Nacht-und-Nebel-Aktion zur Durchsetzung der Chatkontrolle stößt auf Widerstand

Während die EU darauf drängt, die Chatkontrolle so schnell wie möglich durchzuboxen, formiert sich in immer mehr Mitgliedsstaaten Widerstand gegen diesen datenschutzrechtlichen Albtraum. Zur Beeinflussung der Stimmung setzt EU-Kommissarin Johansson dann sogar auf dubiose Werbekampagnen.

IMAGO / TT
Die weitläufigen Recherchen europäischer Medien vor wenigen Wochen (TE berichtete) zur Vernetzung von EU-Granden zu US-Techlobbys und ihrem gemeinsamen Ziel, der Durchsetzung der Chatkontrolle, schreckten wohl einige Brüsseler Bürokraten auf. Aufgrund der unerwünschten öffentlichen Aufmerksamkeit entschied sich die spanische Ratspräsidentschaft daher, mit einem „Kompromiss“ Tatsachen zu schaffen, bevor der Widerstand gegen das umstrittene Gesetz sich formiert. Dafür dürfte es aber jetzt schon bald zu spät sein, denn immer mehr Länder lehnen den Vorschlag ab.

Die Chatkontrolle ist das Paradepferd von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die bereits seit Jahren auf die Durchsetzung des Projekts hinarbeitet. Zur Erinnerung: Die Chatkontrolle soll zukünftig dafür sorgen, dass Internetdienstleister private Inhalte ihrer Nutzer auf anstößige Inhalte durchleuchten dürfen und müssen. Präsentiert wird die Chatkontrolle als Mittel zum Kinderschutz, da damit nach Hinweisen auf Kindesmissbrauch gesucht werden soll. Einwände und Warnungen von erfahrenen Kinderschutzorganisationen werden dabei aber von der EU geflissentlich in den Wind geschlagen.

Stattdessen hat die Interpol bereits Interesse bekundet, diese Infrastruktur auch zur Suche nach anderen Delikten einzusetzen. Wer solche Vorgänge schon öfter beobachtet hat, wird ungefähr einschätzen können, dass es wohl nur eine Frage von ein bis zwei Jahren ist, bis auch in diesem Zusammenhang erstmals die Rede von der allseits beliebten „Hassrede“ sein wird.

Es hat Methode in der EU, Gesetze erst einmal eingeschränkt einzuführen, um deren Wirkungsradius dann später auszuweiten. Bereits der Deckmantel des Kinderschutzes war eine willkommene Fassade – frei nach dem Motto: Wer kann schon etwas dagegen haben, Kinder zu schützen? –, und somit ist auch ein weiterer Kompromiss bei der Einführung für die entsprechenden Lobbys vorstellbar. Die Devise lautet: Hauptsache erstmal einführen, dann ist der Präzedenzfall geschaffen.

Ein Kompromissvorschlag wie ein trojanisches Pferd

So dachte wohl auch die spanische Ratspräsidentschaft, die mit einem sogenannten Kompromissvorschlag die Zustimmung der skeptischen Mitgliedsstaaten herbeiführen wollte. Das Angebot lautete, die Art des Materials, nach der gesucht werden soll, erst einmal einzuschränken, bis die technischen Möglichkeiten sich geändert haben. So könnte zwar weiterhin in Angleichung mit existierenden Datenbanken von Missbrauchsmaterial nach diesem gesucht werden.

Allerdings sollte ursprünglich auch automatische Bilderkennung zum Einsatz kommen, die bislang unbekanntes Bildmaterial erkennt, sowie eine Möglichkeit, Texte auf Grooming (Kontaktanbahnung zu Minderjährigen) zu durchsuchen. Dafür aber ist die Technologie noch lange nicht ausgereift, was auch in hohen Fehlerquoten in Höhe von 3 Prozent bis 5 Prozent der Untersuchungen seinen Niederschlag findet.

