UK: Suella Braverman nach Kritik an Israelhasser-Aufmärschen gestürzt

In Großbritannien kamen nun zwei Dinge zusammen: Die großen Aufmärsche für die Sache der Hamas trafen auf einen geschwächten Premierminister. Die Entlassung der bisherigen Innenministerin Suella Braverman ist ein Bauernopfer im Namen der woken Orthodoxie.

IMAGO

Die Londoner Polizei hat am Montag verschiedene Bilder von Personen auf der Plattform X (ehemals Twitter) gepostet, die wegen Hassverbrechen aus dem Umfeld des britischen Waffenstillstands- oder Erinnerungstags gesucht werden. Darunter ist das Bild einer Frau, die ein Plakat hochhält, auf das sie die Gesichter von Rishi Sunak und Suella Braverman geklebt hat. Daneben sind ein paar Kokosnüsse zu erkennen, von denen einige halbiert sind, so dass man das weiße Innere sieht. Die Kokosnuss dient als Bild-Symbol für nicht-weiße Personen, die angeblich ihre eigene Kultur verraten und sich einer „weißen“ Kultur oder angeblichen Deutungshoheit andienen.

So obskur der Vorwurf wirkt, so merkwürdig ist doch auch, dass dieses Plakat heute ein Hassverbrechen auf den Inseln darstellen soll, wo die Meinungsfreiheit doch traditionell in hohem Ansehen stand. In der Tat ist es lachhaft, eine Person auf ihre Hautfarbe zu reduzieren, sicher auch rassistisch. Daran hatte die lächelnde Plakat-Collagistin vielleicht nicht gedacht. Ob es gleich einen Haftbefehl braucht, um solche Formen der mangelnden Nettigkeit auszumerzen, bleibt die Frage.

Nun hat eine der beiden vermeintlichen „Kokosnüsse“ die andere entlassen, nämlich Premierminister Rishi Sunak seine Innenministerin Suella Braverman. Naheliegenderweise sollte man sich hüten, darin eine Art „internen Machtkampf der Kokosnüsse“ zu sehen. Es geht eher ganz altmodisch um verschiedene politische Positionen, im Hintergrund natürlich auch um die schlechten Umfragewerte der Konservativen. Eine Kabinettsumbildung war erwartet worden.

Doppelstandards für verschiedene Demonstranten

Kundige Beobachter hatten die Entlassung Bravermans erst später in der Woche erwartet, weil die Sache damit unauffälliger über die Bühne gegangen wäre. Aber Sunak ist für seine schnellen Kehrtwenden bekannt, die teils ja auch in die richtige Richtung gehen können. Die Temperatur um die konservative Innenministerin war zuletzt nicht mehr gefallen, nachdem sie die pro-palästinensischen Demonstrationen als „Hass-Märsche“ bezeichnet hatte.

Braverman schrieb: „Ich glaube nicht, dass diese Märsche lediglich ein Hilferuf für Gaza sind.“ Damit solle vielmehr eine „Vorrangstellung bestimmter Gruppen – insbesondere der Islamisten –“ befestigt werden. Anscheinend dachte Braverman aber auch an andere „Gruppen“. Auf die Verwicklung hoher Hamas-Funktionäre in die Demonstration vom Erinnerungstag wies Braverman deutlich genug hin. Die Verbindung von Terrorpaten (in diesem Fall der Hamas) mit den Demonstrationen erinnerte sie an Nordirland, wo man ja einiges von dieser Art in den vergangenen Jahrzehnten gesehen hatte.

Daneben warf sie der Metropolitan Police vor, verschiedene Demonstranten ungleich zu behandeln, und zwar in verschiedenen Zeiten. Das Stichwort lautet „double standards“. Leider herrsche der Eindruck vor, dass „leitende Polizeibeamte einige Demonstranten bevorzugen“. So wurde bei Lockdown-Kritikern kein Pardon gegeben, während die Black-Lives-Matter-Demonstranten gegen die Regeln verstoßen durften und „sogar von den Beamten mit einem Kniefall begrüßt wurden“. Heute würden „rechtsstehende und nationalistische“ Gegendemonstranten hart verfolgt, während Rechtsbrüche der Pro-Palästina-Demonstranten „weitgehend ignoriert“ worden seien, so Braverman.

Mit dieser Einschätzung habe sie die Arbeit der Polizei erschwert, schallte die mediale Kritik seit dem Wochenende nun. Ihr wurde gar vorgeworfen, sie sei persönlich für die „rechtsextreme Gewalt“ vom Samstag verantwortlich. Keir Starmer machte Braverman für eine besondere „Spaltung der britischen Bevölkerung“ verantwortlich. In ihrer Kritik an den Aufmärschen und an der Polizei erkannte Starmer – in welcher Optik auch immer – einen „völligen Mangel an Respekt“ für britische Werte.

