Ist scharfe Regierungskritik bereits eine Bedrohung für die Demokratie? Das Bundesamt für Verfassungsschutz wirft Hans-Georg Maaßen „demokratiefeindliche Agitation“ vor. Doch von dem Vorwurf lässt sich wenig belegen. Dritter Teil der Analyse zum Fall Maaßen

Nach Ansicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) betreibt Maaßen „demokratiefeindliche Agitation“. Er äußere sich, so das BfV, „diffamierend und herabwürdigend gegenüber der demokratischen Verfasstheit der Bundesrepublik, ihren Repräsentanten sowie den Parteien und dem Parteiensystem im Allgemeinen. Diese ständigen Verunglimpfungen bewirken in ihrer undifferenzierten Maßlosigkeit, dass das Vertrauen in das demokratische System der Bundesrepublik erheblich unterminiert und von Grund auf erschüttert sowie die Legitimität staatlicher Repräsentanten nicht nur infrage gestellt wird, sondern diese delegitimiert werden.“ Auf diese Weise wolle er das Demokratieprinzip beseitigen.
Dass Maaßen mit seinen Äußerungen das Vertrauen der Bevölkerung in das demokratische System von Grund auf erschüttert hat, konnte ich bisher nicht wahrnehmen. Der gegenwärtig bei vielen Menschen angenommene Vertrauensverlust scheint vielmehr aus der „Brandmauer“-Strategie der etablierten Parteien zu resultieren, nämlich aus der Wahrnehmung der Menschen, dass es ihnen praktisch nicht möglich ist, eine Politik abzuwählen, die sie ablehnen. Die Wahrnehmung dieser Menschen ist, dass es eine Mehrheit gegen die unbegrenzte Einwanderung gibt, gegen das Verbrennerverbot, gegen das Heizungsgesetz, gegen die ruinöse Energiepolitik, aber egal, was sie wählen – die nächste Regierung wird auch unter einem Kanzler Merz wieder links-grün geprägt sein und im Prinzip alles fortsetzen, wogegen die Menschen mit der Abwahl der Ampel gestimmt haben.
Im Übrigen wendet sich die – oft sehr heftige – Polemik Maaßens nicht gegen das Verfassungssystem Deutschlands, sondern gegen die konkrete Politik der Regierung und der Parteien. Er polemisiert gegen den „Ökosozialismus“, gegen „eine kleine fanatische politische Clique, die auch die Medien beherrscht, die hoch ideologisiert, völlig beseelt von der Richtigkeit ihres Handelns sind und die anderen Menschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben“. Er spricht von „totalitärem Sozialismus“ und bezeichnet die Vertreter der „neuen Klimareligion“ als „Grüne Khmer“ oder „grüne Taliban“, die Deutschland in einen „ökototalitären Musterstaat“ verwandeln wollten.
Du sollst nicht vergleichen
Das ist eine teils sehr überzogene Kritik. Aber es ist nicht Kritik an der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes, sondern Kritik an freiheitsfeindlichen Tendenzen in der Politik. Das BfV meint nun, Maaßen stelle die Partei Bündnis 90/Die Grünen mit der chinesischen Kulturrevolution und der Terrorherrschaft der Roten Khmer auf eine Stufe, ziehe so die demokratische Legitimität zumindest der Grünen-Abgeordneten im Bundestag infrage und verharmlose die Menschheitsverbrechen der Roten Khmer und der chinesischen Kulturrevolutionäre.
Aber wer von „Grünen Khmer“ redet, setzt die Grünen nicht mit den Roten Khmer gleich, sondern vergleicht sie. Er macht mit diesem polemischen Begriff auf eine Gemeinsamkeit aufmerksam, die er zu entdecken vermeint, nämlich auf das Sendungsbewusstsein, den Wahrheitsanspruch und den Willen, die eigenen politischen Ziele auch mittels massiver staatsdirigistischer Freiheitseinschränkungen durchzusetzen. Dass Maaßen behaupten wolle, die Grünen hätten – wie die Roten Khmer oder Mao – Millionen von Menschen umgebracht oder planten dies, lässt sich seinen Ausführungen auch bei kritischer Betrachtung nicht entnehmen.
