„Böser Zynismus“ – Kanzler Scholz trifft auf Anti-Impfzwang-Demonstranten

Die Proteste im Land spitzen sich zu. In Reutlingen müssen „Spaziergänger“ Geldbußen zahlen – viele wehren sich nun dagegen. Am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Essen traf Olaf Scholz auf Demonstranten – und reagiert mit Diffamierung. Von Jonas Aston

Erneut versammelten sich am Samstag zehntausende Bürger, um das Ende der Corona-Maßnahmen zu fordern und ihr „Nein“ zum Impfpflicht genannten Impfzwang auszudrücken.

In Reutlingen kamen in den letzten Wochen jeweils zwischen 3.500 und 7.500 Demonstranten zusammen. Für diesen Samstag liegen noch keine Zahlen vor. Es ist jedoch wieder von Zahlen weit im vierstelligen Bereich auszugehen. Demonstranten sangen die Hymne Deutschlands und brachten durch Trommeln ihre Ablehnung gegenüber den Corona-Maßnahmen zum Ausdruck.

⚡️"#Frieden, #Freiheit, #Selbstbestimmung !"⚡️#NEINzurImpfpflicht#NEINzurImpfpflichtab50#NEINzurImpfpflichtimGesundheitswesen#DieMaskeMussWeg#Spaziergang#Germany#RausaufdieStrassen ?‍♂️?‍♀️?‍♂️?‍♀️ pic.twitter.com/ZrFzsb8k2W

— ❌Doxograf?☮️?️ (@doxograf) April 2, 2022

Trotz des in der Vergangenheit teils rabiaten polizeilichen Vorgehens sind die Proteste in Reutlingen nicht zu stoppen. Aufgrund der Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration vom 18. Dezember hat die Stadt Bußgeldbescheide an rund 500 Personen verschickt. Es geht um Strafen von bis zu 150 Euro. Circa 300 Personen haben Beschwerden eingelegt, mit denen sich das lokale Amtsgericht nun beschäftigt. Gegenüber einem Mann aus Afghanistan wurde die Strafe fallengelassen. Aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse könnte er tatsächlich nicht konkret gewusst haben, was in der Stadt vor sich ging.

Eine 18-Jährige muss hingegen ein Bußgeld von 50 Euro entrichten. Sie sei zwar nur Beobachterin gewesen, habe sich von den Demonstranten jedoch nicht entfernt, was die Demonstration unterstützte. Viele weitere Verfahren wurden aus den unterschiedlichsten Gründen vertagt. Handyvideos konnten nicht eingesehen werden, Zeugen wurden nicht geladen, und Beamte, die als Zeugen geladen wurden, erkannten durchweg keine der angeklagten Personen.

Die Teilnehmerzahlen zu den Corona-Protesten in Düsseldorf wurden noch nicht veröffentlicht. Die Polizei rechnete wie letzte Woche mit rund 1.500 Protestierenden. Bildern und Videos nach zu urteilen, lag die Teilnehmerzahl wieder weit im vierstelligen Bereich. Vor Ort waren Personen jeden Alters. Viele hatten Luftballons dabei, auf welchen „Nein zum Impfzwang“ stand. Es waren Deutschland- und Regenbogen-Fahnen zu sehen. Auch der Slogan „FCK NZS“ war zu erkennen. Andere Teilnehmer, die wohl im medizinischen Bereich tätig sind, machten auf Impfschäden aufmerksam.

Auch zu den Teilnehmerzahlen in Frankfurt werden regelmäßig keine konkreten Daten veröffentlicht. Doch auch hier ist von deutlich über 1.000 Teilnehmern auszugehen, die friedlich demonstrierten. Der Satz „Wir sind die rote Linie“ stand auf einer Fahne. Außerdem waren Ukraine-Flaggen zu sehen. Ein Demonstrant fragte: „Wenn Ungeimpfte Geimpfte gefährden, wogegen hilft dann die Impfung?“ Die Demonstration in Frankfurt lief schon in der Vergangenheit unter dem „techno for freedom“, und auch diese Woche tanzten zahlreiche Menschen zu elektronischer Musik.

