Ein alter innerdeutscher Konflikt schwelt weiter: Westlicher Verbündeter oder Vermittler?

Das historische Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus verband sich in dieser Woche mit der Bedrohung der Freiheit durch Russlands aggressive Politik gegenüber der Ukraine. Noch immer sehen sich Teile der deutschen Politik nicht eindeutig auf Seiten der westlichen Allianz.

IMAGO / Achille Abboud

Es ist sehr selten, dass ein Sitzungstag des Deutschen Bundestages kontinuierlich von einem Thema überspannt wird. In der vergangenen Woche hieß dieses „Die Bedeutung der Freiheit und ihre Verteidigung“.

Es begann mit einem Akt der Würdigung der vielen Opfer des Deutschen Nationalsozialismus, und hier insbesondere um die millionenfache Ermordung der Menschen jüdischer Herkunft in Europa. Ein Menschheitsverbrechen, durchgeführt auf maschinelle Weise, ausgehend von einer Führung und einem Volk, dass sich ansonsten seiner großen Denker und Philosophen, an erster Stelle Immanuel Kant, rühmt. Es sind immer wieder die einzelnen Schicksale, die das Ausmaß der Menschenfeindlichkeit und die Grausamkeit undemokratischer und totalitärer Regime veranschaulichen und nachvollziehbar machen. Anlass war der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, in dem zwischen 1942 und 1945 über 1,5 Millionen Menschen in die Gaskammern geschickt wurden.

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Als der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1996 dieses Datum zum Gedenktag an die Opfer erklärte, befürchteten nicht wenige, dass hiermit den vielen Ritualen des Erinnerns nur ein weiteres hinzugefügt wurde. Diese Bedenken haben sich nicht erfüllt. Die alljährliche Stunde der Besinnung auf den Wert der Freiheit – denn auch dies ist eine Würdigung der Opfer – hat sich zu einem einzigartigen Ereignis inmitten der vielen Tagesaktualitäten etabliert.

Um die Bewahrung der Freiheit ging es dann auch in der längst überfälligen Debatte über die angespannte Lage an der russisch-ukrainischen Grenze und die Haltung Deutschlands dazu. Es ist lange her, dass auf der politischen Bühne der Nation über so Grundsätzliches gestritten wurde. Einigkeit bestand bei der Mehrheit über die aggressiven Absichten Russlands, das Nichtakzeptieren jeder Art von Verstößen gegen das Völkerrecht und die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Konsens auch darüber, dass jedes Land in Europa das Recht habe, seine Zugehörigkeit zu internationalen Bündnissen, wie der NATO, frei und selbst zu bestimmen.

Klar wurde dabei erneut, dass zwei Parteien in unserem Parlament diesen Grundprinzipien nicht zustimmen: Die mehrfach umbenannte SED (zurzeit nennt sie sich Die Linke) und die am rechten Rand agierende „Alternative für Deutschland“.

In schon gewohnter Einmütigkeit vertraten sie die Positionen des Kreml und demonstrierten, wo die Trennlinie zwischen den Freunden der Freiheit und ihren Verächtern verläuft. Das bedeutet allerdings nicht, dass zwischen SPD, CDU/CSU, FDP und den Grünen ein Bild der Geschlossenheit existiert. Bekanntlich steckt der Teufel immer im Detail. Da dominiert zur Zeit, nicht nur in den USA, sondern auch bei den osteuropäischen NATO-Partnern, eher der Eindruck eines Lavierens der deutschen Regierung zwischen dem Selbstverständnis eines Mitglieds der transatlantischen Familie und der Rolle eines eher neutralen Vermittlers zwischen den Welten. Doch genau so wenig wie es nur „ein bisschen schwanger“ gibt, so wenig gibt es eine Partnerschaft nur für gute Zeiten, von der man sich in raueren Tagen verabschieden kann.

