Das Grauen von München

Das Unaussprechliche droht Wirklichkeit zu werden: Ein Terroranschlag in München. Diesen Bericht schreiben wir fort.

© Joerg Koch/Getty Images
Policemen in action at the Olympia Einkaufzentrum (OEZ) at July 22, 2015 in Munich, Germany.

Das Unaussprechliche droht Wirklichkeit zu werden: Ein Terroranschlag in München. Ab 18.00 beginnt das Drama mit Schüssen und ersten Meldungen bei der Polizei. Diesen Bericht schreiben wir nach Datenlage fort. Die Münchner Polizei richtet eine zentrale Vermissten-Telefonnummer ein unter

08007766350

6 Tote, so viel wissen wir zu diesem Zeitpunkt, seit 22.30 Uhr acht Tote, 22.35 Uhr möglicherweise 9, 1.24 Uhr die Zahl der Toten steigt auf 10, meldet die Nachrichtenagentur Reuters, wobei es sich dabei auch um einen der Täter handeln könnte, sagt die Münchner Polizei. Es ist eine Zählweise des Grauens. Erst gegen 2 Uhr morgens gibt die Polizei an, dass es sich dabei um einen 18-Jährigen, deutsch-iranischen Einzeltäter handle.

20.45 Uhr: Wenn das Grauen wächst, fehlen die Worte. Kurz nach 20.00 Uhr meldet der präzise informierende Nachrichtensender BR5 aktuell 3, 5, dann 6 Tote bei der Schießerei im Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Um 21.00 Uhr bestätigt die Polizei „mindestens“ 6 Tote und viele Verletzte. Es sollen, so der Stand um 20.14, drei Täter sein. Möglicherweise sollen sie per U-Bahn entwischt sein. Was keine gute Nachricht ist: Sie sind irgendwo. Ausgerüstet mit Langwaffen.

Per Twitter werden Schlafplätze für Menschen gesucht, die in der Stadt bleiben müssen – der Öffentliche Nachverkehr ist weitgehend eingestellt; Züge enden zunächst am Hauptbahnhof. In Freising und Starnberg stellt die Bahn Übernachtungszüge bereit – eine Großstadt ist isoliert: Der Hauptbahnhof wurde evakuiert. Viele Straßen sind gesperrt. Der Bewegungsraum der Täter soll eingeschränkt werden. Die Millionenstadt ist stillgelegt. Die Polizei bittet sogar, die Autobahnen freizuhalten, um Verstärkung den Weg frei zu machen.

Kliniken rufen Beschäftigte, Ärzte und Pfleger zum Dienst und stellen auf Notprogramm um. Selbst aus Privatkliniken werden Ärzte und Schwestern in die Akut-Kliniken beordert – zu Fuß. In mehreren Kliniken wie in Harlaching wurden Kinder eingeliefert,die unter Schock stehen.

Die Polizei ist weitgehend hilflos, Nachrichten spärlich.

Bereits in den vergangenen Tagen waren Hubschrauber über München in der Luft; auch südlich der Stadt waren viele Polizeihubschrauber ständig in der Luft und vollführten schwer nachvollziehbare Manöver.

Die Bürger der Stadt sollen zu Hause bleiben;  viele verschanzen sich in ihren Wohnungen, nachdem die Polizei sie per SMS und twitter dazu aufgerufen hat. Die Lage sei extrem unübersichtlich. Wir wissen nicht, wer die Täter sind. Aber offensichtlich sind es keine gewöhnlichen Kriminellen – keine Bankräuber oder Erpresser. Es scheint um das Töten zu gehen. Die Polizei spricht von Amok-Lauf. Amok-Lauf? Das bezieht sich auf einen Einzeltäter, einen, der durchdreht. Aber nach bisherigen Meldungen sind es bis zu 3. Und um 20.20 Uhr spricht die Polizei von Terrorverdacht. Damit spitzt sich das Bild auf einen bösen Tatverdacht zu. Es ist das Wort, das niemand auszusprechen wagt bisher. Per twitter zirkulieren  Berichte, dass der IS die Tat feiert. Zeitgleich das übliche Prozedere: Beschöniger warnen vor voreiligen Schlüssen. Das ist ja immer richtig. Aber die Plätze der Stadt sind verwaist. Da soll man schweigen?

Ein Zeuge in der Sondersendung bei RTL schildert, was sein Kollege, der sich in einem Laden unter einer Theke versteckte, gesehen und gehört hat: der Täter habe Springerstiefel und Rucksack getragen und „Scheiß-Ausländer“ gerufen.

Spätere Meldungen gegen 21.15 bezweifeln diese Aussage; möglicherweise war dieser Ruf auf die TÄTER gerichtet. Die Lage ist bis 2 Uhr weitgehend unklar.

Damit entsteht allerdings ein weiterer Verdacht: Waren es rechtsradikale Täter? Es ist der Jahrestag des Vielfachmordes von Anders Behring Breivik. Das ist jener rechtsextremistische, islamfeindliche norwegische Terrorist und Massenmörder. Er beging die Anschläge vom 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen, überwiegend Teilnehmer am Zeltlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF. Er wurde am Tag des Anschlags festgenommen und gestand am nächsten Tag die Taten umfassend.

Dafür spricht auch, dass die Täter sich zunächst jedenfalls verstecken konnten – es ist also kein Selbstmordanschlag, sondern möglicherweise ein kalt kalkuliertes Verbrechen mit Fluchtplan.

Dies ist allerdings bislang Spekulation und erweist sich als hinfällig.

1.30 Uhr – Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren wieder. Die Polizei München gibt um 2 Uhr eine Pressekonferenz, die auch live online übertragen wird.

Derweil gibt sie „Vorsichtige Entwarnung“:

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