„Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärker will“

Sandra Maischberger hatte gestern Wolfgang Schäuble zu Gast und ihm die wichtigste Frage gestellt, die selten so klar formuliert wird. Schäuble macht eine entlarvende Äußerung.

Screenprint: ARD/Maischberger - Die Woche
Wolfgang Schäuble in der Sendung "Maischberger. Die Woche"

Bravo, Frau Maischberger! Selten hat jemand die entscheidende Frage zur „europäischen Lösung“ bei der Impfstoffbeschaffung so glasklar formuliert: Der deutsche Staat hat seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern verletzt und vermeidbare Todesfälle provoziert. Maischberger wörtlich: „Als Bürger hat man doch ein Recht darauf, dass der Staat zumindest nicht vermeidbare Todesfälle in Kauf nimmt oder provoziert. Und da sind wir beim Impfen an einem wirklich wunden Punkt. Beim Impfen kann man doch sagen, dass der Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Bürger nicht richtig wahrgenommen hat. Denn jede Impfung, die zu spät kommt, die nicht vergeben wird, kann bedeuten, dass jemand zu Tode kommt und das ist unnötig, wenn wir auf die anderen Länder um uns herum blicken.“

Schäuble antwortete darauf: „Naja, ich meine zunächst einmal, ich habe schon gesagt, der Gesundheitsminister hat früh darauf hingewiesen, was eigentlich selbstverständlich ist, wir werden nicht gleich für alle haben. Zweitens, auch heute in der Debatte ist auch von Oppositionsfragestellern gesagt worden: Es nützt ja nichts, wenn wir in Deutschland das Virus besiegen oder wie man das nennt. Deswegen war der Ansatz richtig, es in Europa weit zu beschaffen, obwohl der ein bisschen komplizierter ist. Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärker will. Europa ist ein bisschen komplizierter, muss man auch sagen.“

Man muss diese Frage und Antwort auseinandernehmen. Maischberger fragt, ob der Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber den Bürgern verletzt und dadurch vermeidbare Todesfälle provoziert habe. Schäuble antwortet zunächst mit Plattitüden: Es sei doch klar, dass man nicht gleich für alle genug Impfstoff haben werde und dass es nichts nütze, wenn man nur in Deutschland das Virus besiege. Dann räumt er ein, dass die Impfstoffbeschaffung in Europa komplizierter ist, um zu der zentralen Aussage zu kommen: „Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärker will.“ Der Preis, das hatte Maischberger gesagt, waren zusätzliche, vermeidbare Todesfälle. Und warum muss man diesen Preis zahlen? Um Europa zu stärken, so Schäuble. 

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Maischberger setzte daraufhin an, etwas einzuwerfen, aber man kann nur ahnen, was sie sagen will, weil Schäuble ihr über den Mund fährt. Sie beginnt: „Das heißt also, wenn wir in Europa sind, nehmen wir…nehmen wir….“ Vielleicht wollte sie Schäuble auf den Punkt bringen und wiederholen, dass man nach seiner Ansicht um Europa willen den vermeidbaren Tod von Menschen in Deutschland in Kauf nehmen müsse. Schäuble ließ sie nicht zu Wort kommen, redete weiter und betonte, man solle in Deutschland so viel Impfstoff bestellen wie möglich, um einen großen Beitrag dazu zu leisten, die ganze Welt zu impfen. 

Schäubles Äußerung ist kein Einzelfall

Schäubles Sicht, man müsse zur Stärkung Europas in Kauf nehmen, dass Menschen in Deutschland später geimpft werden, hatte unlängst bereits die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Beitrag für die FAZ vertreten: „Auch ich stelle mir diese Fragen jeden Tag: Hätten wir schneller sein können? Und wäre ein einzelner Mitgliedstaat schneller gewesen?… Ja, es dauert vielleicht länger, Entscheidungen zu 27 zu treffen als allein. Aber stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn am Anfang nur ein oder zwei Mitgliedstaaten Impfstoffe erhalten hätten. Das wäre für einige große Staaten wie Deutschland denkbar gewesen. Aber was hätte das für unsere Einheit in Europa bedeutet? Diese Abkehr von unseren europäischen Werten hätte nicht wenige gestärkt, sondern alle geschwächt. Das wäre an die Grundfesten Europas gegangen.“ In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 5. Februar sagte von der Leyen, mit Blick auf die Kritik, dass die EU den Impfstoff zu zögerlich bestellt habe: „Natürlich: Ein Land kann ein Schnellboot sein. Und die EU ist mehr ein Tanker.“ 

Mit diesen Äußerungen haben von der Leyen und Schäuble zugegeben, dass die Impfstoffbeschaffung durch einzelne Länder schneller gegangen wäre als durch die EU. Beide haben damit klipp und klar ausgesprochen:

  1. Die Impfstoffbeschaffung durch die EU („europäische Lösung“) hat länger gedauert und war komplizierter als es gewesen wäre, wenn Deutschland sich den Impfstoff alleine beschafft hätte (wie das etwa die Briten getan haben).
  2. Sie sagen beide, diesen Preis müsse man für den europäischen Gedanken zahlen.

Wie dem europäischen Gedanken dadurch gedient ist, dass man den Bürgern unseres Landes erklärt, sie müssten zur Stärkung Europas vermeidbare Todesfälle infolge fehlenden Impfstoffes in Kauf nehmen, bleibt das Geheimnis von Schäuble und von der Leyen. Mich ärgert, dass auch diejenigen Politiker, die das Versagen bei der Impfstoffbeschaffung kritisieren, darauf beharren, die „europäische Lösung“ sei an sich richtig gewesen. Nein, dieser Ansatz war falsch. Und er resultiert – so wie bei anderen Fehlentscheidungen, etwa bei der Flüchtlingskrise 2015 – daraus, dass für deutsche Politiker allerhöchste Priorität die Sorge hat, nicht von irgendjemandem als „Nationalisten“ gescholten zu werden, in diesem Fall als „Impfstoffnationalisten“. So verhindert ideologisches Denken pragmatische Lösungen und kostet damit Menschenleben. 