Dass das BfV rhetorische Vergleiche mit totalitären Systemen für eine verfassungsfeindliche Gleichsetzung unserer demokratischen Ordnung mit dem betreffenden totalitären System hält, wenn diese Vergleiche von „rechts“ kommen, ist ständige Verfassungsschutzpraxis. Der Verfassungsschutz setzt regelmäßig rhetorische Vergleiche mit Gleichsetzung gleich, nach dem Muster: Wer sich durch das Denunziationswesen während der Corona-Krise (Anrufe bei der Polizei wegen unerlaubter Kindergeburtstagsfeiern) oder durch die heutigen Meldeportale an das Blockwartsystem der DDR erinnert fühlt, delegitimiert den Verfassungsstaat, weil er die Bundesrepublik mit der DDR gleichsetzt.
Wer, wie Maaßen, die NZZ als „Westfernsehen“ betrachtet oder dem ARD-Magazin „Panorama“ abspricht, „Westfernsehen“ zu sein, setzt nach Ansicht des BfV „die gegenwärtigen Fernsehmedien in der Bundesrepublik Deutschland mit den Fernsehmedien der DDR gleich“. Damit stelle Maaßen „eine freie und verlässliche Berichterstattung in der Bundesrepublik Deutschland in Abrede“. Ob die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen ausgewogen und verlässlich ist, muss man aber in einer freien Gesellschaft diskutieren können. Die Auffassung, dass in zentralen politischen Fragen – etwa Migrationspolitik, Klimapolitik, Coronapolitik – in den öffentlich-rechtlichen Medien grundsätzliche Gegenpositionen zur Regierungspolitik beziehungsweise zum politisch-medialen Mainstream weitgehend ausgeblendet werden und man nach solchen Positionen beispielsweise in der NZZ oder in Alternativmedien suchen muss, wird nicht nur von Maaßen, sondern auch von Medienwissenschaftlern vertreten.
Es gibt von dieser Kategorie etliche weitere Beispiele im Fall Maaßen. Das BfV behauptet, Vergleiche seien Gleichsetzungen, und konstruiert auf diese Weise eine angebliche Delegitimierung des freiheitlichen Staates, wo Maaßen offensichtlich die Intention verfolgt, den freiheitlichen Staat gegen unfreiheitliche Bestrebungen zu verteidigen.
Im Zweifel gegen den Angeklagten
Dass Maaßen den Verfassungsstaat delegitimieren und nicht verteidigen wolle, kann man mit seinen Äußerungen nicht belegen. Manche von ihnen können, wenn man sie nicht gutwillig betrachtet, dahingehend ausgelegt werden, als wolle er etwa den Grünen die Existenzberechtigung absprechen. Und wenn man das nicht im Sinne eines politischen Werturteils versteht, sondern in dem Sinne, dass sie eigentlich verboten werden müssten, wäre das auch verfassungsschutzrechtlich relevant. Aber wenn man seine Äußerungen auch so auslegen kann, dass lediglich heftige Kritik an der Politik der Grünen geübt werden soll, aber dass Maaßen nicht sagen will, er wolle sie – wenn er könnte – verbieten, dann wären das einfach Beiträge zur politischen Auseinandersetzung und weiter nichts.
Das BfV baut diesem Einwand vor, indem es behauptet: Wenn eine Äußerung mehrdeutig ist und eine der möglichen Bedeutungen verfassungsfeindlich, die andere aber nicht verfassungsfeindlich ist, dann könne sie als Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen verwendet werden. Bei mehrdeutigen Äußerungen unterstellt das BfV regelmäßig, dass der Betreffende einen verfassungsfeindlichen Inhalt zum Ausdruck bringen wollte. Aber so kann man in einem Rechtsstaat keine Beweisführung aufbauen, mit der die Rechtmäßigkeit von Grundrechtseingriffen – und die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist ein Grundrechtseingriff – begründet werden soll.
