Bürgerkrieg oder Unterwerfung? Die Zwickmühle der Franzosen

Aufständische legen Feuer, Macron spielt damit: Frankreichs Präsident lässt seine Polizei im Regen stehen, diese darf dennoch die Plünderer zurück prügeln. Das Zünglein an der Waage eines möglichen Bürgerkriegs sind die Franzosen, die mit ihrer Zurückhaltung einen Staat legitimieren, der sie abschaffen möchte.

IMAGO / ZUMA Wire

Wieder einmal brennt Frankreich. Und wieder einmal liegt das unschöne Wort „Bürgerkrieg“ in der Luft. Während einerseits die Angst regiert, dass die Aufstände in Frankreich sich wie ein Flächenbrand auf andere Länder Europas – inklusive Deutschlands – ausbreiten könnten, macht sich andererseits, ähnlich wie bei den regelmäßigen Messer- und Machetenangriffen, eine Abstumpfung der Öffentlichkeit breit. Es ist die neue Normalität, in der wir in Europa leben und die wenigsten wagen es, die möglichen Lösungen dieser Situation in voller Konsequenz durchzudeklinieren.

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Obwohl die Heftigkeit der Auseinandersetzungen zu dem Schluss verleitet, dass sich mal wieder der Ausbruch des scheinbar unvermeidlichen Bürgerkriegs am Horizont abzeichnet und selbst Polizei und Militär in Frankreich sich mittlerweile dieses Vokabulars bedienen, so ist nicht gesagt, dass die Unruhen nicht auch wieder verebben und zurückgedrängt werden können. Es wäre nicht das erste Mal und wenn es etwas Bemerkenswertes am spätzivilisatorischen Westen gibt, dann ist es womöglich die Fähigkeit, den Ausbruch eines bereits seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts weitaus länger hinauszuzögern, als man es für möglich halten sollte.

Aber der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Es wäre vermessen zu glauben, der Status quo der regelmäßigen Aufstände migrantischer Subkulturen ließe sich ad infinitum als eine Art gesteuertes Druckventil nutzen, das sich nach entsprechender Entladung auch wieder schließen lässt. Bis zu 45.000 Polizisten sind dieser Tage in Frankreich im Einsatz, um die Aufstände einzudämmen. Diese Zahl mag genügen, um kurzfristig der Situation noch einmal Herr zu werden, doch wie lange noch? Zumal Polizei und Militär alles andere als glücklich sind mit der Zurückhaltung Macrons, zum Beispiel wenn es um das Ausrufen des Ausnahmezustands geht.

Macrons doppeltes Spiel mit seiner Polizei

Der französische Präsident läuft dabei Gefahr, die Unterstützung der Exekutive zu verlieren. Als Macron nach dem tödlichen Zwischenfall, der die Unruhen auslöste, vorschnell urteilte, der Schuss wäre „unentschuldbar“, fiel er damit der Polizei in den Rücken, denn das Gesetz, das erst 2017 verabschiedet wurde und den Schießbefehl in solchen Situationen ermöglichte, diente vor allem dem Schutz der Polizisten und der Zivilbevölkerung, zum Beispiel in potenziellen Anschlagsszenarien. Anstatt der Polizei in dieser Situation den Rücken zu stärken, oder zumindest auf die Ergebnisse einer Untersuchung zu warten, agierte Macron medial opportun und übte stattdessen den Kotau vor dem kriminellen Migrantenmilieu. Dieses dankte es ihm mit brennenden Vorstädten und nun muss es wieder die Polizei richten.

Allerdings kommt man nicht umhin, die Frage zu stellen, wie man sich der Problematik effektiv stellen sollte. Die französischen Gefängnisse platzen bereits aus allen Nähten und wie in den meisten Ländern des Westens haben auch die französischen Polizisten nur allzu oft die Erfahrung gemacht, dass Verhaftungen zwar viel Papierkram nach sich ziehen, die Täter – selbst wenn es sich um einschlägige Wiederholungstäter handelt – aber allzu oft wieder unmittelbar auf freien Fuß gelangen. Die Eindämmung des gewalttätigen Mobs durch härtere Gewalt etablierte sich so als das Mittel der Wahl in einem Frankreich, in dem die Rechte zwar regelmäßig auf das Migrationsproblem hinweist und Remigration fordert, es aber – so ehrlich muss man mittlerweile sein – keineswegs gesichert ist, dass sie dieses Problem auch noch in den Griff bekommen könnte, selbst wenn man sie ließe.

