Kanzlerin über Bord!

Wie naiv und zu spät gekommen ist das eigentlich, wenn Merkel jetzt erst meint, feststellen zu müssen, dass es angesichts der hohen Flüchtlingszahlen Handlungsbedarf gäbe?

Kaltschnäuziger Humor oder schon Verzweiflungsmaskerade? Wie ist das, wenn die Bundeskanzlerin beim sogenannten Bürgergespräch, diesem „Dialog“ mit sorgfältig ausgewählten Menschen, eine Süffisanz an den Tag legt, die auf erschreckende Weise unangemessen wirkt? Wie ist das, wenn dann noch eine Infantilität hinzukommt – darf, muss, sollte man mehr als besorgt sein?

„Let’s get ready to rumble“

Als etwa einer dieser von den „Nürnberger Nachrichten“, der IHK sowie der Handwerkskammer ausgewählten Bürger gleich zu Beginn Zustimmung mit Merkels Kurs signalisiert und erklärt, ein Bekannter von ihm sähe das ähnlich, antwortet die Kanzlerin schmunzelnd: „Dann sind wir ja schon drei.“ Was soll das sein? Eine Bewerbung für eine Polit-Comedy Show? Oder schlimmer, Hinweis, dass ihr ein irgendwie geartetes Plebiszit mittlerweile völlig schnuppe ist?

Eine Wand der Nürnberger Jugendherberge im historischen Gebäude ist geflaggt mit „Gut leben in Deutschland. Was uns wichtig ist.“ Die sechzig vorwiegend mittelalten Herrschaften sitzen auf grau lackierten Holzkisten mit hellblauer Sitzauflage. Gehobene Kleiderordnung. PET-Wasserflaschen stehen zur Verfügung, der Raum ist gut belüftet. Es riecht noch ein wenig nach Parkettpflegemitteln und Farbe. Irgendwo wurden hier wohl rasch noch ein paar unschöne Stellen ausgebessert.

Die „Bürger“ tragen weiße Lanyards mit Namensschildchen, die farblich mit den Sitzpolstern abgestimmt sind. Ton in Ton auch der Dialog selbst. Empörung geht anders. Wut sowieso. Eine kühle Gemütlichkeit. Selbst dieser Anti-Atomkraft-Sticker an der sauberen Signalweste eines Bürgers ist heute Kanzlerinnen-kompatibel, schließlich ist Merkel Mutter des Atomausstiegs.

Diese Jugendherberge ist freilich der falsche Ort. Angemessener wäre eine der wenigen noch freien Turnhallen gewesen. Vollgestopft mit Bürgern bis kaum noch Platz zum Atmen bleibt. Und statt Wasser ein paar Bierzapfanlagen, dass löst zuverlässig die Zunge. Schweiß und Empörung wären in dieser Situation die besten Ratgeber für diese paralysierte Kanzlerin. Und „Let’s get ready to rumble“ präziser als „Gut leben in Deutschland.“

Etwas weniger gemütlich geht’s vor der Tür zu. Aber selbst die kleineren Demogrüppchen, die sich auf der besenreinen Pflastersteingasse hoch zur Nürnberger Burg postiert haben, wirken vor dieser Neuschwanstein-in-Grob-Kulisse seltsam deplatziert, inszeniert, wie hingestellt und nicht abgeholt. Die Polizei hat heute weniger zu tun als bei einem Drittliga-Fußballspiel oder während einer dieser Massenschlägereien in einer der Asylunterkünfte in Deutschland, die aktuell Schlagzeilen machen.

Inflationäre Infantilität und Banalisierung

Aber kommen wir zur inflationären Infantilität, zu dieser fortschreitenden Emotionalisierung, die eigentlich eine Banalisierung ist, der Merkelschen Sprache und zum Wegbrechen relevanter, nachvollziehbarer politischer Aussagen. Das Ende der Dialektik, des Dialogs ausgerechnet vorgeführt auf einer Dialog-Veranstaltung! Die Nachrichtenagentur Reuters hat das in einer Blitzmeldung direkt nach Ende des Termins perfekt herausgearbeitet.

Bezogen auf die ungelöste Abschiebungsproblematik etwa erklärt Merkel: „Hier müssen wir viel strenger werden“. Als ginge es dabei noch um Strenge, wo die ganze Härte des Polizeiapparates ausgespielt werden müsste, wo wir Fernsehbilder weinender Familien, Aggressivität und Verzweiflung in die Wohnzimmer zu ertragen hätten.

Wie naiv und zu spät gekommen ist das eigentlich, wenn Merkel jetzt erst meint, feststellen zu müssen, dass es angesichts der hohen Flüchtlingszahlen Handlungsbedarf gäbe. „Sonst werden wir nicht hinbekommen, dass diejenigen Unterstützung bekommen, die sie brauchen.“

Bezogen darauf, dass Einwanderer doch bitte die deutschen Gesetze zu achten hätten, erklärt Merkel: „Das müssen wir hinkriegen, sonst gibt es ganz, ganz böses Blut. Und hier gibt es sicherlich die größten Sorgen.“ Grauenvolle Rhetorik. Jede Realschuldirektorin in einem Großstadtproblemviertel ist da präziser und schärfer, wenn es um die Formulierung anstehender Probleme hin zu einem Lösungsansatz geht.