Doch während die EU mit ihrem Kompromiss die unausgereiften Teile der Technologie erst einmal zurückstellen möchte, behält sie sich vor, das Urteil über die Marktreife der Technologie zu späterem Zeitpunkt selbst zu treffen. Im Endeffekt also nichts anderes als eine Einführung auf Raten. Der Kernpunkt, nämlich das grundsätzliche Recht auf Überwachung privater Inhalte, blieb auch im sogenannten Kompromissvorschlag unangetastet.

Das ist auch jenen Mitgliedsstaaten der EU nicht entgangen, die bereits zuvor Skepsis gegenüber der angedachten Chatkontrolle zum Ausdruck gebracht hatten. Nachdem bereits Deutschland (das sich für eine Aufteilung der Verordnung einsetzt), Österreich, Polen und Schweden die Chatkontrolle in dieser Form ablehnten und auch die Niederlande skeptisch waren, entschied sich nun das finnische Parlament, eine Resolution auf den Weg zu bringen, mit der der bisherige Vorschlag abgelehnt wurde. Stattdessen soll auf eine Abänderung hingearbeitet werden, um „den Anforderungen der Grund- und Menschenrechte gerecht zu werden“.

Der Entschluss des finnischen Parlaments wies außerdem explizit auf die Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der „Zielgerichtetheit der Mittel“ hin, was einen missbräuchlichen Einsatz der Chatkontrolle für andere Zwecke in der Zukunft beinhaltet, und betonte die resultierende Gefahr der angedachten Identitätsprüfung zur Kontrolle von Altersgrenzen, da damit Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, verfolgte Minderheiten und Whistleblower gefährdet werden könnten.

Wenn EU-Kommissare gegen ihre eigenen Regeln verstoßen

Zusammen mit Finnland nähern sich die anderen Nationen, die der Chatkontrolle kritisch gegenüberstehen, nun der erforderlichen kritischen Masse, um eine Sperrminorität zu bilden. Dazu bräuchte es mindestens vier Mitgliedsstaaten sowie 35 Prozent der EU-Bevölkerung. Das macht ca. 157 Millionen Einwohner, die bisherigen 5 Staaten kommen auf knapp 146 Millionen Einwohner. Sollten die Niederlande ebenfalls ein Veto einlegen, wäre die Chatkontrolle damit vorerst auf Eis.

Damit es nicht dazu kommt, engagierte sich aber die Chatkontrolle-Vordenkerin Ylva Johansson selbst bei der Bewerbung ihres Projekts und erweckte damit prompt Unmut. Denn mit einer Werbekampagne für die Chatkontrolle mittels sogenanntem „Microtargeting“ auf X, bei dem Werbung spezifisch an Anhänger bestimmter politischer und/oder religiöser Anschauungen gerichtet werden kann, geriet sie nun selbst ins Visier des EU-Datenschutzbeauftragten.

Denn: Microtargeting gilt in der EU als verpönt und ist eine der vielen Sachen, die die EU strenger regulieren möchte. Johanssons Werbung könnte somit gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen haben, sodass nun erstmal eine Voruntersuchung eingeleitet wurde.

Pikant ist dabei, dass Johansson spezifisch in jenen Ländern Werbung schaltete, die sich bislang gegen die Chatkontrolle stellten, und dabei auf eine irreführende Untersuchung zurückgriff, die der Verharmlosung der Chatkontrolle dienen sollte. Johansson selbst bezeichnete die Werbung als legal und als „normale Standardpraxis“. Ein besserer Offenbarungseid ist kaum denkbar, kommt darin doch das Mantra der EU-Bürokraten ideal zum Ausdruck: Was Desinformation ist, und was nicht, meint man in Brüssel nämlich noch immer nicht an objektiven Standards festmachen zu müssen, sondern lieber selbst zu entscheiden.

— RA Michael Seidlitz (@MichaelSeidlitz) October 17, 2023

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