Die resultierende Pattsituation, in der – platt gesagt – die Polizei so lange auf den Mob einschlagen soll, bis dieser sich wieder (bis zum nächsten Aufstand) in seine Löcher verkriecht, hat nur noch wenig mit den rechtsstaatlichen Prinzipien einer Demokratie zu tun, sondern ist ein bewusster Drahtseilakt, bei dem der Staat einerseits in die Revolution, andererseits in die Autokratie abzustürzen droht. Mit der zunehmenden Ohnmacht des Rechtsstaats gegenüber den revolutionären Elementen werden gleichzeitig die Rufe nach dem ordnungsstiftenden Durchgreifen immer lauter, auch wenn noch kaum jemand die Konsequenzen dieses Schrittes – dem beiläufigen Abschied von der Illusion der Demokratie – auszusprechen wagt.

Die Zwickmühle autochthoner Franzosen

Dass es bislang noch nicht so weit ist, liegt vor allem an einer Interessengruppe, die bislang nicht erwähnt wurde: die autochthonen Franzosen. In einem der Videos von den Unruhen ist zu sehen, wie einige der Plünderer einen weißen Franzosen – der sich nebenbei als Präsident einer Organisation herausstellte, die sich für den Verbleib von Migranten in Frankreich einsetzt – schlagen und demütigen. Während man hier einerseits über die desillusionierende Erfahrung eines Multikulti-Träumers spotten könnte, so zeigt sich an der Szenerie ein dringlicheres Problem.

Denn während die migrantischen Subkulturen, wie man es auch täglich in den Clan-Auseinandersetzungen in Deutschland erlebt, es verstehen, sich in Gruppen zu organisieren, haben die hyperindividualisierten Einheimischen der europäischen Länder in weiten Teilen verlernt sich zusammenzuschließen. Selbstverständlich wurde solches Verhalten auch politisch und medial befördert, das steht außer Frage, doch merkt man selbst innerhalb der „Unzufriedenen“ eine Hemmung, sich jenseits des eigenen, eng gefassten Lagers zusammenzuschließen. Wohlgemerkt, dieses Lagerdenken tritt in Deutschland noch stärker zum Vorschein als in Frankreich, wo es der Rechten zumindest in Ansätzen gelungen ist, eine breitere Front zu bilden. Doch jeder, der schon einmal in einen Topf mit einer Strömung geworfen wurde, an die er als Lösung der Problematik nicht so recht glauben kann, weiß, dass es dafür keine einfache Lösung gibt.

„Mein Gedanke besteht darin, dass, wenn die lasterhaften Menschen miteinander verbunden sind und eine Gewalt vorstellen, so müssen die ehrlichen Menschen nur dasselbe tun“, so schrieb Tolstoi einst im Epilog von „Krieg und Frieden“. Doch so schön dieser Gedanke auch klingen mag, so sehr geht er an den Realitäten eines modernen Staates vorbei. Denn würden sich die autochthonen Franzosen ebenso wie ihre migrantischen „Mitbürger“ zusammenschließen und deren Schreckensherrschaft entgegentreten, so wäre dies die endgültige Delegitimierung der Staatsgewalt der 5. Republik Frankreichs. Der Bürgerkrieg, der wie ein Schreckgespenst in den digitalen Gazetten sein Unwesen treibt, wäre damit Realität.

Die dozile Population weißer Franzosen ist das einzige, das diesen Staat zurzeit noch aufrechterhält. Erhebt sie sich, ist sein Ende besiegelt und droht womöglich der entscheidende Schritt zum Kalifat (wenngleich es sich zunächst sicherlich anders präsentieren wird). Doch hält die verbliebene weiße Mehrheit der Franzosen still, legitimiert sie weiterhin einen Staat, der an exakt dieser Abschaffung der autochthonen Mehrheitsgesellschaft weiter zimmert. Es ist ein Spiel auf Zeit für die Franzosen – und letztlich alle Europäer –, das letztendlich wohl nur mit einer Niederlage, oder zumindest mit einem Ausbruch von Gewalt enden wird. Bislang wählen die Europäer den Schrecken ohne Ende. Sie entscheiden, wann es zum Ende mit Schrecken kommen wird.

— Aaron (@AaronGIFFss) July 1, 2023

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