Wahlen in Berlin ungültig? Dieses Protokoll zeigt das ganze Chaos

TE liegen die Protokolle aus den Wahlbüros zur Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl in Berlin vor – wir werden in den nächsten Tagen die wichtigsten Erkenntnisse daraus veröffentlichen. Hier zeigen wir für einen Wahlkreis beispielhaft, wie groß und flächendeckend die Ungereimtheiten sind.

IMAGO / Seeliger

Fast ein Dreivierteljahr ist vergangen, der Bundestag hat sich konstituiert und eine Regierung gewählt, die zahlreiche wegweisende Entscheidungen getroffen hat. Immer noch fraglich ist aber, ob dieser Bundestag überhaupt rechtmäßig zustandekommen ist. Denn die Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin sind enorm – und konnten bis heute nicht aus der Welt geschafft werden. Dasselbe gilt auch für die Berliner Abgeordnetenhauswahl, die teilweise noch problematischer ablief. Dass der Berliner Verfassungsgerichtshof noch nichts beschlossen hat, hat vor allem den Grund, dass die Datenmengen nicht zu bewältigen sind. Fast 50.000 Seiten umfasst die Protokollierung aller Berliner Wahlbüros – natürlich nicht digitalisiert, sondern in Mappen, dicken Ordnern und Kisten verstaut. Jeder der neun ehrenamtlichen Richter muss sich nun daraus eine eigene Meinung bilden – das dauert.

Dass am Ende der Recherche dennoch eine Wiederholung der Wahl stehen dürfte, wird indes immer wahrscheinlicher. TE liegen die Protokolle aller Berliner Wahllokale exklusiv vor – in den nächsten Tagen werden wir die wichtigsten Erkenntnisse daraus veröffentlichen.

Heute fassen wir exemplarisch die Unregelmäßigkeiten in einem einzigen Wahlbezirk zusammen – im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf 5 mit gut 30.000 Wahlberechtigten.

„Leute aufgebracht, laut, beschweren sich über ‚Manipulation'“. 

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Es fängt bei kleinen Ungereimtheiten an: Gleich in mehreren Wahlbüros findet sich ein Vermerk, dass es eine Differenz gibt zwischen den im Wahlregister abgehakten Wählern und der Zahl der am Ende abgegebenen Stimmzettel. In einem Fall konnte die Ursache nicht ermittelt werden – das heißt mehrere Stimmzettel lagen in der Urne, für die es gar keine Wähler gibt. Das konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. In anderen Wahlbezirken ist es andersherum – hier scheint es so zu sein, dass sich Wahlberechtigte zwar einen Wahlschein abholten, diesen aber nicht eingeworfen haben. Was aber ist dann mit diesen Wahlzetteln passiert? Theoretisch hätten sie weitergegeben werden können.

In wieder anderen Fällen durften Briefwähler ihre Stimme noch einmal an der Urne abgeben.

Foto aus dem Protokoll

Gegen 15:00 Uhr bricht in fast allen Wahlbüros das Chaos aus. Zwischen 14:45 und 15:15 wird in einem etwa die Wahl komplett eingestellt, weil die Wahlzettel ausgegangen sind. Was die Menschen machen, die hier eigentlich zur Wahl gehen wollen, ist unklar. Vermutlich werden viele davon ihre Stimme an diesem Tag gar nicht abgegeben haben.

In einem anderen Büro wird handschriftlich notiert: „Trotz rechtzeitiger Anforderung weiterer Wahlzettel waren irgendwann nicht mehr genügend Wahlzettel vorhanden. Die Wahl musste daher unterbrochen werden.“ Zwischenzeitlich habe man sich dann Wahlzettel aus einem anderen Wahlbüro organisiert. „Es fiel erst später auf, dass die Wahlzettel für die Abgeordnetenhaus-Erststimme nicht identisch bzw. nicht korrekt für diesen Wahlbezirk [waren]“. Der Fehler sei umgehend korrigiert worden – doch daraus resultierten nach Angaben der Wahlvorsteher weniger als 10 ungültige Stimmen.

Chaos pur. In einem anderen Wahlbüro unterlief der gleiche Fehler mit den Wahlzetteln – hier sei es aber gelungen den Fehler nach Ausgabe von drei Wahlzetteln zu korrigieren.

Wieder ein anderes Wahlbüro schildert den Ablauf detaillierter. Um 11:39 Uhr haben die Wahlvorsteher mit einem erstem Anruf klargemacht, dass ein baldiges Ausgehen der Stimmzettel erwartet werde. Antwort: Eigentlich hätten schon Stimmzettel da sein müssen. Die Anweisung von oben: „Wenn Stimmzettel enden, sollen alle pausieren“.

Um 13:03 Uhr gibt es im Wahllokal dann „dringende Versuche“, das Wahlamt zu erreichen – offenbar scheitern sie. Um 13:10 Uhr sind die Stimmzettel dann aus. Handschriftlich wird notiert: „Leute aufgebracht, laut beschweren sich über ‚Manipulation'“. Die Stimmung droht zu eskalieren.

