Die Allparteienkoalition jenseits der „Brandmauer“ wirkt ratlos

Für über vier Stunden war die Sitzung des Bundestags unterbrochen. Nachdem Präsidentin Julia Klöckner verkündet hatte, dass Friedrich Merz im ersten Wahlgang nicht die notwendige absolute Mehrheit zur Kanzlerwahl erhalten hatte. Eine Wartezeit, die symbolisch für die Ratlosigkeit jenseits der „Brandmauer“ steht.

picture alliance / Anadolu | Halil Sagirkaya

Um 10.50 Uhr war Alice Weidel sprechfähig: „Es sollte der Weg geöffnet werden für Neuwahlen in unserem Land.“ In dem Moment war die Sitzung des Bundestags schon seit rund 50 Minuten unterbrochen, damit sich die Fraktionen beraten konnten. Ein Vorgang, der insgesamt Stunden dauern sollte. Überraschend hatte Friedrich Merz im ersten Wahlgang nur eine einfache Mehrheit erhalten. Um Kanzler zu werden, benötigt es im ersten oder zweiten Wahlgang aber eine absolute Mehrheit, also mindestens 316 von 630 Stimmen.

Umständlich und ratlos. Das ist das Bild, das die Berliner Politik derzeit abgibt. Das gilt für die vierstündige Unterbrechung der Sitzung. Das trifft aber schon für den Wahlvorgang an sich zu: Der Bundestag wählt einen Kanzler. Es tritt nur ein Kandidat an. Friedrich Merz (CDU). 621 Abgeordnete stimmen ab. Sie können sich nur für Ja, Nein oder Enthaltung entscheiden. Trotzdem dauert das Verfahren gut eine Stunde. Seit über 20 Jahren verspricht die Politik mehr, schnellere und entschlossenere Digitalisierung. Über eine Stunde für 621 Stimmen sind die Realität.

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Dass Friedrich Merz mit seiner anfänglichen Nichtwahl beschädigt ist, ist unstrittig und offensichtlich. Doch es geht eben um mehr als nur um den CDU-Kandidaten. Da ist ein System ratlos und handlungsunfähig. Eines, das sich selbst in diese Situation gebracht hat. Die Rede ist von der Allparteienkoaltion aus CDU, CSU, SPD, Grünen und Linken, die sich zum obersten Ziel gesetzt hat, die AfD hinter einer „Brandmauer“ einzusperren. Doch immer mehr Probleme bereitet dieser Ausschluss der größten Oppositionspartei den anderen Parteien.

Der Bundestag hätte auch ohne große Unterbrechung in einem zweiten Wahlgang Merz doch noch zum Kanzler wählen können. Die lange Pause wurde nötig, damit die CDU die Beine weit genug für einen politischen Spagat spreizen konnte. Für den zweiten Wahlgang am gleichen Tag brauchte es eine Mehrheit von zwei Drittel der Stimmen in einem Geschäftsordnungsantrag – dafür wiederum die Stimmen von AfD oder Linken.

Die Union hat eigentlich beschlossen, mit der Linken so wenig zusammenarbeiten zu wollen wie mit der AfD. Doch so sehr die Christdemokraten die „Brandmauer“ zum obersten Partei- und Staatsziel machen – die Abgrenzung zur Linken lautet mittlerweile eher: Die CDU arbeitet auf keinen Fall mit der SED-Nachfolgepartei zusammen. Es sei denn, es ergibt sich ein Vorteil daraus. Eine Geste, mit der die CDU konservativen Wählern vormachen will, sie sei ihre Partei. Ein Bluff. Nicht mehr.

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Zu der Logik der „Brandmauer“ gegen die AfD gehört, dass sich die anderen Parteien eine Mehrheit jenseits dieser Mauer suchen müssen. Das bringt für die linken Parteien Vorteile. So kann eine SPD mit gerade mal 16 Prozent in der Wahl danach der Union die Bedingungen für eine Koalition nach Belieben diktieren, obwohl diese bei der Wahl deutlich mehr als zehn Prozentpunkte mehr als die SPD bekommen hat. Für die SPD ist das ein Grund zu feiern.

Für den Rest des Landes ist das schädlich. Der Wähler wählt die SPD eindeutig ab, verpasst ihr das mit Abstand schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte. Auch ihre beiden Koalitionspartner verlieren deutlich. Und doch wird genau deren Politik fortgesetzt. Das frustriert den Wähler massiv. Damit tun die Parteien, die der „Brandmauer“ huldigen, genau das, womit sie den Bau eben jener Mauer rechtfertigen: Sie verteidigen nicht die Demokratie. Sie schaden der Demokratie massiv.

