskrise 2008, nach dem Motto „wir brauchen einen Zustand wie nach den großen Kriegen, um dann die Wirtschaft neu aufzubauen. Also zerschlagen wir die alte Wirtschaft und stellen auf Klimawirtschaft… Mehr

Cimice
2 Jahre her

Die Frage habe ich mir schon vor Jahrzehnten gestellt. Nicht wegen Thunberg sondern in Bezug auf Karl Marx, der nicht aus der Arbeiterklasse sondern aus einer recht begüterten Familie kam. Darzulegen wie er zum Kommunismus kam, würde hier den Rahmen sprengen.

Kassandra
2 Jahre her
Antworten an  Cimice

Wäre er ohne Engels beständige Zuwendungen überlebensfähig gewesen?
„Ja, du redest immer von Gleichheit und Gütertheilen, allein ich setze den Fall, wir haben getheilt und ich, ich spare meinen Theil, doch du verschwendest den Deinigen, was dann?“
„Ganz einfach! Dann theilen wir wieder!“
aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 2, S. 16, 1845

giesemann
2 Jahre her

Ohne Kapitalismus gäbe es heute nicht acht Milliarden Erdenbewohner, sondern VIEL weniger. Insofern hat Greta recht. Und jede/r hat deshalb recht, der/die/das den Kapitalismus hasst. #metoo. https://www.tichyseinblick.de/meinungen/warum-eliten-wie-greta-thunberg-den-kapitalismus-hassen/ 
Und klar: Man muss ja ablenken davon, was uns allen um die Ohren fliegt. Näheres auch Nairobi 2019 – wurde kaum thematisiert: https://www.dw.com/de/weltbevölkerungskonferenz-in-nairobi-neuer-anlauf-für-frauenrechte/a-51199126

 

Michael M.
2 Jahre her

Zählen Schulschwänzer/Schulbestreiker neuerdings zu den Gebildeten (letzter Satz des Artikels)?
Falls ja, dann würde mich interessieren wo diese denn bitte ihre Bildung erlangt haben sollen, denn die Schule kann es ja nicht gewesen sein.
Ich bin schon ganz gespannt….

Britsch
2 Jahre her
Antworten an  Michael M.

das größte Problem dieser Welt ist,
die Dummen sind sich Ihrer Sacher immer schnell ganz sicher,
die Gescheiten / Wissenden ständig voller Zweifel.
So in etwa hat es z.B. auch Helmut Schmidt etwa gesagt.
Den Sinn werden nicht Alle verstehen

KoelnerJeck
2 Jahre her

Linke Parteien, von kommunistischen über sozialistische bis hin zu sozialdemokratischen Parteien, waren früher die Parteien der Arbeiterklasse. Deswegen war die National-Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands auch eine Arbeitbeiterpartei. Man denke nur an die „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ dieser Partei. Das jetzige System, mit den dauernden preispolitischen Eingriffen in den Markt, z.B. Mindestlöhne, nennt sich Interventionismus. In dem Artikel fehlt leider noch eine Beschreibung dessen, was der Kapitalismus ist. „Das Programm des Liberalismus hätte also, in ein einziges Wort zusammengefasst, zu lauten: Eigentum, das heißt: Sondereigentum an den Produktionsmitteln. […] Alle anderen Forderungen des Liberalismus ergeben sich aus dieser Grundforderung.“ (Ludwig von Mises, Liberalismus) Das Argument… Mehr

Ehefrau-und-Mutter
2 Jahre her

Aber Salon-Sozialisten sind nicht neu. Meine Grossmutter sagte, ihre Mutter, von Beruf Waschfrau und Ehefrau eines italienischen Gastarbeiters, der seinen Zahltag in der Kneipe liess, habe sich schon über „Salon-Sozialisten“ geärgert. Anstatt sich sozialistisch leid zu tun sorgte sie dafür, dass ihre Tochter eine gute Ausbildung bekam, deren Sohn wiederum wurde dann Arzt. Trotz „struktureller Unterdrückung“ und „gläserne Decken“ und so.