Wahlrechtsreform: Die Regierung diskriminiert Oppositionsparteien

Wird die Wahlrechtsreform morgen früh verabschiedet, müsste die CSU bei der nächsten Wahl um ihren Einzug in den Bundestag bangen. Mehrheiten rechts der Mitte wären kaum möglich. Was gäbe es für einen Aufschrei, wenn in Polen oder Ungarn die Regierung ganz offensichtlich eine Oppositionspartei so benachteiligen würde?

IMAGO / photothek

Was Bismarck begann, vollendet nun Scholz: die Entmündigung Bayerns. Nach derzeitigem Stand würde die Wahlrechtsreform bedeuten, dass eine Erststimmensiegerin CSU nicht damit rechnen könnte, in den Bundestag zu ziehen, sollte sie bei den Zweitstimmen nicht 5 Prozent der bundesdeutschen Gesamtstimmen erreichen. Man muss kein Freund der Christsozialen sein, um zu verstehen, dass das demokratietheoretisch eine Benachteiligung von Millionen Wählern bedeutet. Die Liste siegt endgültig über die Direktkandidaten.

Parteienstaat statt Bürgerstaat
Die Wahlrechtsänderung – nieder mit dem Bürgermandat
Auch in der parteipolitischen Machtbalance ist das eine seismographische Verschiebung. Würden Linkspartei und CSU nicht mehr in den Bundestag einziehen, bedeutete das eher eine Schwächung der Union denn der linken Kräfte. Die Union würde zur Koalitionsbittstellerin. Unter dem Vorzeichen der liberalen Erosion in den Bundesländern kündigt sich zudem an, dass auch die FDP vielleicht um einen Wiedereinzug in den Bundestag bangen müsste.

In einem solchen Szenario sind dann rechnerisch nur noch Koalitionen links der Mitte möglich, mit einer endgültig sozialdemokratisierten CDU. Rot-Grün wäre wieder realistisch – oder doch eher Grün-Rot? Selbst die bisher theoretisch bestehende Möglichkeit der Bahamas-Koalition aus allen Parteien jenseits von Rot-Rot-Grün wäre in der Summe nicht mehr durchführbar; sowohl 2017 wie 2021 wäre ein Zusammengehen von CDU/CSU, FDP und AfD möglich gewesen. Das Angstgebilde auf grün-roter Seite wäre mit der Wahlrechtsreform gebannt – und damit prinzipiell Mehrheiten rechts der Mitte.

Freilich könnte es in der CDU Kräfte geben, die diese Situation als willkommenen Anlass sehen, um die „Schwesterpartei“ in Bayern endgültig zum 16. Landesverband zu degradieren. Politische Kurzsichtigkeit ist kein Novum.

Dass allerdings einige politische Verantwortungsträger sehr genau wissen, was sie tun, zeigt sich am kurzfristigen Termin. Denn nur wenige Tage, nachdem die neueste Fassung steht, soll dieses Gesetz schon verabschiedet werden. Die Bundestagsverwaltung hat am Dienstag um 18:15 Uhr die Tagesordnung geändert. Die Reform soll bereits morgen früh um 9 Uhr verabschiedet werden. Diese Gesetzesreform im Rekordtempo weckt Erinnerungen an den letzten Sprint im Parlament: nämlich, als sich die Parteien – verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht Jahre später feststellte – die Gelder erhöhten.

Doch nicht nur diese Umstände wecken Skepsis. Deutschland und seine Presse sind schnell dabei, den Zeigefinger zu strecken: auf Ungarn, auf Polen, neuerdings auch Italien. Was gäbe es für einen Aufschrei, wenn eine Regierungskoalition ganz offensichtlich eine Oppositionspartei bei der nächsten Parlamentswahl benachteiligen wollte? Wie schnell würde Brüssel alarmiert, wie zügig Sanktionen besprochen?

In Deutschland soll es gleich zwei Oppositionsparteien betreffen. Von einem Aufschrei dagegen ist wenig zu vernehmen. Was dem besten Deutschland aller Zeiten erlaubt ist, ist den Rindern unter den EU-Mitgliedsländern noch lange nicht erlaubt. Nach dem Wahlskandal in Berlin zeigt sich die Bundesrepublik neuerlich als Bananenrepublik ohne Sonnenschein und Südfrüchte.

