Auch der Demokratie drohen innere und äußere Feinde

Die Deutschen sind in der Haltung zum Ukraine-Krieg gespalten, ihr Verhältnis zur Freiheit ist zwiespältig: Die Bewahrung und Verteidigung der Freiheit gegen ihre inneren und äußeren Feinde ist die Voraussetzung für ihren dauerhaften Bestand.

IMAGO / ITAR-TASS
Joe Biden und Wladimir Putin in Genf

Die Mehrheit der Deutschen verurteilt in Umfragen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Selbst die Lieferung von der Ukraine gewünschter schwererer Waffen entspräche dem Willen der deutschen Bevölkerung. Einem sofortigen Embargo russischer Energielieferungen erteilen die meisten Befragten jedoch eine Absage. Ebenso bringt ein Drittel der Befragten Verständnis für das Vorgehen Moskaus auf.
Ein beliebtes Argument zur Rechtfertigung der russischen Aggression ist die Behauptung, die Nato habe Russland eingekesselt und bedrohe so ihrerseits die Sicherheit des putinschen Reiches. Häufig schließt hier die Frage an, wie denn die USA reagieren würden, wenn vor ihrer Haustür beispielsweise russische oder chinesische Stützpunkte installiert würden. Ganz davon abgesehen, dass solche in Venezuela, Nicaragua und Kuba längst existieren, setzt man damit wie selbstverständlich die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Bündnispartner mit den diktatorischen Regimen in Moskau und Peking gleich. Das kann eigentlich nur Ausdruck einer Ignoranz der tatsächlichen Gegebenheiten auf unserem Planeten sein.

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Ich mache mir manchmal den Spaß, in entsprechenden Diskussionen mit Leuten dieser Ansicht die Frage zu stellen, wie sie sich entscheiden würden, wenn sie vor die Wahl zwischen den USA und den Ländern der selbst behaupteten Ikonen des weltweiten Fortschritts – China und Russland- als Aufenthaltsort gestellt würden. Das Ergebnis ist stets das Gleiche: Eine hundertprozentige Mehrheit würden das Leben unter dem “senilen Biden, in dem so unsozialen, rassistischen und gewalttätigen USA” dem Dasein unter staatlicher Willkür, flächendeckender Korruption und andauernder Gehirnwäsche in den euro-asiatischen Weiten vorziehen. Ebenso herrscht allgemeine Sprachlosigkeit, wenn man einmal nach der Zahl politischer Flüchtlinge aus den USA fragt. Die Erklärung dafür ist einfach, außer ein paar rechtzeitig entkommenden Spionen (Assange und Snowden) und Wirtschaftsverbrechern (Wirecard) gibt es sie nämlich nicht.

Noch etwas zur Erinnerung: Während heute in Russland der Krieg gegen die Ukraine nicht als solcher bezeichnet werden darf – bei Zuwiderhandlung drohen 15 Jahre sibirische Lagerhaft -, entwickelte sich in den USA während des Vietnamkrieges in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts die größte Antikriegsbewegung in der Geschichte des Landes. Die Beispiele fundamentaler Gegensätze zwischen demokratischer und diktatorischer Herrschaft ließe sich beliebig fortsetzen. Bleibt die Frage, warum diese Realitätsverweigerung auch und gerade in den Gesellschaftskreisen vorherrscht, die sich selbst für besonders gebildet und informiert halten? Eine Überlegung ist es meines Erachtens auch wert, woher die Geringschätzung der eigenen Freiheit rührt, denn nichts anderes ist die einfache Hinnahme der Unterdrückung von Freiheit Anderer aus vorwiegend machtpolitischen und ideologischen Motiven. Desinteresse oder Naivität bieten sich als Antworten an. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt, dass aggressive Regime nach Innen auf Dauer auch immer eine Gefahr für ihre Nachbarn darstellen. Demokratien fangen nur sehr selten Kriege an. Sondern setzen sich höchstens – und auch das nur unter großen Mühen – gegen äußere Herausforderungen zur Wehr.

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Nun sehe ich schon jetzt die Reaktionen nicht weniger Leser vor mir, die auf Mißstände der Demokratien im Westen hinweisen. Häufig stimme ich dieser Kritik ausdrücklich zu. Keine Gesellschaft ist vor den Versuchungen autoritärer Machtausübung gefeit. Zur Freiheit gehört auch ihre ständige Bedrohung und der Wille, für ihren Erhalt zu kämpfen. Die vielen Urteile von Verwaltungsgerichten während der Corona Pandemie, die offensichtlich unverhältnismäßige Entscheidungen der Politik aufhoben, zeigen, dass das demokratische System funktioniert.

