Chanel: Zur Kasse ohne Klasse

In der aktuellen Kollektion von Chanel findet man die seinerzeit auf jeder 68er-Demo unerlässliche Leinenumhängetasche – im Domestos-Auswasch-Look nebst filzschreiberhandbemalter Anmutung („Make Fashion not War“), mit regenbogenbuntem Flokatibesatz, Peace-Zeichen und Smiley-Anstecker. Der Hippie-Beutel mit dem CC-Logo kostet 2.650 Euro - schlechteren Geschmack kann man kaum demonstrieren.

Mode, Kunst oder überteuerter Tinnef? Taschen aus der Chanel Supermarket Theme Fall Coll. 2014 - via Purse Blog

Interessant, wie oft überbordender Luxus und Geschmacklosigkeit einhergehen. Es scheint fast so, als dass im gesellschaftlichen Zyklus bei Konsum-Hochkonjunktur alle geschmackvollen Anwendungsmöglichkeiten des Genusses mit beschleunigter Rate verbraucht werden.

So bleibt dann bald nur noch aufgemotzter Kitsch, um sich vermeintlich luxuriös geben zu können. Ein mit Silberketten umwirkter Einkaufskorb in authentischer Kramerladen-Konstruktion von Chanel und die dazu passende Handtasche in Milchtütenform („lait de coco“) gehören fraglos zu den Höhepunkten dieser Entwicklung. Der einzig verbliebene echte Bemerkenswert daran ist der Preis (12.500 + 4.800 US-Dollar) und das elitäre Wissen um diesen Preis. Und vielleicht noch, dass sich Karl Lagerfeld als Designer dafür verblödet hat. Der hatte seine Muse für die Herbstkollektion 2014 offensichtlich im Supermarkt gefunden.

Höchstwahrscheinlich in einem Berliner Supermarkt. Denn modisch bietet er dazu einen löchrig, schlabbrigen pinken Jogging-Anzug auf – wer nicht ganz die Figur der Modells hat, schaut darin aus wie Cindy aus Marzahn, die in einen Hinterhalt von Motten geraten ist.

Taschen aus der Chanel Supermarket Theme Fall Coll. 2014 - via Purse Blog

Taschen aus der Chanel Supermarket Theme Fall Coll. 2014 – via Purse Blog

Auch wenn andere Edelmarken sich redlich bemühen, ebenso im Spitzensegment der Grauslichkeiten zu reüssieren, kann sich Chanel letztlich nur selbst überbieten. In der aktuellen Kollektion findet man etwa die seinerzeit auf jeder 68er-Demo unerlässliche Leinenumhängetasche – im Domestos-Auswasch-Look nebst filzschreiberhandbemalter Anmutung („Make Fashion not War“), mit regenbogenbuntem Flokatibesatz, Peace-Zeichen und Smiley-Anstecker. So lässt sich heute auch alternatives Understatement mit dem Dresscode des Luxus verbinden – der Hippie-Beutel mit dem CC-Logo kostet 2.650 Euro. Ja hallo, auch die redlich angegrauten Grünen der Anfangsstunde müssen ihren auf Atomkraft, nuklearer Abschreckung und neoliberaler Wirtschaftspolitik gebauten Wohlstand für alle irgendwo ein wenig ausleben dürfen. Schließlich rennt auch Joschka Fischer zum Dreiteiler nicht mehr mit Turnschuhen durch die Gegend.

Apropos Turnschuhe. Die gehören ganz casual heute natürlich auch zum Schaulaufen. Wie wäre es da zum Beispiel mit dem Model „Cliff Top“ von Louis Vuitton aus Pythonleder für 1.200 Euro oder von Rick Owens für 945 Euro mit Ponyfell oder mit schrillen Glitzersteinchen von Miu Miu für 1.050 Euro. Da muss sich Chanel noch anstrengen. Deren Sneakers erinnern tatsächlich noch irgendwie an Turnschuhe und können deswegen auch nur für 590 Euro billig verramscht werden. Günstiger bekommt man bei Chanel nur noch Flipflops – für 430 Euro.

Es ist nun sechs Jahre her, dass ich das Buch „Dekadenz“ geschrieben habe. Maßlosigkeit und Konsumsucht, Müßiggang und Verweichlichung waren die Kategorien, in denen ich den Verlust der Angemessenheit des Verhaltens für ein gedeihliches Fortbestehen der Gesellschaft beklagt habe. Auch damals waren schon die Exaltiertheiten der Designermode ein Thema. Auch damals bin ich mit Handtaschen eingestiegen: „Meinen folgenden Blick auf luxuriöse Damenhandtaschen wird mancher als Mangel am rechten Sinn für Design und als fehlenden Stil bei modischen Accessoires abtun. Ich nehme es in Kauf: Wenn man für eine Handtasche Tausende zahlen muss, um sich als wandelnder Werbeträger prostituieren zu dürfen, kann ich das nur als Selbsterniedrigung unter einem allmächtigen Konsumgott verstehen. Der Inbegriff der edlen Damentasche, die Louis-Vuitton-Tasche, ist geradezu per Definition gepflastert mit den Insignien des Herstellers. Die Preise der Taschen sind weit davon entfernt einen materiellen oder praktischen Gegenwert zu repräsentieren. Allein eine künstliche Knappheit und das Wissen entsprechender Gesellschaftskreise um diese Rarität bestimmen den Preis. So ergaben sich 2007 Spitzenpreise von 38.000 Euro für eine aus 14 Vorgängern zusammengestückelte ‚Patchwork Bag‘, von der nur 24 Exemplare weltweit zum Verkauf standen. Nebenbei ganz persönlich angemerkt: ein grottenhässlicher Beutel.“

Genau nach dieser Philosophie hat Chanel dieses Jahr in Deutschland seine Preise für Handtaschen um sage und schreibe 30 Prozent erhöht und gleichzeitig die verfügbaren Exemplare in den Filialen verknappt sowie Wartelisten für Kaufinteressierte, die nicht zum Zuge gekommen sind, eingeführt. Nun, das Abendland ist zugegebenermaßen darüber noch nicht untergegangen. Ich meine aber nach wie vor, dass man in der zunehmenden Abgeschmacktheit der Anlage von Vermögen die Vorzeichen der Dekadenz erkennen kann. Sicher nur als eine kleine Facette und auch nur der Spiegel der Gesellschaft quer durch alle Klassen. Aber wenn Vermögen immer weniger Ausdruck von Klugheit und von Stil und Contenance ist, dann bröselt es am Fundament. Und leise rieselt der Swarovski-Glitter.

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