Jens Spahn schenkt mir 14 Euro, damit ich meine Gesundheit ruinieren kann. Danke, lieber Herr Minister, vielen Dank für Ihre Güte. Und all den vielen Beteiligten für ihre unermüdlichen Mühen.
Kürzlich habe ich einen Brief erhalten mit einem denkwürdigen Schreiben: Bundesadler und ein seltsames Muster, wie man es vom Personalausweis kennt – mit hübschem Wasserzeichen teuer veredelt.
Es sind ein „Berechtigungsschein 1“ und ein „Berechtigungsschein 2“, jedes dieser wertvoll anmutenden Dokumente berechtigt mich zum Bezug von „6 Schutzmasken mit hoher Schutzwirkung in einer Apotheke“. Die Eigenbeteiligung beträgt 2 Euro. Je Berechtigungsschein.
Solche FFP2-Masken gibt es im Internet für 1,50 Euro das Stück. Nach Abzug der Eigenbeteiligung also ein Wert von 14 Euro.
Danke, Jens Spahn.
Ich nehme an, er kommt sich großzügig vor.
Nun will ich ja nicht undankbar sein; allerdings: Mein monatlicher Krankenkassenbeitrag liegt bei 550 Euro. Das relativiert die Dankbarkeit.
Und jetzt stelle ich mir vor, welchen langen Weg diese 14 Euro bis zu mir zurückgelegt haben. Am Anfang stand vermutlich eine Sitzung der Leitungsebene im Bundesgesundheitsministerium. Ich sehe Jens Spahn vor mir, wie er überlegt: Wie kauft man Wählerstimmen, seit der Mafia-Trick „den linken Schuh gibt’s vor der Wahl, den rechten nach der Wahl“ nicht mehr so funktioniert?
Lange grübeln Abteilungsleiter, beamtete und parlamentarische Staatssekretäre. Bis ein unbekannter Held ruft: „Ich hab’s. Masken! Verschenken wir Masken!“
Und der Minister klatscht sich vor Begeisterung auf die Schenkel. Jeden Tag eine gute Idee!
Zu diesem Zeitpunkt werden durch die zuständigen Referate „Bund-Länder-Beziehungen“ auch die Vertretungen der Bundesländer beim Bund informiert. Von den jeweiligen Gesundheitsreferenten der 16 Vertretungen wird der Vorschlag an die Staatskanzleien und Ministerien in den Landeshauptstädten weitergeleitet. Es kommt zu gemeinsamen Verhandlungen der A-Länder (Ministerpräsidenten der SPD), der B-Länder (CDU-Chefs) und zu bilateralen mit Baden-Württemberg, das bekanntlich einen grünen Ministerpräsidenten hat. Die SPD-Länder dringen auf eine Absenkung der Eigenbeteiligung, was die Vertreter des Bundesfinanzministeriums nach Rücksprache mit dem zuständigen Staatssekretär zurückweisen. In Mecklenburg-Vorpommern wird ein interministerieller Arbeitskreis gegründet mit dem Ziel, eine Beteiligung von Gazprom zu erwirken, um für sozial schwache Bürger eine weitere Absenkung der Eigenbeteiligung herbeizuführen.
Eine Staatssekretärsrunde auf Bund-Länder-Ebene führt eine „Bereinigungssitzung“ durch, die aber fast gescheitert wäre, weil Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht teilnehmen konnte. Er hatte einen nicht verschiebbaren Termin zwecks notarieller Beurkundung eines Immobiliengeschäfts in Berlin.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist noch nichts geschehen, aber schätzungsweise 1.000 Spitzenbeamte rotieren eifrig im Dauereinsatz.
Ein Arbeitskreis (Geheimhaltungsstufe „VS-Vertraulich“) nimmt Kontakt mit der Bundesdruckerei auf, um sicherzustellen, dass die notwendigen Dokumente fälschungssicher hergestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt sind schätzungsweise 2.000 Spitzenbeamte und Spitzenfunktionäre der Verbände involviert.
Da sich die Leiter der diversen Ministerialreferate auf Bundes- und Länderebene nicht einigen können, wird eine Ministerrunde eingelegt, an der allerdings Jens Spahn nicht teilnehmen kann. Er ist mit der Vorbereitung auf den CDU-Parteitag ausgelastet. Diese Nicht-Teilnahme führt zu Verärgerung bei den Vertretern der A-Länder. Es wird aufmerksam registriert, dass der Vertreter Bayerns sich mit einer kritischen Bemerkung auf die Seite der SPD-Länder schlägt, was als sicherer Hinweis dahingehend interpretiert wird, dass Markus Söder sich doch die Entscheidung einer möglichen Kanzlerkandidatur offenhalten will. Entsprechende Vermerke („Verschlusssache – dem Minister nur persönlich vorlegen“) werden auf den Weg gebracht.