Um 13:37 Uhr ruft man schließlich die Polizei – „kommt aber keiner“. Schließlich fährt die Schriftführerin mit „U-Bahn / Fahrrad“ los, um Wahlzettel zu organisieren.
Um 14:07 Uhr – also knapp eine Stunde nachdem die Wahl pausiert wurde – erreichen schließlich neue Stimmzettel das Wahllokal. Um 14:13 Uhr wird der Wahlbetrieb wieder aufgenommen.

Lakonisch wird vermerkt: „Unsere Schriftführerin hat eine Fahrradpauschale verdient“.

Es sind Fragmente einer Wahl, die im Chaos versinkt. Und das sind nur die gut dokumentierten Fälle. Für das Wahlbüro am Gymnasium Zum Grauen Kloster liegt etwa überhaupt kein unterschriebenes Protokoll vor – eigentlich unmöglich. Andere Protokolle verweisen auf Anlagen, die es gar nicht gibt.

Marcel Luthe trat im Wahlkreis an und ist von den Ergebnissen dieser Fehler unmittelbar betroffen. Gegenüber TE erklärt er im Bezug auf die Papiere: „Bisher kannten wir offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Man kann mit Fug und Recht nach einer ersten Evaluation sagen, dass hier pures Chaos geherrscht hat und die Verantwortlichen das bis heute verschwiegen haben.“ Und weiter: „Noch im November hatte man mir als Abgeordneten die Einsicht in diese Niederschriften über zwei Instanzen gerichtlich verweigert: nun wissen wir auch, weshalb. Wenn sich dieser Eindruck aus meinem Wahlkreis Grunewald auch andernorts bestätigt, ist klar, dass das aktuelle Parlament keine demokratische Legitimation hat und durch den Verfassungsgerichtshof sofort aufgelöst werden muss. Nur das letzte, 18. Abgeordnetenhaus ist durch den Souverän legitimiert.“

Das Ausmaß dieser Unregelmäßigkeiten lässt sich nicht mehr ermitteln. Es dürften Hunderte allein in diesem kleinen Wahlkreis sein, die durch die Probleme ihre Stimme am Ende nicht abgegeben haben. Gerade zur Stoßzeit war das Wählen flächendeckend nicht oder nur eingeschränkt möglich. Das alles wäre zu verhindern gewesen: Hätte man etwa darauf verzichtet, den Berlin-Marathon am selben Tag zu veranstalten, wäre das dramatische Verkehrsproblem gar nicht entstanden. Auch durch eine etwas engagiertere Organisation sowie durch rudimentäre Digitalisierung hätten die zahlreichen Fehler und Ungereimtheiten verhindert werden können. So bleibt ein Eindruck von einer Berliner Politik, die der Bundestagswahl erschreckend wenig Bedeutung und Beachtung zollt. Im Ergebnis steht die Legitimität der Politik der Bundesregierung in schweren globalen Krisenzeiten auf wackligen Beinen.

Dicker kommt es freilich für das Berliner Abgeordnetenhaus. Sollte sich das, was in den Stichproben andeutet, auch im Gesamtbild bestätigen, dann steht das Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl auf tönernen Füßen. Charlottenburg-Wilmersdorf hatte bereits am Wahlabend eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt, weil dort die Ergebnisse nur „geschätzt“ werden konnten. Die Gründe dafür werden in den Protokollen offensichtlicher. Und während es im Bundestag größtenteils um den Verbleib der Linkspartei im Parlament geht, steht nicht nur über der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses, sondern möglicherweise auch über dem Bürgermeisteramt von Franziska Giffey ein dickes Fragezeichen.

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Kommentare ( 109 )

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Anti-Merkel
1 Jahr her

Die Wahlen werden genau dann wiederholt, wenn es (nach den NRW-Ergebnissen) so aussieht, dass die Grün*innen bei einer Neuwahl auf Kosten der FDP Stimmen gewinnen würden.
Dann ändern sich die Mehrheitsverhältnisse, Scholz kann die FDP aus der Koalition entlassen, und die nächste Abstimmung über Zwangsimpfungen verläuft genau, wie Lauterbach sie haben will.

Orlando M.
1 Jahr her

Wenn die Politik schon mit so etwas einfachem wie eine Wahl ordnungsgemäß durchzuführen überfordert ist, dann kann man nur noch mit dem größten Grausen daran denken, auf welche Art die die großen Probleme angehen werden. Gekommen sie zu vergrößern.
Seitdem die Wahlen überwiegend mit sozialen Umverteilungsversprechen gewonnen werden, geht es bergab, mit dem politischen Personal wie mit dem Verstand der Wähler. Von der Leistungsgesellschaft über die Sozialleistungsgesellschaft in den Tartaros.

Peter Gramm
1 Jahr her

Spätestens wenn Gerichte damit beschäftigt sind gibt es nur politische Urteile. Wie die ausgehen kann man sich denken. Rechtsstaat Deutschland – o weh!