Braverman: „Pro-Palästina-Demonstranten“ haben Straßen mit Hass verseucht

Die Klarheit ihrer Worte ist Braverman schlecht bekommen. Das Fallbeil senkte sich über ihr, die seit dem vergangenen Herbst mit kurzer Unterbrechung Sunaks Innenministerin gewesen war. Aufbrandende Kritik an einem Politiker liegt meist daran, dass er den Rückhalt in den eigenen Reihen, vor allem an deren Spitze, verloren hat.

Noch am Sonntag hatte Braverman angekündigt, Großdemonstrationen wie die vom Samstag nicht wieder erlauben zu wollen. Die Aufmärsche hätten die Straßen „mit Hass, Gewalt und Antisemitismus verseucht“. Sie brachte eine weitere Verschärfung des Demonstrationsrechts ins Gespräch. In der Sache hatte Braverman viele Unterstützer in der konservativen Fraktion. Sunak wäre also gut beraten, diese Linie fortzusetzen. Aber die Chancen darauf sind mit der Kabinettsumbildung von diesem Montag gesunken.

Die Berufung von David Cameron, der dazu mangels Parlamentssitz in den Adelsstand erhoben und so ins Oberhaus gebracht werden musste, zum Außenminister ist durchaus überraschend. Sie erinnert an eine bedenkliche Seite Sunaks, der damit den „restaurativen“ Charakter seiner Regierung stärkt. Vielleicht berief er den Verlierer des Brexit-Referendums aber auch nur, um keinen neuen Nebenbuhler um den Parteivorsitz zu erzeugen. Denn solch eine Ambition kann man Cameron wohl nicht mehr unterstellen. Camerons Berufung sorgt derweil für Sorgenfalten bei den China-Falken in der Regierung, weil der frühere Premier (2010–2016) die Beziehungen des Königreichs zu China mehr als je zuvor verstärkt hatte.

Comeback nach den Wahlen?

Cameron ersetzt den bisherigen Außenminister James Cleverly, der seinerseits an Bravermans Stelle rückt. Auch Cleverly ist bisher keine starke, eigenständige Figur. Als Außenminister war er kaum aufgefallen. Aber er ist gegen den Abschied vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR), den Braverman immer wieder ins Spiel brachte. Sunak will den Straßburger Gerichtshof nicht gerne verlassen. Dieser Unterschied der Positionen könnte den eigentlichen Hintergrund ihrer Entlassung bilden.

Man kann Braverman nicht vorwerfen, ihren Abgang selbst betrieben zu haben, auch wenn er ihr langfristig nützen könnte. Von den Hinterbänken aus kann sie erneut zur entschiedenen Stimme der Parteirechten werden. Nach einer Niederlage Sunaks bei den Wahlen im nächsten Jahr, könnte sich Braverman erneut als eine Alternative präsentieren, die Sunak ausgeschlagen hatte.

Man könnte ihr allenfalls vorwerfen, in ihrem Amt nicht besonders effektiv im Kampf gegen die „kleinen Boote“ gewesen zu sein, gegen die sie dennoch viel in Bewegung setzte. Entschieden konservative Stimmen bedauerten ihren Abgang. Braverman will sich in den kommenden Tagen äußern.

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Kommentare ( 34 )

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Ralf Poehling
5 Monate her

Die Frau ist gut, präzise in Analyse und Handeln. Und sie ist vor allem ehrlich. Also alles das, was in der Politik eigentlich fortlaufend üblich sein sollte, es aber leider nicht ist. Ich hoffe mal, dass ihre Karriere hier nicht zu ende ist und sie von der Hinterbakn umso schneller wieder nach vorne kommt. Ganz nach vorne. Was die Sache mit den „Kokusnüssen“ betrifft: Ist schon mal jemand auf die Idee gekommen, dass der Westen und die Hindus vielleicht einfach nur die selbe Interessenlage haben? Hier wird wieder mal versucht, Hindus aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe zu einer von Weißen angeblich… Mehr

Gjergj Kastrioti
5 Monate her

Wir hier in Deutschland hätten Frau Braverman gerne als Innenministerin – wir geben unsere dafür an die Briten ab. Das wäre doch der Deal des Jahres!

Peter Pascht
5 Monate her

Soviel freizügige Gleichberechtigung muss schon sein 😉 im Königreich der Briten.
Ein Inder als Premierminister und eine Inderin als Aussenministerin von ihm berufen.

alter weisser Mann
5 Monate her

Hassverbrechen

Wenn die Kokosnüsse als Bild für „außen braun, innen weiß“ nicht mehr erlaubt sind, dann ist die Verwendung der Worte Steak oder Wassermelonen für die Beschreibung solcher irreführender Erscheinungsbilder wohl auch ein Hassverbrechen. Das freut die Irreführer.