Das Bundesverfassungsgericht sieht es genau umgekehrt wie das BfV: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit verlange, dass bei der rechtlichen Beurteilung mehrdeutiger Meinungsäußerungen diejenige Auslegung zugrunde zu legen ist, bei welcher der geäußerte Inhalt rechtmäßig ist, sofern nicht diese Auslegungsvariante mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen werden kann: „In dubio pro libertate“ – im Zweifel für die Freiheit. Das BfV meint, dieser Grundsatz gelte nicht für den Verfassungsschutz. Das zeigt ein autoritäres Staatsverständnis, das der Inlandsgeheimdienst exklusiv für sich in Anspruch nimmt. Der Staat muss freiheitlich sein. Der Verfassungsschutz, der den freiheitlichen Staat schützen soll, will nach dem gegenteiligen Grundsatz agieren: „In dubio contra libertatem“.
Eine Kurzfassung dieses Textes erschien am 8.1.2025 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). – Professor Dr. Dietrich Murswiek war bis zu seiner Emeritierung Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg im Breisgau. Er ist Autor des Buches „Verfassungsschutz und Demokratie“ (2020).
Lesen Sie in den folgenden Tagen den vierten und letzten Teil der Anmerkungen zum Fall Hans-Georg Maaßen.
Hier geht es zu den Teilen 1 und 2 >>>
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„Diese ständigen Verunglimpfungen bewirken in ihrer undifferenzierten Maßlosigkeit, dass das Vertrauen in das demokratische System der Bundesrepublik…“ Im Gegenteil, die Anwürfe des BfV sind – weil durch NICHTS belegt – in ihrer Undifferenziertheit und Maßlosigkeit ein flagranter Angriff auf unsere demokratische Verfasstheit. Insbesondere der ständige Anwurf des Verstoßens gegen den Geist des GG ist im Rechtsstaat ein Unding. Die damit verbundenen Interpretationsexzesse an der Verfassung durch das BfV lassen an der verfassungstreue des BfV zweifeln. Die Verfassung ist die Quelle von Gesetzen welche wiederum vom Bundestag beschlossen werden. Einzig der Bundestag (oder das BVG) hat die Verfassung zu interpretieren. Gerichte… Mehr
„Agitation“. Die Vorwürfe klingen inzwischen genau wie die, welche Regierungen, die von der deutschen Regierung und Presse als undemokratisch bezeichnet werden, ihren Oppositionellen machen.
Es ist nicht die verfassungsrechtlich Aufgabe des Verfassungschutzes Meinungen egal welcher Art zu überwachen und zu bewerten. Der Verfassungschutz erhebt sich zum Besitzer der Wahrheit, wie dies in allen Diktaturen der Fall ist. Deswegen werde ich hier, frei, meine Meinung sagen, zu der ich Vergleichmaßstäbe aus meinem Leben in Diktatur und Freiheit habe, zusätzlich zu meiner Ausbildung. Danke an TE, dass es diese einmalige Meinungsfreiheit geschaffen hat. Meinungen egal welcher Art zu überwachen und zu bewerten, verwandelt den Verfassungschutz in eine politische Polizei. Das haben alle Diktaturen auf deutschem Boden getan. Es steht Verfassungschutz-Meinung gegen die Meinungsfreheit der freiheitlichen Grundordnung… Mehr
> Er äußere sich, so das BfV, „diffamierend und herabwürdigend gegenüber der demokratischen Verfasstheit der Bundesrepublik, ihren Repräsentanten sowie den Parteien und dem Parteiensystem im Allgemeinen.
Aha. Als Musk von den 800 Anzeigen Habecks hörte, hat ihn auf X als „Pi**el“ (Geschlechtsteil) bezeichnet. Trump zitierte wiederum die Aussage Putins über die EUdSSR, die eifrig dem Herrchen (USA) dient. Was will BfV dagegen machen?
Bei Trump könnte ich sogar mit der Adresse dienen: Pennsylvania Avenue 1600, Washington. Bekommt er jetzt eine Hausdurchsuchung?
Wer vom Verfassungsschutz beobachtet werden möchte braucht diesen nur anzuschreiben und um eine Selbstauskunft zu bitten. Es steht jedem Bundesbürger frei von Behörden zu erfahren ob und welche Daten über ihn gespeichert sind. Wer beim Landes- oder Bundesverfassungschutz nach seinen gespeicherten Daten fragt macht sich verdächtig.
