Die Geißel unserer Zeit

Warum führen wir das Asylrecht nicht zurück zu seinen Ursprüngen: einem Recht auf Asyl für politisch Verfolgte in einem ganz engen Sinn? Von Tobias Becker

IMAGO / photothek

Es musste ein Linker und ehemaliger Innenminister wie Otto Schily kommen, um uns daran zu erinnern, dass unsere jetzige Asylpraxis nicht das ist, was der Verfassungsgeber im Sinn hatte, als er das Recht auf Asyl 1949 im Grundgesetz verankerte. Seine Idee war, Asyl für politisch Verfolgte zu gewähren. Weltweite Wanderungsbewegungen kamen in den Überlegungen vermutlich noch nicht vor.

Vor dem geistigen Auge standen eher politische Exilanten aus der Zeit des Nationalsozialismus wie Willy Brandt oder politische Dissidenten aus dem Ostblock. Heute wären das die Edward Snowdens unserer Tage. Otto Schily hat also etwas ausgesprochen, das zwar einleuchtet, aber im Tumult der Asyldebatte fortwährend verwischt wird. Nämlich, dass wir eine Asylpraxis aufgrund unserer Verfassung betreiben, die nichts mit der ursprünglichen Intention zu tun hat. Das kann man nicht genug herausstellen.

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Seit wir also von dieser ursprünglichen Idee abgekommen sind und das Asylrecht praktisch auf alle ausgeweitet haben, die sich darauf berufen möchten, tun wir uns schwer. Sowohl, was die ethische Beurteilung des Asylrechts angeht, vor allem aber, was seine Folgen für unsere Gesellschaft angehen.

Es gibt nur noch kurze Phasen relativer Ruhe und Entspannung, der Zuwanderungs-Ausnahmezustand ist jetzt die Regel. Ein Zustand, der unsere Kräfte überfordert und uns als Gesellschaft zermürbt. Er zermürbt uns, weil wir wir nie eine Lösung geboten bekommen haben, die als Gesellschaft lebbar wäre. Warum tun wir uns das an? Längst schon überlagert die Asylproblematik jedes andere politische und gesellschaftliche Thema, längst wird sie zum entscheidenden Faktor von Wahlen, in denen andere Themen keine Rolle mehr spielen. Das ist ein gefährliches Spiel mit der Belastbarkeit der Demokratie.

Hätte nicht gerade die Linke alles Interesse daran, dieses Thema durch pragmatische Lösungen aus den Wahlen herauszuhalten? Man sollte es meinen, aber leider ist das nicht so. Die Asylproblematik mit seiner ganzen Überforderung unserer Kräfte bleibt die Geißel unserer Zeit, die uns so regelmäßig heimsucht, wie wir es regelmäßig unterlassen, sie in bessere Bahnen zu lenken. Eigentlich fragen wir uns nur noch, ob wir zu Lebzeiten noch einmal eine Lösung dieser Dauerkrise erleben werden. – Jetzt sollen Erstantragszentren außerhalb der EU richten, was wir selbst nicht vermögen. Also Zentren in Afrika oder Albanien, wo Menschen Asyl beantragen können, bevor sie europäischen Boden betreten. Bis zu ihrem Bescheid verblieben sie dort, das Problem wäre also erst einmal ausgelagert.

Was bei Ablehnung ihres Antrags geschieht, ist jedoch völlig offen. Das ist eine Lösung so recht nach dem Geschmack von staatsgläubigen Gesellschaftsingenieuren, also von Brüssel. Aber wie anrüchig ist es eigentlich, andere Länder dafür zu bezahlen, dass sie uns unsere Asylprobleme abnehmen, und womöglich darauf sitzenbleiben? Es ist eine Idee, die so wohl nie das Licht der Welt erblicken wird, aber psychische Entlastung in der Debatte schaffen soll. Und falls diese Praxis doch kommen sollte, dann wird sie nicht funktionieren. Hauptsache, man kann von sich behaupten, dass man am Asylrecht festhält. Haben wir nicht schon genug schlechte Erfahrungen mit derlei Vereinbarungen gemacht, die allesamt unsere Belastung begrenzen sollten?

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Zuletzt hat der Sudan seine Bereitschaft aufgekündigt, gegen die Durchreise von afrikanischen Migranten in seinem Land vorzugehen. Wahrscheinlich, nachdem längst alles Geld längst geflossen ist. Von wie vielen Potentaten will man sich noch abhängig machen, bevor man an eigene Lösungen denkt? Hier gibt es Bewegung. Das individuelle Recht auf Asyl steht neuerdings zur Debatte. Noch nicht auf breiter Front, aber doch vereinzelt. Meist wird diese Forderung, also das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen, mit einer Art Kompensationsgeschäft verbunden. Wir schaffen das Recht auf Asyl ab, dafür verpflichten wir uns zur Aufnahme ganzer Kontingente von Menschen aus den bekannten Zuwanderungsstaaten. Kaum wäre man aus der einen Verpflichtung raus, ginge man schon die nächste ein.