Bad Sponzer
1 Jahr her
Antworten an  Peter Gramm

Der Rechtsstaat funktioniert schon, wenn es darum geht Knöllchen einzutreiben. Mein Nachbar hat sein Köllchen über 5 Euro wegen „Parkens ohne Parkscheibe“ nicht bezahlt. Er wurde 1,5 Jahre verfolgt und drangsaliert. am Ende war die Drohung per Gerichtsvollzieher und Lohnpfändung. Hätte auch das nicht geholfen, hätte er die „Strafe “ absitzen müssen! Also DIESER Rechtsstaat funktioniert in Deutschland perfekt.

Mike76
1 Jahr her

Sind bestimmt die Masken schuld, die die Wahlhelfer zu dieser Zeit tragen mussten und dem damit verbundenen Sauerstoffmangel. Das vernebelt so manchem das Gehirn. Meine Güte, sind das Zustände hier.

meckerfritze
1 Jahr her

Ich glaube nicht, daß die Wahl wiederholt wird. Wählen ist doch für die SPD SED grüne kamarilla, ohnehin nur lästig und entbehrlich. Bei Stalin wurde auch nicht gewählt.

RS
1 Jahr her

Wie in Berlin die Wahlen versaut wurden, ist ein Skandal. Daß nach fast einem Dreiviertel Jahr immer noch keine Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit gefällt wurde, ist ein noch viel größerer Skandal. So zerstört man das Vertrauen der Bürger in den Staat und die Demokratie. Hier geht es unmittelbar um unsere Demokratie. Wenn diese Sache nicht an alleroberster Stelle der Prioritätenliste steht und zügig entschieden werden kann, was denn dann? Inzwischen fällt es einem ja schon schwer, nicht davon überzeugt zu sein, daß in Berlin nicht nur die Regierung, sondern der ganze Senat, die Behörden und auch der berliner Verfassungsgerichtshof durchsetzt… Mehr

Siggi
1 Jahr her

Alles richtig und sicherlich nur die Spitze des Eisberges, aber wer glaubt, dass die Berliner Justiz die Wahl aufhebt, kennt die Berliner Justiz nicht. Über die ist nämlich nur ein und das ist der blaue Himmel. Dass das Verfassungsgericht jede Entscheidung untermauert, dafür hat die Altkanzlerin ja hinreichend gesorgt. Mithin guter Artikel, aber vergebene Liebesmüh. Der Zug ist abgefahren.

Astrid
1 Jahr her

Eigentlich ist alles, was man tagtäglich hört und sieht unfassbar. Jeden Tag frage ich mich, was muss in diesem Land eigentlich passieren, dass der/die Deutsche aufwacht? Wann reicht es den Leuten? Lug und Trug wo man hinschaut, einfach unerträglich. Es gibt wirklich keinen Bereich in unserem Leben, der halbwegs funktioniert. Vor unser aller Augen wird unsere Heimat zerstört und Werte, wie z.B. Disziplin, Fleiß, Ehrlichkeit, Korrektheit, Mitgefühl, Anstand, Menschlichkeit etc. sind über den Jordan. Das Leben in unserem Land ist jeden Tag eine Herausforderung. Die Deutschen haben es noch nicht einmal geschafft für ihre Kinder einen Schutzraum zu schaffen. Es… Mehr

Rob Roy
1 Jahr her
Antworten an  Astrid

Wann immer ich die totale Ignoranz und das Schweigen meiner Mitbürger wahrnehme, muss ich an die drei Affen denken: Nichts sehen. Nichts hören Nicht sagen.
Aber so richtig stimmt das Bild eigentlich nicht. Denn jeder der drei Affen hat ja mindestens noch zwei Sinne, die er nutzen könnte.
Der Deutsche jedoch vollbringt das Kunststück, sich mit nur zwei Händen gleichzeitig Augen, Ohren und Mund zuzuhalten.

Guter Heinrich
1 Jahr her
Antworten an  Astrid

Wann es den Leuten reicht? Ich befürchte nie.
Denn die heutige Wissenschaft der Manipulation ist mächtiger als die demokratische Willensbildung. Besonders, wenn häufig konsumierte Medien die Manipulation massiv unterstützen.
In früheren Zeiten führte wenigstens plötzlicher Hunger dazu, dass es den darbenden Bürgern reichte. Heute, befürchte ich, kleben sich die „Revolutionäre“ vor der Eingangstür zum leeren Supermarkt fest. So sehr sind sie inzwischen Herde, um ein Wort von Nietzsche zu zitieren.

Teiresias
1 Jahr her

In einem demokratischen Rechtsstaat hätten solche Auswüchse Konsequenzen.

Im besten Deutschland aller Zeiten (aus Sicht der Parteien) wohl eher nicht.

Sie wollen sich vom Wähler nicht dazwischenfunken lassen.

Stefferl
1 Jahr her

Giffey – war das nicht die Frau mit „ohne“ Doktor? Selbst bei Wahlen gewinnt die nicht auf normalem Weg.

Last edited 1 Jahr her by Stefferl