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Die Methode „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ führt zu Unberechenbarkeit und Vertrauensverlust. Am Ende wird so ein Partner von niemandem mehr ernst genommen. Das gilt besonders immer dann, wenn es zu grotesken Handlungen kommt. So ist „der militärische Beistand“ der Bundesrepublik für die von einem russischen Angriff bedrohte Ukraine in Form von 5.000 Stahlhelmen ein vorweggenommener Karnevalsscherz. Das ist so, als wenn vom Deck eines Schiffes ertrinkenden Menschen Prospekte für Schwimmwesten herunter geworfen werden. Man schwankt in der Beurteilung zwischen Zynismus und blankem Hohn.

In der SPD herrschte schon in den Zeiten der Sowjetunion eine gewisse Nachsicht für das irgendwie ideologisch nahestehende System und mehr Sympathie als gegenüber den USA. Das beste Beispiel dafür ist das Scheitern des SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt an seiner eigenen Partei, als dieser die NATO-Nachrüstung als Antwort auf die Bedrohung durch die sowjetischen SS-20 Mittelstreckenraketen in der DDR gegenüber den eigenen Genossen nicht durchsetzen konnte und dadurch das Kanzleramt verlor. Wobei später in der Person des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder, heute Teil der Kreml-Nomenklatura, auch handfeste materielle Abhängigkeiten für Einzelne und nicht zuletzt ein Pakt mit wichtigen Vertretern der deutschen Wirtschaft hinzugekommen sind.

Eine Folge davon ist die mittlerweile eingetretene Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen, die als eine Erinnerung an die Ära Merkels den Deutschen zukünftig noch sehr bitter aufstoßen wird. Letztlich stellte sich auch hier wieder die Kardinalfrage: „Wie hältst du es mit der Freiheit?“ Schließlich sollte es auch eine Erkenntnis aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts sein, dass Diktaturen nach innen immer auch eine Bedrohung nach außen – zumindest für die Staaten ringsherum – darstellen.

Auf dem rechten und deutschnationalen Rand des Spektrums setzt man die unsägliche Kontinuität der deutsch-russischen Kumpanei vergangener Jahrhunderte fort. Höhepunkt war der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939, der den Angriff Hitlers auf Polen und damit den Zweiten Weltkrieg erst möglich machte. Dazu gehörte auch – und viele Polen und Balten erinnern sich heute daran – die Aufteilung Polens und der baltischen Staaten zwischen Russland und Deutschland. Mögen die deutschen Bekenntnisse zur Westbindung auch noch so laut klingen, ein Grundzweifel an der demokratischen Zuverlässigkeit der Deutschen ist im Osten Europas immer noch virulent, und auch in Washington, London und Paris nicht gänzlich verschwunden.

Bei den Partnern dürfte mit Aufmerksamkeit registriert worden sein, dass einer ihrer Redner Kritik an der Nähe auch der CDU zu Moskau während der Merkel Ära übte. Neue Töne, die bereits die Handschrift des neuen Vorsitzenden Friedrich Merz zeigen. Mehr noch als anti-russische Ressentiments ist in der deutschen Seele die Ablehnung des „American way of live“ verankert. Während die Deutschen in ihrer Geschichte stets der Autorität und der Geborgenheit durch den Staat den Vorrang gaben, ist ihnen die fast ausschließlich auf die Individualität und Freiheit des Einzelnen abgestellte Philosophie fremd – und das bis heute! Hier liegt die eigentliche Ursache für die immer wieder auftretenden Krisen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Berlin und Washington.

Hinzu kommt auch die immer häufiger in den Medien zu beobachtende Gleichsetzung Russlands mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Eine Äquidistanz, die den fundamentalen Unterschied zwischen beiden völlig ignoriert. Ein Präsident Trump konnte durch Wahlen von den Hebeln der Macht verdrängt werden. Immer wieder setzen unabhängige Gerichte selbst Regierungsbeschlüsse außer Kraft. Auf dem Markt der veröffentlichten Meinung werden wahre Schlachten geschlagen und niemand muss fürchten, nur wegen seiner politischen Einstellung im Gefängnis zu landen. All das hat es in Russland nie gegeben. Auch da ist er wieder – der elementare Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit.