Kanzleramtsminister Helge Braun leitet eine weitere „Maskenzuteilungsbereinigungssitzung“, da die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig darauf besteht, dass nur Masken aus Produktionsstätten begünstigt werden sollen, die in den Neuen Bundesländern liegen und mit russischem Erdgas beheizt werden. Der Ostbeauftrage der Bundesregierung nimmt an der Sitzung teil und informiert, dass in den Neuen Ländern nur handgestrickte Masken mit Ventil hergestellt werden. Hinsichtlich der Brennstoffe für die Heizung liegen ihm keine Informationen vor, allerdings sollen erneuerbare Energien bevorzugt werden. Das Außenministerium wird informiert, um über die Botschaft in Peking einen Lieferauftrag zu vergeben. Der Vertreter des Außenministeriums erklärt sich dazu bereit – aber nur unter der Bedingung, dass Reichsbürger, QAnon-Anhänger und Querdenker von der Zuteilung ausgeschlossen sind.
Ein Schnellgutachten des Justizministeriums erklärt dies für wünschenswert, aber das Bundesinnenministerium teilt mit, dass der Bundesverfassungsschutz leider derzeit mit der Vorbereitung der Beobachtung einer alternativen Partei ausgelastet sei. Zum Ausgleich dafür wird in angemessener Frist auch das Sicherheitskabinett mit der Frage befasst, allerdings erst, wenn die ganze Sache längst erledigt ist. Kurz bevor der Lieferauftrag erteilt wird, remonstriert das bislang noch nicht beteiligte Entwicklungshilfeministerium. Es besteht darauf, dass auch Lieferanten aus dem Senegal zu berücksichtigen seien. Zur Lösung der schwierigen Abrechnungsprobleme zwischen Krankenkassen, Apotheken und Bürgern wird die Beratungsfirma McKinsey beauftragt. Eine Ausschreibung erfolgt nicht, aber nur diese mit ministerialen Aufträgen erfahrene Beratungsfirma ist in der Lage, die notwendige Beratungsdienstleitung von 17.000 Frau-Tagen kurzfristig zu erbringen.
Da das Entwicklungshilfeministerium von einem CSU-Minister geführt wird, dringt das Vorhaben auch an das Ohr der CSU-Frauenpolitikerin und Digitalstaatsekretärin Dorothee Bär. Sie legt Wert auf eine Formulierung im gemeinsamen Abschlussprotokoll der Bund-Länder-Masken-Kommission, dass Trägerinnen von rosa Latex-Oberteilen bei der Belieferung nicht benachteiligt werden dürfen. Eine entsprechender Redenentwurf für Bär wird zugesagt als Ausgleich dafür, dass ihr Vorschlag nicht angenommen wird. Bär zeigt sich zufrieden, legt aber Wert darauf, dass die Formulierung „Verschlusssache – dem Minister nur persönlich vorlegen“ in „Minister*in“ umgewandelt wird. Das findet Berücksichtigung. Ein Beamter*in des Finanzministeriums wird derweil mit Schnappatmung in die Charité eingeliefert.
Jens Spahn unterstützt den Vorschlag von Bär ausdrücklich mit einem Handy-Anruf auf dem Weg zum Notar für ein weiteres Immobiliengeschäft, muss aber wegen der notwendigen Unterschriftsleistung kurzfristig abbrechen.
An dieser Stelle danke ich Jens Spahn, dass er diesen ganz alltäglichen Berliner Bürokratiewahn in Gang gesetzt hat, nur um mir 14 Euro zu sparen, und das zwischen Notar-Terminen und CDU-Parteitag.
Allerdings: Gemäß Vorgaben des Arbeitsschutzes dürfen solche Masken maximal 75 Minuten getragen werden. Davor ist ein ärztliches Attest einzuholen, weil bei Atembeschwerden schwerste Komplikationen zu erwarten seien. Ich verzichte altersbedingt daher auf das Tragen der Spahn-Maske.
Ich bin jedoch bereit, sie sozial Schwächeren bei Abholung jederzeit auszuhändigen. Einen entsprechenden Vermerk habe ich an die Bund-Länderkommission auf den Weg gebracht und Dorothee Bär mit rosa Schleifchen aus Latex speziell informiert.
