Immer mehr Angestellte erscheinen nicht im neuen Job

Stell‘ dir vor, es ist Arbeit – und keiner geht hin: Jeder siebte Betrieb bei uns hat schon erlebt, dass er von einem neuen Mitarbeiter einfach sitzengelassen wird. Was früher undenkbar war, stellt heute immer mehr Betriebe vor Probleme.

picture alliance / Zoonar | lev dolgachov

Der Bäckermeister ist immer noch sehr verärgert. Seinen richtigen Namen möchte er lieber nicht sagen, deshalb nennen wir ihn hier mal Peter. Seit 40 Jahren führt er einen kleinen Familienbetrieb in Zerbst in Sachsen-Anhalt.

Mitte des Jahres ging ein Mitarbeiter in Frührente. Rechtzeitig hatte Peter mit der Suche nach einem Nachfolger begonnen. Sechs Monate lang hielt er Ausschau nach einem neuen Bäckergesellen. Unter einem halben Dutzend brauchbarer Kandidaten wählte er einen aus. Es passte, man wurde sich einig, der Arbeitsvertrag wurde unterschrieben.

Zum Arbeitsbeginn am ersten des Monats wartete Peter auf seinen neuen Angestellten. Und wartete. Und wartete. Doch es kam niemand. Auch am darauffolgenden Tag erschien der Mann nicht. Anrufe blieben unbeantwortet. Peter fuhr sogar zu ihm nach Hause und klingelte, doch da machte niemand auf.

Der Bäcker wurde geghostet.

„Ghosting“ ist ursprünglich ein Wort aus der Welt der Online-Partnerbörsen. Es bezeichnet die wenig charmante, aber weit verbreitete Praxis, sich bei einem Menschen einfach nicht mehr zu melden.

Man hat ein erstes Date, dann vielleicht Sex, womöglich trifft man sich mehrmals, manchmal auch über Monate hinweg. Alles fühlt sich wie der Anfang einer Beziehung an. Doch plötzlich meldet sich einer der Partner nicht mehr. Ohne Ankündigung, ohne Vorwarnung, einfach so. Er (oder sie, Frauen können das genauso gut) reagiert nicht mehr auf Anrufe oder Textnachrichten. Der Mensch ignoriert einen komplett und ist wie vom Erdboden verschluckt.

Ein Geist eben, ein „ghost“. Daher das Wort.

Was früher zum schlechten Ton in zwischenmenschlichen Beziehungen gehörte, hat mittlerweile die Arbeitswelt erreicht. Dort entwickelt es sich zu einer regelrechten Epidemie. Menschen unterschreiben einen Arbeitsvertrag, erschienen aber nie bei der Arbeit. Immer mehr Unternehmen sind betroffen.

Im Sommer 2024 haben fast 15 Prozent aller Betriebe in Deutschland solche Ghosting-Fälle erlebt. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer noch unveröffentlichten Studie des „Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung“ (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Dafür waren 851 Personaler aus deutschen Unternehmen befragt worden.

Die Autoren der Studie sehen darin eine direkte Folge des Fachkräftemangels vor allem in den handwerklichen Berufen. Nicht wenige Bewerber unterschreiben nämlich einfach mehrere Arbeitsverträge – und überlegen sich manchmal erst sehr kurzfristig, welcher Job ihnen am besten gefällt. Da gehen sie dann hin. Bei den anderen Betrieben melden sie sich einfach nicht mehr.

Der Arbeitgeber hat nur wenig Handhabe. Was soll er auch machen? Er kann den unerwartet unzuverlässigen Neuen rauswerfen – aber der will den Job ja eh nicht. Möglicherweise könnte der Arbeitgeber Schadensersatz verlangen. Aber das ist rechtlich enorm unsicher, und die Summen wären auch sehr klein. Schon der Anwalt wäre sicher teurer, da lohnt der Aufwand nicht. Vom Nervenaufwand und Ärger mal ganz abgesehen.

Betriebswirtschaftlich ist Ghosting im Job allerdings weit mehr als nur ein Ärgernis. Denn die nicht angetretene Arbeitsstelle bleibt naturgemäß erst einmal unbesetzt – mindestens so lange, wie für den „Ghost“ ein Ersatz gefunden und eingestellt wird. Das kann dauern, denn die früheren anderen Bewerber auf den Job haben zwischenzeitlich nicht selten schon anderswo angefangen. Die geghostete Firma muss die Suche oft also wieder ganz von vorne anfangen.

