Anti-Corona-Maßnahmen – nicht nur auf Neuinfektionen schauen

Die Sieben-Tage-Inzidenz allein ermöglicht keinen Blick auf das Gesamtgeschehen. In dieser Unstatistik wird erklärt, warum Neuinfektionen zu anderen Zahlen in Bezug gesetzt werden sollten und warum die Zahlen in der ersten Welle im März/April nicht mit denen von heute vergleichbar sind. Von Walter Krämer

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Diese „Unstatistik“ des Monats – in der jüngst publizierte Zahlen und auch deren Interpretationen hinterfragt werden – befasst sich mit der Aussagefähigkeit der Sieben-Tage-Inzidenz. Die aktuelle Politik orientiert sich mit ihren Anti-Corona-Maßnahmen vor allem an dieser Sieben-Tage-Inzidenz, die die Entwicklung der Neuinfektionen abbildet. Maßnahmen wie Sperrstunden, Personengrenzen auf Veranstaltungen und Alkoholverbote hängen davon ab. Die Sieben-Tage-Inzidenz gibt die innerhalb der vergangenen sieben Tage registrierten Neuinfektionen je 100.000 Einwohner an. Hat beispielsweise eine Stadt mit 250.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen insgesamt 50 Neuinfektionen verzeichnet, so beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz (50 x (100 000/250 000)) 20.

Eine hohe Sieben-Tage-Inzidenz zeigt an, dass sich viele Leute mit dem Virus infiziert haben. Manche schließen daraus, dass mit etwas Zeitverzögerung das Gesundheitssystem überfordert sein wird und nicht alle Patienten behandelt werden können, was zahlreiche Todesfälle zur Folge haben kann. Allein auf die Sieben-Tage-Inzidenz zu schauen, ermöglicht jedoch keinen Blick auf das Gesamtgeschehen. In dieser Unstatistik erklären wir, warum Neuinfektionen zu anderen Zahlen in Bezug gesetzt werden sollten und warum die Zahlen in der ersten Welle im März/April nicht mit jenen von heute vergleichbar sind.

Neuinfektionen ins Verhältnis zur Zahl der Tests setzen

Je mehr Tests durchgeführt werden, desto mehr positive Ergebnisse kann man erwarten. Daher sagen die Neuinfektionszahlen für sich genommen wenig über die Situation aus. Ein Beispiel: In der 18. Kalenderwoche (Ende April) gab es 8.321 Neuinfektionen, in der 36. Kalenderwoche (Anfang September) etwa genauso viele.

Die Situation ist jedoch nicht die gleiche, denn in der Septemberwoche wurden mehr als dreimal so viele Tests durchgeführt. Man kann die Situation besser beurteilen, wenn man die Anzahl der positiven Tests („Neuinfektionen“) durch die Anzahl der Tests teilt. Diese Positivtestrate betrug in der Aprilwoche 2,5 Prozent, in der Septemberwoche aber nur 0,8 Prozent. Wenn man nur auf die Neuinfektionen beziehungsweise die Sieben-Tage-Inzidenz blickt, könnte man meinen, man hätte es mit der gleichen Situation zu tun. Tatsächlich ist aber der Anteil der positiv getesteten Personen zwischen der 18. und der 36. Kalenderwoche deutlich zurückgegangen.

Erst seit Ende September hat sich dies wieder umgekehrt, als der Anteil der positiven Tests stetig stieg und in der 42. Kalenderwoche (Mitte Oktober) 3,6 Prozent erreichte. Man kann also die absolute Anzahl der Neuinfektionen und auch die Sieben-Tage-Inzidenz der ersten „Welle“ im März und April nicht mit der zweiten Welle vergleichen. Der Vergleich der Positivtestraten ist informativer.

Um die Veränderung des Anteils der positiven Tests selbst zu beurteilen, muss man zudem sehen, dass heute andere Personengruppen getestet werden als in der ersten Welle. Während im Frühjahr klare Symptome und Kontakt zu Infizierten Voraussetzungen für eine Testung waren, wurden im Sommer zunehmend Massentestungen gefährdeter Personengruppen, etwa medizinischem Personal und von Reiserückkehrern, durchgeführt.

