Frohe Weihnachten!

In den vergangenen Tagen bewiesen Regierungen wieder einmal, zu was sie fähig sind. Grundrechte sind zu einem disponierbaren Gut geworden. Das ist ihr Weihnachtsgeschenk an die als Untertanen verstandenen Bürger.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Gestern Abend verkündete das US-amerikanische Außenministerium Sanktionen gegen fünf Bürger der Europäischen Union und des Vereinigten Königreichs. Sie gelten wegen ihrer Aktivitäten als „Agenten eines globalen Zensur-Industrie-Komplexes“ und damit als Gefahr für die Vereinigten Staaten. Die Unterstaatssekretärin im amerikanischen Außenministerium, Sarah B. Rogers, informierte auf X, wer damit gemeint ist. Es betrifft den früheren EU- Kommissar Thierry Breton, Anna-Lena von Hodenberg, Gründerin von HateAid, sowie deren Geschäftsführerin Josephine Ballon. Außerdem die beiden britischen Staatsbürger Imran Ahmed und Clare Melford.

Wenige Stunden vorher wurde in London Greta Thunberg festgenommen. Sie hatte ein Plakat in der Hand gehalten, wo folgende Sätze zu lesen waren: „Ich unterstütze die Inhaftierten von Palestine Action. Ich lehne Völkermord ab.“

Laut den britischen Behörden habe sie damit eine verbotene Organisation unterstützt und gegen das britische Terrorismus-Gesetz verstoßen. Ortswechsel Berlin. Dort war am 16. Dezember auf der Seite der russischen Botschaft folgende Meldung zu lesen: „Abwesenheitsurteil wurde gegen neun Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gefällt.“ Es ging um das Verfahren und den Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dessen Chefankläger Karim Khan wurde zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt, „wobei die ersten neun Jahre in einem Gefängnis und der verbleibende Teil der Strafe in einer Strafkolonie des strengen Regimes zu verbüßen sind.“

„Legal, illegal, scheißegal“

Putin hat in den Vereinigten Staaten bekanntlich nichts zu befürchten. Sein amerikanischer Amtskollege traf sich mit ihm in Alaska und es finden intensive Gespräche zwischen beiden Staaten zur Beilegung des Ukrainekrieges statt. Allerdings sind sie bezüglich des Internationalen Strafgerichtshofes und dessen Chefankläger einer Meinung. Schon im Februar hatten ihn die USA sanktioniert, das betraf nicht nur ein Einreiseverbot, zudem wurden seine Vermögenswerte in den Vereinigten Staaten eingefroren und sein Mailaccount gesperrt. Es ging aber nicht um den Haftbefehl gegen Putin, sondern um den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Gegen Netanjahu und seinen früheren Verteidigungsminister wurden vom Internationalen Strafgerichtshof wegen des Gazakrieges Haftbefehle ausgestellt. Die wegen der Massaker an israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 erlassenen Haftbefehle gegen führende Hamas-Angehörige haben sich dagegen erledigt: Sie sind im Laufe dieses Krieges von den israelischen Streitkräften getötet worden. Nun haben am 19. Dezember die Vereinigten Staaten weitere Sanktionen gegen Angehörige des Internationalen Strafgerichtshofes erlassen. Es wurden die Richter Erdenebalsuren Damdin aus der Mongolei und Gocha Lordkipanidze aus Georgien auf die Sanktionsliste gesetzt.

Die beiden Großmächte werfen dem Strafgerichtshof Machtmissbrauch vor, was manche als schlechten Scherz, andere für den obligatorischen Zynismus von Nuklearmächten halten. Kleinere Mächte wie Deutschland betrachten das Völkerrecht ebenfalls aus einer subjektiven Perspektive, halt nur ohne Atomwaffen. So begrüßen sie bis heute den Haftbefehlt gegen Putin, während sich führende Repräsentanten des deutschen Staates weiterhin mit dem israelischen Ministerpräsidenten treffen. Weil sie aber den Eindruck erzeugen wollen, sie interessierten sich noch für rechtsstaatliche Verhältnisse, scheut die Bundesregierung den Empfang von Netanjahu auf deutschem Boden.