Der Schaden, der vor allem kleineren Betrieben dadurch entsteht, ist schwer zu beziffern. Grobe Schätzungen gehen von mehreren hundert Millionen Euro jedes Jahr aus. Die (jedenfalls im Moment noch) arbeitnehmerfreundliche Lage auf dem Arbeitsmarkt führt auch dazu, dass 37 Prozent der Unternehmen sich mit einem Bewerber einig waren und ihm einen unterschriebenen Arbeitsvertrag schickten – dann aber doch noch eine Absage erhielten, weil der Kandidat sich für ein anderes Angebot entschied.

Und selbst wenn ein Arbeitsverhältnis einmal zustande kommt und auch korrekt begonnen wird, gibt es trotzdem immer mehr Probleme: Nahezu jeder vierte Betrieb in Deutschland (24 Prozent) hat mindestens einen Fall erlebt, wo ein neuer Mitarbeiter in der Probezeit kündigt.

Vermeiden lässt sich all das, so unbefriedigend es für die Arbeitgeber auch ist, nur durch intensive Betreuung der Bewerber und der neuen Mitarbeiter. Vor allem gehe es um Verbindlichkeit, Vertrauen und persönliche Ansprache, meinen die Studienautoren vom IW: „Ein positives Bewerbererlebnis ist heute mehr wert als jedes Hochglanz-Image.“

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Kommentare ( 43 )

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43 Comments
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mediainfo
10 Tage her

Die (jedenfalls im Moment noch) arbeitnehmerfreundliche Lage auf dem Arbeitsmarkt führt auch dazu, …

Es gibt bei begehrten Stellen keine arbeitnehmerfreundliche Lage auf dem Arbeitsmarkt. Nur bei Stellen, die zunehmend unattraktiv für die meisten sind, wie eben beim Bäckermeister.

Ralph Martin
10 Tage her

Gesamtgesellschaftlicher Verfall der Sitten, auch in der Politik.
Der Friedrich hat versprochen als konservativer Kanzler zu kommen. Wer erinnert sich nicht an die Rede: „erster Tag“, „Kanzler“, „Richtlinienkompetenz“ und „Grenzen“.
Gekommen ist dann ein Olaf, grösser und mit etwas mehr Haaren.
Der „Vor-Wahl-Friedrich“ hat sich schnell aus dem Staub gemacht und war nicht mehr erreichbar.

Iso
11 Tage her

Da wird man künftig eine Kaution verlangen müssen, damit der liebe Mitarbeiter auch erscheint und die getroffene Vereinbarung erfüllt. Allerdings ist das der Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, die in der Schule beginnt. Ein Lehrer ist längst keine Respektperson mehr und manche Schulen ein Tollhaus. Einen Beruf zu erlernen, halten viele für unnötigen Luxus, bietet doch der Sozialstaat jede Menge Anreize der Arbeit fernzubleiben. Die Verwahrlosung, die in der Schule beginnt und Sozialfälle in Größenordnungen schafft, ist Teil des Gesamtkonzepts, dieses Land in den Ruin zu treiben. Das wird wie in einer Bananenrepublik enden und wir werden schwierigste Verhältnisse bekommen. Ich… Mehr

beccon
11 Tage her

Der Bewerbungsprozeß ist dysfunktional geworden – aus verschiedenen Gründen. Zum einen sind wir heute in der Lage über die ganzen Jobportale jeden Tag ohne nennenswerten Aufwand eine Vielzahl von KI geschriebene Bewerbungen zu verschicken, die natürlich irgendwo in Personalabteilungen ankommen und genauso wie früher ausgiebig bearbeitetet werden müssen. Dann schreiben viele Persos Stellen nur ungenügend dokumentiert über mehrere Quellen aus, was viele gut aussehende Ausschreibungen produziert – die aber nicht werthaltig sind. Auf der anderen Seite wird das Umfeld für Einstellungen durch die wirtschaftlichen Unsicherheiten zunehmend volatil. Heute wollen wir noch einstellen, morgen werden die Projekte vom übergeordneten Management gestoppt… Mehr