Gut, die alte Dame hat ja was Liebenswürdiges. Aber für eine Dokumentation des Wahnsinns muss man sein schlechtes Gewissen ausschalten; muss man sich immer wieder selbst ermahnen, dass es hier nicht um die Beurteilung einer Leihomi fürs unartige Kind geht, sondern um die Frage, ob sich unsere Kanzlerin im Moment der Krise selbst aus der Umlaufbahn geschossen hat.

Dabei fällt es schon ganz unter den Tisch, dass es sich bei dieser als Bürgergespräch gelabelten Ansprache an die Nation um eine Zäsur der bisherigen Merkelschen Flüchtlingspolitik handelt. Das Kind ist längst in den Brunnen gefallen. Das Tal ist geflutet. Da nutzt es wenig, den Fluss nun oberhalb des Desasters stauen zu wollen. Aber genau das versucht man: Während das Wasser schon bis zum Halse steht, hofft man, es möge doch bitte ohne viel Aufhebens im Boden versickern – das passende Bild dazu: der kokette Klein-Mädchen-Charme einer über 60-Jährigen, die Ihre schon so lange währende Kanzlerschaft mit einer der Kohlschen Widervereinigung ebenbürtigen Großtat krönen wollte. Und sie war ja auf dem besten Wege dorthin, als sie dann doch gerade noch einmal am Friedensnobelpreis vorbeischlidderte.

Diese läppische Veranstaltung in einer Nürnberg Jugendherberge offenbart die ganze Katastrophe dieser Kanzlerschaft. In Bezug auf die anwachsende Gewissheit einer wachsenden Zahl von schwarzen Schafen unter den Neuankömmlingen vollzieht Angela Merkel den endgültigen Bruch mit ihren Deutschen, den sie mit „dann ist das nicht mein Land“ bereits auf den Weg gebracht hatte: „Wir dürfen nicht alle in einen Topf schmeißen. Es gibt auch viele Deutsche, die nicht so toll sind, wie wir dachten“.

Wumms! Das ist die Mutti-Variante dieses Wer-nicht-für-uns-ist-ist-gegen-uns eines George W Bush. Und welche Deutschen sie meint, die nicht so toll sind, liefert ihr Jakob Augstein auf seinem sinkenden SPON Schiff (dramatische Leserverluste) gleich nach: „eine neue gesellschaftliche Klasse: das Dienstleistungsproletariat“.

Nehmen wir schnell noch Merkels Fazit in Nürnberg mit, wenn sie historisch fragwürdig feststellt, dass in Deutschland Zeiten großer Auseinandersetzungen auch immer wieder überwunden wurden. Worauf hofft sie dabei? Auf den Einmarsch der Alliierten? Es ist alles ziemlich furchtbar. Glücklicherweise gibt es neben den SPON-Claqueuren noch ein paar – na ja ­- unbestechliche Institutionen, die in diesen ganzen „Wir schaffen das oder auch nicht“ Kosmos hineinflanken, und dieses merkel-potemkinsche Wolkenkuckucksheim wieder ein bisschen kaputt machen.

Inflationäre Infantilität und Banalisierung

Aber die Bertelsmann-Stiftung – um die geht es hier – ist schlecht in diese mittlerweile inflationär angeschwollene rechte Ecke zu stellen, wenn sie aktuell in ihrem Social Justice Index feststellt, das fast 30% aller unter 18-jährigen Europäer die großen Verlierer der Wirtschafts- und Schuldenkrise der vergangenen Jahre sind.  26 Millionen Kinder und Jugendliche sind heute schon in der Europäischen Union von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Und die Jungen trifft es noch härter als die Mädchen, wenn man herausgefunden hat, dass mehr als fünf Millionen der Jungen nur geringe Zukunftsperspektiven haben, da sie weder Ausbildungsplatz noch Arbeit finden.

Wir erinnern uns, junge Männer sind mit bis zu 85% Anteil die größte Gruppe der Asylsuchenden. Wie lange die in Zukunft noch ein Selfie mit Angela Merkel machen wollen, bleibt abzuwarten. Noch werden zwar neugeborene Mädchen in den Unterkünften „Angela“ genannt, aber wenn Vati erst auf einen dieser prekären Job hoffen darf, wenn Klein-Angela eingeschult wird, dann kämpft die Politik in Zukunft gleich an zwei brutalen Fronten.

Angela Merkel wurde dann aber längst aus der Verantwortung in den unverdienten Ruhestand abgewählt. Kohl hat es eingeleitet mit seinem Wahn eines deutschen Europas. Schröder hat alle wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen für den europäischen Selbstbedienungsladen Deutschland. Und Angela Merkel hat das saftige Tal nun geflutet.

Sie hat die ganze europäische Idee geflutet. Die Polen wählen panisch rechts, Ungarn wird immer weiter isoliert und Griechenland ärgert sich zunehmend, dass Erzrivale Türkei nun die MIlliarden bekommt, während man selber schon wieder vom Honigtopf abgeschnitten wird. Merkel sagt nun tschüss: Hinter mir die Sinnflut.

Verabschieden wir uns also auch. Vielleicht mit Heinrich Heine:

Das Glück ist eine leichte Dirne
und weilt nicht gern am gleichen Ort.
Sie drückt den Kuß dir auf die Stirne
und lächelt sanft und flattert fort.

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