Sinai: Abschuss oder was?

Auch zum Ende des russischen Airbusses und 224 Toten werden wir wohl nie die Wahrheit erfahren.

Erinnern wir uns noch einmal: Als Ende Oktober ein russischer Airbus mit 224 Menschen an Bord über dem Nordsinai abstürzte, schossen die Spekulationen über die Ursache wie Pilze aus dem Boden.

Schnell meldete sich ein angeblicher ägyptischer Ableger des „Islamischen Staats“ zu Wort, rühmte sich der Tat. Doch wie hätte sich das abspielen sollen? Die Maschine hatte bereits eine Flughöhe von 9.000 Metern erreicht – und spätestens seit dem Abschuss der malaysischen Maschine über der Ost-Ukraine weiß jeder Luftfahrtlaie: Dafür muss es schon etwas vom Kaliber einer russischen BUK sein. Darüber aber verfügt derzeit weder der in Syrien-Irak aktive IS noch von der Hamas unterstützte, islamische Terrorgruppen auf dem Sinai.

Experten wiesen schnell darauf hin: Die betroffene Maschine war gut 18 Jahre alt, hatte rund 21.000 Flüge und 56.000 Flugstunden hinter sich. Nicht, dass ein Airbus damit schrottreif wäre – aber bei diesem Alter ist eine ständige und sorgfältige Wartung absolute Voraussetzung für einen sicheren Einsatz. War es also technisches Versagen? Angesichts der Rubelschwäche und des Devisenmangels war die private russische Fluglinie kaum in der Lage, qualifizierte Wartungsteams aus dem Westen zu entlohnen. So zeigte auch die russische Regierung schnell mit dem Finger auf den sibirischen Betreiber, und dabei leider auch ein wenig auf sich selbst. Für den Westen allerdings war diese Vorstellung nachvollziehbar: eine der üblichen Never-come-back-Airlines aus Russland …

Dann gab es eine neue Spur. Angeblich deuteten die Trümmer darauf hin, dass die Maschine durch eine Explosion in ihrem Inneren zerstört worden sei. Folgerung: Unzuverlässige Sicherheitsmaßnahmen in Scharm-el-Scheik hätten einem Terrorbomber die Möglichkeit geboten, in der Maschine eine Bombe zu platzieren. Also doch der IS! Diese Version galt bis gestern.

Mitte Dezember meldete sich die ägyptische Regierung zu Wort. Alles Falschmeldungen – laut den Untersuchungen ihrer technischen Kommission gäbe es keinerlei Hinweise auf einen Anschlag. Also doch technisches Versagen. Und plötzlich steht die Frage wieder im Raum: Wer oder was trägt die Schuld am Tod der 224 Menschen?

Vermutlich werden wir als Zuschauer wieder einmal keine befriedigende Antwort bekommen. Doch wir können die Frage nach dem: Wem nützt es? stellen.

Optimal für Ägypten – oder für Russland

Technisches Versagen, wie es die Ägypter gern sähen, würde sie entlasten. Es stünde nicht länger der Vorwurf im Raum, dass die ägyptischen Sicherheitsvorrichtungen die Schuld am Absturz haben. Damit wäre auch der auf der ägyptischen Touristikbranche lastende Mühlstein ägyptischer Unzuverlässigkeit ein wenig beiseite geschoben. Die Vorstellung, Terroristen könnten Urlaubsflieger über Ägypten vom Himmel holen, war wenig verkaufsfördernd.  Außerdem: Für die ägyptische Version spricht der bereits aufgezeigte Wartungsmangel seitens der sibirischen Fluglinie.

Überhaupt nicht zufrieden mit der ägyptischen Variante kann hingegen Russland sein. Denn faktisch läuft sie auf ein „selbst schuld“ hinaus. Putins Politik gegenüber dem Westen trüge die Verantwortung für die 224 toten Russen, weil sie entweder die sibirische Fluglinie nicht effektiv überwacht – oder ihr sogar die Devisen für eine sorgsame Wartung abgeschnitten hatte. Die ägyptische Variante würde den Glorienschein des russischen Präsidenten bei seinem Volk ein wenig verblassen lassen.

