Wer nach all der Zeit darauf beharrt, Auskünfte zu bekommen und Verantwortliche zu benennen, gilt als nachtragend, obsessiv oder – besonders infam – therapiebedürftig. Warum alles wieder aufrollen? Das ist doch jetzt so lange her. Nix da, Herr Drosten, es wird weiter gefragt. Von Daniela Seidel
picture alliance/dpa | Martin Schutt
„Ich habe Besseres zu tun!“ antwortete Christian Drosten dereinst auf eine kritische, journalistische Anfrage – öffentlich, auf X (damals Twitter), bis heute nachlesbar.
Das war im Jahr 2020. Mitten in der größten politischen, sozialen und medizinischen Krise der Nachkriegsgeschichte. Eine Aussage von atemberaubender Arroganz, die sein damaliges Selbstverständnis deutlich illustriert und deren unmissverständliche Botschaft lautet: „Meine Zeit ist wertvoller als Ihre Fragen.“ Statt ihm diese Überheblichkeit anzukreiden, sind Fanclub und Medien ab diesem Augenblick endgültig des Lobes voll, eine Punkband schreibt ihm im Liebestaumel gar eine anbiedernde Ode und tituliert ihn als „Chuck Norris der Wissenschaft“. Der Playboy wählt ihn zum „Mann des Jahres“. Verzückt wird geraunt, ob der heldengleiche Virenpapst, der selbst unter Hochdruck glasklare Prioritäten zu setzen vermag und seine Gegner kalt lächelnd abtropfen lässt, wohl auch Kanzler kann?
Dieses Motiv – Zeit als Machtmittel – zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Coronerzählung. Denn am Beginn der Entdemokratisierung steht ein Satz, der jede Diskussion zuverlässig beendet: „Menschenleben stehen auf dem Spiel, wir haben keine Zeit!“ Keine Zeit für offene Debatten, lästige Nachfragen oder Dissens. Keine Zeit für gründliche Datenerhebungen, Abwägeprozesse, alternative Sicht- oder Herangehensweisen.
In teleskopierten Studien und Notfallzulassung findet das Eiltempo seine konsequente Fortsetzung und moralische Legitimation. Wer eine sorgfältige Prüfung verlangt, gilt alsbald als große Gefahr. Entscheidungen müssen schließlich sofort getroffen werden. Und wer unter Zeitdruck entscheidet, entscheidet ohne spätere Rechtfertigungspflicht, so jedenfalls wohl die implizite Erwartung.
„Nur zwei Wochen, um die Kurve abzuflachen“ hieß es im ersten Lockdown, „Nur zwei Wochen, um vor die Welle zu kommen“ im darauffolgenden. Diese Formel war psychologisch brillant. Denn zwei Wochen sind überschaubar. Man hält sie aus, man ordnet sich unter und man hofft. Doch aus zwei Wochen wurden vier, aus vier sechs, aus sechs Wochen wurden Monate. Immer wieder verlängert, immer wieder mit der gleichen rhetorischen Geste: nur noch kurz. So entstand ein Zustand kontinuierlicher Vorläufigkeit, in dem Freiheit nicht abgeschafft, sondern haltlos versprochen und stets aufs Neue auf Raten entzogen wurde. Zeit diente hier nicht der Orientierung, sondern der der Kontrolle, der Beruhigung und Erschöpfung gleichermaßen. Zwischen Hoffnung und Enttäuschung pendelnd, wurden ohnmächtige Bürger mürbe gemacht, nicht durch Gewalt, sondern durch permanente Verschiebung.
Vor diesem Hintergrund war der jüngste Auftritt Christian Drostens in der Enquete-Kommission des Bundestags zur Corona-Aufarbeitung substanziell aufschlussreich.
Er blieb jedem, aber auch jedem einzelnen Fragesteller eine präzise Auskunft schuldig, wie man einem Zusammenschnitt mit wachsendem Haarsträuben entnehmen kann.
