Tatort ideale Schulklasse – Horror für besorgte Dresdner Eltern ersetzt Magdeburger Totraser-Krimi

Der Dresdner Sonntagskrimi wird für den Polizeiruf Magdeburg ins Programm genommen. Weil der böse Erinnerungen an den Weihnachtsanschlag hätte wecken können?

Screenprint: ARD / Tatort

Das Drehbuch von Claudia Garde und Ben von Rönne hat natürlich nichts mit dem gleichnamigen Roman von Joseph Conrad (1899) zu tun, der den europäischen Imperialismus und Rassismus anklagte und dem die These zugrunde lag, dass es kaum einen Unterschied zwischen „zivilisierten Menschen“ und „Wilden“ gebe. Oder etwa doch?

ARD: „Das Bild des unschuldigen und bewunderten Opfers bröckelt dabei und gibt schließlich den Blick frei auf eine Ruine – hinter perfekten Fassaden aus digitaler Selbstdarstellung und Selbständigkeit … ein Sumpf aus Identitätsproblemen, Missgunst, Neid und Schuld.“

Aber zunächst ist von Ruinen nichts zu sehen (auch die Carola-Brücke bleibt in der Luftaufnahme Dresdens unsichtbar), im Gegenteil: Bei Maya Wolff (Katharina Hirschberg) ist sturmfrei und ihr Bio-Leistungskurs nutzt die Gelegenheit für eine feucht-fröhliche, knapp bekleidete Schüler-Orgie in der elterlichen Villa. Anhand der Dresdner Gymnasiasten lässt sich prima beobachten, dass die Cannabis-Legalisierung der rot-grün-gelben Bundesregierung ein voller Erfolg war und die sächsischen Teenies sich schon längst mit Koks, LSD und anderen Trips auf eine neue und höhere Ebene begeben haben. Aber ach, einige Jugendliche vertragen halt nicht jede – noch – illegale Substanz, weshalb Streber und Prügelknabe Marlin Baum (Max Wolter) arg in Schräglage gerät.

Er stolpert und halluziniert sich über das Wolffsche Grundstück bis ins Poolhaus, wo der ultimative Horrortrip wartet: Der smarte Janusz Simiak (Louis Wagenbrenner) liegt dort tot in der Dusche. In Panik stürzt der beduselte Marlin davon, sein Notruf bei der Polizei wird von seinen Mitschülern Leander (Amon Schicke) und Khaleb (Leander Lesotho) allerdings als Verrat an die Behörden missverstanden. Bei der anschließenden Hetzjagd gelingt es dem körperlich unterlegenen und etwas fülligeren Jungen, seine Verfolger abzuhängen, er läuft jedoch in seinem benebelten Zustand auf die nahegelegene Bundesstraße und wird dort von Renny Euler (Katrin Hansmeier) in ihrem 20-Tonner überfahren. Von dem angeblich in dem Poolpavilion liegenden toten Jungen fehlt zunächst jede Spur. Offenbar hat ihn jemand fortgeschafft …

Wer angesichts schlechter Pisa-Ergebnisse und Hiobsbotschaften aus Brennpunkt- oder Problemschulen daran gezweifelt hat, dass die letzten zehn Jahre ein Erfolg der Bildungspolitik gewesen sind, dem sei dieser Kriminalfilm ans Herz gelegt. Hinter der glänzend weißen Gründerzeitfassade ihres Gymnasiums (gedreht nicht in Dresden, sondern am Robert-Schumann-Gymnasium in Lindenau) gehen die Teilnehmer der obigen Sause tagsüber ihrem ganz normalen Schulalltag nach. Wer hier glaubte, Hinweise auf angebliche mangelnde Deutschkenntnisse, Gewalt oder Integrationsschwierigkeiten beobachten zu können, wird eines Besseren belehrt. Die Teenager wissen außerdem auch in ihrer Freizeit die Schönheiten ihrer Heimat zu genießen, machen Ausflüge ans Elbufer und ins Elbsandsteingebirge.

Aber nach dieser Vor-Abi-Feier wird für die jugendlichen Gäste nichts mehr sein wie früher. Die Dresdner Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) haben alle ins Kommissariat zur Befragung verfrachtet. Dort ist nun jeder freie Winkel mit einem plötzlich stocknüchternen Teenager belegt, sehr zum Unmut von Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach), der sich grade seinen Morgenkaffee „to go“ übers Sakko gekippt hat und sich nun vor den Augen seiner Kollegin umziehen muss: „Drehn’ Sie sich mal um!“

Die Befragung Minderjähriger durch die Polizei ist ein heikles Thema. Spätestens als Gorniak festgestellt hat, dass eine der Partygäste (Romy Brahms, gespielt von Charlotte Krause) die Tochter ihrer neuen Flamme (Paul Brahms, verwitwet, gespielt von Hannes Wegener) ist, hätte sie sich aus den Ermittlungen zurückziehen müssen. Ihr polizeilicher Jagdinstinkt lässt sie jedoch nicht los, und so begeht sie gleich den nächsten Regel- bzw. Vertrauensbruch und durchsucht Romys Zimmer. Dass die Jugendliche wenig später unter der peinlichen Befragung heulend zusammenbricht, hätte die Ermittlerin, genauso wie die sich daraus ergebenden Konsequenzen für ihre frische Beziehung zum Papa, vorhersehen müssen.