kasimir
11 Tage her

Was der Bäckermeister hätte tun können: einen Anwalt für Arbeitsrecht nehmen und den nicht angetretenen Azubi zumindest mal auf einen Monat Ausbildungsgehalt verklagen. Das hätte auch Erfolg. Denn, wenn es einen Vertrag gab, den der Schüler während der Bewerbung unterschrieben hat, ist dieser auch verpflichtet, anzutreten. Tut er das nicht und sagt wenigstens vorher ab, dann würde ich als Arbeitgeber das tun. Das gebietet die Höflichkeit: wenigstens ein paar Tage vor Arbeitsantritt schriftlich abzusagen. Kurze E-Mail genügt. Das ist eine Sache von zwei Minuten. Ich verstehe solche unzuverlässigen Personen nicht. Darum zerbricht unsere Gesellschaft jetzt auch… Ich war auch in… Mehr

AlNamrood
11 Tage her

Ghosting ist bei Bewerbungen Standard, von Seiten des AGs.

Tut mir leid für den Bäcker in diesem Fall aber ansonsten…manche AGs haben so eine Behandlung durchaus verdient.

imapact
11 Tage her

Hört sich schwer nach „Fachkräftemangel“ an. Mag vielleicht für ein paar Branchen gelten, wo dieser tatsächlich herrscht. Ansonsten jedoch sind es, gerade in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit, die Bewerber, die die Ars…te gezogen haben.

gummibaum
11 Tage her

Ich melde Zweifel an, dass dies eine gute Darstellung der gesamten Realität ist:
https://youtu.be/bB_Fw2VB5xY?si=i9ClydnIJOMs3UIE

Sowas können sie gehäuft finden von Menschen, denen sie eine gewisse Qualifikation zusprechen möchten.

Bevor jetzt alle wieder auf „die Jugend“ eindreschen.

Last edited 11 Tage her by gummibaum
gummibaum
10 Tage her
Antworten an  gummibaum

Fachkräftemangel hatten wir in den Nullerjahren auch schon. Damals „Kinder statt Inder“.
Und eigentlich überhaupt immer.
Begehrte Arbeitgeber haben komischerweise aber immer eine Schlange…

Was hat der gute Mann denn angeboten?
Das Detail fände ich schon auch interessant.

Klaus D
11 Tage her

wo ein neuer Mitarbeiter in der Probezeit kündigt….das wird dann wohl am unternehmen liegen! Die zeiten wo man arbeiter schlecht behandeln konnte weil die jobs knapp waren sind halt vorbei. Viele unternehmen haben das noch nicht verstanden. Und auch unternehmen betreiben immer öfter Ghosting. Ist mir als letztes bei einem autohändler passiert.

Flaneur
11 Tage her
Antworten an  Klaus D

jein. es gibt schlechte betriebe. aber es gibt auch die sehr auskömmliche sozialhilfe.
und wenn ich die wahl habe, miete und heizung plus 400€ handgeld jeden monat zu bekommen, oder als azubi 40 stunden oder mehr zu knechten für kaum mehr (oder teilweise sogar weniger) am monatsende…

PulsarOperator
11 Tage her

Warum nicht eine Kautionspflicht ins Arbeitsrecht einführen? Meinetwegen zwei Monatsgehälter, die bei Nichtantreten der Stelle fällig und sofort zwangsvollstreckbar werden.

gummibaum
11 Tage her
Antworten an  PulsarOperator

Glauben Sie wirklich, dass wir gerade einen Arbeitnehmermarkt haben?
Entlassungen überall?
Das passt nicht zusammen.
Vielleicht gibt es mancherorts eine wechselseitige Verrohung. Und arrogante Mitspieler gibt es natürlich auch auf allen Seiten.

Ombudsmann Wohlgemut
11 Tage her
Antworten an  PulsarOperator

Das geht zu weit und ist viel zu hoch gegriffen.
Ich finde trotzdem, dass man zumindest absagen sollte. Wer nicht mal das schafft, ist eh unfähig zur Konfrontation und in vielen Bereichen ungeeignet.

Last edited 11 Tage her by Ombudsmann Wohlgemut