Neuinfektionen im Verhältnis zur Zahl der Verstorbenen

Wenn man davon ausgeht, dass ausgeprägte Symptome mit einem schweren Krankheitsverlauf einhergehen, dass schwere Krankheitsverläufe bei älteren Menschen häufiger sind und dass umgekehrt Massentests eher an berufstätigen Personen im Alter von 18 bis 59 Jahren durchgeführt wurden, so ist leicht zu erklären, warum inzwischen deutlich mehr Fälle unter den jüngeren Altersgruppen gefunden werden. Das Infektionsgeschehen mag sich etwas in diese Jahrgänge verschoben haben, oder es scheint zu gelingen, ältere Menschen effektiver zu schützen. Dies erkennt man daran, dass die absolute Zahl positiv Getesteter unter den 60- bis über 80-Jährigen gesunken ist, während sie bei den Jüngeren steigt.

Zugleich wird aber wiederum deutlich, dass die heutige Teststrategie die Dunkelziffer im Vergleich zum Frühjahr sehr viel besser erfasst. Obgleich die Zahl der Neuinfektionen derzeit rapide ansteigt, ist das Verhältnis der Verstorbenen zu den zwei Wochen zuvor Infizierten deutlich gesunken. Unter den Erwachsenen bis 60 Jahren ist der Anteil der Verstorbenen an den zuvor positiv Getesteten um 90 Prozent zurückgegangen, unter den 60- bis 80-Jährigen um 80 Prozent und unter den noch Älteren um 50 Prozent. Zwei Studien aus den USA und Großbritannien berichten, dass der Anteil der Verstorbenen stark zurückgegangen ist, und zwar gleichmäßig für alle Altersgruppen. Das legt nahe, dass der Rückgang nicht allein mit der höheren Anzahl von jungen infizierten Menschen zu erklären ist. Vielmehr mag dieser zum Teil auf verbesserte Behandlungen zurückzuführen sein; schließlich haben wir gelernt, dass beispielsweise die vorschnelle Beatmung von Corona-Patienten in zahlreichen Fällen wohl zum Tod geführt haben dürfte.

Ein Wert von 50 Fällen je 100.000 Einwohner heute hat also eine gänzlich andere Bedeutung als vor einem halben Jahr. Hinsichtlich der zu erwartenden Intensivpatienten und Todesfälle dürfte ein Wert von 50 im Oktober maximal einem Wert von 15 bis 20 im April entsprechen; vermutlich einem noch geringeren. Der einzige Fall, in dem man rechtfertigen könnte, nur auf die Sieben-Tage-Inzidenz zu schauen, ist die Frage, ob die Gesundheitsämter die Zahl der Kontaktpersonen von Menschen mit positiven Tests noch nachverfolgen können. In allen anderen Fällen raten wir dringend, nicht allein die Veränderung der Sieben-Tage-Inzidenz gegenüber der „ersten Welle“ zu betrachten, sondern zugleich die Veränderung der Positivtest- und der Todesraten beziehungsweise den Anteil an Corona-Patienten in Intensivstationen zu berücksichtigen.


Walter Krämer, Studium der Mathematik und Wirtschaftswissenschaften, von 1988 bis 2017 Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund.

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Kommentare ( 26 )

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26 Comments
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Regenpfeifer
4 Jahre her

Leider beherrschen die meisten Bürger nicht über das mathematische Wissen, daher hier ein kurzer Abriss (zusammen mit der dringenden Bitte, sich dieses Wissen selber anzueignen und meine Ausführungen nachzurechnen!): Die aktuellen Corona-Tests haben eine sog. „Sensitivität“ von ~80% und eine „Spezifität“ von ~98,2%. Bei einer Prävalenz von Sars-COV2 in der Gesamtbevölkerung von ~0,25% ergibt sich damit ein sog. „positiver Vorhersagewert“ von ~10%. Weniger mathematisch heißt das: Wenn man irgendjemanden testet UND derjenige bekommt das Testresultat „laut Testergebnis hast Du Corona!“, dann stimmt diese Aussage in 9 von 10 Fällen nicht! Selbst wenn die „Sensitivität“ der Tests bei 100% läge, würde… Mehr