Warum? Aufgrund welcher Vertragsgrundlage und aufgrund welcher moralischen Verpflichtung sollte man das tun. Auch das kann nur schiefgehen. Die Welt als Verschiebebahnhof von Menschen anzusehen, ist abzulehnen. Das ist eine durch und durch fragwürdige, auch moralisch fragwürdige Idee. Und eine, die die Väter des Grundgesetzes sicher nicht im Auge hatten.

Nein, wir müssen uns schon selbst um unsere Probleme kümmern. Warum führen wir das Asylrecht nicht zurück zu seinen Ursprüngen? Nämlich einem Recht auf Asyl für politisch Verfolgte in einem ganz engen Sinn. Warum sollte nicht der Bundespräsident einzelnen politisch Verfolgten oder auch kleineren Gruppen Asyl im Rahmen eines Staatsaktes gewähren – ganz ohne Asylverfahren, drohenden Abschiebungen und weggeworfenen Pässen. Warum könnte das nicht die einzige Form von Asyl sein, die wir künftig noch gewähren? Dann wären wir wieder nah dran an dem, was Asyl ursprünglich sein sollte, und nah dran an dem, was wir in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, leisten können, ohne daran zu zerbrechen.

Das sollten wir in der Tat tun. Wir sollten das Asylrecht abändern in ein Recht, das der Bundespräsident in einem Staatsakt gewährt. Dann wäre es in seinem Kern bewahrt, und die Welt wird sich darauf einstellen. Der Zug nach Europa würde nachlassen. Es wird nicht das Ende aller unserer Sorgen sein, aber ein Anfang auf dem Weg hin zu einer realistischeren Zukunft.


Der Autor Tobias Becker lebt und arbeitet in Österreich. Ende letzten Jahres erschien von ihm der Essay „Die Rückkehr des Schmerzes“, herausgegeben in der Exil-Reihe bei buchhaus loschwitz. Im Essay schlägt er eine Brücke von Ernst Jüngers Text „Über den Schmerz“ in unsere heutige Zeit, und untersucht, inwieweit unser Dasein von (politischem) Schmerz bestimmt ist und was die Ursachen davon sind.


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Kommentare ( 77 )

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Pitter
3 Monate her

Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird.
Aber ich weiß, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll.
(G.Ch. Lichtenberg)

joly
3 Monate her
Antworten an  Pitter

Sie werden kommen, mit oder ohne Asylgrund. Solange man sie kommen lässt und rein lässt.
Egal was wir juristisch oder sonst wie beschließen, die Schlepper werden es organisieren. Wir brauchen 2 Dinge
Einen Grenzzaun wie ihn die DDR hatte
Drohnen und Abdrängschiffe im Mittelmeer. Mit den Drohnen alle Kleinschiffe an Land zerstören.
Wer es dennoch schafft wird auf eine unbewohnte Insel ausgesetzt, bis er die notwendigen Papiere zur Weiter- oder Rückreise hat. Ansonsten erlebt er ein ähnliches Schicksal wie Napoleon. Ich habe gehört, dass da noch Plätze seit Jahrzehnten frei sind; auf St. Helena.

November Man
3 Monate her

Fangen wir vorne an: Die Geisel unsere Zeit sind die Grünen. Unser übergeordnetes Grundgesetz Artikel 16a ist klar und eindeutig definiert. Das versteht jeder normale Mensch, nur die grüne Sekte nicht. Aber mit unseren Gesetzen und der Verfassungstreue haben es die Grünen bekanntlich nicht so. (1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. 2 Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften,… Mehr

Sonny
3 Monate her

Was ist der Plan hinter diesem desaströsen Verhalten? Es gibt garantiert einen. Ich schätze, man wollte ganz naiv das „Wegsterben“ der geburtenstarken Jahrgänge mit wahllos zusammengewürfelten Menschen aus dem Ausland aufstocken. Nachdem jahrelang die Werbung, gerichtet an ausländische Facharbeiter, nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, weil die Rahmenbedingungen insbesondere in Deutschland als Hochsteuerland ungünstig sind, sollten es nun die Armutsmigranten sein, für die alles besser schien als ihr bisheriges Leben. Die Lücken werden also aufgefüllt. Aber ob die Strategie, die Lücken mit mittelalterlich-archaischem und ungebildetem Armutsmenschenpotenzial wirklich eine gute Lösung sein könnte, ist längst bewiesen: Sie ist es nicht. Stattdessen… Mehr

Last edited 3 Monate her by Sonny
joly
3 Monate her
Antworten an  Sonny

Aber mit diesem jungen und kräftigen Agressionspotential lässt sich doch die BW schlagartig aufhübschen. Fremdenlegion – genau das was wir brauchen. Afghanistan, Mali, jetzt auch gegen die Huthis. Wer desertiert oder sich weigert gegen Brüder im Glauben zu kämpfen wird einfach ohne Papiere vor Ort vergessen. Echte win win Situation. für uns.