München wird wieder zunehmend zum Hotspot der Proteste. Bereits im Winter gab es in der bayrischen Landeshauptstadt große Demonstrationen. Durch massive Polizeipräsenz, das Einkesseln von Demonstranten und Aussprechen hoher Bußgelder konnte der Protest erstickt werden. Nun finden in München wieder große Proteste statt. Bereits am Montag gab es eine große Protestaktion. An diesem Samstag versammelten sich sogar 4.000 Bürger unter dem Motto: „Wir laufen für Selbstbestimmung beim Impfen“. „Unser Herz schlägt für Freiheit“, plakatierten Demonstranten auf einem riesigen Transparent.

In Leipzig kamen 2.000 Personen zusammen. Symbolisch nahmen sie Abschied vom „Freedom Day“. Angeführt wurde der Protest von einem Plakat, auf dem „wir gehen hier für unsere Grundrechte“ stand. Gegendemonstranten der Antifa wollten hingegen Ungeimpften „Die Spritze geben“. Auf der Demonstration waren Fahnen des Freistaates Sachsen und der „Freien Linken“ zu erkennen. Der Protest in Leipzig wurde von massivster Polizeipräsenz begleitet. Insgesamt 1.000 Beamte waren im Einsatz. Zwischenzeitlich mussten die Polizisten „eingreifen und unmittelbaren Zwang anwenden“, um Blockaden der Gegendemonstranten abzuwenden.

Auch beim Wahlkampfauftakt der nordrhein-westfälischen SPD in Essen machten sich Corona-Demonstranten mit Sprechchören wie „Lügner, Lügner“ bemerkbar. Bundeskanzler Olaf Scholz kam nicht umhin, die Strategie des Ignorierens kurzfristig aufzugeben und einige Worte an die Demonstranten zu richten. Wie so oft appellierte er an „Solidarität”. Die zeige sich beim Umgang der Bürger mit den Flüchtlingen aus der Ukraine. „Solidarität” brauche es aber auch, „wenn wir über Gesundheit reden. Wenn wir darüber reden, wie wir uns miteinander schützen können. Zum Beispiel in der ganzen Corona-Pandemie.“

Dann richtete der Kanzler direkte Worte an die Demonstranten: „Ich sage das, weil da hinten ja einige laut rumschreien.“ Und: „Schreit ruhig, denn das ist doch, wofür wir kämpfen und wofür die Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine kämpfen. Dass man seine Meinung laut sagen kann, ohne Angst haben zu müssen.“ Aber, „nur weil man laut brüllt, hat man auch nicht recht. Sondern dafür braucht man schon ein paar Argumente. Und zu diesen Argumenten zählt, dass die Corona-Pandemie eine große Bedrohung ist für die ganze Menschheit.“

Dass Scholz die Argumente der Demonstranten nicht kennt, ist nicht verwunderlich, aber dennoch erschreckend. Von wenigen kommunalen Gesprächsangeboten abgesehen findet mit einer der größten Protestbewegungen, welche die Bundesrepublik je gesehen hat, kein Dialog statt. Seit Monaten stehen allein jeden Montag weit über hunderttausend Menschen in ganz Deutschland auf der Straße.

Mit den Anliegen der Demonstrationen beschäftigt sich Olaf Scholz nicht. Stattdessen werden die immer gleichen Phrasen formuliert, durch welche man sich einer wirklichen Debatte entziehen kann. So sagte Scholz schließlich, dass er den „bösen Zynismus“ nicht akzeptiere, „mit dem einige sagen, hier könne man ja seine Meinung zu diesem Thema nicht sagen. Es ist eine Lüge! Schaut euch um in den Diktaturen dieser Welt, dann wisst ihr, was das bedeutet.“

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