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Kommentare ( 226 )

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Fsc
2 Jahre her

Zitat Schäuble: „Es nützt ja nichts, wenn wir in Deutschland das Virus besiegen oder wie man das nennt. Deswegen war der Ansatz richtig, es in Europa weit zu beschaffen, obwohl der ein bisschen komplizierter ist. Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärker will.“ Soso, Tausende Tote in Deutschland muß man in Kauf nehmen wenn man Europa stärker will? Schäuble, Merkel, die Versager-Uschi und alle EU-Unterstützer gehen über Leichen! Auf alle Drei der genannten gilt der Filmtitel „Leichen pflastern ihren Weg“ Erstens meint Schäuble die EU, wenn er Europa sagt und zweitens will ich die EU nicht stärker, ich… Mehr

199 Luftballon
3 Jahre her

Schäuble steht für eine Schuldenunion , für einen Zentralstaat in Brüssel dem es gar nicht schnell genug gehen kann alle Kompetenz und Macht an Brüssel abzugeben, für eine Flutung der EU, Stichwort Inzucht und, und, und gehört längst wegen Landes und Hochverrat angeklagt wie alle die Deutschland abschaffen wollen, jedenfalls in einem Rechtsstaat bei dem die Verfassung und das Grundgesetz noch was gilt, leider ist in der links-grünen Merkel Diktatur von der Justiz, Politik und Medien alles gleichgeschaltet.

GerdF
3 Jahre her

Schäuble ist in meiner Sicht einer der größten Versager unserer so genannten Spitzenpolitiker. Man erinnere sich z.B. an die „Griechenlandrettung“. Angeblich fertige Pläne in der Schublade gehabt für den Austritt Griechenlands aus dem Euro, am Ende hat er sich einmal mehr hinter Merkel versteckt und Rettung Rettung sein lassen! Sein unsägliches Gesabbel bzgl. der deutschen Inzucht und dem frischen Blut aus Arabien und Afrika. Man mag bei Schäuble darüber rätseln welche seiner negativen Eigenschaften dominiert: ist es Arroganz, ideologische Verbortheit, Altersstarrsinn oder eine in Wahrheit zu tiefst verklemmte und gestörte Persönlichkeit? Es spielt am Ende keine Rolle, ein Land welches… Mehr

Deutscher
3 Jahre her

Meint er Europa oder die EU? Man kann nämlich nicht das Eine stärken, ohne das Andere zu schwächen.

Reiterhofer
3 Jahre her

Richtiger wäre gewesen: „Den Preis muss man zahlen, wenn man völlig inkompetente Politiker an die Macht wählt oder (wie im Falle von der Leyens) wählen lässt.“

Hemai
3 Jahre her

Man darf sich nicht auf eine Diskussionsebene von Politikern einlassen, denn die Sache verhält sich umgekehrt. Ein Einkäufer für die EU hätte normalerweise ein deutlich höhere Einkaufskraft gegenüber nationalen Einkäufern. Bei den Einkäufern (Merkel und v.d. Leyen) lag der Fehler, siehe USA und Israel, dort waren groß und ganz klein schnell, weil sie gut gearbeitet haben. Alles andere sind Ausflüchte. Stelle ich aber das Prinzip der sozialen Gleichheit an die erste Stelle, dann sind weder die USA, Israel, noch die EU dran. Da käme erstmal Afrika, Lateinamerika usw. Außerdem, welchen Sinn sollte die EU haben, wenn diese dann in Zukunft… Mehr

RS
3 Jahre her

Das wäre an die Grundfesten Europas gegangen.“ Diese Gleichsetzung der EU mit Europa empfinde ich seit langem als anmaßed, als unverschämt, eine glatte. bewußte Lüge.
Bei aller grundsätzlichen Sympathie für die Idee einer EU darf m.E. nicht übersehen werden, daß die Bundesregierung zunächst einmal die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist und nicht eine Untebehörde der EU. Ihre Mitglieder sind vereidigt auf die Bundesrepublik Deutschland und das deutsche Volk, nichts und niemanden sonst. Wenn die EU bedeutet, daß die Bundesregierung und der Staat ihre Fürsorgepflicht gegenüber dem deutschen Bürger hintanstellen, ist sie eine Gefahr für uns.

Peter G.
3 Jahre her

Wurde das Prinzip der Subsidiarität inzwischen abgeschafft? Es ist meiner Kenntnis nach Bestandteil der EU-Verträge und damit auch für die Kommission und andere Hardliner bindend. Wenn Politiker in Kenntnis der vorteilhafteren nationalen Lösung die „europäische“ wählen, handeln sie vorsätzlich zum Nachteil der Menschen ihres eigenen Landes. Das könnte justiziabel sein – in einer Demokratie jedenfalls.

Anton Mohr
3 Jahre her

Herr Schäuble, wo war denn Ihre europäische Solidarität, als die Türkei Griechenland mit Krieg bedrohte? Ihre Regierung Merkel hat darauf Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei verhindert!

Lore
3 Jahre her

„Aber was hätte das für unsere Einheit in Europa bedeutet? Diese Abkehr von unseren europäischen Werten hätte nicht wenige gestärkt, sondern alle geschwächt. Das wäre an die Grundfesten Europas gegangen.“ Hätte er mal 2015 so geredet, als „uns aller Angela“ die Schleusentore aufgemacht hat. Da war Europas Meinung nicht gefragt….