Matussek spielt mit dem Tod und feiert das pralle Leben

In „Armageddon“ erzählt Matthias Matussek von Glauben, Verrat und einem Mordkomplott. Und mittendrin – und das anrührend – von der Lebensmüdigkeit eines anderen Menschen.

„Der Bestsellerautor Rico Hausmann kam nach längerem Nachdenken zu dem Schluss, dass sich sein Leben, wenn überhaupt, nur als Roman erzählen ließ.“ So ungefähr könnte es in einem Text zur Vorgeschichte von Matthias Matusseks Roman „Armageddon“ heißen, in dem der Autor, ohne sich dafür großartig zu verwandeln, in die viertelfiktive Rolle eben jenes Schriftstellers Richard Hausmann schlüpft. Keine Frage, der Autor höchstpersönlich tritt hier als Held des Romans auf, nur mit einem nom de plume leicht verschleiert, aber ansonsten jeder Zoll er selbst, Matthias Matussek, ehemaliger Kulturchef des SPIEGEL, ehemaliger Autor der WELT, jetzt freier Schreiber, TE-Autor und Radiomacher an der Ostseeküste.

„Er war neunundsechzig, Journalist, gern als ‚umstritten‘ bezeichnet oder strafverschärfend als ‚erzkatholisch‘ ansonsten bei guter Gesundheit, wenn auch leicht reizbar“, heißt es über das Alter Ego. Sein Hausmann besitzt als Figur Kontur und Farbe, aber der Autor neigt (zum Glück) nicht dazu, sein Ebenbild vorteilhaft zu kolorieren. „Er dagegen hatte sich einen Bauch angefressen“, skizziert er den Doppelgänger, „seine Arme und Beine waren dünn, was ihn dem Felonius Gru aus dem Animationsfilm ‚Despicable Me‘ ähneln ließ, auf Deutsch ‚Ich – Einfach unverbesserlich‘. Er fand sich damit ab, unverbesserlich zu sein, ach was, er fühlte sich damit sauwohl.“

Wohin führt uns der einfach unverbesserliche Matussek-Hausmann in „Armageddon“? Natürlich in eine Entscheidungsschlacht, darauf weist schon der Titel unmissverständlich hin. Die deutet sich schon auf den ersten Seiten an, als ein nicht mehr ganz junger Mann aus der linken Szene mit Lederjacke und „Dachsgesicht“ Hausmann in dem winzigen Ostsee-Kaff, in das er sich zurückgezogen hat, als eben jenen als rechtsradikal verfemten früheren Starautor erkennt, kurzum, den Fascho.

Von dort aus führt das Buch aber erst einmal in einem langen Rückschwenk in die etablierte Medienwelt mit Hausmann als Starjournalist, und Stationen in Hamburg, Rio und New York. Die ersten Kapitel erzählen den Weg des langjährigen Insiders nach draußen. Und vor allem von der Geburtstagsparty des Autors, der zwar zu dem Zeitpunkt zwar keiner Redaktion mehr angehört, aber durch sein Beziehungsnetz aus alten Freundschaften noch halb mit dem großen Verlags-, Meinungs- und Eitelkeitsbetrieb zusammenhängt.

Dem Zweifel einen Raum geben
Der Nachrichtenforscher
Das ändert sich radikal auf eben jener Feier, zu der auf Hausmanns Einladung nicht nur reihenweise alte Kollegen aus der Branche kommen, sondern auch ein junger Identitärer. Den identifiziert der ZDF-Unterhalter Jan Böhmermann (der im Buch wie fast alle anderen unter Klarnamen vorkommt), und er nutzt den Fund, um Hausmanns Feier als Fusion von Bürgertum und Rechtsradikalismus im feinen Viertel Hamburgs zu brandmarken. Worauf viele Grade-Noch-Bekannte panisch Sicherheitsabstand zu dem Unverbesserlichen suchen. Kurz danach erscheint ein Musikvideo, in dem eine junge Frau zum Song einer linksradikalen Band mit einem Scharfschützengewehr auf Hausmann anlegt. Wie jeder Dramaturgieerfahrene spätestens seit Tschechow weiß: hängt im ersten Akt eine Flinte an der Bühnenwand, muss sie im fünften Akt losgehen. Das geschieht dann auch.

Den ersten Romanteil, bevor der Mordplot in Gang kommt, nimmt eine Art Lebensbeichte von Hausmann ein, vorgetragen in einem an Villon erinnernden Tonfall, denn es geht dort um gesellschaftliche Höhen und Abstürze, aber vor allem um das Begriffspaar, das Matussek offenbar heftig bewegt, in der Wirklichkeit wie im Roman: Glaube und Verrat. Figuren wie Jan Fleischhauer, Mathias Döpfner, Benjamin Stuckrad-Barre und Michael Klonovsky treten hier unter ihren Klarnahmen und weitgehend unverfremdet auf.

Dann allerdings schwenkt das Buch auf eine andere Spur ein: der mittlere Teil handelt von einem noch wesentlicheren Begriffspaar als Glaube und Verrat, nämlich Leben und Tod, und das nicht abstrakt, sondern erzählt an der seltsamen Beziehung von Hausmann zu der etwas älteren Französin Natalie, die sich auf ihren Freitod vorbereitet. Sie tut das nicht, weil sie an einer unheilbaren Krankheit leiden würde. Sondern am Alter, am Verlust ihrer Schönheit, auch an der Einsamkeit.

Hausmann sieht es als seine Mission als Katholik an, sie davon abzubringen. Aber mit Natalie hat er keine papierne Gestalt vor sich, die dem Autor nur dazu dienen würde, seine Argumentationskünste vorzuführen. Diese 78jährige Frau in Paris steckt, so paradox es klingt, voller Leben. Wenn sie ihren Todeswunsch begründet, kann ihr der unverbesserlich Gläubige gar nicht so viel entgegensetzen, auch wenn er natürlich sein Bestes versucht. Spätestens hier wird „Armageddon“ von Kolportage zum Roman. Es zeigt sich Matusseks Leidenschaft für Lebensläufe.

Im Armageddon-Finale mit dem Gewehr kommt Hausmann selbst dem Tod immer näher, beziehungsweise: der Tod in Gestalt des Lederjackenmanns vom Romananfang nähert sich ihm. Dass er ihm eine eigene Geschichte und sogar sympathische Seiten gibt, gehört zu den Stärken des Textes.  Mit dem Schützen wäre sogar Versöhnung möglich. So, wie sich Hausmann auch grundsätzlich mit dem Tod arrangieren könnte.

Mit dem einen oder anderen früheren Gefährten und Feind aus den Medien dagegen eher nicht. Aber auch in diesen Passagen redet er sich etwas von der Seele, und das durchaus mit guter Wirkung für alle Beteiligten. Matthias Matussek-Hausmann muss nämlich nicht zum Scharfschützengewehr greifen, um abzurechnen.  Er setzt sich an die Tastatur.

Matthias Matussek, Armageddon. Roman. Europa Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 22,00 €.


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