Der politische Islam ist neben China und Russland eine weitere Weltmacht

Die Zukunft gehört modern ausgerüsteten Privat-Armeen, analysiert der frühere Oberst und Sicherheitsberater Ralph Thiele: Die Niederlage in Afghanistan ist ein Desaster für den Westen. Der politische Islam hat Oberwasser bekommen.

 

Die Bilder bleiben im kollektiven Gedächtnis: Jene der einstürzenden Türme des World Trade Centers in New York in den Morgenstunden des 11. September 2001 und ziemlich genau 20 Jahre später jene des eiligen Abzuges aus Afghanistan mit dem »grünen« US-Soldaten, der als letzter auf die Laderampe eines C-17A Globemaster Militärtransportes springt. Es war der Kommandant der US-Truppen – durch eine Nachtsichtbrille betrachtet. Eine Minute vor Mitternacht hob mit der C-17A der letzte Militärtransporter vom Flughafen Kabul ab.

Dieser Terrorangriff vor genau 20 Jahren letztlich auf das gesamte Amerika war der Auslöser für jenen Militäreinsatz in Afghanistan. Das US-Militär räumte zwar kampflos das Feld, aber es waren dennoch merkwürdige Bilder: Auf der einen Seite eine hochgerüstete Armee – auf der anderen Seite mehr oder weniger zerlumpte Gestalten, die nicht gerade einen disziplinierten Eindruck machten, alle mit martialischen Kalaschnikows.

Der Abzug war eine beeindruckend organisierte Angelegenheit, ordnet Ralph Thiele im Podcast-Gespräch mit TE ein. Thiele, Oberst a.D., hatte Schlüsselpositionen beim NATO Oberbefehlshaber und im deutschen Verteidigungsministerium inne, ist heute Präsident von EuroDefense Deutschland, CEO von StratBird Consulting und Vorsitzender der politisch militärischen Gesellschaft zu Berlin. Das informative Gespräch mit ihm können Sie sich in voller Länge im TE-Podcast anhören.

Er persönlich habe zwar schon seit April mit Bildern ähnlich wie in Vietnam gerechnet, als Hubschrauber in letzter Sekunde verzweifelte Menschen Ende April 1975 in Saigon vom Dach der US-Botschaft vor Aufständischen retteten.
Thiele zu TE: »Das hatte ich auch in Afghanistan befürchtet. Die Amerikaner – und natürlich auch wir – haben der Öffentlichkeit diese Bilder erspart. Die Bilder, die wir gesehen haben, waren ja trotzdem schlimm genug.«

Während sich die militärische Operation nicht zu einem Desaster entwickelte, geriet der Militäreinsatz in Afghanistan insgesamt zu einem Desaster für den Westen, erklärt Thiele im TE-Podcast: »Denn wenn wir uns mal die hybriden Akteure dieser Tage, die um die Weltherrschaft ringen, anschauen, dann ist nach China und Russland der politische Islam die dritte Kraft im Bunde. Die hat Oberwasser gekriegt.«

»Und wir, der Westen,« analysiert Thiele, »haben durch unsere Unfähigkeit die Munition dafür geliefert«.

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Es gelang zwar, Osama bin Laden in seinem Versteck in Pakistan ausfindig zu machen. Vor genau zehn Jahren wurde der Terrorfürst, der die für das Attentat verantwortliche Terrorgruppe al-Kaida angeführt hatte, im Nachbarland Afghanistans von US-Spezialeinheiten erschossen. Damit war jener Angriff von New York vergolten, so wie das der damalige George W. Präsident Bush gefordert hatte. Doch übrig bleibt das dramatische Versagen der Sicherheitsapparate, die die Attentäter zwar teilweise beobachtet hatten, aber nicht das Attentat verhindern konnten.

Eine schmachvolle Rolle spielten auch die deutschen Behörden. Unter ihren Augen wurden von der Hamburger Terrorzelle Mohammed Atta und weitere Kumpane für die Attentate angeworben. Sie lebten ungehindert und von dem verantwortlichen damaligen Hamburger Innensenator Olaf Scholz unbemerkt in einem Appartment in Hamburg-Harburg, reisten quer durch Deutschland und radikalisierten sich immer weiter, während die studierten. Gelobt wurde bei Atta dessen technisches Verständnis, während er die Pilotenlizenzen erwarb.

Die NATO rief nach dem Angriff erstmals einen Bündnisfall aus, der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Anschläge und erlaubte den USA die militärische Selbstverteidigung. Im Oktober 2001 zerbombte die US-Luftwaffe Stellungen der Taliban im Norden Afghanistans. Die hatten zwar mit den Anschlägen und den Terroristen von Al Kaida nichts zu tun, dennoch boten sie bin Laden Unterschlupf im Höhlensystem von Tora-Bora. Am 13. November nahmen Truppen der sogenannten »Nordallianz« – ein Zweckbündnis verschiedener islamistischer Truppen aus benachbarten Ländern gegen die Taliban – Kabul ein. Ebenso kampflos übrigens, wie Kabul zehn Jahre später von den Taliban eingenommen wurden.