Eine akute Bedrohung der Freiheit auch in Deutschland ist beispielsweise der Versuch einer linken Elite, in Politik, Universitäten und Medien den Rest der Gesellschaft im Sinne ihrer gesellschaftspolitischen Ziele umzuerziehen. Dazu gehört die durch nichts legitimierte Verordnung der Gendersprache in den öffentlich-rechtlichen Medien, ja selbst in den Kirchen. Dahinter steckt nicht weniger als die Absicht, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern einem normativen Verhaltenskodex bis hin zu den Gefühlen für den Anderen zu unterwerfen. Eine besonders üble Begleitmusik ist dabei die Diffamierung Älterer (“alter weißer Mann”, oder “Oma, du alte Umweltsau”), wie auch die, bislang nur aus den dunkelsten Zeiten unserer Geschichte bekannte Verdammung von Teilen der Kunst (Cancel Culture) aus unseren Museen und überhaupt dem kulturellen Commonsense. Da sich selbst Teile der politischen Klasse als Angehörige dieser neuen Priesterschaft sehen und sich deren Gehirnwäsche- Kampagnen anschließen, muss man in diesen Entwicklungen ernste Gefahren für die demokratische Kultur unseres Landes sehen.
Die Grenzen für Alles setzt immer noch das unbedingte Bekenntnis zur “Unantastbarkeit der Würde des Menschen” im Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Das gilt auch für den Schutz der privaten Sphäre einschließlich des zwischengeschlechtlichen Verhältnisses, solange dieses nicht Gesetzen widerspricht. Mit anderen Worten: Nicht jeder Mann, der einer Frau aufgrund ihres Äußeren Komplimente macht, ist gleich ein Rechtsradikaler oder gar potenzieller Vergewaltiger. Zu der alten, von Willy Brandt geprägten Devise “Mehr Demokratie wagen!”, steht der Slogan “Mehr Toleranz wagen” in keinerlei Gegensatz. Beides gehört zusammen.

Die Bewahrung und Verteidigung der Freiheit gegen ihre inneren und äußeren Feinde ist die Voraussetzung für ihren dauerhaften Bestand.

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Kommentare ( 20 )

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Peer Munk
1 Jahr her

„Geringschätzung der eigenen Freiheit, Desinteresse“ seien die Gründe für die Realitätsleugnung von Leuten, die nicht bedingungslos auf Seite der Ukraine stehen und auch gern als „Putinversteher“ bezeichnet werden. Das stimmt meiner Meinung nach nicht. Tatsächlich ist es ja so, dass viele, die nun bedingungslos auf der Seite der Ukraine stehen und sie im Kampf für die Freiheit unterstützen wollen, die Freiheit der Bürger in Deutschland gering schätzen. Wer gegen die Coronamaßnahmen die Freiheit als Argument ins Feld führte, wurde von genau denselben Leuten, welche nun die Freiheit der Ukrainer mit Waffen verteidigen wollen, als Zyniker, unsolidarisch und moralisch minderwertig bezeichnet.… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Peer Munk
Physis
1 Jahr her

„Selbst die Lieferung von der Ukraine gewünschter schwererer Waffen entspräche dem Willen der deutschen Bevölkerung. Einem sofortigen Embargo russischer Energielieferungen erteilen die meisten Befragten jedoch eine Absage.“ Tja, wo kämen wir denn auch hin, wenn wir tatsächlich für den Frieden frieren müssten. Aber G.s.D. kann man als gutmenschelnder Deutscher wieder seine Fresse sehr weit aufreissen, denn der Frühling naht und dieser „Konflikt“ wird lediglich von der x-ten Corona-Welle abgelöst. Ein gewisser Herr Martenstein soll übrigens laut eines Kommentars auf T.E. die rein rhetorische Frage gestellt haben, ob man sich wieder schämen muss, Deutscher zu sein. Und ich gebe ihm hiermit… Mehr

Stefan Tanzer
1 Jahr her

„Ganz davon abgesehen, dass solche in Venezuela, Nicaragua und Kuba längst existieren, setzt man damit wie selbstverständlich die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Bündnispartner mit den diktatorischen Regimen in Moskau und Peking gleich.“ Ich vergaß, die USA haben natürlich die Entscheidungen Kubas, Nicaraguas und Venezuelas immer und vollumfänglich akzeptiert und keineswegs gab es jemals eine Kuba-Krise wegen der Stationierung russischer A-Waffen in Kuba, es gab auch nie eine CIA-Aktion gegen Castro, oder die Unterstützung rechtsextremer Paramilitärs in Nicaragua, nicht zu erwähnen sind da natürlich auch die etlichen anderen Dinger in anderen Staaten wie u.A. Kolumbien und Venezuela. Was für… Mehr