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Internetapotheken liefern jetzt schon 12 FFP2-Masken gegen Einsendung des Bezugscheines von 6 Masken und tragen zudem die Eigenbeteiligung, das Porto für den Bezugsschein und die Versandkosten der Masken. Was für ein Wunder, wenn das Genie Spahn ihnen bei Abnahme von Stückmengen in Millionen- oder gar Milliardenauflage EUR 6,00 pro Maske bei einem Einkaufspreis von EUR 0,60 pro Maske zahlt. Andere Apotheker, Hersteller von Tests etc. und auch z.B. Laborärzte haben schon ein schlechtes Gewissen angesichts der unerwarteten und unangemessenen Millionengewinne. Genau wie sein politisches Umfeld, ohne Berufserfahrung, ohne Erfolg im Berufsleben, teils auch ohne Ausbildung, hätte auch Herr Spahn in… Mehr
Es wäre deutlich billiger gewesen, wenn der normale Postbote in jeden Briefkasten 3 Masken geworfen hätte. Allerdings hätten dann keine Berater von McMountain & Co mitverdient und das Ganze wäre sehr schnell über die Bühne gegangen. Die Beraterfirmen haben möglicherweise ebenso viel verdient, wie die Masken gekostet haben.
Lieber Herr Tichy, in dem ganzen Chaos lassen Sie bitte Herrn Spahn dort, wo er ist! Stellen Sie sich vor: Frau Esken kommt als nächste Gesundheitsministerin!
Die Sache mit dem „Mafia-Trick“ ist schon genial amüsant.
Schöner Artikel – habe mich köstlich amüsiert. Aber wer die bizarren Auswüchse deutscher Bürokratie kennt, wird vermutlich ahnen, das die Realität noch viel befremdlicher ist.
Werden wir jemals erfahren wie viele Millionen dieser Schwachsinn gekostet hat? Ich habe nur kurz überlegt. Masken dieser Art gibt es schon für 99 Cent. Sechs Masken also Sechs Euro. Warum ziehen sie nicht ihre zwei Euro Eigenbeteiligung ab – für die kaufe ich mir nachher welche bei XX – und verschicken die vier Masken im gleichen Brief mit denen sie die Berechtigung Scheine verschickt haben? Das Porto dürfte das gleiche sein. Die Masken für 99 Cent gibt`s natürlich nicht in der Apotheke, da kosten sie viel mehr, also auch ein mehr an Steuergeldern. Und die Apotheken haben einen unheimlichen… Mehr
Das ist keine Satire. Das ist Deutschland 2021 die „überregierte“ Bananenrepublik. Das aller schlimmste ist aber im September wird sich das voraussichtlich noch mal verschlechtern wenn der Michel nicht aufwacht.
Lieber Herr Tichy, als Glosse aus La Gomera darf ich ergänzen, dass auch die Gemeinschaft der Auslandsdeutschen Jens Spahn ein herzliches Danke hinterher rufen möchte. Gestern habe ich einer hochbetagten deutschen Auslandsrentnerin in ihrem Papierkram geholfen. In ihrem Alter muss man das Bürokratendeutsch der deutschen Rentenversicherungsträger nicht mehr verstehen. Zum Dank hat mir die Dame die Bezugsscheingeschenke 1 und 2 von Jens Spahn weitergeschenkt. Unsere Bundesregierung schickt die hochwertigen Bezugsscheingeschenke nämlich auch an deutsche Kleinrentner ins Ausland als Zwangsbeglückung hinterher. Im Alter dürfen Menschen senil sein. Aber so senil, dass eine Kleinrentnerin ins Flugzeug steigt, um den wertvollen Bezugsschein in… Mehr
Auf den Gutscheinen steht ja nicht drauf, welche Diagnose zum Bezug der Masken berechtigt. Das heißt, ein Hartzer kann sich die Masken ganz einfach wie ein Asthmatiker abholen, ohne vor dem Dorfapotheker dumm dazustehen.
Herr Tichy, Sie tun mir leid. Ich bin noch ein ganzes Stück älter als Sie und habe mit der FFP2-Maske kein Problem. Atemprobleme habe ich jedenfalls keine. Vielleicht sollten Sie die Masken mal einfach ausprobieren. Ich arbeite allerdings auch nicht unter großer körperlicher Belastung mit der Maske. Da mag die Sache anders aussehen. Mir kommt die Warnung der Arbeitsschützer vor wie die Beilagen zu Arzneimitteln. Wenn man die liest, meint man auch, dass der Schaden bei der Einnahme der Medikamente höher ist als der Nutzen.