Jener Krieg in Afghanistan veränderte auch die deutsche Verteidigungspolitik. »Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.« Der legendär gewordene Satz des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck begründete notdürftig den Einsatz der Bundeswehr zur Terrorbekämpfung in Afghanistan. Deutsche Soldaten allerdings hielten sich eher im ruhigen Norden auf, halfen beim Brunnenbohren und sollte den Aufbau einer Infrastruktur sowie Schulen schützen, in die auch Mädchen durften.

Thiele beurteilt die damaligen Pläne, aus Afghanistan eine wehrhafte Demokratie zu machen, als ohne Sinn und Verstand: »Das ist ja offensichtlich absurd. Man hätte das tatsächlich selbst bei alten russischen Philosophen und Generälen nachlesen können, die wirklich Jahrhunderte lange Erfahrung mit haben.«

In der Realität Afghanistans gerieten die Truppen immer häufiger in bewaffnete Auseinandersetzungen. Thiele: »Afghanistan ist verloren, und wir wissen das seit 2006. Und zwischendurch haben wir viel Geld, Gut und Menschenleben eingesetzt.« Eine Tradition des Schönredens habe eingesetzt. 20 Jahre lang sei das Lagebild ignoriert worden.

In Zukunft, so Thiele gegen Ende des bemerkenswerten Podcasts, werde der Krieg »privater« werden, ausgeführt von privaten Unternehmen in staatlichem Auftrag. Große russische Privatfirmen seien bereits in Libyen, Irak, Syrien, an anderen Orten in Afrika unterwegs.

Thiele: »Das hat auch den Grund, dass technologische Innovationen zunehmend im privaten Sektor gedeiht.« Privatfirmen rüsten rasch mit Hightech auf, setzen in vielerlei Bereichen Drohnen, Aufklärungssatelliten und jene kleinen Satelliten ein, die boomen. »Im Bereich Cyberwar werden die sich Hochleistungsfähigkeiten anschaffen können, von denen reguläre Streitkräfte auch von High Tech Staaten wie Deutschland nur träumen können.«

Sein Resümee: »Das spricht eigentlich für eine weitere Entwicklung in Richtung mehr Privatarmee.« Aber auch dafür, »dass der Nutzen deutscher Streitkräfte in Krisengebieten klein sein wird.«

Über die aufkommende Forderung nach einem nationalen Sicherheitsrat kann er nur lachen: »Wenn wir uns weiter drücken wollen vor der Verantwortung, dann um Himmels willen möglichst weit weg mit diesem Sicherheitsrat. Der macht nur das Regieren schwer.«

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Kommentare ( 23 )

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23 Comments
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ketzerlehrling
2 Jahre her

Und er wird zumindest Europa in die Knie zwingen.

Konservativer2
2 Jahre her

Sehr gut, dass Sie auch die Rolle von Olaf Scholz als ehemaliger Innensenator in Hamburg thematisieren. Dies, Wirecard, Cum Ex… Man möge sich sein eigenes Bild über den Kanzlerkandidaten bilden. Zumindest diejenigen, die das noch nicht getan haben…

Teiresias
2 Jahre her

Die schärfsten Waffen des politischen Islam sind ihre Bevölkerungsüberschüsse – und das Mitleid unserer Linksgrünen.

fatherted
2 Jahre her

Der politische Islam ist nur dann eine „Macht oder Weltmacht“ wenn man ihn lässt. Würde man ihn ächten, würde man jeden der dem politischen Islam zuzurechnen ist sofort aus der westlichen Welt ausweisen, würde man mit Ländern des „politischen Islams“ keine Geschäfte machen…tja…dann wäre der politische Islam pleite, verarmt und wäre ganz schnell durch die eigenen Bürger zum Teufel gejagt.

IJ
2 Jahre her

Zum Thema Weltmacht: Nach 16 Jahren Angela Merkel und der von ihr zu verantwortenden Entwicklung zu einem hilflosen und inkompetenten Failing State erscheinen selbst Länder wie Luxemburg aus deutscher Perspektive mittlerweile als Weltmacht.