Im deutschen Parlament ging es in dieser Woche in seltener Weise um die Substanz des staatlichen Selbstverständnisses. Eine große Zahl von Zwischentönen in allen Parteien war zu hören. Ein uralter Konflikt, der in der Bundesrepublik erst Ende der 50er Jahre mit der Zustimmung der SPD zur Westbindung und der Sozialen Marktwirtschaft beruhigt wurde, schwelte im Stillen weiter und könnte jetzt im wiedervereinigten Deutschland erneut aufbrechen – möglicherweise wird schon der Ukraine-Konflikt zur Stunde der Wahrheit.

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Kommentare ( 25 )

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Babylon
2 Jahre her

Wer ist GG? Gustav Gans?
Super Artikel von MG, (Marco Gallina) zum Thema hier beiTE

Last edited 2 Jahre her by Babylon
Gerd07
2 Jahre her

„Ein Präsident Trump konnte durch Wahlen von den Hebeln der Macht verdrängt werden. Immer wieder setzen unabhängige Gerichte selbst Regierungsbeschlüsse außer Kraft. Auf dem Markt der veröffentlichten Meinung werden wahre Schlachten geschlagen und niemand muss fürchten, nur wegen seiner politischen Einstellung im Gefängnis zu landen. “

Ist das ernst gemeint oder nur schlechte Satire?

Im Westen kommt noch keiner für eine abweichende Meinung in den Knast, aber das Unselect Komitee der Demokraten arbeitet daran. Bis dahin wird einem nur die Existenz ruiniert. Wahlen? Bei denen Karteileichen dem Gewinner zum Sieg verholfen haben?

Dr. Friedrich Walter
2 Jahre her

PS: Sehr geehrter Herr Gafron, in dem Buch „The Grand Chessboard“ von Zbigniew Brzezinski sind sogar schon die Grenzen zur Aufteilung Russlands nach der Eroberung durch den Westen vorgeschlagen. Übrigens findet sich in der heutigen Ausgabe der „Junge Freiheit“ ein recht ausgewogener Artikel zum diesem Thema. So geht es auch.
https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2022/ukraine-konflikt/

Mausi
2 Jahre her

Solange D das GrundG und damit den Schutzwall des Einzelnen aushebelt, schon durch linke Bildung, deren Ergebnis jetzt auch in den höchsten Regierungsämtern angekommen ist, sollte es sich hüten, sich Russland gegenüber als Weltverbesserer aufzuführen. Wo tut es das gegenüber islamisch geprägten Ländern? Das sind alles nur Worte. Wie kann ein Land Souveränität von „Völkern“ fordern, wenn es die Souveränität des Einzelnen im eigenen Land aushebelt? Wenn es keine Nationen mehr möchte? Da ist doch Russland als Vielvölkerstaat ein prima Beispiel, wie es laufen muss. Zusammen mit den Techniken aus China. Und nein, ich möchte keine sozialistische, kommunistische oder Sharia… Mehr

hansmuc
2 Jahre her

Wie schade, dass auch bei der sonst so ausgezeichneten TE-Seite das US-Märchen – das im Übrigen ein Angelsächsisches, seit 150 Jahren immer Wiedergekäutes ist – wieder aufgetischt wird. Das bedeutendste außenpolitische Ziel von GB/USA war und ist es seit dieser Zeit, Deutschland und Russland auseinanderzuhalten. Wie auch hier wieder sichtbar, gelingt das leider in den Köpfen vieler, auch eben Deutscher. Hieraus spricht in meinen Augen eine masochistisch geprägte Unterwerfungshaltung, die gerade durch die CDU/CSU maßgeblich weitervermittelt wurde, von allen anderen Trägern dieses Gemeinwesens dann immer weiter fortgesetzt. Was könnte das, eine echte Freund- und Partnerschaft zwischen D und Ru alles… Mehr

