Flutchaos im Ahrtal: Was ist los mit Deutschland?

Auch ein Jahr nach der Jahrhundertflut in Deutschland sind das Ahrtal und die Voreifel in Teilen noch verwüstet. Handwerkermangel ist nur ein Problem. Politik- und Verwaltungsversagen das maßgebliche.

Normalerweise fallen Menschen aus aller Welt in das grüne und malerische Ahrtal ein. Jetzt, Anfang und Mitte Juli ist es still. Hier zwischen Altenahr und Ahrweiler kamen vor einem Jahr 133 Menschen bei der Flut ums Leben; auch deswegen wird in diesem Jahr nicht so viel gewandert zwischen den Weinbergen wie sonst. Getanzt wird schon seit zwei Jahren nicht mehr.

Nach der Pandemie brach die Flutwelle über eine der schönsten Ecken Deutschlands herein. Das Ahrgebirge, die romantischen Fachwerkhäuser, Cafés und die freundlichen Menschen zeigen normalerweise gerade zur Saison der Weinfeste ein anderes Gesicht von Deutschland – ausgelassene Fröhlichkeit und Lebensfreude.

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In diesem Jahr ist davon nichts zu spüren. In Ahrweilers romantischer Innenstadt gehören das Bistro „Marktbrunnen“ des türkischstämmigen Yurdaz Demir und das Hotel „Zum Stern“ des Polen Gregor Zbiejczyk zu den ersten Lokalitäten, die wieder geöffnet haben: „Wer Leute kennt und genug Geld zahlt, der kriegt Handwerker. Das sind übrigens derzeit auch unsere häufigsten Gäste, neben den Fluttouristen.“

Zbiejczyk und sein türkischstämmiger Kollege sind gut vernetzt durch Familie und Freunde, die genau in den Berufen arbeiten, wofür viele Deutsche sich nicht mehr ausbilden lassen wollen: als Maler, Maurer, Klempner und Schreiner. Sie haben auch schnell wieder aufgemacht, um das Drama zu vergessen – und weil sie sich verpflichtet fühlen gegenüber ihrer Familie, die im Betrieb mitarbeitet.

„Wir müssen uns auch ablenken, überall lauern immer noch schreckliche Erinnerungen. Nebenan im Parkhaus sind 25 Menschen in der Flutnacht umgekommen. Darüber wurde nur wenig in den Medien berichtet. Sie wollten in der Nacht vom 14. Juli ihre Autos retten,“ erzählt Zbiejczyk. 83 Brücken seien damals im Ahrtal zusammengebrochen. „Wie kann das sein?“, fragt er sich. Sie hätten Deutschland immer bewundert für seine Bau-Qualität.

Fluttourismus ist der einzige, der ins Ahrtal kommt

Warum haben die anderen Geschäfte und Bars nicht auf, obwohl die Innenstadt von Ahrweiler etwa im Vergleich zu Bad Münstereifel weitgehend begehbar ist? „Viele haben Probleme mit den Versicherungen, und einigen Geschäften ging es schon vor der Flut nicht gut. Die Pandemie hat den Rest gegeben,“ sagt Zbiejczyk. Die vielfältigen staatlichen Hilfen machten es zudem einfach, sich Zeit zu lassen oder ganz umzudenken. Einige, so gibt er zu, tricksten sicherlich auch mit den ganzen Zuschüssen.

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Das Katastrophen-Management lasse auch noch ein Jahr nach der Flut einen bitteren Beigeschmack zurück, auch bei den wenigen Besuchern in der Stadt – fast alles Schaulustige. Demir und Zbiejczyk brauchen sie, um finanziell langsam wieder auf die Beine zu kommen und um gegen die allgemeine Lethargie in der Region anzukämpfen. Sie brauchen auch die Gespräche mit den Kunden. Der Schock sitzt immer noch tief. Ein Gang am Friedhof vorbei macht deutlich, dass das Wasser vor nichts haltgemacht hat. Viele neue Holzkreuze stehen da.

Auf dem Weg nach Altenahr sind die bekannten Tanz- und Weinkeller teilweise immer noch komplett zerstört. Überall stehen Handwerker und Bauarbeiter. Einige Häuser und Betriebe wurden jedoch einfach verlassen. „Viele wollen nicht zurückkommen,“ erzählt Demir. Es war eine der fröhlichsten Ecken Deutschlands, rund um Mayschoß. Die wenigen Touristen kommen teilweise aus den USA, viele auch aus Holland, weil sie dann gleich noch tanken, denn in Deutschland ist das Tanken inzwischen um einiges billiger.