Der Gnatz
3 Monate her

Neue Gesetze brauchen wir in D nicht, um der Masseneinwanderung Herr zu werden. Die bestehenden müssten einfach nur umgesetzt und streng angewandt werden.
Solange hier geblieben werden darf weil „man ja nun schon hier ist“, geht es im laufenden Wahnsinn weiter.
Schon das Missachten einer Staatsgrenze ist eine Straftat.

Und natürlich sollte oberstes Ziel sein, dass bei Wegfall der Fluchtgründe zu allererst eine Rückkehr des Flüchtlings anzuraten ist. Insbesondere dann, wenn derjenige von Sozialleistungen lebt.

Eberhard
3 Monate her

Alles Geschwurbel um weitere Zuwanderung, egal ob als Flüchtling oder Asylant, soll nur die auf uns bald zukommende Minderheit der immer hier Gewesenen vernebeln. Egal wie viele noch kommen, es ist viel zu spät, um den bereits verursachten Rückbau unserer Kultur, Sitten und Moralvorstellungen noch aufzuhalten. Allein der Geburtenüberschuss bei Migranten genügt schon zur Steigerung nicht integrierender Migration. Interessierte Kreise haben gerade mit ihrer Auslegung von Flüchtling und Asyl die Deutschen in eine böse Falle gelockt. Selbst eine sich durch die zunehmende Auswirkungen der Problematik auf unsere Gesellschaft anbahnende sachte Diskussion zur Migration wird von diesen schon wieder als Angriff… Mehr

LadyGrilka55
3 Monate her

„Warum führen wir das Asylrecht nicht zurück zu seinen Ursprüngen? Nämlich einem Recht auf Asyl für politisch Verfolgte in einem ganz engen Sinn.“ Es gibt keine Notwendigkeit, unser Asylrecht zurückzuführen, weil schon alles geregelt ist: Art 16a GG“(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist …“ UND AsylG §18 „(2) Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn … er aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) einreist …“ Das Problem ist nicht das Asylrecht, sondern die permanente Missachtung der diesbezüglichen Regelungen des GG… Mehr

Helfried Petersen
3 Monate her

Wer ohne gültigen Pass einreisen will, wird zurückgewiesen – in jedem Land auf der Erde. Nur in Deutschland nicht – finde den Fehler.

Metric
3 Monate her

Ein weiterer Vorschlag: Regionalisierung! Asyl erhält man vom Bund, aber die Unterbringung von nicht-arbeitenden Asylanten erfolgt nur in denjenigen Bundesländern und Kommunen, die das auch wollen; u.a. diejenigen, die sich in den letzten Jahren zu @sicheren Häfen“ erklärt haben. Und dann warten wir auf die Wahlen dort. 🙂

hoho
3 Monate her

Gute Idee.
Die Argumente könnte man benutzen um eine Lösung zu finden, wenn man eine Diskussion mit einer Person führen würde, die Interesse an Lösung hätte. Das ist hier nicht der Fall. Da es aber um Bevölkerungsaustausch geht, ist eine Diskussion nicht zielführend bzw dient nur dazu dieser Zustand ze etablieren. Man kommt davon meist als Nazi beschimpft.
Das bedeutet – die Idee ist immer noch gut. Sie hat keine Anwendung. Je schneller wir alle das begreifen, desto schneller kommen wir aus dem Stillstand.

Alf
3 Monate her

Wir sollten das Asylrecht abändern…. Unsere Politdarsteller, egal welcher Coleur, werden niemand zurückweisen, bei dem nicht durch alle Instanzen geklärt ist ob ein Anspruch auf Asyl besteht. Dies gilt auch in Fällen, in denen offensichtlich ist, daß ein solcher Anspruch nicht besteht. Aber was ist schon offensichtlich, wenn der Bewerber keinen Paß hat u.a. z.B. Deutschland ist nicht das Nachbarland von Afghanistan. Schutz gibt es auch in Ländern, die Nachbarländer von Afghanistan sind Warum also kommen alle zu uns, die auch in Nachbarländern Schutz finden können? Und warum dauert die Klärung des Anspruchs so lange bzw. wird verzögert, daß das… Mehr

LadyGrilka55
3 Monate her
Antworten an  Alf

Wir brauchen das Asylrecht nicht zu ändern, es müsste nur befolgt werden. Stattdessen wird es von der Politik seit Jahren eklatant missachtet.
vgl. Art 16A GG und §18 AsylG

Warum die alle nach Germoney kommen? Das ist doch wohl eine rhetorische Frage, oder?
Stichwort: soziale Hängematte erster Klasse

Außerdem ist Dummland ein Paradies für einwandernde Kriminelle angesichts der Kuscheljustiz für Migranten und der politischen Verweigerung von Abschiebungen.

Last edited 3 Monate her by LadyGrilka55