EinBuerger
2 Jahre her

Vom Atlantik bis zum Iran wird eine Sprache gesprochen, gilt mehr oder weniger eine Religion, mehr oder weniger eine Kultur. In dem Gebiet herrschen vor allem kaputte und korrupte Regime. Alles schreit danach, dass dieses Gebiet unter einer Ideologie (die sicher der politische Islam ist) geeint wird. Es gibt auch genügend jugendliche Kämpfer, die für dieses Ziel ihr Leben geben würden. Gleichzeitig wäre das für Europa DER Alptraum überhaupt. Für die USA, China und Russland wäre es suboptimal, aber kein Alptraum, für Europa wäre es das Ende. In Ägypten gab es einmal freie Wahlen. Sieger werden mit großem Abstand die… Mehr

TschuessDeutschland
2 Jahre her

Was soll der Mann schon sagen, mit dem Lebenslauf und den Jobs. Wer aber noch ernsthaft von einem „High Tech Staat Deutschland“ fabuliert erzählt Unsinn. Deutschland ist schon lange kein „High Tech Staat“ mehr. Der letzte kampf-taugliche Hubschrauber – nur als Beispiel – der Bundeswehr, der Eurocopter ist von 2005 und die meisten davon sind schlicht kaputt und daher nicht einsatzbereit. Was den politische Islam betrifft: Für eine Weltmacht braucht es erstmal interne Einigkeit. In Afghanistan gehen sich die Schiiten, Sunniten, Wahabiten, sonstwas-iten ja jetzt schon wieder gegenseitig an die Gurgel. Und Terror-Anschläge, so furchtbar sie im Einzelfall sind, sind… Mehr

Last edited 2 Jahre her by TschuessDeutschland
Fulbert
2 Jahre her

Für eine vermeintliche Weltmacht, wie es der politische Islam sein soll, ist es den Russen aber mit überschaubaren Mitteln und geringsten eigenen Verlusten erstaunlich schnell gelungen, die ach so gefürchteten IS-Milizen in Syrien wegzubomben. Und dem kleinen Land Israel gelang es bislang immer zuverlässig, die Islamisten vernichtend zu schlagen.

holuschi
2 Jahre her

Der politische Islam wäre ohne tatkräftige westliche Unterstützung gar nichts, könnte nicht mal das eigene Öl fördern (wenn vorhanden) und maximal die eigene Bevölkerung terrorisieren. Keine Handys, Elektronik, Computer, Autos, kein Kriegsgerät außer vielleicht Macheten und Messer etc. etc. Oder ist mir entgangen, dass all das morderne Gerät jemals in einem islamischen Land entwickelt wurde?

imapact
2 Jahre her
Antworten an  holuschi

Das Öl ist Kraftstoff nicht nur für die moderne Industrie, sondern auch für den Islam. In seinem unerforschlichen Ratschluß hat Allah die meisten Erdölreserven just dahin verteilt, wo die Leute mangels eigener Erfindungskraft am wenigsten damit anfangen können… .
Das Beispiel der Golfstaaten, die ihren Reichtum allein dem Zufall verdanken (eben: Ölvorkommen) zeigt allerdings, daß nicht westlicher Kolonialismus oder Armut die Ursache für Rückständigkeit und Brutalität sind, sondern eine verkorkste Ideologie, die sich in diesem Falle „Religion“ nennt.

bkkopp
2 Jahre her

Der gewalttätige, politische Islam wird durch eine unsichtbare Nabelschnur genährt. Was fließt durch diese Nabelschnur, und was wer und was produziert den Nährstoff ? Mir scheint, dass wir darüber zu wenig wissen und verstehen. Trotz aller Unterschiede und Nuancen haben alle islamischen Regime in Nordafrika und dem Mittleren Osten, eines gemeinsam. Die Länder haben ausbeuterische, mehr oder weniger brutal repressive Regime, die zur Verelendung immer größer gewordenen Bevölkerungen geführt haben. Daraus ist eine Sehnsucht nach einer “ gerechten Gesellschaft “ erwachsen, die die Islamisten bedienen. Gleichzeitig ist der Zorn auf den Westen entstanden, der wiederum von den Islamisten instrumentalisiert wurde.… Mehr

imapact
2 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Da machen Sie es sich etwas einfach. Die Rückständigkeit, die Brutalität der Regime, der Mangel an Fortschritt, der kulturelle Stillstand etc. liegt zutiefst in diesen Gesellschaften selbst begründet (wobei der Islam da eine wichtige Rolle spielt). Aus dem gesamt Islamgürtel kennen wir praktisch nur 3 Modelle: Säkulare Diktaturen wie unter Assad oder Saddam Religiöse Despotien wie Iran oder Saudi-Arabien Bürgerkriegsähnliches Chaos wie im Libanon und Afghanistan. Gerade Afghanistan hat doch gezeigt, daß all das aufgewendete Kapital und der menschliche Einsatz kaum Wirkung gezeigt hat, weil die Beharrungskräfte zu groß sind. Mit naivem Humanitarismus kommt man da ebensowenig weiter wie mit… Mehr

Thorsten
2 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Der politische Islam wird durch die Petro-Dollars finanziert. Der Islam dient in diesen Staaten zur Legitimation der Politik, die im Gegenzug den Islam massiv finanziert.
Weiterhin kommen dazu Privat- und Firmenspenden, die eher Schutzgeld gleichkommen. Die Islamisten sind quasi die Mafia der islamischen Staaten.
Nicht zuletzt dient der Islam auch als „pure“ Rechtfertigung für das organisierte Verbrechen, wie Drogen- oder Menschenhandel.