Die EU und Monte dei Paschi

Die italienische Regierung leugnet die Krise und hofft auf Wunderheilung. Italien weiß, dass am Ende noch der ESM als letzter Geld- und Garantiegeber parat steht. Somit geht die Rechnung letztendlich doch an den deutschen Steuerzahler. Früher oder später.

© Marco Secchi/Getty Images

Italien lässt 6,6 Milliarden Euro aus seiner Staatskasse springen, um die Pleitebank Monte dei Paschi di Siena (MPS) künstlich am Leben zu erhalten. Und die EZB gibt entgegen allen Regeln grünes Licht dazu. Was geht uns das in Deutschland an? Sehr viel meine ich. Wieder gelingt es der Finanzwirtschaft, eigene Verluste auf den Steuerzahler abzuwälzen. Und wieder wird Recht umgangen, wenn nicht sogar gebrochen.

Die MPS hat nicht nur ein kurzfristiges Liquiditätsproblem. Das Finanzinstitut ächzt unter der Last von einem Drittel fauler Kredite. Rund 28 Milliarden Euro sind unwiderruflich verloren, insgesamt sind schätzungsweise bis zu 55 Milliarden Euro faul. Schon länger ist die Bank unter verschärfter Beobachtung. Bevor die EZB am 4. November 2014 zur obersten Bankenaufsichtsbehörde im Euroraum mutierte, wurden etwa 120 Banken oder Bankengruppen einem Stresstest unterzogen. Dabei fielen 25 Finanzinstitute durch, darunter auch die MPS. Bei der MPS klaffte eine deutliche Eigenkapitallücke auf, die bis heute nicht geschlossen werden konnte.

Im Rahmen der vereinbarten Haftungskaskade zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten müssten eigentlich zunächst die Eigentümer und großen Gläubiger in Höhe von acht Prozent der Bilanzsumme der abzuwickelnden Bank beteiligt werden. Erst viel später der Sitzstaat. Ausführlich beschrieb der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, den Mitgliedern der Fraktionen CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag in einem Schreiben vom 25. September 2014 die neuen „klare[n] Haftungsregeln zum Schutz der Steuerzahler“. Endlich gebe es jetzt ein „,Drehbuch´ zur geregelten Bankenabwicklung und zur wirksamen Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern“. Diese Haftungskaskade bezeichnete der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, wenige Wochen später als „Meilenstein“:

„Das Inkrafttreten der einheitlichen Bankenaufsicht mit gleichen Spielregeln in allen Mitgliedstaaten ist für uns politische Grundvoraussetzung, um das Maßnahmenpaket mitzutragen, mit dem die Bankenunion nun vollendet werden soll. Die vier Umsetzungsgesetze […] zielen vor allem darauf ab, den Steuerzahler vor weiteren Rettungsmaßnahmen zu schützen. Durch Einführung der sogenannten Haftungskaskade werden im Falle einer Bankenschieflage zunächst die Eigentümer, dann die Gläubiger, dann der neue europäische Abwicklungsfonds und anschließend der Mitgliedstaat herangezogen. […] Insgesamt wird das Vertrauen in die Solidität des europäischen Bankensektors weiter gestärkt und die bisherige Verbindung zwischen Staats- und Bankenrisiken in erheblicher Weise entkoppelt“, so Kauder in seinem Bericht zur Fraktionssitzung am 4. November 2014.

Bei der Plenardebatte zum gleichen Thema zwei Tage später äußerte sich der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, nicht weniger deutlich:
„[Was] wir mit diesem Gesetzespaket erreichen, ist, dass wir sicherstellen, dass in Zukunft nicht mehr der Steuerzahler haftet, dass also das, was man in der internationalen Sprache „Moral Hazard“ nennt, dass die einen die Geschäfte machen und die anderen nachher die Haftung dafür tragen, beendet wird. Deswegen haben wir die klare Haftungskaskade […] [.] Zunächst haften die Eigentümer. Wenn die Eigentümer nicht ausreichen, dann haften die Anleger, die höhere Renditen und höhere Zinsen bekommen haben. Höhere Renditen haben etwas mit höherem Risiko zu tun. Wenn sich das Risiko einmal verwirklicht, ist das eben die Gegenseite. Deswegen ist diese 8-prozentige vorrangige Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern der entscheidende Schritt sowohl in der europäischen Regelung, die für alle 28 Mitgliedsländer gilt, als auch in der Bankenunion für die Europäische Bankenaufsicht.“