Gestaunt wird über das Chaos, das immer noch sichtbar ist, und die Zerstörung. Die Ahr-Straße nach Altenahr wurde gerade erst wieder eröffnet. Die Zugstrecken in den betroffenen Gebieten sind immer noch nicht wieder voll einsatzfähig. Überall heißt es, dass Arbeiter und Material fehlen.

Handwerker gibt es nur noch mit guten Beziehungen

Wollen nur noch Ausländer anpacken, weil sie groβe Familien versorgen müssen? Die Fragen gehen mir durch den Kopf, wenn ich daran denke, dass es drei Stunden gedauert hat, von Düsseldorf nach Euskirchen mit dem Zug zu fahren – auch wegen Personalmangel. „Warum die Deutschen im Ausland so einen guten Ruf in Sachen Organisation und Fleiß haben, ist mir unklar“, sagt mir ein Mädchen auf dem Bahnhof am Düsseldorfer Flughafen, als ein Zug nach dem anderen aufs andere Gleis verlagert wird, zu spät kommt oder einfach ausfällt.

Das Outlet-Paradies Bad Münstereifel ist immer noch nicht mit dem Zug zu erreichen – überall nur Baustellen und leere Geschäfte. Trotzdem soll am Wochenende gefeiert werden. Kirmes gibt es auch. Aber der Frust vieler Münstereifler lässt sich dadurch nicht vertuschen.

Deutsche brauchen bessere Koordination und flexibleres Denken

Eine einzige Selbstpersiflage
Rheinland-Pfalz nach der Flut: Erosion auf dem Acker und im Staat 
Planen und das Sichten von Risiken sowie schnell zu reagieren, das ist inzwischen eine Stärke anderer, aber nicht mehr der Deutschen. Die spanische Vulkaninsel La Palma hat vor einem Jahr einen historischen Ausbruch erlebt. Langfristigen wirtschaftlichen Schaden hat das jedoch kaum angerichtet, die Insel erlebt einen Rekordsommer, und weil die Spanier vor einem Jahr schnell und richtig reagierten, gab es auch keine Toten. Eine vom Lava überrollte Einschlagstraße, die den Norden und Süden der Insel verbindet, ist wieder befahrbar. In Deutschland dagegen scheint alles still zu stehen. Die Flutkatastrophe war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Jetzt, wo es überall an Personal fehlt, es zum Chaos an Flughäfen und Bahnhöfen kommt und am Bau nichts weitergeht, wird das Einwanderungsgesetz wieder in die Diskussion eingebracht.

Ähnlich wie Kanada könnte Deutschland den Migrantenstrom zu seinen eigenen Vorteilen nutzen und den chronischen Mangel an Handwerkern und Service-Personal beheben. Für Bad Münstereifel kommt jedoch jedes Gesetz zu spät und auch die Versuche, arbeitslose Flüchtlinge einzusetzen. Nach Aussagen des Gothaer-Vorstands Oliver Brüß, dessen Unternehmen zu den vielen Spendern gehört, wird es noch Jahre brauchen, um den Schaden des früher gern besuchten Kneipp-Heilbads zu beheben. Für Restaurant-Besitzer Demir aus Ahrweiler ist klar: „Beim deutschen Katastrophen-Management ist so einiges schiefgelaufen. Aber ich kann es jetzt auch nicht mehr ändern, ich muss einfach weitermachen.“

Screenshot: Statista

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Kommentare ( 86 )

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Prometheus
1 Jahr her

Man will bewusst versagen. Für Flüchtlinge, für linke NGOs, für das nicht EU-Ausland und EU-Ausland, für jeden ist Geld da. Aber Schulen verfallen, das Bildungssystem wird immer schlechter, die Straßen maroder, und im Ahrtal will man nicht helfen…
Die Eigenen mit Stiefeln treten, die Fremden hofieren.