Alf
4 Jahre her

Hätte ich in der Grundschule Corona gehabt, wäre der PCR Test heute – 60 Jahre später – positiv. Fragmente des Virus lassen sich auch nach 60 Jahren finden. Ein solcher Test ist wertlos, da er weder die Aussage trifft, ob a) jemand infektiös ist und/oder an Corona sterben wird, noch b) wann die „Infektion“ aufgetreten ist. Und der positive Nachweis, in der Grundscule Corona gehabt zu haben, ist sicher keine „Neuinfektion“. Restriktionen, auf Grundlage PCR und hierauf basierende Inzidentwerte sind schlichtweg willkürlich. Demnächst werden wir erleben, daß auch die Dunkelziffer der vermeintlich „Neuinfiszierten“ beaufschlagt wird, sollten die „Neuinfektionen“ sinken. Aber… Mehr

Gruenauerin
4 Jahre her
Antworten an  Alf

Endlich mal jemand, der es auf den Punkt bringt. Wir sind nämlich mit der Corona-Familie mehr oder weniger alle schon in Berührung gekommen und deren Reste befinden sich in uns und schlagen natürlich auf den PCR-Test an. Und positive Testungen bedeuten eben nicht, dass man eine Infektion hat.

Last edited 4 Jahre her by Gruenauerin
Alf
4 Jahre her
Antworten an  Gruenauerin

Wahrscheinlich wird noch Personal für die Intensivbetten eingelagert. Ich würde mir wünschen, daß unser jetziges Wissen über PCR Tests und der ganze Schwurbel zu Corona, Inzidenz, Dunkelziffer, R-Wert etc. in einem Artikel in TE zusammengefaßt wird. Ich bin kein Wirrologe, der dies fachlich darstellen kann. Viele Beiträge der Foristen verlieren sich in den Kommentaren und Unterkommentaren. Niemand dürfte noch Ernst nehmen, was Politiker von sich geben, ob der Winter hart wird und div. andere Themen. Das Ganze gehört geordnet, damit man einen Überblick bekommt. Und wenn die Politiker nicht in der Lage oder Willens sind, ihr Handeln zu begründen, dann… Mehr

Heiner
4 Jahre her

Bei einer Epidemie laufen zwei Kurven gleichzeitig ab. Die erste Kurve sind die Erkrankten, also die, die wirkliche Symptome, von mild bis schwer, haben. Die zweite Kurve ist diejenige, die die „Durchseuchung“ der Population zeigt. Die erste Kurve verläuft immer, wie eine Gauß’sche Verteilungskurve, die zweite ist eine katalytische Wachstumskurve, die gegen 100 % strebt.(Muench, H.: Catalytic models in epidemiology,Cambridge 1959.) Wer Infektionszahlen aus dem Labor zählt, zählt die zweite Kurve. Eine Epidemie ist allerdings definiert als „ein zeitlich und örtlich begrenztes vermehrtes Auftreten von Krankheitsfällen einheitlicher Ursache innerhalb einer menschlichen Population“ Es geht also um symptomatische Patienten, die gezählt… Mehr

ioeides
4 Jahre her

Bei den positiven Ergebnissen der PCR-Tests handelt es sich nicht um „Neuinfektionen“, wie mittlerweile sogar ein portugiesisches Berufungsgericht erkannt und damit Touristen aus Zwangsquarantäne auf einer Azoreninsel befreit hat, und wie mittlerweile eine wachsende Anzahl internationaler übereinstimmend aussagt. Garbage in – garbage out

Gruenauerin
4 Jahre her

Und was sagt uns das, wie die Positivrate mit den Test ist? Nichts! Absolut nichts! Wir könnten das auch mit den Vogelzug vergleichen. Mehr Vögel ziehen in ihr Winterquartier, also gibt es mehr Schnupfen. Hat nichts miteinander zu tun? Natürlich nicht. Genau so wenig, wie Tests mit Infektionen zu tun haben und noch weniger mit wirklichen Erkrankungen.

reiner
4 Jahre her

sie sehen das richtig. bei einer diskussion mit prof bhakdi wurde gesagt ,dass es in deutschland kein gericht gäbe,was urteile gegen corona beschließen würde,weil das urteil des rki als dogma dargestellt wird.das nun ein gericht in portugal den pcr test in frage stellte und als untauglich beschrieb ,gibt hoffnung,nur nichts in den nachrichten,habe jedenfalls in der meinstreampresse nichts gesehen..so etwas sagt mir,sie scheuen wie der teufel das weihwasser ,warum wohl?