So konfrontierte beispielsweise Professor Stefan Homburg den sichtlich gestressten Drosten mit dessen wörtlichen Zitaten aus der Frühphase der Pandemie: Anfang März 2020 sprach dieser noch von einer „milden Erkrankung“, neun Tage später von „apokalyptischen Szenen, besonders in Afrika“. Die anschließende Frage war schlicht und legitim:
„Auf welcher Datenbasis erfolgte Drostens radikaler Einschätzungswechsel?“
Die Antwort indes bestand nicht aus Daten, nicht aus einem Eingeständnis von Unsicherheit und Inkonsistenz und schon gar nicht aus Selbstkorrektur. Weit gefehlt. Nein, die Frage sei viel zu lang. Aha. Die Zeit reiche nicht. So, so. Und überhaupt, der Vortrag sei „verwirrend“. Man würde das jetzt alles gar nicht mehr zusammenbekommen. Und außerdem Schweden …
Wir sehen hier klassische Ausweichstrategien, Framing-Manöver und eristische Techniken: Diskreditierung des Fragestellers, Abwertung der Frage als irrelevant oder chaotisch, Themenverlagerung, Metakommunikation über den Rahmen, langatmiges Paraphrasieren des bereits Gesagten. Kombiniert mit entrüstetem Kopfschütteln ob der Impertinenz, überhaupt dieser würdelosen Situation weit unter seinem Experten-Niveau ausgesetzt zu werden, was allerdings nicht über seine zunehmend unsouveräne Defensivhaltung hinwegtäuschen konnte. Am Ende lief die Uhr ab, und mit ihr jede Möglichkeit, eine klare Antwort zu erhalten.
Nun mag in einer Enquete-Kommission die Zeit noch begrenzt sein, die Sitzungsleitung interveniert, schützt, unterbricht. In einem Gerichtssaal gelten andere Regeln. Dort sind Rückfragen erlaubt, Aussagen werden protokolliert, Widersprüche werden relevant.
Umso bemerkenswerter, genaugenommen sinnfälliger ist, dass die mündliche Hauptverhandlung im äußerungsrechtlichen Streit zwischen Christian Drosten und Roland Wiesendanger (basierend auf dem Interview im Magazin Cicero vom 02.02.2022) nun bereits zum dritten Mal, nunmehr auf den 09.01.2026 verlegt wurde. Der Vorwurf lautet unter anderem, Drosten habe über mehrere Monate hinweg unrechtmäßig einen Doktortitel geführt und diesen in wissenschaftlichen Publikationen genutzt. Überdies gäbe es diverse, gezielte Beeinflussungs- und Täuschungsversuche hinsichtlich des Pandemieursprungs.
Die als Interna gehandelten Begründungen für die fortgesetzten Terminverschiebungen mögen formal korrekt sein. Dennoch fällt ins Auge, dass sich Verzögerungen gerade dort häufen, wo Aussagen nicht mehr wohlwollend moderiert, sondern juristisch überprüft werden können. Niemand kann aus dieser Tatsache allein einen haltbaren Vorwurf konstruieren. Das ganze als unseriöse und verdächtige Zeitschinderei empfinden darf man aber durchaus.
Und noch ein weiterer Aspekt ist bei der ganzen, unerfreulichen Angelegenheit auffällig:
Wer nach all der Zeit darauf beharrt, Auskünfte zu bekommen und Verantwortliche zu benennen, gilt als nachtragend, obsessiv oder – besonders infam – therapiebedürftig.
Warum alles wieder aufrollen? Das ist doch jetzt so lange her. Wir alle müssen doch nach vorn blicken, statt Schuldige zu suchen. Wer mit der Vergangenheit nicht abschließen kann, hat wohl ein persönliches Problem und offenbar keine anderen Hobbies.
Damit wird ein sowohl individuelles als auch gesamtgesellschaftliches (und zudem durch und durch rechtmäßiges) Bedürfnis pathologisiert. Erinnerung an Unrecht wird delegitimiert und verlacht, statt ernstgenommen und politisch aufgearbeitet.
Doch wer in der Krise mit derart maximaler Gewissheit gesprochen hat, kann sich der Aufarbeitung nicht einfach mit Unschärfe entziehen. Wer damals keine Zeit für Zweifel hatte, kann sich heute nicht auf sie berufen, um jetzt und zukünftig jede belastbare Begründung zu vermeiden. Zeit kann zwar viel. Sie kann Wunden heilen. Sie kann Debatten abkühlen.
Aber eines kann sie nicht: aus unbeantworteten Fragen beantwortete machen.
Und darauf werden wir bestehen. Wir haben nämlich zufällig nichts Besseres zu tun!
Daniela Seidel, Jahrgang 1974, studierte Psychologie und ist heute Wahl-Braunschweigerin und Unternehmerin.