Versagen wäre es, wenn man es versucht aber nicht hinbekommt.
Diese Leute wollen aber von Anfang an nichts hinbekommen…

Walter Eiden
1 Jahr her

Sowohl bei der Überflutung an sich, als auch bei allem was „politisch“ danach geschah und vor allem nicht geschah stinkt irgendwas gen Himmel.
Eine „untypisch schnelle“ Sturzflut bei der sich z. B. Menschen noch nicht mal aus einem Parkhaus retten konnten und einer anfänglich merkwürdigen und unerklärlichen Zurückhaltung bei staatlicher Vor-Ort- und Entschädigungshilfe. Letzteres wenige Monate vor der Bundestagstagswahl ist eine solche Katastophe (bitte nicht falsch verstehen) ein Profilierungsgeschenk für jede Regierung (siehe Gerhard Schröder und das Oderhochwasser).

1 Jahr her

Im Ahrtal wurden die Flüsse renaturisiert und alte Hochwasserschutzeinrichtungen zurückgebaut. Wie sehr war diese Maßnahme verantwortlich und wie wenig der in der Medien als Grund aufgebaute Klimawandel? Im Ahrtal gab es Überflutungen seit 1500.
Quelle: Bundesumweltamt
https://www.umweltbundesamt.de/ahr-barrierefreiheit-lebensraum-fuer-fische#film-barrierefreiheit-und-lebensraum-fur-fische-an-der-ahr

Axel Fachtan
1 Jahr her

Es ist k e i n Staatsversagen. Sondern die konsequente Umsetzung der K L I M A A G E N D A . Die Deutschen werden sich nur dann wehrlos der zerstörerischen grünen Klimaagenda hingeben, wenn aller Widerstand dagegen systematisch und flächendeckend gebrochen wird. Die tödlichen Hochwasser an Ahr und Erft sind dafür die ideale Spielwiese. Der Hochwassertod dort ist der ideale Treiber für die grüne Klimaagenda. Seht her, ihr Deutschen, der Klimawandel ist da. Bisher sind noch keine 200 Menschen gestorben. Ihr werdet aber alle sterben, wenn jetzt nicht sofort die Energiewende kommt. Seht , wie dreckig es… Mehr

Wolfgang M
1 Jahr her

Ein Jahr Katastrophe Ahrtal. Alle reden nur von den Fehlern bei der Alarmierung der Einwohner. Tichys Einblick schrieb meines Erachtens über eine Landtagssitzung in NRW, das Land, in dem die Ahr entspringt. Dem Landtag war das Problem der Ahr bekannt und er beschloss, am Uhrsprung der Ahr Ausgleichsflächen für mögliche Wassermassen der Ahr zu schaffen. Diesem Beschluss folgte die Regierung unter Laschet nicht. Sie war einfach nur inaktiv. Die Grünen setzten alles in Bewegung, dass dieser Beschluss nicht umgesetzt wurde. Ich finde es erstaunlich, dass darüber überhaupt nicht geredet wird. Hier gibt es auch Schuldige an dieser Katastrophe. Auch jetzt… Mehr

josefine
1 Jahr her
Antworten an  Wolfgang M

Es gibt Versäumnisse, über die nicht geredet wird. Jeder Politiker schiebt die Verantwortung weiter nach unten, dem Landrat war es laut TV besonders wichtig, seinen Wagen vor den Flutmassen zu retten. Er war nicht erreichbar. Inzwischen ist er pensioniert und sagt gar nichts mehr. Es geht um viele Versäumnisse der Politiker, so wird keiner verantwortlich gemacht, und das Ahrtal gammelt leise vor sich hin. Die Chinesen hätten in diesem Jahr wohl 3 Millionenstädte hochgezogen, die Deutschen in ihrer Lethargie schaffen inzwischen fast nichts mehr. Kaum einen Brückenbau. Allerdings (das muss man fairerweise zugeben) arbeiten die zuständigen Geldgeber auch sehr langsam,… Mehr

Astrid
1 Jahr her

Wenn es einen politischen Willen für den Wiederaufbau sowie die Unterstützung der Menschen im Ahrtal geben würde, wäre man hier schon lange aktiv geworden. Aber die Wahrheit ist, dass die Menschen dort den Politikern sch****egal sind und darum werden bürokratische Hürden aufgebaut und praktische Hilfe verweigert. Eher wird Geld für die Massenmigration, Wiederaufbau der Ukraine, Umweltpolitik in Indien und unsinniger Coronatest locker gemacht, als im eigenen Land den Menschen zu helfen, die in Not geraten. Was hier im Großen passiert, sieht man bei den Rentnern, die Flaschen sammeln, bei den Tafeln und in vielen sozialen Bereichen schon lange. Die eigene… Mehr

stolzerSachse
1 Jahr her
Antworten an  Astrid

Genauso ist es!
Wir waren zur Hilfe da und haben von unseren Erfahrungen berichtet.
Speziell mit den Versprechungen der Politik und den Hilfen und zur Vorsicht geraten.
Auch, das erhaltenen Spenden auf den staatl. Hilfe angerechnet wurden.
Ergebnis?, ungläubige Gesichter und teilweise „Scheibenwischer“.
Hoffentlich erinnern sie sich jetzt an unsere Mahnungen.
https://tinyurl.com/27hgp82j