Schäuble muss sich korrigieren

Aus heutiger Sicht muss sich Schäuble korrigieren. Die vorrangige Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern gilt offenbar in allen Staaten der Europäischen Union außer Italien. Es ist leider wie immer. Kommt es zur Nagelprobe, ist jedes Gesetz oder Versprechen nicht mehr als Schall und Rauch. Aber warum? Warum wird die MPS nicht nach den Regeln abgewickelt, die vor gerade einmal zwei Jahren auf europäischer Ebene beschlossen wurden?

In ihrem vor kurzem erschienen Artikel „Mechanismus für Bankenabwicklung: Niemand dringt auf Anwendung“ bringen es die beiden Autoren vom Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, Alexander Fink und Kevin Spur, auf den Punkt:

„Die Situation, in der sich die Steuerzahler in der Eurozone wiederfinden, lässt sich mit Hilfe des von Mancur Olson formulierten Modells der „concentrated benefits vs. diffused costs“ nachvollziehen. Während die Gläubiger, vor allem gewichtige Gläubiger, eine relativ gut organisierte Gruppe mit relativ starkem Einfluss auf das Gebaren von Regierungen sind, ist die große Gruppe der Steuerzahler relativ schlecht organisiert und hat dementsprechend wenig Einfluss. Die Gläubiger sind deshalb in der komfortablen Situation, auf politische Maßnahmen derart Einfluss nehmen zu können, dass ihnen auf sie konzentrierte Vorteile zuteil werden, während die Kosten der politischen Maßnahmen auf die große Gruppe der Steuerzahler verteilt werden, die alle individuell relativ geringe Lasten auf sich nehmen müssen, wenn es beispielsweise zu einem Bail-Out kommt.“

Auch in Italien gibt es eine Einlagensicherung. Bankeinlagen bis zu einer Höhe von 100.000 Euro sind staatlich garantiert. Der Schutz der Kleinanleger ist also nur vorgeschoben. Aber warum werden wieder einmal die Eigentümer und die großen Gläubiger auf Kosten der Allgemeinheit geschützt? In Italien tobt eine politische Schlammschlacht um die Klientelverbindungen zwischen Politik und Finanzwirtschaft. Es gibt verbitterten Streit darüber, ob die Namen der dicksten Fische, die der MPS Geld schulden, veröffentlicht werden sollen – oder nicht.

Auch EZB-Präsident Mario Draghi dürften die Probleme der Bank bekannt gewesen sein, als er der oberste Bankenaufseher im Euroraum und somit Richter und Henker in einer Person wurde: Von 2006 bis 2011 war Draghi Gouverneur der italienischen Zentralbank Banca d’Italia. Also genau in der Zeit als sich die MPS mit der Übernahme der Antonveneta im Jahr 2008 kräftig verhoben hatte. Schon damals gab es Ungereimtheiten. Heute wird der italienischen Bankenaufsicht und damit Draghi Versagen vorgeworfen. Es soll im Vorfeld der Übernahme nicht einmal eine ordentliche Bilanzprüfung stattgefunden haben!

Aber nicht nur deshalb ist Draghi befangen. Unter seiner Regentschaft betreibt die EZB seit Jahren eine expansive Geldpolitik und versorgt die Banken der Schuldenstaaten fleißig mit Sonderkrediten; auch die MPS, wenngleich keine Details bekannt sind. Aber eines ist klar: Würde die EZB die Bank vom Markt nehmen, käme dies einem Schuss ins eigene Bein gleich. Denn dann würde sich die EZB mittelbar die eigene Bilanz verhageln.