Warte nicht auf bessre zeiten
2 Jahre her

Herr Gafron, haben Sie eigentlich mitbekommen, dass sich die Welt verändert hat? Wir sind beide etwa zur selben Zeit nach West-Berlin gekommen und auch ich bin als gebranntes Kind ganz sicher kein Rußlandfan, aber was Sie hier vorlegen, hat mit Analyse nicht mehr viel zu tun. Es steht jedem frei, sich in einem Propagandakrieg auf eine Seite zu stellen, und wahrscheinlich wären wir da im Ernstfall auf derselben Seite. Aber dann ist man eben Combatant und nicht mehr Analytiker oder Journalist. Und: wie werden die USA in 10 Jahren aussehen? Steht da die Freiheitsstatue noch? Selbstverständlich hat jeder Staat das… Mehr

Nibelung
2 Jahre her

Diese Probleme hätten wir nicht, wenn wir uns nach der Wiedervereinigung zur Neutralität durchgerungen hätten und die Schwäche und Abhängigkeit der deutschen Regierung von damals war ja nicht zu übersehen und heute schwanken wir wie ein einsamer Baum im Sturm mit der Erkenntnis, in welch übler Lage wir uns im Gegensatz zu allen anderen Europäern immer noch befinden und das wird vermutlich auch der Stoff für neue Verwerfungen nach innen und außen sein. So geht das Trauerspiel weiter, was 1914 begonnen hat und nie enden will, bis wir vielleicht unseren Platz gefunden haben, wenn überhaupt und hinzu kommen noch die… Mehr

giesemann
2 Jahre her

Die Russen haben nicht das Recht, die Ukraine unter ihrer Fuchtel zu halten. Die NATO hat nicht das Recht, sich beliebig nach Osten aus zu dehnen. Benehmen sich die Russen aber weiterhin so wie bisher, dann provozieren sie nachgerade, dass sich Länder wie UA oder Belarus, auch Georgien unter den Schutz der NATO begeben wollen – Schutz vor dem Russ‘, wohlgemerkt. Hinzu kommt, dass Russland bis heute der Konkurrenz des Westens in puncto Attraktivität in jeder Hinsicht nicht standhalten kann. Deshalb sind ja alle geflohen, als der Zusammenbruch der SU dazu die Gelegenheit bot. Muss mensch dem Russ‘ immer wieder… Mehr

Amerikaner
2 Jahre her

Diese endlosen Wiederholungen… Der Eindruck verfestigt sich, bei der BRD handelt es sich nicht um einen Staat, der der Sache der Bürger bzw. des Volkes dienen soll, sondern um ein Rechtskonstrukt, das zur Wiederholung der immer gleichen, völlig ausgelutschten und zumal auch nicht mehr ernstgemeinten Rituale verdammt ist. Ein Sisyphos-Staat, der x-mal im Jahr den schweren Stein der Vergangenheitsbewältigung den Abhang hoch rollt, und dann doch immer wieder von vorne anfangen muss, natürlich ohne je irgendwas erreicht zu haben. So eine Dämlichkeit… Und am Ende ist es egal, ob wir uns zum Vasallen der Amerikaner oder Russen machen wollen. Gut… Mehr

Joe
2 Jahre her

Selbst in den USA wird offen diskutiert, ob Bidens agressive Kante gegenüber Russland klug ist oder ob aus geostrategischen und kulturellen Gründen es nicht nährer liegender wäre, Russland als Verbündeten im Verhältnis zu China zu gewinnen. Doch dieser Zug schein langsam abzufahren (Taiwain gegen Ukraine; Gasexport an China pp.)… Der Alptraum wäre dann, dass sich der sogenannte Westen (mit solchen weaken Partnern wie Deutschland) unter Anführung der USA einem Block von Russland und China gegenüber sehen würde. Na prima! Trump hatte das gesehen. Allzu früh aufstehen muss man dafür allerdings auch nicht.