Contra Merkl
1 Jahr her

Ich habe mich mal über die Versicherungsumstände informiert, was passiert wenn in den Haushalten das Gas ausbleibt und es dadurch zu enormen Schäden durch geplatzte Wasserleitungen kommt. Keine Versicherung wird dafür aufkommen. Die Schäden werden enorm sein. Wie die Politik hier eine Gasmangelnotlage ausrufen kann, aber dann noch Abkommen schließt andere Länder mitversorgen zu wollen, ist doch Landesverrat. Mit Solidarität hat das nichts mehr zu tun.

StefanB
1 Jahr her

Die große Überzahl der Deutschen kennt nur noch die (abstrakte!) Weltverbesserung – das eigene Land ist ihnen wie Herr Herles vor zwei Wochen mit Blick auf die Bahn richtig schrieb, scheißegal. Dazu eine Anekdote: Ein junger Mann aus der Nachbarschaft (gut 20 Jahre) studierte nach längerer „Orientierungsphase“ irgendeinen Unfug mit „Film- und Medienwissenschaft“ (Hiiiiiilfe!) Keine Ahnung, ob er das wenigstens beendet hat oder nicht (rein zeitlich gesehen wohl nicht). Jedenfalls will er jetzt ein Jahr nach Afrika um dort soziale Projekte zu begleiten. Dazu hat er eine Art Fundraising-Handzettel an die Nachbarn verteilt und um „Spenden“ für sein „Projekt“ gebeten.… Mehr

Last edited 1 Jahr her by StefanB
H. F. Klemm
1 Jahr her

Wer die Antwort auf die Frage möchte, muss sich nur die Ergebnisse der BTW 21 in der betreffenden Region betrachten. Der Einfachheit halber ein Link des Bundeswahlleiters, damit jeder sich ein eigenes Bild machen kann. https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/ergebnisse/bund-99/land-7.html Erstaunlich daran ist, die Wahl wurde einige Monate NACH der Flut abgehalten, zu einem Zeitpunkt als sowohl das bürokratische/administrative Versagen und, was noch wesentlich schlimmer ist, die Mangelhaftigkeit bei der nachfolgenden Soforthilfe , z.B. wurden freiwillige Räumkommandos z.B. aus Fulda, wieder weggeschickt anstatt sie in die Aufräumarbeiten einzubinden, andeutungsweise erkennbar geworden ist. Wer in diesem Zusammenhang, und erst recht jetzt mit dem zeitlichen Abstand… Mehr

Last edited 1 Jahr her by H. F. Klemm
Blanker Hans
1 Jahr her
Antworten an  H. F. Klemm

Danke für den link zu den Ergebnissen der Bundestagswahl. Ich habe seither keinerlei Hoffnung mehr für dieses Land, verstärkt noch durch die nachfolgenden Landtagswahlen. Wer so blöd ist, hat es eben nicht besser verdient. Aber jenseits der persönlichen Befindlichkeit werden aus dem Ereignis zwei Dinge für mich ersichtlich: Erstens die völlige Überbürokratisierung Deutschlands mit der damit zusammenhängenden Kompetenzverwirrung (und glauben Sie mir, ich weiß wovon ich spreche, da ich in einer Landesbehörden arbeite) und zweitens die inzwischen vorherrschende Vollversorgungsmentalität der Menschen. Unsere Eltern bzw. Grosseltern hätten den Müll längst selbst beiseite geschafft und nicht gewartet bis irgendeine Versicherung eine Zusage… Mehr

Farbauti
1 Jahr her

Politiker lügen nicht. Wie beim Coronavirus handelt es sich um ein völlig neues Problem. Das muß man erstmal verstehen, die Erklärungen der Fachleute/Experten abwarten. Dann kann man die Poltik neu justieren (verschlimmern).
In Deutschland ist nichts klar außer das Ziel, weshalb die Kanzlerin ja empfahl vom Ende her zu denken.