Was ist jetzt zu tun? Die Banca Monte dei Paschi di Siena hatte im Jahr 2015 eine Bilanzsumme in Höhe von 169,237 Mrd. Euro. Mehr als 13,5 Mrd. Euro (= acht Prozent der Bilanzsummer) könnten bzw. müssten auf dem Wege der Eigentümer- und Gläubigerbeteiligung eingesammelt werden, also deutlich mehr als der von der EZB jüngst bezifferte Kapitalbedarf in Höhe von 8,8 Mrd. Euro. Die Bank darf keinesfalls ein Dasein als Zombiebank fristen, sondern muss geordnet abgewickelt werden. Sie hat kein Liquiditätsproblem, sie ist bankrott. So leid mir dies auch für die ältestes Bank der Welt tut.

Alles steht auf tönernen Füßen

Zwar wird der italienische Staat relativ problemlos 6,6 Milliarden Euro zur kurzfristigen Stabilisierung aufbringen können. Er steht aber jetzt schon einem gewaltigen Schuldenberg gegenüber. Die Zinsen werden steigen. Alles steht auf tönernen Füßen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann hier alle Dämme brechen. Die Staatsschulden Italiens belaufen sich auf etwa 2.200 Milliarden Euro. Das sind 133 % des Bruttoinlandsproduktes. Die Adriarepublik missachtet alle Warnsignale und kümmert sich überhaupt nicht um die Vorgaben, die dem Land innerhalb diverser Defizitverfahren gemacht wurden.

Dabei hat Italien bislang wie kein anderes Land von den Euro-Rettungsmaßnahmen profitiert, ohne selbst direkt in den Fokus zu geraten. Im Rahmen ihres SMP-Programms kaufte die Europäische Zentralbank italienische Staatsanleihen in Höhe von 102,8 Milliarden Euro auf dem Sekundärmarkt. Italiens Target-Schulden bei der EZB liegen aktuell bei über 362 Milliarden Euro. Seit 2011 pumpt die EZB gewaltig Geld in die Finanzmärkte, zum Beispiel 2011/2012 insgesamt mehr als eine Billion Euro in Form von zwei Langzeittendern. Dazu befindet sich die EZB im Kaufrausch. Seit März 2015 kauft sie monatlich bis März 2017 Staatsanleihen,

Hypothekenpapiere, Pfandbriefe, Regional- und Firmenbonds in Höhe von 80 Milliarden Euro. Gerade hat sie die Anleihekäufe bis Ende 2017 verlängert, was bei gleichzeitiger Reduzierung auf monatlich „nur noch“ 60 Milliarden die Notenpresse eine weitere gut halbe Billion ausspucken lässt. Das Programm schließt sogar den Kauf von Asset-Backed Securities mit ein. Diese Kreditverbriefungen lösten vor einigen Jahren die Finanzkrise aus. Insgesamt geht es um etwa 2,3 Billionen Euro. Mit all diesen Maßnahmen kurbelt Draghi den Markt für Staatsanleihen für Schuldenstaaten an. Italien ist einer der Hauptprofiteure davon. Mit all diesen Maßnahmen wird Zeit gekauft, aber kein einziges Problem gelöst.

Wenn wir nicht endlich auf die Einhaltung der Regeln pochen, wird der Bumerangeffekt nur größer werden. Denn verglichen mit den Bankenschulden sind die Staatsschulden sprichwörtlich Peanuts. Die Bilanzsumme aller italienischen Finanzinstitute beläuft sich auf 3.923 Milliarden Euro. Der Anteil der faulen Kredite, der sogenannten nonperforming loans, beläuft sich auf rund 18 Prozent. Dieser Wert ist gut als Indikator für den Zustand eines Bankensystems geeignet. In allen Krisenstaaten steigt dieser Wert.

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Eigene Darstellung, Quelle: Weltbank

Aber man darf einen Blinddarmdurchbruch nicht nur diagnostizieren, man muss den Patienten auch operieren, sonst stirbt er. Die italienische Regierung zockt. Sie leugnet die Krise und hofft auf Wunderheilung. Denn Italien weiß, dass am Ende noch der ESM als letzter Geld- und Garantiegeber parat steht. Und somit geht die Rechnung letztendlich doch an den deutschen Steuerzahler. Früher oder später.

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