Sanktionen gegen Europäer
Offiziell: EU bestraft missliebige Meinungen
Heutzutage ist schließlich jeder Mann und jede Frau um sein Image besorgt. Wer will dann schon mit dem alten Slogan „legal, illegal, scheißegal“ linksradikaler Spontis aus den 1970er Jahren identifiziert werden? Das muss sich auch die EU-Kommission in Brüssel gedacht haben. Sie hat den Schweizer Staatsbürger Jacques Baud am 15. Dezember auf ihre Sanktionsliste gesetzt. Damit war sie sogar einen Tag schneller als die russische Botschaft in Berlin mit ihrer Mitteilung über die Urteile gegen die Mitglieder des Internationalen Strafgerichtshofes. Brüssel als Mastermind zur Putinisierung der europäischen Gesellschaften ist sicherlich stolz auf das Tempo. Die Kollegen der NZZ in Zürich fassen die Begründung der Brüsseler Spontis so zusammen: „Baud fungiere ‚als Sprachrohr für prorussische Propaganda‘. Er sei deshalb für die ‚Beteiligung am Einsatz von Informationsmanipulation‘ verantwortlich, steht im Beschluss des Europäischen Rates, unterzeichnet von der Aussenbeauftragten Kaja Kallas.“

Seitdem sitze Baud in Belgien fest, da er innerhalb der EU nicht reisen dürfe. Seine Konten bei europäischen Banken sind eingefroren. Drittpersonen sei es verboten, ihn finanziell zu unterstützen oder ihm wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Die Möglichkeit, sich rechtlich gegen die politische Strafaktion zu wehren, sei zwar vorhanden, „doch das dauert und ist ohne Geld schwer zu bewerkstelligen“. In diesem Interview mit Roger Köppel für die Schweizer Weltwoche schildert Baud seine derzeitige Lebenssituation.

Virus namens Neoautoritarismus

Das alles gehört zu jenem Neoautoritarismus, der seit Jahren die Grundrechte gefährdet. Dieser funktioniert wie ein Virus, der immer größere Teile der westlichen Gesellschaften infiziert. Sind die beiden HateAid-Aktivistinnen Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon eine Gefahr für die Vereinigten Staaten? Wohl kaum. Sie bedrohen vielmehr die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland. HateAid bekommt die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung, um sogenannte „Grundwerte“ gegen die Wahrnehmung von Grundrechten durchzusetzen.

Einreiseverbote
US-Sanktionen gegen zwei deutsche Zensur-Aktivisten – und Ex-EU-Kommissar Thierry Breton
Eine CBS-Dokumentation über deren freiheitsfeindliches Selbstverständnis machte das schon im Februar für die amerikanische Öffentlichkeit nachvollziehbar. Es gibt den vom amerikanischen Außenministerium angesprochenen „Zensur-Industrie-Komplex“ in Deutschland, wie es Andrew Lowenthal erst vor wenigen Tagen in diesem Interview mit Jakob Schirrmacher in der Welt deutlich machte. Seine erschreckende Bestandsaufnahme: Er dachte, es sei schlimm, „aber nicht so schlimm“. Das besondere Kennzeichen in Deutschland sei „der Aufbau eines dichten Netzes öffentlich finanzierter Intermediäre zwischen Staat und Öffentlichkeit“. Nur brauchen wir in Deutschland ein amerikanisches Außenministerium, um unsere Grundrechte zu verteidigen? Diese Idee ist absurd.

Das Virus namens Neoautoritarismus zerfrisst das rechtsstaatliche Bewusstsein in den betroffenen Gesellschaften. Man darf sich nicht täuschen: Heute werden viele Europäer mit Empörung auf die Sanktionen gegen die HateAid-Aktivisten reagieren. Sie werden schweigen, wenn es um deren freiheitsgefährdendes Selbstverständnis geht. Andere sehen mit kaum verhohlener Genugtuung auf diese Sanktionen, weil es ihrer Meinung nach die Richtigen trifft. Eine Greta Thunberg darf man aus dieser Perspektive festnehmen, weil man ihre Positionen für antisemitisch hält, wogegen man sich über die Sanktionen gegen Baud empört, weil man seine Sichtweise auf den Ukrainekrieg teilt.

Andere schweigen ohrenbetäubend zu Baud oder vergleichbaren Fällen. Es droht ein überparteilicher Konsens, den Rechtsstaat der Willkür und dem politischen Kalkül zu unterwerfen. Allerdings gibt es eine schon 1679 in England mit der Habeas Corpus Akte formulierte Erkenntnis: Die Bürger brauchen Rechte, um sich vor der Willkür von Staaten zu schützen. Das gilt für alle Staaten und zu jeder Zeit.

Die Bürger dieses Landes sollten diese Weihnachtstage nutzen, um zur Besinnung zu kommen. Auf die Einsicht der Regierenden sollte man nicht setzen. Es reichte schon, sich von deren Verlogenheit nicht anstecken zu lassen.

In dem Sinne wünsche ich frohe Weihnachten! Es ist trotz allem ein Fest der Hoffnung.

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