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Hervorragende Rezension über diese offenen Fragen und man sollte nicht vergessen, alles dreht sich um das unbeschadete Sein, was Heidegger als der große Denker der Neuzeit hervorragend analysiert hat und daraus einen kurzen Ausschnitt um seine Gedanken über das menschliche Sein zu verstehen. Seine Erkenntnisse lauten auszugsweise wie folgt: Das Dasein ist die eigene Sorge um das persönliche Bestehen. Diese Form besteht auch gegenüber der Sorge um andere und diese Fürsorge kann aus zwei Varianten bestehen, zum einen, daß man ihm seine Sorge abnimmt, was zur Abhängigkeit führt oder ihm den Weg weist, sich seiner Sorgen zu entledigen um darüber… Mehr
Leider muss ich sagen, nicht Drosten, Buyx oder Söder – so schäbig sie sich auch verhalten haben, sondern die tumbe Masse. Die ganze sog. Corona – Pandemie, die ich das erste mal im März 2020 registrierte, hat mich weniger als 48 Stunden geängstigt. So lange hat es gedauert bis ich Wolfgang Wodarg sah, der von Anfang an logische und vernünftige Erklärungen für den weltweiten Affen-Zirkus lieferte. Ich war am Anfang sehr guter Dinge: Nein, manche brauchen vielleicht etwas länger als ich, aber die Menschen werden das nicht lange mitmachen dieses Affentheater, so doof kann doch niemand sein dass er den… Mehr
Warum erliegt die Öffentlichkeit immer wieder dem Charme von telegenen Wuschelköpfen, die sich grandios selbst überschätzen?
Ich kann immer nur wieder sagen: Bildung hat wenig mit Ausbildung zu tun. Man sieht sehr häufig gut ausgebildete unglaublich ungebildete Menschen. Das lass ich hier mal so stehen.
Keiner der damals relevanten Personen redet offenbar auch nur andeutungsweise die Wahrheit. Egal ob Frau Buyx, Jens Spahn, der offenbar abgetauchte Lothar Wieler oder eben Christian Drosten – sie haben alle so maßlos viel Dreck am Stecken, daß es offensichtlich ist. Wo ist eigentlich der zweite Masken-Dealer Söder in dieser Runde abgeblieben? Der hat doch nicht umsonst seinen Spitznamen „Södolf“ bekommen, weil er mit besonders harter Hand „regiert“ hat. Jetzt sieht man ihn wieder auf allen Weihnachtsmärkten, Festen und Empängen, wurst- und dönerfressend und humpenstemmend ohne seine geliebte blau-weiße FFP2-Maske.
Der Mensch ist vergesslich oder an Aufklärung nicht interessiert. Es könnte ihn ja selbst treffen. Ein Verhalten welches nicht selten ist. Es ist eben einfacher und Erfolg versprechender, mit dem Strom zu schwimmen.
Der Herr Drosten ist doch nicht mehr als ein politischer „ Gefälligkeitswissenschaftler „ von deren Sorte es seit Corona mehr gibt als Quecken auf einem Feld am Waldrand .
Seinen fachlichen Qualifikationen steht seine moralische Qualifikation als Wissenschaftler diametral gegenüber .
Er ist nicht besser als jemand der noch einen besseren Sprengstoff ,noch ein besseres Scharfschützengewehr oder noch bessere KI entwickelt um Menschen umzubringen .
Er steckte tiefer im politischen Anus als es jeder Bandwurm vermag .
Vor Zeiten schon falsch abgebogen – und mit Merkel bei H1N1 die Deutschen geängstigt und in die Spritzen gejagt!
Sehr gut zusammengefasst!
Drosten mag zwar als spezialisierter Virologe die Basensequenzen des Corona-Virus aus dem Gedächtnis aufsagen können, über die Qualifikation als Epidemiologe verfügte (und verfügt?) er nicht. Hier wäre, z.B., ein Klaus Stöhr gefragt gewesen. Aber er war halt Muttis geliebtes telegenes Kuschelwuschel, das bei Bedarf (egal ob grottenschlecht oder nicht) lieferte und es in Muttis Schoß -wohl bei beiderseitiger Empathie und Nutzen- gemütlich hatte.
Es geht ja nicht nur darum, ob Drosten wahrheitswidrig Dinge behauptet hat, die sich als falsch erwiesen und von denen er bereits zum Zeitpunkt seiner Behauptungen wusste, dass sie falsch sind. Hier geht es eventuell um Unterstützung vom und Beihilfe zum Massenmord! Und Mord verjährt nicht, also ist jeder Hinweis, dass sei jetzt schon klange her, absolut irrelevant.
Fragen ohne Antworten und ohne Konsequenzen. Ich denke, da sollten erstmal einige grundlegenden Dinge geändert werden, damit solche Verfahren auch zu strafrechtlicher Verfolgung führen. Ich habe den Eindruck, das es diese Personen null kümmert ob Sie angehört wird oder nicht. Das gilt nicht nur für Drosten.
„Wer eine sorgfältige Prüfung verlangt, gilt alsbald als große Gefahr.“
Es ging sogar noch dreister: Olaf Scholz sprach es offen aus:
„Betrachtet uns als eure Versuchskaninchen“https://www.youtube.com/watch?v=i_fU5CXxgvM