EinBuerger
1 Jahr her

Ich bringe mal einen Nazi-Vergleich, weil die so beliebt sind. Als Hitler 1939 Polen angriff, haben Frankreich und GB Deutschland den Krieg erklärt. Irland tat das nicht. Obwohl den Iren sicherlich klar war, wer hier Angreifer und wer Verteidiger war. Als Hitler dann 1940 Frankreich besiegte und GB bedrohte und ein mögliche Invasion im Raum stand, hat Irland nicht gesagt „Wir müssen jetzt unsere demokratischen Werte gegen die Diktaturen verteidigen. Deshalb stehen wir Demokratien in Irland und GB zusammen.“ Sie blieben weiterhin neutral. Und ich vermute, hätte Hitler GB erobert, hätte Irland Nordirland unter „seine Verwaltung“ genommen. Ein spätere Annexion… Mehr

Magdalena
1 Jahr her

„Demokratien fangen nur sehr selten Kriege an. Sondern setzen sich höchstens … gegen äußere Herausforderungen zur Wehr.“ Die USA zerbombten mit Unterstützung Großbritanniens 2003 den Irak, 2011 wurde Libyen von westlichen Demokratien, allen voran Frankreich, in Schutt und Asche gelegt. Begründet wurden die „Militäroperationen“ im Falle Iraks mit – wie die Öffentlichkeit später erfuhr – einer Reihe von Lügen, u. a. der Irak besitze chemische und biologische Waffen. Gaddafi, der Libyen zu einem florierenden Land gemacht hatte, wurde schließlich „im Zeichen der Demokratie“ (Scholl-Latour) gepfählt. Was in den MSM nicht oder nur am Rande erwähnt wird: Sowohl Saddam Hussein als… Mehr

Kampfkater1969
1 Jahr her

Die vielen Urteile von Verwaltungsgerichten während der Corona Pandemie, die offensichtlich unverhältnismäßige Entscheidungen der Politik aufhoben, zeigt die Dysfunktionalität des demokratischen Systems.

Der Satz ist wohl etwas erklärungsbedürftig!
Weder gibt es viele Urteile, die die unverhältnismäßige Entscheidungen der Politik aufhoben, schon gar nicht während deren Geltungsdauer, noch sind diese wenigen Urteile dann eine Dysfunktion des demokratischen Systems.
Die Dysfunktionalität des Systems besteht darin, dass es viele Anträge gegen die unverhältnismäßigen Entscheidungen gab, die freiweg abgelehnt oder soweit vertagt wurden, dass die Urteilsfindung keinen Einfluss mehr hat. Es erinnert an Vollstreckungen von Todesurteilen, bevor Berufungsverfahren abgeschlossen waren.

Jens Frisch
1 Jahr her

„…ist die Behauptung, die Nato habe Russland eingekesselt und bedrohe so ihrerseits die Sicherheit des putinschen Reiches.“

Die NATO Osterweiterung ist also nur eine Behauptung Russlands?
Wenn man sich die amerikanischen Basen in der Welt ansieht, dann ist Russland de facto längst eingekreist.

lioclio
1 Jahr her

Die Freiheit ist im Wertewesten doch schon lange futsch. Die Ausgrenzung, Abwertung und übelste Beschimpfung von Ungeimpften durch pol. Entscheidungsträger und Staatsmedien, von Aussperrung oder Verlust des Arbeitsplatzes (denkt an die Angsttat des Familenvaters der seine Frau und Kinder getötet hat weil ein gefälschtes Impfzeugnis aufgeflogen war), Ausschluss bei gesellsch. und kulturellen Veranstaltungen (inkl. Kirchen), über (steuergeldfinanzierte) Bus und Bahn bis zu Reiseverunmöglichungen während der letzten zwei Jahre und wenn es nach Karl geht für Immer, Immer, Immer, das soll Freiheit sein? Vom Mundhalten und seine Meinung zu polit. Themen in der Öffentlichkeit nicht zu Sagen, aus Angst vor Represalien,… Mehr

Last edited 1 Jahr her by lioclio
Iso
1 Jahr her

Man muss sich nur die deutschen Außenminister anschauen, Steinmeier, Gabriel, Heiko und Annalena, dann fällt einem nichts mehr ein. Wie kann es sein, dass man 20 Jahre nicht in der Lage ist, durch Toleranz und Kompromissbereitschaft, ein solides Vertrauensverhältnis zu Russland aufzubauen. Diplomatisch ist das eine Bankrotterklärung.

Ticinese
1 Jahr her

Zum Toleranz-Paradoxon Karl Popper: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“
Dazu fällt mir Cancel Culture, Islamismus, Putinismus und Kommunismus ein.
Popper weiter: „Wir sollten sollten eine Aufforderung zur Intoleranz als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“