Dazu passt, dass sich der Begriff „unsere Demokratie“ schon zu einer Art geflügeltem Wort entwickelt hat. Ein Wort, das ausdrückt, dass „unsere Demokratie“ etwas anderes ist als die eigentliche Demokratie. Eine Volksherrschaft, in der sich die Mächtigen als das Volk verstehen und entsprechend nach ihren Bedürfnissen herrschen – völlig losgelöst von den Bedürfnissen des eigentlichen Volkes. Das zeigt sich nach außen darin, wie konsequent der Bundestag am Dienstag das Volk vom Gelände rund um den Reichstag ausgesperrt hat. Das sah nicht danach aus, dass der Erste unter Gleichen gewählt würde – sondern dass ein Herrscher sich inthronisieren lässt.

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Friedrich Merz wollte mit seiner Wahl Optimismus verbreiten. Die Bürger sollten schnell das Gefühl bekommen, dass der ewige Streit und die Handlungsunfähigkeit der Ampel nun Geschichte seien. Dass es nun eine Regierung gäbe, die entschlossen und harmonisch die Probleme des Landes abarbeitet. Nur deshalb habe diese Regierung sich noch vor ihrer Gründung das Recht herausgeholt, das Land ungebremst zu verschulden. Doch jetzt ist die Regierung von Union und SPD schon mehr zerstritten und weniger handlungsfähig, als es die Ampel je war. Noch vor ihrem Beginn. Daran ändert auch die Wahl Merz’ im zweiten Wahlgang nichts.

Nicht nur die AfD hat während der Wartezeit von Neuwahlen gesprochen. Auch der Fraktionsvorstand der Grünen. Doch mit einem anderen Hintergrund. Deren Führungsduo machte deutlich, dass es darum geht, so lange liberale und konservative Parteien hinter die „Brandmauer“ zu verbannen, bis es jenseits davon eine linke Mehrheit gibt. Machttaktisch funktioniert das. Doch für die Demokratie ist es verheerend.

Die AfD wird immer stärker. Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist – trotz all seiner Unzulänglichkeiten – mit einem massiven Vertrauensvorsprung der Wähler gestartet. All das, weil die Bürger der Allparteienkoalition immer weniger zutrauen. Diese verliert immer mehr an Stimmen. Allmählich in einem für sie kritischen Umfang. Der nächste Schritt ist dann – aus Sicht der Koalition – die anderen Parteien nicht über die demokratische Auseinandersetzung, sondern über den Rechtsweg zu besiegen. Die Initiative des Inlandgeheimdienstes ist ein großer Schritt in diese Richtung. Nur verteidigt die Allparteienkoalition damit nur „unsere Demokratie“. Also ihre, für die sie das Volk aussperren. Zu den wahren Feinden der Demokratie werden sie damit selbst.

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Kommentare ( 56 )

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Rob Roy
7 Monate her

Die Brandmauer wird fallen.
Also, zumindest die Brandmauer gegen die Linkspartei. Kanzleramtschef Frei will mit den Linken reden. Und eventuell wird die CDU den Unvereinbarkeitsbeschlusses, mit den Linken zusammenzuarbeiten, kippen.
Dieser Unvereinbarkeitsbeschlusses, mit Kommunisten und Sozialisten nicht zu kooperieren, war der Kern der CDU, seit ihrer Gründung 1949.
Und jetzt soll das letzte Tabu fallen.

ketzerlehrling
7 Monate her

Ratlos? Wieso das? Der Krampf gegen Rechts muss weitergehen, auch wenn Nancy nicht mehr da ist.

Kontra
7 Monate her

Was für ein würdeloses Theater, in einem runtergerockten BT. Scheinbar ist in Buntland ja alles Tuti, denn der neue Herr BK begibt sich flugs auf Auslandsreise. Unfassbar!