Die westliche Welt gleitet in den Wahn.

Peter Pascht
5 Monate her
Antworten an  alter weisser Mann

Die westliche Welt gleitet in den Wahn.?
Die westliche Welt ist schon längst ein Irrenhaus und der Irrsinn ist m.E. weiblich.

kb
5 Monate her

Sie alle sollten Churchill lesen – Appeasement führt in den Untergang. Leider ist kein Churchill in Sicht – vielleicht Miss Braverman. Churchill hatte man ja auch erst mal in der Versenkung verschwinden lassen. Ich kann nur jedem die Lektüre seiner Memoiren empfehlen. Er hat selbst eine einbändige Zusammenfassung erstellt. Sehr interessant das Verhalten Frankreichs in dieser Zeit! Macron befindet sich in eine sehr unseligen Verbindung dazu.

fatherted
5 Monate her

Erschreckende Bilder aus London….300.000 sollen es gewesen sein….einige sprechen von 500.000….bei, nach Nachrichtensender, ca. 1,5 Mio Muslimen alleine in London nicht erstaunlich. Da können wir uns ja noch freuen, mit ein paar tausend pro Demo davon zu kommen….es ist erschreckend….aber endlich holt die Realität die Träumer ein…denkt man….nun eine „Realo“ in UK weg….und jetzt? Geht alles so weiter….wie in Deutschland, Frankreich….überall? Außer vielleicht noch dem Osten der EU? Wohin noch fliehen…wo ist man bald noch sicher….was machen die Juden in der EU/Europa/UK? Wohin sollen sie noch fliehen? Wir alle sind in Gefahr….über kurz oder lang.

Lars Baecker
5 Monate her

Sie wird gestärkt wiederkehren, während der jetzige Premier Rishi Irgendwas nur eine kleine Fußnote in der Geschichte Englands sein wird. Am Ende siegen die Realisten vor den Träumern.

Schlagsahne
5 Monate her

Prophezeie mal eben, dass wir Frau Braverman in nicht allzu ferner Zukunft wiedersehen werden- der ganze Schlamassel in GB läuft darauf hinaus: entweder irgendwann demnächst Labour oder Braverman…

alter weisser Mann
5 Monate her
Antworten an  Schlagsahne

Demnächst wohl erstmal Labour, der Umschlag wird, auch in GB, noch dauern.

luxlimbus
5 Monate her

Eine Möglichkeit Die einzigartigen Vorgänge im Nachkriegseuropa, wie diese Entlassung hier, oder das Einknicken von Macron auf die Hamas-Propagandalinie, oder das (in)direkte Finanzieren der Hamas durch die Baerbocksch’en Steuermillionen, – folgen einer ganz nüchternen Logik, und sind reiner Berechnung geschuldet. Wer sich nämlich schon immer gefragt hat, warum gerade nach grausamen Exzessen an Weißen, eine mit Händen greifbare Wahrnehmungsdifferenz, zwischen dem Volk, und einer stets abwiegelnden, ja fast schon gleichgültigen, nie Konsequenzen ziehenden, Regierung besteht, hat nicht mit der Vorausschau genau dieser Politiker gerechnet. Diese Lücke ist nämlich gar keine! Vielmehr ist man dort längst zu der, nach Außen uneingestandenen,… Mehr

Lieber Teer
5 Monate her
Antworten an  luxlimbus

Ich fürchte, Sie haben recht. Dass der Kipppunkt tatsächlich überschritten sein könnte, zeigt sich gerade in Schweden, wo ein von Ihnen prognostiziertes Szenario – eine konservative Führung reibt sich an den von den Linken verursachten Problemen auf – Realität geworden ist: Selbst der Einsatz der Armee kann die Zustände nicht mehr korrigieren.

NurEinPhilosoph
5 Monate her

Sunak hat den leichteren Weg gewählt, das Appeasement. Damit verliert die Polizei nicht ihr Gesicht, welche der Masse offenbar hilflos gegenüber steht.

Dennoch ist er naiv: eben diese Demonstranten haben schon längst gemerkt, dass die Regierung Schwäche zeigt, wo ein robustes Mandat angezeigt wäre.

Er reiht sich ein in die Tory-Galerie jener charmanten, begüterten Herren, die „too proud to fight“ sind.

Softer Konservatismus ist gar kein Konservatismus, denn der Konservatismus wird so schleichend ausgehöhlt bis zur völligen Unkenntlichkeit…