Gruenauerin
4 Jahre her

Herr Krämer, es ist uns gar nicht möglich auf Neuinfektionen zu schauen, weil wir überhaupt nicht wissen, wie viele Neuinfektionen es überhaupt gibt. Noch weniger wissen wir, ob die mit Cov-19, mit Influenza oder mit einer Lungenentzündung infiziert bzw. erkrankt sind. Das bleibt ein Geheimnis. Wussten Sie, die AOK hat es mir per Heftchen gerade erzählt, dass im Jahr 30.000 Menschen an Lungenentzündungen sterben? Falls das nicht nur eine hochgerechnete Zahl ist, um Angst zu erzeugen. Da das jedes Jahr geschehen soll, wo sind die dieses Jahr? Sie werden doch nicht den Fehler machen und die getestete Zahl uns unterjubeln… Mehr

Alfonso
4 Jahre her

Es sterben durch Corona doch eigentlich nur Personen, deren Organsystem schon durch andere Erkrankungen vorbelastet ist, das trifft auf jüngere aber insbesondere auf ältere Menschen zu. Am stärksten von diesen Personen sind durch Sterben bei einer Coronaerkrankung die Personen bedroht, die auch schon am stärksten mit Vorerkrankungen belastet sind. Diese Personen sterben vermutlich zuerst weg. Diese Personen sind wahrscheinlich zu einem großen Teil verstorben, bei der „ersten Welle“ und dann ist es doch logisch, dass derzeit – trotz vielleicht höherer Zahl Infizierter – die Anzahl der Coronatoten nicht mehr so hoch ist, wie bei der „ersten Welle“. Die Anzahl der… Mehr

Last edited 4 Jahre her by Alfonso
Gruenauerin
4 Jahre her
Antworten an  Alfonso

Woher wissen Sie, wie viele infiziert sind? Haben Sie da eine geheime Quelle, die uns vorenthalten wird? Tests können das nicht aussagen, dazu sind sie nicht in der Lage, steht sogar auf dem Beipackzettel. Also, woher wissen Sie, wie viele infiziert sind?

lemongras
4 Jahre her

Leider hat Herr Krämer das Wesentliche nicht erfasst: Die Untauglichkeit der Ergebnisse des PCR-Tests mit Bezug auf dasreale Infektionsgeschehen. Dafür war diese Art von Test einfach nie vorgesehen. Die 7-Tages-Inzidenz und alle anderen auf dem Drosten-Test beruhenden Kennziffern sind damit ohne Wert – außer für die Politiker, denen ein Herrschaftsinstrument in die Hand gegeben wurde.

Judith Panther
4 Jahre her

In Schweden sind ein paar alte und kranke Menschen ein paar Monate früher gestorben, bei uns wurden ein paar mehr Kinder zu Tode geprügelt und die, die überlebt haben, sind inzwischen dauerhaft traumatisiert. Und wenn Oma stirbt, dann werden die Kleinen sich schuldig fühlen, weil sie vielleicht vergessen haben, sich die Hände zu waschen. Die nächste Welle wird eine Pleitewelle sein, danach folgt dann die Selbstmordwelle. Wer immer sich daran beteiligt hat, eine gewöhnliche Grippewelle zur lebensbedrohlichen Pandemie hochzulügen, um mit Impfstoffen und unbrauchbaren PCR-Tests Milliardengewinne einzustreichen (siehe auch https://corona-transition.org „Die Roche Connection sowie die Geschäftsverbindungen zwischen Drosten und Olfert… Mehr