MartinKienzle
7 Monate her

Die sogenannte „Demokratie“ ist in Wahrheit ein kommunistisches Projekt (https://www.youtube.com/watch?v=_6g7k-18dJI), das das Ziel verfolgt, Mensch „zu befreien“, das bedeutet, über Jahrhunderte ausgeformte Strukturen zur Gänze zu zerschlagen, das wiederum heißt, dass die BRD-Demokratie seit deren Gründung gegen das indigene Deutsche Volke gerichtet ist (https://www.youtube.com/watch?v=QNyLvPPVszQ ab Minute 2:20); wenn also BRD-Politiker stets darüber reden, dass man „die Demokratie retten müsse“, heißt das übersetzt: Der Kommunismus muss eine Rettung erfahren, sodass vor jenem Hintergrund die sogenannten „Antidemokraten“ der (Mitte-)AfD, also Antikommunisten, logischerweise bekämpft werden, das allerdings keineswegs erfolgreich ablaufen wird, da jedwedes kommunistisches System aufgrund der immanenten Widernatürlichkeit dem Untergang geweiht ist,… Mehr

Last edited 7 Monate her by MartinKienzle
Kaktus 61
7 Monate her

… und ist der Ruf erst ruiniert, regiert sich`s völlig ungeniert.
Herzlichen Glückwunsch zur Wahl, Herr Merz!

Kassandra
7 Monate her
Antworten an  Kaktus 61

Es scheint, dass wir jetzt auch gegen die USA zu ziehen haben…

Aljoschu
7 Monate her
Antworten an  Kassandra

Zwei-Frontenkrieg! Das ist, was wir Deutschen am Besten können!

Landgraf Hermann
7 Monate her

Nicht ein einziges Wort des Dankes an die AfD, weil sie geschlossen mit entschieden hat in Sachen Geschäftsordnung.

landluft
7 Monate her

Das Aussperren des Volkes habe ich genauso empfunden, schon gestern Abend beim Zapfenstreich: Weit-, sehr weiträumig abgesperrt. Ein Video mit etwas Geräusch, auf dem rein garnichts zu sehen war, musste ich unter Aufsicht eines Polizisten löschen. Heute am Reichstag doppelt Zäune, damit der Pöbel ja nicht in die Nähe dieser in feinen Anzügen und schwarzen Limousinen mit getönten Scheiben wabernden Blase kommt. Am Vormittag in der Nähe vom Beisheim-Centre eine Veranstaltung der Rüstungsindustrie – ebensolche Limousinen und auffällig viele Personenschützer. Wessen Demokratie das sein soll, erschließt sich mir nicht.

MfS-HN-182366
7 Monate her
Antworten an  landluft

Jammern Sie nicht! Das, was Sie erleben, ist das beste Deutschland aller Zeiten (Steinbeißer).

Kassandra
7 Monate her
Antworten an  MfS-HN-182366

Zumal es heute noch besser ist als es morgen schon sein wird.

November Man
7 Monate her

Man darf gespannt sein was der neue Herr Bundeskanzler am ersten Tag seinen Amtszeit anordnen wird. 

Landgraf Hermann
7 Monate her
Antworten an  November Man

Der Herr fährt nach Paris…

November Man
7 Monate her

So eine Chaotenwahl steht kein normaler Mensch ohne bleibenden Dachschaden durch. Es sieht nicht gut für die Zukunft unseres Landes aus.

Benedictuszweifel
7 Monate her

Die Masse scheint dennoch den Lügen von ÖRR, Zeit, Spiegel und Alpenprawda etc. feinartig zu folgen: Die AFD verliert an Zustimmung. Viele um mich herum wurden oder werden arbeitslos: entlassen, der Arbeitgeber gab, keine Aufträge mehr…Aber alle hassen die AFD bis aufs Blut. Schade, wenn man über eine glasklare Ursache -> Wirkung -Beziehung nicht einmal 5 ohne Anleitung Dritter nachdenken will. Stattdessen der völlig überraschte Passiv oder die Nicht Nennung von Ursachen: Ich „wurde“ aberbeitslos, eine neue Stelle „ist“ nicht zu finden, „es“ wird Alles teurer, ein Auto fährt in die Menge, „es“ starb wieder einmal nach einer „Messer“- Verletzung,… Mehr

Helfen.heilen.80
7 Monate her
Antworten an  Benedictuszweifel

Das erreicht zeitweilig komödiantische Zustände 😀 . Sehr sehr sehr viele Menschen bleiben inzwischen daheim, statt wie früher „feiern zu gehen“, lassen ihre Kinder nur noch mit dem Hund in den Garten, motzen ihre Hütten mit Sicherheitselektronik auf oder ziehen aus den Städten weg. Und hocken dann kafkaesk hochempört wegen dieser strittigen Partei in ihrer Bude. Okay – wie es um diese Partei usw. bestellt ist, werden die Behörden schon am besten wissen. Wird sich schon alles rausstellen. Aber soviel ist sicher: diese Partei und deren Mitglieder sind relativ wahrscheinlich nicht der Grund, warum diese Mitmenschen inzwischen die Öffentlichkeit meiden,… Mehr

Last edited 7 Monate her by Helfen.heilen.80