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Kommentare ( 26 )

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Axel Fachtan
1 Jahr her

Du darfst das Wahlrecht nicht den Parteien überlassen. Sonst geht es vor die Hunde. Ein Leser hat hier darauf hingewiesen, dass in Bayern das undemokratische Zeug gilt, das jetzt im Bund auch eingeführt werden soll! Und da sind dieses Jahr Landtageswahlen! Bayern hat auf Betreiben der CSU genau das Wahlrecht, das Einzelkandidaten und kleinere Listen ganz und gar aus dem politischen Betrieb ausschließt. Die CSU ist in Bayern der größte Feind der politischen Minderheiten und sichert sich seit Jahrzehnten auf verfassungswidrige Weise die Mehrheiten! Das bayerische Wahlrecht muss dringend reformiert werden. Wer das Direktmandat gewinnt, gehört auch dann in den… Mehr

Britsch
1 Jahr her

ich finde minimum die Halfte, besser 2/3 müßten direkt gewählt sein
so genannter Fraktionszwang finde ich nicht gut
ich bin der Meinung das käme dann würde wieder eher gemacht was die Wählerschaft macht
als das was Parteiobere wollen oder gar ganz „Abgehobene“ überhaupt nicht vom Volk legitimierte wie bei der eu
Ausheblung der Demokratie hin zur Diktatur ist so etwas

Sonny
1 Jahr her

Ich befürchte, dass das alles sowieso keine Rolle mehr spielt.
merkel hat der cdu so dermaßen ihr Gesicht geraubt, dass sie kaum noch als christlich-konservative Partei gelten kann. Die cdu ist sowieso schon weitestgehend enteiert und links, dass selbst eine Mitte kaum noch ausmachbar ist.
Die Tendenzen gingen in Deutschland von Anfang an nach dem Mauerfall in diese Richtung. Nicht die Bundesrepublik Deutschland hat die ddr übernommen, sondern es ist ganz genau anders herum. Und die schlimmsten Täter sitzen nicht in der sed-Partei, nein, sie sitzen bei den grünen.

Julie Krefeld
1 Jahr her

Falsch nur noch Direkt Mandate – keine Liste

ssasse
1 Jahr her

Damit Sie, die Bürger, dann überhaupt keinen Einfluss mehr haben auf die Zusammensetzung des BT. Es lebe die Liste der Funktionäre. Das was wir jetzt an Personal haben ist schon grenzwertig. Sie meinen das kann noch gesteigert werden. Wohl an.

Koeki171
1 Jahr her

Direkt gewählte Kandidaten sind drin. Die andere Hälfte wird über Prozente verteilt. Ganz einfach. 299 direkt gewählte und 299 über Liste. 5% Klausel und Dreimandateregelung fallen weg. Direktwahl und Listenwahl werden getrennt gewertet. Zu einfach, zu verständlich, zu nachvollziehbar. Das geht gar nicht. Der Citoyen könnte erkennen, wir er verhohnepiepelt wird.

Max Anders
1 Jahr her

Richtig so. Vielleicht kommt ja dann nach den lauter werdenden SÄXIT Rufen noch BAYXIT Rufer hinzu. Es muß weh tun, damit es endlich wirkt. Dieser Föderation ist sowas sowas von kaputt.

Richy
1 Jahr her

Ich habe da kein Mitleid mit der CDU/CSU. Wenn die sich so dem links-grünen Mainstream anbiedern, dann brauchen sie sich nicht wundern, wenn sie in die Bedeutungslosigkeit katapultiert werden. Aber auch die Linken und die FDP sind ja gefährdet. Wenn CDU/CSU, FDP, Linke und AfD nicht so abstimmen, wie es SPD und Grüne wollen, dann bekämen diese keine Mehrheit. Und sollten insbesondere die FDP für diese Wahlrechtsreform stimmen, dann kann ich nur hoffen, dass sie bei der nächsten Wahl auch ihre Quittung bekommen. Und dann muss man halt nur warten, wie Deutschland noch schneller auf den Abgrund zu rast.

Marcel Seiler
1 Jahr her

Die CSU würde eine Listenverbindung mit der CDU eingehen und dann wäre die 5 %-Hürde für sie kein Problem mehr.

andreas
1 Jahr her

Eigentlich bräuchten wir das grabenwahlrecht. 200 direkt, 200 per Liste, keine Aufrechnung, keine Übergänge, zwei echte Stimmen. Keine Manipulationsmöglichkeit. Aber das ist ja nicht gewollt.