Ich stehe nach einem Auskunftersuchen nun auf einer Liste des Landesamtes für Verfassungsschutz Niedersachsen. Begründung: Dadurch das ich nach meinen Daten gefragt habe bin ich verdächtig den Staat delegimieren zu wollen. Fehlt nur noch das die Schlapphüte vor der Haustür stehen.
Also, ich finde wir befinden uns auf einen schlechten Weg, was unsere Demokrtie usw. angeht. Mir kommt das alles vor, wie aus Science Fiction Filmen aus 70er & 80er Jahre vor. Ich denke da besonders an „Das fliegende Auge“. Ich frage mich immer und immer wieder was sollen wir an unsere Demokratie schützen, wenn wir nicht mehr frei unsere Meinung sagen dürfen. Ausserdem wundert mich immer das dumme gerede von Merz, was er über die Grünen als sagt. Faeser ist eine Schande für unser Land und ich fühle mich inzwischen als weißer Mensch in England. Wir haben hier viel größer… Mehr
Vermutlich verstehe ich den Autor in diesem Punkt nicht richtig, aber Parteien, welche die FDGO “ transformieren“ wollen, in eine totalitaere Herrschaft Weniger, und dabei offen und vorsaetzlich die “ störenden“ Artikel des GG schleifen, Corona sollten wir nicht vergessen, wuerde ich durchaus als verfassungsrelevantes Problem betrachten. Es gibt sogar öffentliche Aussagen, welche die „fragwürdige. Haltung zur Demokratie und zur Freiheit des Einzelnen bestätigen. Die“ Brandmauer“ und die Verwendung öffentlicher Mittel zur Agitation und Propaganda halte ich nicht gerade fuer Petitessen. Leider erfährt man nichts ueber die Treffen mit den Richtern des „BVerfG“. Ums Wetter geht es da wohl nicht.… Mehr
Ich verstehe nicht, warum sich der Staatsschutz sosehr an Maaßen abarbeitet. Er hat den Charme einer Büroklammer und ist als Politiker völlig unbedeutend. Vielleicht liegt es daran, dass Maaßen Insiderwissen über seinen ehemaligen Arbeitgeber hat.
Ganz genau Herr Maaßen kennt den Laden bis ins kleinste Detail. Außerdem war er, soweit ich informiert bin, bei Donald Trump in Florida. Der Mann ist wichtiger als wir glauben.
Der so genannte „Verfassungsschutz2 macht doch derzeit gerade das Gegenteil was sine Verfassungsmäßige Afgabe ist. Er Schützt nicht die Demokratie, die freiheit der Meinung und Meinungsäußerung, sondern versucht diese zu Unterbinden. Gegen die Verfassung. Wer etwas sagt das konträr ist gegenüber dem was Regierende Verbreiten / propagieren oder verbreitet haben wollen dem wird versucht Volksverhetzung oder Ähnliches zu unterstellen. Als ob das geringschätzig als „gemeine“ bezeichnete „Volk“, die Masse kein Recht hätte die Wahrheit bzw. verschiedene Gesichtspunkte, Wahrheiten zu erfahren und nicht das Recht und die Fähigkeit hätte danach frei zu entscheiden. So weit sind wir bereits von einer wirklichen… Mehr
Irre ich? Ich dachte immer wer hinter dem GG steht hat Recht auf eine Meinung, selbst wenn sie falsch sein sollte.
Eben. Deswegen dürfen Sie auch alles laut affirmieren, was das parteipolitische Juste milieu Ihnen erzählt. Ansonsten sollten Sie besser daran denken, dass der Souverän nicht das Volk, sondern der Staat, also die Parteien der „demokratische Mitte“ ist.
Die Kritik an den Parteien der „demokratischen Mitte“, also alle Parteien links und rechts der AfD, delegitimiert den Staat und damit alle Antifaschisten und mit ihnen „unsere Demokratie“.
Wollen Sie das…wirklich? Am Ende ist es doch wichtiger, die falsche Meinung zu affirmieren, als die Legitimität der „demokratischen Mitte“ anzuzweifeln.
Kafka? Das wäre die harmloseste Option.