Die Befragung der Eltern des verschwundenen Janusz Simiak ergibt außer beschaulichen Aufnahmen alter DDR-Bauweise (wieder ist Leipzig der Drehort) nur die Erkenntnis, dass Mutter Olga Simiak (Luise Georgi) sich in ihrer Muttersprache Polnisch mit Karin Gorniak unterhalten kann, und Papa Simiak „traditionell und streng“ sei. Das mag der Auslöser für die, wie nun Handyaufnahmen der Teenies belegen, doch recht unkonventionellen Gefühlsausbrüche von Sohn Janusz gewesen sein, der wahlweise mal mit Mädels oder Jungs aus seiner Klasse herumknutscht und dabei sehr rücksichtslos auf den Gefühlen der Mitschüler herumtrampelt. Wie Gorniak aus dem heimlichen Studium des Tagebuchs von Romy erfährt, war sie von Janusz schwanger und ließ das Kind abtreiben. Sind das die Hintergründe für das Verschwinden des Jungen?

Das tatsächliche Geschehen ist schrecklich banal. Als es die Truppe zum Weiterfeiern an den Pool zieht, stürzt Janusz unglücklich und schlägt mit dem Kopf am Beckenrand auf, geht sofort unter. Weil aber alle anderen wie gebannt auf ein homoerotisches Knutschvideo starren, in dem der Mitschüler die Hauptrolle spielt, übersehen die Teenies das Unglück, ziehen ihn viel zu spät aus dem Wasser. Unterlassen lebensrettende Sofortmaßnahmen aus Unwissenheit, erklären ihn in Überschätzung der eigenen medizinischen Fähigkeiten („atmet nicht mehr und hat keinen Puls“) und auch aus Bequemlichkeit für „tot“.

Aus verständlicher Angst vor Strafe entwickeln die Pennäler danach eine kriminelle Energie, der die Beschaffung diverser verbotener Substanzen schon den Boden bereitet haben mag. Sie reinigen den Tatort, schaffen die Leiche weg und tragen sie gemeinsam in eine Höhle im Elbsandsteingebirge, schicken das Handy ihres Mitschülers auf eine „Zugreise“ auf einem Güterwaggon. Zum Leidwesen der Kriminaltechnik und Schnabels Wohlempfinden finden die dort lebenden Wildschweine den Toten und richten ihn übel zu.

Wie zu erwarten war, übersteht die Beziehung zwischen Paul und Gorniak die Verhaftung Romys und ihrer Mittäterinnen wegen Verdachts unterlassener Hilfeleistung nicht, die Polizistin reicht auf dem Anrufbeantworter ihres Chefs Schnabel ihre Demission ein. Damit endet auch die Mitwirkung von Karin Hanczewski am Dresdner Tatort.

An den Darsteller von Kommissariatsleiter Schnabel, Martin Brambach, hat der MDR noch Fragen:

„Ausgangspunkt für den neuen Fall ist eine Teenager-Party, die vollkommen außer Kontrolle gerät. Aus Schnabels Sicht: Ticken Jugendliche heute anders als zu seiner Zeit?

Die jungen Menschen heute unterscheiden sich fundamental von der Jugend, die Schnabel noch erlebt hat. Er findet, er hatte das große Glück, dass es so einen Blödsinn wie soziale Netzwerke damals noch nicht gab. Auch die Verkümmerung von Kommunikation durch verkürzende Anglizismen gab es damals noch nicht. Und da Schnabel im Osten sozialisiert wurde, kannte er außer Alkohol auch keine Drogen. Ich persönlich denke, es gibt leider einen generellen Trend zur moralischen Verwahrlosung unserer ganzen Gesellschaft.“

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 6 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

6 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Deutscher
5 Tage her

Je länger es her ist, dass ich mich vom TV verabschiedet habe, um so sinnloser kommt mir vor, was da an „Unterhaltung“ geboten wird. Ich verstehe nicht mehr, wie man drauf sein muß, sich solchen Kreativabfall anderer Leute reinzuziehen, ohne das Gefühl von totaler Zeitverschwendung. Diese Story: Nichts als Klischees, völlig konstruiert, komplett künstlich und fadenscheinig, absolut wertloser Kulturmüll.

Last edited 5 Tage her by Deutscher
Sabine M
5 Tage her

Wie schön, daß die Hanczewski aufhört, konnte mit ihr nie was anfangen. War schon immer ein Tatort- oder Polizeiruffan, aber was in den letzten Jahren gesendet wurde ist nur noch grottig. Was mich aber immer wieder aufregt ist das Genuschel in den Sendungen. Diese angeblich gelernten, studierten Schauspieler hatten wohl noch nie Sprachunterricht. Die Schauspieler der alten Riege, meist leider schon tot, konnten so leise sprechen, daß man sie in jeder ganz entfernten Ecke noch verstehen konnte. Die Tonregie ist ebenso unterirdisch. Um das Genuschle dieser Schauspieler der Neuzeit zu verstehen, muß man die Lautstärke ganz hochdrehen. Die danach einsetzende… Mehr

voll wach
5 Tage her

Mal ne Frage in die Runde gestellt: Ich schaue schon lane nicht mehr beim Tatort rein, aber kann es sein, dass mittlerweile die Frauenquote bei der Besetzung der Kommissare die Oberhand gewonnen hat?

Rob Roy
5 Tage her
Antworten an  voll wach

Laut Bundeszentrale für politsche Bildung soll die „Tatort“-Reihe die „bundesdeutsche Realität abbilden“.

Melly
5 Tage her
Antworten an  voll wach

Ich schaue schon lange nicht mehr ÖRR, Tut gut!! Sollten alle machen.

Michael M.
5 Tage her
Antworten an  voll wach

Absolut und jeder der das nicht sieht hat eindeutig Tomaten auf den Augen.

P.S.
Die POC-Quote ist inzwischen auch legendär 😉 und im Grunde ist bei diesen sog. Krimis (ich halte die Bezeichnung Erziehungs-/Framing-Fernsehen für deutlich treffender) nur noch spannend nach wie vielen Minuten der erste entsprechende Protagonist „auftaucht“.

Last edited 5 Tage her by Michael M.