Die bisherige Mainstream-Variante des Absturzes durch eingeschmuggelte Terrorbombe wiederum legt die gesamte Schuld auf Ägypten. Naheliegend, dass die Ägypter mit dieser Version nicht glücklich sind. Für Russland allerdings bleibt aus eben diesen Gründen diese Variante die Vorteilhafteste. Putin bliebe sauber – und hätte nun auch jeden Grund zu einem erbarmungslosen Feldzug gegen Terroristen in Syrien und anderswo.

Deja vu

Bei all dem werden Erinnerungen wach.

Wie war das damals, als Putin gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen seiner Kaukasuskolonie Tschetschenien ins Feld zog und Grosny dem Erdboden gleich machte? Es war ein vom Präsidenten höchstpersönlich angeordneter, absolut rücksichtslos geführter Rachefeldzug gegen kaukasische Terroristen, weil diese angeblich in Moskau ein Wohnhaus mit mehreren hundert Bewohnern gesprengt hatten. Bekannt allerdings hatten sich die Tschetschenen zu diesem Anschlag nie. Und als damals noch unabhängige russische Journalisten glaubten, auf die Spur einer Verwicklung der russischen Geheimdienste in diesen Wohnhaus-Horror gekommen zu sein, wurden diese urplötzlich Opfer von tödlichen Attentaten.
Insofern wäre selbst vorstellbar, dass auch bei dem Absturz über dem Sinai der Inlandsgeheimdienst FSP seine Finger im Spiel hatte – denn bis zu diesem Zeitpunkt ging die Begeisterung für den Syrien-Feldzug bei den Russen gegen Null. Warum also nicht ein erprobtes Muster ein weiteres Mal einsetzen?

Gegen diese Möglichkeit – auch das sollte nicht unerwähnt bleiben – spricht die kurzfristige, russische Inverantwortungnahme der Fluglinie und die Notwendigkeit, die Bombe an Bord durch einen russischen Geheimdienstmitarbeiter platzieren zu lassen – der selbstverständlich kaum die Bereitschaft gezeigt hätte, gemeinsam mit der Maschine in die Luft zu fliegen. Aber vielleicht war es auch tatsächlich nur ein wartungsbedingter, technischer Defekt, begründet in der Marodität russischer Wirtschaft.

Fazit

Am Ende stehen wir also einmal mehr mit zahlreichen möglichen Erklärungen da. Stoff für Verschwörungstheoretiker aller Seiten. Doch ein kleiner Rest Hoffnung bleibt noch: Putins Zusage, die Blackbox gemeinsam mit britischen Experten auswerten zu wollen. Andererseits: Wieso ist das nicht schon längst geschehen? Das Teil wurde ja nicht erst gestern gefunden.

Egal also, was daraus entnommen werden kann – auch hier wird die Gegenseite sofort treffliche Argumente ins Feld führen umso mehr dann, wenn beispielsweise nur eine Explosion festzustellen sein sollte (dass solches nicht der Fall sein kann, ist kaum vorstellbar, denn dann hätten die Russen nicht die Briten eingeladen).

Also richten wir uns am besten schon einmal darauf ein, dass auch dieser Flugzeugabsturz niemals abschließend geklärt werden wird. Für Ägypten wird es ein technisches Versagen bleiben, für Russland ein Terrorakt. Wären da nicht die 224 unschuldigen Opfer, wäre man fast geneigt sarkastisch festzustellen: Für alle Seiten wäre eine Terrorrakete die bequemste Lösung gewesen.  Schade, dass es so nicht gewesen sein kann. Die beteiligten Länder jedenfalls hätten dann auf das nun anstehende Endlos-Spiel gegenseitiger Schuldzuweisungen verzichten können.  Wer die 224 Toten allerdings tatsächlich auf dem Gewissen hat – das wird vermutlich niemals geklärt werden.

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